Hannah Höch (Gotha 1.11.1889–31.5.1978 Berlin) war eine deutsche Kunstgewerblerin, Pionierin der Fotomontage und Malerin der Moderne (→ Klassische Moderne). Höch war die einzige Frau im Berliner Dadaistenzirkel (→ Dadaismus).
Hannah Höch wurde am 1. November 1889 als Anna Therese Johanne Höch in Gotha (Thüringen) geboren. Ihr Vater war Inspektor der Stuttgarter Versicherungen, die Mutter dem „Schöngeistigen“ zugewandt. Höch wuchs in einem gutbürgerlichen Ambiente auf. Der Vater war Mitglied der Gothaer Freimaurerloge „Ernst zum Compass“ (der Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“, Berlin), ihre Erziehung geprägt von den reformerischen Leitsätzen Friedrich Wilhelm August Fröbels (1782–1852), der zur Förderung der kreativen Anlagen des Kindes Klebebilder oder Baukastenspiele empfahl.1 Erste Klebebilder und Ölgemälde stammen aus dieser Frühzeit um 1904/1907. Seit ihrer Jugend interessierte sie sich für Philosophie.
„Also das war bereits irgendwie vorhanden.“2 (Hannah Höch, 1973)
Hannah Höch begann ihre Ausbildung 1912 an die Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Charlottenburg. Sie besuchte die Klasse 6 für Glasgestaltung unter Leitung von Harold Bengen. Zu den Unterrichtsschwerpunkten zählten „Flächenkunst, Glasmalerei, Musterzeichnen, Modezeichnen und Stickereientwürfe“, das Naturstudium. Zudem besuchte sie Kurse des Schriftkünstlers Ludwig Sütterlin (1865–1917). Herwarth Walden (1878–1941) gründete die „Sturm“-Galerie (bestand bis 1932), ein Zentrum der Avantgarde-Ausstellungen und des Expressionismus.
Im Jahr 1914 reiste Hannah Höch mit einem Stipendium zur Werkbund-Ausstellung nach Köln. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurden Kunstschulen vorübergehend geschlossen. Höch kehrte nach Gotha zurück und arbeitete als Hilfskraft beim Roten Kreuz.
1915 zog wieder Hannah Höch wieder nach Berlin und wechselte in die Klasse Emil Orliks (1870–1932) für Grafik und Buchkunst an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums. Dort war sie vom Sommerquartal 1915 bis zum Winterquartal 1919/20 immatrikuliert; 1916 und 1917 als Freischülerin, ab 1918 als Stipendiatin verzeichnet. Daneben besuchte sie Abendkurse in Kalligrafie und Modellzeichnen sowie die Holzschnittklasse von Oskar Bangemann (1882–nach 1942). Natur- und Aktstudien standen im Vordergrund. Zu ihren Mitschülern gehörte u.a. George Grosz (ab 1913). Orlik vertraute ihr eigene Zeichnungen an, die sie in Holzstich übertrug:
„Als neuestes arbeite ich jetzt ständig etwas für Orlik, Holzschneiden, und erhalte MK. 40,--. Da kann ich wenigstens dabei in der Schule sein.“3
Das Jahr 1915 wurde für die Entwicklung der Kunststudentin äußerst bedeutend. Sie knüpfte erste Kontakte zum „Sturm“-Kreis. Zudem lernte Hannah Höch Raoul Hausmann (1886–1971) und Johannes Baader (1875–1955) sowie Salomo Friedlaender / Mynona (1871–1946) kennen. Eine konfliktreiche Beziehung zu Hausmann begann, die bis 1922 dauerte. Höch beschäftigte sich mit Schriften von Wassily Kandinsky, mit Nietzsche, den Theorien von Salomo Friedlaender.
Ab 1. Januar 1916 arbeitete Hannah Höch zum Broterwerb drei Tage die Woche in der Handarbeitsredaktion des Ullstein Verlages (bis 1926). Sie fertigte Schriftvorlagen, Vignetten, Illustrationen, Entwürfe, Filetmuster und Handarbeitsvorlagen für die Zeitschriften „Die Dame“ und „Die praktische Berlinerin“; ihre Stoff- und Tapetenmusterrapporte sowie Stickmuster erschienen in der „Stickerei- und Spitzen-Rundschau“. Höch schuf Linolschnitte, die später in die Mappe „Miniaturen“ (1964) einflossen.
Der Arzt und Autor Richard Huelsenbeck (1892–1974) brachte Dada 1917 nach Berlin, nachdem die Bewegung als Dada Zürich 1916 im Cabaret Voltaire ihren Anfang genommen hatte. Am 22. Februar 1918 hielt Huelsenbeck im Saal der Berliner Secession die „Erste Dada-Rede in Deutschland“. Die Gründung des Club Dada, ein erster dadaistischer Vortragsabend fand am 12. April statt. Raoul Hausmann dort trug sein Manifest „Das neue Material in der Malerei“ vor, jedenfalls teilweise, denn Tumult brach aus. Hausmann und Höch entdeckten die schöpferischen Potenziale der Fotomontage. Höch publizierte mehrere Artikel in der „Stickerei- und Spitzen-Rundschau“, in denen sie einen engen Zusammenhang der Stickerei mit der Malerei postulierte.
Der Erste Weltkrieg findet durch den Aufstand der Kieler Matrosen und die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten ein Ende. Der Kaiser trat am 28. November 1918 zurück, und Friedrich Ebert wurde Reichskanzler. Man hoffte auf Frieden und eine neue Gesellschaftsordnung. Am 3. Dezember gründete sich die Novembergruppe mit dem Ziel, „radikale bildende Künstler; Maler, Bildhauer, Architekten“ zu vereinen, „zur Vertretung und Förderung ihrer künstlerischen Interessen“.4 Höch wurde 1919 Mitglied, sie nahm bis 1926 regelmäßig an der „Großen Berliner Kunstausstellung“ teil.
Raoul Hausmann setzte sich 1919 in philosophisch-politischen Essays in den Zeitschriften „Der Einzige“ und „Die Erde“ mit den Geschehnissen auseinander. Höch zeigte abstrakte Aquarelle und Zeichnungen in der „Ersten Berliner Dada-Ausstellung“ im Graphischen Kabinett J. B. Neumann. In diesem Sommer entstand eines ihrer wichtigsten Werke: „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ (Berlin).
Spätestens seit 1919 kannte Hannah Höch Kurt Schwitters und die Gedichte von Hans Arp. Die Künstlerin verfolgte und sammelte eine Fülle von avantgardistischen Zeitschriften. Zwischen Höch und Hausmann kam es zu periodischen Zerwürfnisse. Hausmann belehrte Höch in umfangreichen Notizheften zur Befreiung des Selbst, insbesondere zur weiblichen Befangenheit in patriarchalischen Strukturen.
In der „Ersten Internationalen Dada-Messe“ in der Kunsthandlung Dr. Otto Burchard zeigte Hannah Höch 1920 mehrere Collagen, unter anderem „Collage mit Pfeil“, zwei Dada-Puppen und eine verschollene Dada-Plastik.5
Infolge diverser Auseinandersetzungen mit Hausmann reiste Höch nach Italien, wo sie Kontakt zu den Futuristen aufnahm (→ Futurismus). Insbesondere interessierte sie sich für die Arbeit von Enrico Prampolini, über den sie die Zeitschriften „Atys“ und „noi“ kennenlernte, und Filippo Tommaso Marinetti. Das Visum erhielt sie durch die Vermittlung von Mies van der Rohe.6 In München besuchte Hannah Höch die „Expressionistischen Werkstätten“. Über Kontakte von Hans Hofmann wurden zwei ihrer Dada-Puppen und nach den Entwürfen von Raoul Hausmann gestickte Kissen auf der Ausstellung „Junge Kunst Deutschlands“ in Chicago gezeigt. Höch besuchte Soireen bei dem rumänisch-stämmigen Maler Arthur Segal (1875–1944) und später auch bei dem Neurologen und Psychoanalytiker Ernst Simmel (1882–1947). Sie beschäftigte sich ausgiebig mit Psychologie und Psychoanalyse. Eine Reihe von abstrakt-konstruktiven Werken entstanden in diesen Jahren. Höch und ihre Dada-Puppen wurden in Heft 5 des Kabaretts „Schall und Rauch“ abgebildet.
In der ersten und einzigen Nummer der Zeitschrift „NG“ der Novembergruppe im Mai 1921, deren Einband von Höch stammt, erschien ihrer Schilderung „Reise nach Italien“. Über die Novembergruppe hielt die Künstlerin regen Kontakt zu Adolf Behne (1885–1948), Otto Freundlich, Rudolf Belling, Hugo Häring und anderen. Gemeinsam mit Hausmann, Kurt und Helma Schwitters reiste sie nach Prag, um dort Dada-Abende zu veranstalten. Es begann eine tiefe, dauerhafte und konstruktive Freundschaft mit dem Künstler und Grafiker Kurt Schwitters (1887–1948). Erste Kontakte zu De Stijl. Der Freund, Publizist und Architekt Adolf Behne reiste bereits 1920 nach Holland, vermittelte zwischen den holländischen Künstlern und Architekten Theo van Doesburg (1883–1931) und J.J.P. Oud (1890–1963) und dem Bauhaus. Beide hielten in den folgenden Jahren Vorträge sowohl in Berlin als auch in Weimar.
Obwohl Hannah Höch 1922 eine Einladung für den „Konstruktivisten- und Dadaisten-Kongress Weimar“ hatte, nahm sie nicht teil. Im „Merz-Bau“ von Schwitters in Hannover gestaltete Höch ihre erste Grotte „Bordell“ – gefolgt von einer zweiten Grotte 1925 – und auf der „Großen Berliner Kunstausstellung“ zeigte sie „Frau und Saturn“ und „Er und sein Milieu“. Über die Jour Fixes bei Segal schloss Hannah Höch Kontakte zu Viking Eggeling, Wassily Kandinsky, Hans Richter, Walter Ruttmann, El Lissitzky, Ernst Simmel und anderen.
Im Januar 1923 unternahm Höch mit ihren Freund:innen den „Dada-Feldzug“ in Holland mit den Stationen Den Haag, Haarlem, Amsterdam, Rotterdam, ’s-Hertogenbosch, Delft, Leiden7 unter Beteiligung von Theo van Doesburg, Nelly van Doesburg und Vilmos Huszár. Letzterer war später Logiergast von Höch in Berlin. Die Künstlerin schloss Kontakte zu László Moholy-Nagy, Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp. Gemeinsam mit den Ehepaaren Schwitters und Arp verbrachte Hannah Höch den Sommer 1923 auf Rügen. Das Merz-Heft 1 zum Thema „Holland Dada“, herausgegeben von Kurt Schwitters, erschien 1923 in Hannover, darin eine Zeichnung von Höch.
Auf Einladung des Ehepaars van Doesburg reiste Hannah Höch 1924 nach Paris, wo sie Tristan Tzara, Piet Mondrian, Robert Delaunay und Sonia Delaunay-Terk, Lou Albert-Lasard, Amédée Ozenfant, Man Ray, Iwan Puni, Fernand Léger und andere kennenlernte. Höchs Wohnung in Berlin entwickelte sich zur Anlauf- und Poststelle und zu einem Depot für die Künstlerfreunde, die Ausstellungs-, Publikations- und Kontaktmöglichkeiten suchten. „Erste Allgemeine Deutsche Kunstausstellung in Sowjet-Russland“ (18.10.–November 1924) im Staatlichen Historischen Museum Moskau, mit weiteren Stationen in Saratow (Dezember 1924–März 1925) und Leningrad (Mai–Juli 1925). Höch nahm mit „Die Mücke ist tot“ und „Er und sein Milieu“ teil.8
Am 5. November 1924 fand eine Privatveranstaltung in Berlin mit der Aufführung von Viking Eggelings Film „Diagonale Symphonie“ statt, anwesend waren unter anderem Adolf Behne, Arthur Segal, László Moholy-Nagy und Werner Graeff.9
Schwitters und Höch begannen 1925 mit den Planungen der „Anti-Revue“ „Schlechter und Besser“, die allerdings nie umgesetzt wurde. Auf der Ausstellung der Novembergruppe in den Räumen der Berliner Secession wurden erstmals Höchs „Die Journalisten“ und „Roma“ ausgestellt (der Städtischen Ankaufskommission von Mies van der Rohe empfohlen, aber abgelehnt10), auf der Juryfreien Kunstschau „Vita immortalis“ sowie zwei Aquarelle. Höch besuchte London, die Isle of Wight, mit den van Doesburgs die bretonische Insel Belle-île und Paris, wo sie die „Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes“ sah. Traf Otto Freundlich, Tristan Tzara, Piet Mondrian, die van Doesburgs, Robert Delaunay, Friedrich Kiesler, Francis Picabia. Hans Arp und El Lisstzky bildeten in ihrer Publikation „Die Kunstismen“ das Ölgemälde „Die Etiketten wollen sich hervortun“ ab. Moholy-Nagy veröffentlichte in seiner Bauhaus-Publikation „Malerei, Photographie, Film“ Höchs Collage „Hochfinanz“ unter dem Titel „Der Milliardär“.
Auf Einladung von Kurt Schwitters reiste Hannah Höch 1926nach Holland-Reise. Dort lernte sie die Übersetzerin und Autorin Til Brugman (1888–1958) kennen. Brugman schrieb Gedichte, Grotesken und Prosa. Hannah Höch ging eine Beziehung mit Brugman ein, die bis 1935 dauerte. Hannah Höch übersiedelte deshalb nach Den Haag. Das Paar unternahm gemeinsame Reisen nach Belgien, Schweiz und Norditalien, nach Paris 1927, Norwegen 1928.
Im Jahr 1928 wurde Hannah Höch Mitglied der „Filmliga Rotterdam“. Am 28. Januar kam es zur Aufführung von Man Rays Film „Emak Bakia. Un Cinépoème“, am 3. März von Eggelings „Symphonie Diagonale“ sowie von Filmen Hans Richters und J.C. Mols („Uit het rijk der kristallen“). Höch nahm an diversen Ausstellungen des holländischen Pendants zur Novembergruppe, „De Onafhankelijken“, teil: 1928 etwa mit „Imaginäre Brücke“ (später: „Zwei Köpfe“), „Die Treppe“, „Schwarz-Weiß“; 1929 mit „Er und sein Milieu“ sowie „Das Brautpaar“.
Hannah Höch hatte in den Niederlanden 1929 ihre ersten Einzelausstellungen: in der Galerie De Bron in Den Haag – ihre Gemälde, Aquarelle und Collage wurden eher zurückhaltend bis ablehnend kritisiert –, im Rotterdamsche Kring (Anfang September), im Kunstzaal van Lier in Amsterdam. Die Wanderausstellung „Film und Foto“ des Deutschen Werkbundes zeigte in Stuttgart 18 Fotomontagen der Künstlerin (weitere Etappen: Zürich, Berlin, Danzig, Wien, Zagreb, Tokio, Osaka). Hannah Höchs Fotomontagen erschienen in „Foto-Auge: 76 Fotos der Zeit“ von Franz Roh und Jan Tschichold. Am 1. November 1929 zogen Til Brugman und Höch zurück nach Berlin. Auch danach blieben ihr die holländischen Galerien verbunden: 1934 und 1935 organisierte die Galerie D’Audretsch in Den Haag eine Einzelausstellungen Höchs.
Eine für Mai bis Juni 1932 geplante Einzelausstellung im Bauhaus Dessau mit Fotomontagen und Aquarellen wurde abgesagt. Es entstanden zum Broterwerb Buchumschläge für den Verlag von Anthon Bakels in Berlin. Künstlerisch wichtige Stationen waren in den Jahren 1932 und 1933 Höchs Teilnahme am ersten „Philadelphia International Salon of Photography“ und an der ersten „Exposition internationale de la photographie et du cinéma“ in Brüssel.
Nach einer Basedow-Operation 1934 machte Hannah Höch eine Kurs in Johannisbad im Riesengebirge und in den Dolomiten – eine große finanzielle Belastung. Til Brugman bemühte sich bei Galeristen, Sammlern und Freunden um Unterstützung durch Verkäufe. Eine von František Kalivoda organisierte Einzelausstellung Höchs mit 42 Fotomontagen fand in Brünn statt; Hannah Höch schrieb einen Text zur Fotomontage im Katalog.
Während eines neuerlichen Kuraufenthalts in den Dolomiten 1935 lernte Hannah Höch den Pianisten und Volkswirtschaftler Kurt Matthies (1910–?) kennen, den sie nach der Trennung von Brugman 1938 heiratete.
Noch 1936 konnte Hannah Höch an der Ausstellung „Deutsche Frauenkunst der Gegenwart“ im Mannheimer Kunstverein teilnehmen. Im Katalog der Ausstellung „Fantastic Art, Dada, Surrealism“, kuratiert von Alfred Barr im Museum of Modern Art in New York, wurde das „Klebebild XI“ (1921) aus der Sammlung Tristan Tzara abgebildet. Doch ihre Aufnahme als „Kulturbolschewistin“ in Wolfgang Willrichs „Säuberung des Kunsttempels“ (1937) mit dem Gemälde „Journalisten“ zeigte die Änderung der Kunst- und Kulturpolitik an. Hannah Höch erhielt „Ausstellungsverbot“. Die Künstlerin besuchte in mehreren Städten die Ausstellung „Entartete Kunst“. An der Seite von Kurt Matthies, der für die jüdische Firma und Eisengießerei Schönthal tätig war, konnte Höch noch zahlreiche Reisen über die Sächsische Schweiz und den Thüringer Wald nach Süd- und Südwestdeutschland. Diese verband sie stets mit Museumsbesuchen (u.a. in Darmstadt, Mannheim, Otterlo, Amsterdam, Rotterdam). Höch schuf Gemälde, Aquarelle, Skizzen und gab Kurse in der ehemaligen Reimann-Schule.
Hannah Höch heiratete 1938 Kurt Matthies. Es folgten insgesamt unstete Jahre, eine problematische Beziehung (1942 die Trennung und 1944 die Scheidung). Die politische Situation wie auch die persönlichen Umstände lasteten schwer auf Höchs Gesundheit. Sie berichtete in ihren Tagebüchern von Angstzuständen und Herzbeschwerden. Daneben kommentierte sie kurz und knapp die politischen Ereignisse. Die Kriegserklärung 1939 erlebte Höch in Gotha während eines Zwischenaufenthaltes bei ihrer Mutter. Auf ihren Reisen traf Höch (noch) Freunde, unter anderem Prof. Dr. Hildebrandt, Willi Baumeister und Oskar Schlemmer in Stuttgart, dort besichtigte sie auch die Weissenhofsiedlung.
Dank einer kleinen Summe aus der elterlichen Erbschaft erwarb Hannah Höch ein ehemaliges Flugwärterhäuschen in Berlin-Heiligensee. Dorthin brachte sie Dokumente und Werke ihrer Freunde aus ehemaligen Dada-Zeiten. Nach ihrer Scheidung 1944 lebte Höch zurückgezogen in Heiligensee, wo sie zunehmend vereinsamte. Ihr Garten gewann an Bedeutung, als Ausgleich und zur Ernährung. Wenige Kontakte blieben erhalten, wie zu Thomas Ring, den sie bereits seit der Studienzeit bei Orlik kannte, oder Adolf Behne. Mit beiden pflegte sie in all diesen Jahren einen unregelmäßigen Briefwechsel.
Hannah Höch berichtete 1945 vom Einmarsch der Russen. Sie engagierte sich sofort im kulturellen Wiederaufbau. Im September nahm sie auf Einladung an der Gründungsversammlung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschland teil. Sie lernte Heinz Trökes kennen, den Mitbegründer der Galerie Gerd Rosen, und hielt ihren ersten Vortrag: „Die Symbolik der Kunst“.
Im Jahr 1946 als „wichtige Kulturschaffende“ anerkannt, erhielt Hannah Höch Anrecht auf eine Lebensmittelkarte I. Wie Höchs Tagebücher verraten, waren Arbeitsmaterialien ebenso wie Lebensmittel knapp. Adolf Behne war in einem selbstständigen Ressort für Volksbildung und Kunst sehr engagiert und lud Höch zu mehreren Ausstellungen im Rahmen der Notstandsprogramme ein. Sie war regelmäßig auf den Ausstellungen des Volksbildungsamtes in Reinickendorf vertreten, hielt unverdrossen Vorträge über die Anliegen der modernen Kunst, unter anderem in der Volkshochschule Reinickendorf, insbesondere gerichtet an die jüngeren Generationen.
Im Februar 1946 organisierte die Galerie Gerd Rosen die Ausstellung „Fantasten“ (gemeinsam mit Hans Uhlmann, Mac Zimmermann, Hans Thiemann, Stephen Alexander und Heinz Trökes). Höch verfasste die Einführung zum Katalog, in der sie sich zu einer Sur-Realität bekannte. Mitarbeit am „Ulenspiegel“, der Zeitschrift für Literatur, Kunst und Satire, wo Fotomontagen und Aquarelle Höchs abgedruckt wurden. Ihr letzter Beitrag 1949 ist das Aquarell „Der Mensch schreit“. Im Dezember 1946 beteiligte sich Hannah Höch an der Ausstellung „Fotomontage von Dada bis heute“ in der Galerie Gerd Rosen, daneben waren Arbeiten von Raoul Hausmann, Johannes Baader, Juro Kubicek und anderen zu sehen. Ihr Text zur Fotomontage, bereits verfasst für die Ausstellung in Brünn 1934, erschien im Katalog.
Im Herbst 1948 war Hannah Höch mit drei Fotomontagen in der Ausstellung „Collage“ im Museum of Modern Art in New York vertreten. Sie stellte auch Werke von Baader und Hausmann als Leihgaben zur Verfügung. Über Jahre kämpfte die Künstlerin dennoch ums nackte Überleben. Höch beantragte Sozialhilfe, erhielt ein Darlehen aus dem Künstler-Hilfs- und Altersfonds, das sie 1949 zurückzahlen musste. Daher gab sie 1948/49 Kurse an der Volkshochschule Reinickendorf, wobei sie sich ausführlich auf Wilhelm Worringers „Abstraktion und Einfühlung“ bezog.11
Im Jahr 1949 trat Hannah Höch aus dem Schutzverband bildender Künstler aus, weil sie sich den Beitrag nicht leisten konnte. Einzelausstellung in der Galerie Franz mit Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen und Fotomontagen, ergänzt durch Arbeiten von Hausmann, Schwitters, Arp und Freundlich. Höch nahm nun an diversen Gruppenausstellungen teil, zum Beispiel an „Reinickendorfer Künstler stellen aus. Malerei, Graphik, Plastik“ im Volksbildungsamt Reinickendorf 1945 und 1949 im Archivarion an der Milly-Steger-Gedächtnis-Ausstellung sowie an der Grafikausstellung des Bezirksamtes Charlottenburg.
Als 1950 der unabhängige Berufsverband Bildende Künstler in Berlin gegründet wurde, war mit dabei Hannah Höch. Zahlreiche Bitten der Künstlerin auf Erlass der Mitgliedsbeiträge und Sonderzuschüsse für den Erwerb von Malmaterial sind überliefert. Die Künstlerin war regelmäßig auf den Ausstellungen vertreten, ebenso bei den Veranstaltungen anderer Verbände, wie „Der Ring“ oder der Verein Berliner Künstler.
Die Wiederaufnahme von Kontakten zu Hausmann, Hans Richter, Richard Huelsenbeck erfolgte 1951. Hannah Höch verletzte sich das rechte Auge im Garten. Im Dezember besuchte sie eine Ausstellung von Max Ernst im Haus am Waldsee, den sie als ihren „nächsten ‚Verwandten‘“ bezeichnete. Höch beteiligte sich aktiv am Berliner Kulturleben, besuchte Ausstellungen, Vorträge, Film- und Theatervorführungen. Freundschaft mit dem Schriftsteller Karl Friedrich Borée. Besuch von Hannah Kosnick-Kloss-Freundlich, die Nachrichten aus Paris überbrachte.
Hannah Höch nahm 1953 an der Ausstellung „Landschaft und Stillleben, Porträt und Plastik“ im Rathaus Neukölln sowie an der „Juryfreien Kunstausstellung“ und Reinickendorfer Ausstellungen teil. Sie erhielt finanzielle Hilfe durch die Deputation für Volksbildung und Kunst des Bezirkamts Reinickendorfs, allerdings erkrankte sie an Hepatitis. In der Ausstellung „Dada 1916–1923“ bei Sidney Janis in New York waren fünf Werke von Höch dabei. Im November hörte sie ein Interview mit Max Ernst im Radio, das sie tief bewegte. Mehrere Briefentwürfe an Ernst schickte sie allerdings nicht ab.
Anlässlich ihres 65. Geburtstages 1954 und bis zu ihrem Tod erhielt Höch auf Empfehlung von Hans Arp ein „Ehrenruhegeld“ der Stadt Berlin. Höch sah die Ausstellung von Max Ernst in der Galerie Springer. Im Folgejahr reiste sie ins Rheinland, traf Georg Muche, Max Burchartz, Werner Graeff. Die Galerie des 20. Jahrhunderts, Vorgängerinstitution der Nationalgalerie, erwarb das Ölbild „Die Mücke ist tot“.
Im Jahr 1957 organisierte die Galerie Gerd Rosen, Berlin, eine Einzelausstellung Höchs mit 26 Collagen. Parallel dazu wurde afrikanische Stammeskunst gezeigt. Außerdem nahm sie an der „Großen Berliner Kunstausstellung“ teil. Höch besaß ein ausgeprägtes Interesse an technischen Entwicklungen. Sie verfolgte mit höchster Aufmerksamkeit die Eroberung des Weltalls, sammelte dazu Artikel und Fotomaterial zu den Bewegungen der ersten russischen Erdsatelliten Sputnik 1 und 2 in der Umlaufbahn. Der Blick von oben – oder außen – auf die Dinge, die Relativierung der Verhältnisse, die innovativen Perspektiven waren der Künstlerin stets von Bedeutung. Ihr sich nun erweiternder Bekanntenkreis setzte sich aus Physikern, Kunsthistorikern, Musikern, Künstlern, Sammlern, Kritikern, Schriftstellern zusammen.
Auf der Ausstellung „Dada – Dokumente einer Bewegung“ (1958) in Düsseldorf wurde Höch mit 21 Arbeiten gezeigt. Auf der Eröffnung am 5. September traf sie Man Ray, Hans Richter, Paul Citroen und Hans Bolliger. Höch galt als zentrale Zeitzeugin. Sie beteiligte sich außerdem an der Ausstellung „Berliner Künstler: Malerei, Plastik“, Bezirksamt Spandau.
Zu Ehren ihres 70. Geburtstages widmet der „Ring bildender Künstler“ Hannah Höch im Rahmen seiner Ausstellung im Haus am Waldsee eine eigene Sektion (1960). Sie schenkte Arp die Arbeiten „Huldigung an Arp“ und „Schnurbild“. Ab März erhielt sie bis an ihr Lebensende finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Künstlerhilfe, einem Fonds aus Fördermitteln der Bundesministerien und Spenden.
Von Januar bis April 1961 war Hannah Höch Ehrengast der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom. Kontakt zu Palma Bucarelli, Direktorin der Galleria Nazionale d’Arte Moderna in Rom, sowie zu Arturo Schwarz, Mailand. Höch-Retrospektive in der Galerie Nierendorf, Berlin (April–Juni). Die Galerie vertrat nun die Künstlerin. Die Nationalgalerie erwarb „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“. Im Sommer entstand der Dokumentarfilm „Hannah Höch – jung geblieben“ von Hans Cürlis. Im Oktober war Höch auf der Ausstellung „The Art of Assemblage“ im Museum of Modern Art vertreten. Die Künstlerin verfolgte weiterhin Neuerungen auf dem Gebiet der Kunst, der Architektur, Film und Fotografie, in Technologie und Atomenergie.
Höch besuchte die „Documenta III“ (1964) in Kassel. Zum 75. Geburtstag organisierte die Galerie Nierendorf eine Retrospektive der Künstlerin. Die Verkäufe dienten dazu, eine Zwangsvollstreckung des Häuschens zu verhindern. Höch musste sich beständig „über Wasser halten“, zum Beispiel durch Privatunterricht im Zeichnen. Beteiligung an der Ausstellung „Behauptung der Kunst“ des Deutschen Künstlerbundes, Haus am Waldsee, Berlin, sowie an der Ausstellung „Cinquante ans de collages: Papiers collés, assemblages, collages, du Cubisme à nos jours“, Musée d’Art et d’Industrie, Saint- Étienne, Musée des Arts Décoratifs, Paris.
Höch pflegte 1965 den Kontakt zum italienischen Bildhauer und Berlin-Stipendiaten Emilio Vedova, den sie mehrmals in seinem Berliner Atelier besuchte. Die Abteilung Bildende Kunst der Akademie der Künste, Berlin, wählte Höch zum ordentlichen Mitglied. Beteiligt an den Ausstellungen „Signale, Manifeste, Proteste im 20. Jahrhundert“ im Rahmen der Ruhrfestspiele in der Städtischen Kunsthalle Recklinghausen sowie „Dada bis heute“, Neue Galerie der Stadt Linz, Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz. Leihgaben aus dem Besitz von Höch auf der großen Schwitters-Retrospektive in Los Angeles, Kansas City, Toronto, Dallas, St. Louis. Beschäftigung mit den Gemini-Raumflügen.
Im Jahr 1966 wurde Hannah Höch eingeladen zu einem Vortrag zur Berliner Dada-Zeit im Kunstverein Düsseldorf. Vermehrt suchten Fluxus-Künstler:innen den Kontakt zu Höch. Unter anderem wurde sie von Nam June Paik und Charlotte Moorman, von Wolf Vostell, Dick und Alison Higgins, von Juan Hidalgo besucht.
Eberhard Roters, späterer Gründungsdirektor der Berlinischen Galerie, beauftragte Heinz Ohff mit der Erstellung einer ersten Biografie zu Höch. Es erschien 1968 die erste Monografie zu Höch von Heinz Ohff, erster Band der Reihe „Bildende Kunst in Berlin“, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Bildende Kunst (Kunstverein Berlin) und von der Stiftung Buchkunst unter die schönsten Bücher des Jahres gereiht. 1967, 1968 und 1978 erhielt Höch eine Spende der Theodor-Heuss-Stiftung.
Im Jahr 1969 zeigte Hannah Höch reges Interesse an den Apollo-Landungen auf dem Mond. Helga Kliemann veröffentlichte Werke von Höch in ihrer monografischen Untersuchung zur Novembergruppe, und Wieland Schmied nahm sie in seinem Buch „Neue Sachlichkeit und Magischer Realismus in Deutschland 1918–1933“ auf.
Die Deutsche Welle sendete am 2. Juli 1970 „Das Porträt: Hannah Höch“. Es stellten sich Probleme mit der Sehkraft ein. Die Künstlerin sammelte Material zu diversen Themen, die sie in Rubriken unterteilte, wie Astronautik, Mikrokosmos, Pflanzen, Blumen, aber auch Religion und Sex, für eine große Collage.
Der Sender Freies Berlin brachte 1971 das Interview „Alt werden, jung bleiben“. Höch sammelte weiterhin Artikel und Material zu zahlreichen Themen, unter anderem zu Gesteinsproben auf dem Mond, zu Parapsychologie und zeitgenössischer Musik und Tanz.
Höch begann 1972 mit der Großcollage „Lebensbild“ und stellte Leihgaben für die Ausstellung „Salomo Friedlaender / Mynona“, Akademie der Künste, Berlin, zur Verfügung.
Hannah Höch führte ein Gespräch mit Wolfgang Pehnt in der Reihe „Jene zwanziger Jahre“ im Deutschlandfunk (4.3.1973). Ein Filmporträt von Sigurd Kuschnerus wurde im Sender Freies Berlin am 23. November ausgestrahlt.
Im Jahr 1974 wurde Hannah Höch am grauen Star operiert. Sie arbeitete nun mit einem Vergrößerungsglas. In diesem Jahr erwarb der Senat für Wissenschaft und Kunst die Gemälde „Roma“ und „Journalisten“.
Hannah Höch starb am 31. Mai im Alter von 88 Jahren.