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London | Tate Britain: Frank Bowling

Frank Bowling, Tate Britain 2019

Frank Bowling, Tate Britain 2019

In den letzten 60 Jahren erforschte Frank Bowling (*1934) unermüdlich die Eigenschaften und Möglichkeiten von Farbe. Er experimentierte mit Färben, Gießen und Schichten und verwendete dabei eine Vielzahl von Materialien und Objekten. Im Laufe seiner Karriere hat Bowling die Spannung zwischen Geometrie und Fluidität untersucht. Seine großen, anspruchsvollen Gemälde sind bekannt für ihre unverwechselbar strukturierten Oberflächen und ihre farbenfrohe, leuchtende Qualität.

Die Tate Britain organisiert 2019 die erste umfassende Retrospektive Bowlings. Die Ausstellung umfasst jede Phase seiner langen und anhaltenden Karriere. Beginnend mit seinen frühen figurativen Gemälden, die Anfang der 1960er Jahre in London entstanden, zeichnet die Schau nach, wie er 1966 nach New York, USA, übersiedelte. Dort wurden seine Bilder zunehmend abstrakter, ohne den Bezug zu seinem persönlichen Leben aufzugeben. Frank Bowling pendelte viele Jahre zwischen New York und London. Beide Städte beeinflussten seine Arbeit, neben seinem Elternhaus in New Amsterdam, Guyana. In der Ausstellung werden die „Kartenbilder“, die „gegossenen Gemälde“ und Werke aus der „Great Thames“-Serie gezeigt. Sie endet mit seinen jüngsten Bildern – denn Bowling malt mit 85 Jahren noch jeden Tag. Seine Arbeit beruht auf technischem Können, während er sich dem Zufall und dem Unvorhersehbaren zuwendet. Bowlings Bilder verkörpern sein fortwährendes Streben nach Veränderung, Transformation und Erneuerung.

 

Frühwerk: Leben, Politik und persönliche Erzählungen

Frank Bowling wurde 1934 in Guyana (damals Britisch-Guayana) in Südamerika geboren. 1953 verließ er seine Heimatstadt New Amsterdam und reiste nach London, wo er während der Feierlichkeiten zur Krönung von Königin Elizabeth II. ankam. Nach einigen frühen Versuchen in der Poesie und zwei Jahren Dienst in der Royal Air Force schrieb sich Bowling am Royal College of Art in London ein. Von 1959 bis 1962 studierte er neben einer talentierten und ambitionierten Studentengruppe Malerei. Zu seinen Studienkollegen gehörten die Künstler Derek Boshier, David Hockney und R.B. Kitaj.

Bowlings frühes Werk zeigt sein Interesse an sozialen und politischen Themen sowie persönlichen Erzählungen. Es zeigt oft schmerzhafte Erinnerungen und entrechtete Individuen. Während dieser Zeit begann Bowling, in seiner Arbeit sowohl Figuration als auch Abstraktion zu mischen. Das Thema eines sterbenden Schwans aufgreifend, begann er, formale Bedenken auszuloten. Er verwendete Prinzipien der Geometrie, um die Komposition zu strukturieren. Er begann auch, Farbtheorie zu studieren und Flächen mit kräftigen Farben einander gegenüberzustellen.

 

Fotografien in Gemälde

Zwischen 1964 und 1967 vereinte Bowling viele unterschiedliche Bildansätze, Quellen und Techniken miteinander. In dieser Phase erlebte er große Veränderungen sowohl privat wie auch beruflich. 1966 zog er von London nach New York und erhielt im folgenden Jahr das Guggenheim-Stipendium. Dies ermöglichte ihm, sich in den USA zu etablieren, wo er den größten Teil des folgenden Jahrzehnts verbrachte.

Bowling verwendete weiterhin figurative Elemente in seinen Werken. Manche Bilder sind expressionistisch, gestisch gemalt. Andere sind grafischer und durch Drucktechniken gestaltet. Frank Bowling übernahm verschiedene Bilder als Quellen für seine Kompositionen. Dazu gehören Fotografien von ihm inszenierter Szenen, Familienbilder und Bildern aus Zeitschriften. Ein Siebdruck seines Elternhauses in New Amsterdam wurde zu einem zentralen Element seiner Gemälde. Bowlings Mutter baute das Haus für ihre Familie, die die oberen Stockwerke bewohnte. Ihr Geschäft, Bowling's Variety Store, befand sich im Erdgeschoss. Von 1966 bis 1967 begann Bowling auch, Schablonen in seinen Arbeiten zu verwenden, und es erscheinen die ersten Formen, deren Umrisse Kontinenten ähneln. Diese Arbeiten signalisieren sein anhaltendes Interesse an Geometrie, der intuitiven Verwendung kräftiger Farbflächen und der Ausnutzung der Unvorhersehbarkeit von Farbe.

 

Map Paintings

Bald nach seinem Umzug nach New York im Jahr 1966 hörte Frank Bowling auf, menschliche Figuren zu malen. Er begann mit der Arbeit an einer Gruppe von Gemälden, die sich durch ihre Größe, den fließenden Auftrag von Acrylfarbe und ihre Leuchtkraft auszeichnen. Darüber hinaus spielte Bowling durch sein Schreiben im „Arts Magazine“ (1969–1972) eine Schlüsselrolle in den Debatten um die „Schwarze Kunst“. Er setzte sich für das Recht von Künstlern ein, sich unabhängig von ihrer Identität oder ihrem Hintergrund an jeder Form des künstlerischen Ausdrucks zu beteiligen.

Die Arbeiten in diesem Raum, die als „Map Paintings [Kartenbilder]“ bezeichnet werden, stammen aus den Jahren 1967 bis 1971. Farbfelder werden mit schablonierten Weltkarten und Siebdruckbildern überlagert. Bowling arbeitete an ungedehnten Leinwänden und platzierte sie auf dem Boden und an der Wand. Er trug Farbe durch Einsickern, Gießen und Sprühen auf. Oft dominiert die südliche Hemisphäre diese Leinwände. Dieser Fokus markiert Bowlings Ablehnung der westlich zentrierten Kartografie vieler Weltkarten. Auf einigen der Leinwände sind Bilder der Mutter und der Kinder des Künstlers zu sehen. Biografie und Weltpolitik sind untrennbar miteinander verknüpft. Damit zeigen diese „Kartenbilder“ Bowlings Interesse an der Art und Weise, wie Identitäten durch Geopolitik und Vertreibung geformt werden.

 

Poured Paintings – gegossene Gemälde

Um 1973 begann Bowling, Farbe auf Leinwände zu gießen, um Schichteffekte mit kontrastierenden Farben zu erzeugen. Die entstandenen Gemälde zeigen die Prozesse ihrer Entstehung. Sie waren Bowlings persönliche Antwort auf die Herausforderungen des Formalismus in der modernistischen Malerei, eine kritische Haltung, die vom amerikanischen Kunstkritiker Clement Greenberg gefördert wurde. Damit schlug der Maler vor, dass die visuellen Aspekte eines Kunstwerks wichtiger wären als der narrative Inhalt. Der berühmte Kunstkritiker Clement Greenberg unterstützte Bowlings Arbeit und Kunstpraxis.

In seinen Ateliers in New York und London baute Frank Bowling eine kippbare Plattform, die es ihm ermöglichte, Farbe aus bis zu zwei Metern Höhe zu gießen. Durch die verschüttete Farbe entstand ein energischer und innovativer Malstil. Diese „Poured Paintings [Gegossene Gemälde]“ waren das Ergebnis eines kontrollierten Zufalls. Sie offenbaren Bowlings Interesse an der Spannung zwischen einem strukturierten Zugang zur Malerei und zufälligen Entwicklungen.

Während dieser Zeit wählte Bowling immer rätselhaftere Titel für seine Werke. Bowling benennt ein Gemälde, sobald es fertig ist, und versucht, sich dadurch wieder mit dem zu verbinden, was während seiner Entstehung geschah. Titel verweisen oft auf Aspekte des täglichen Lebens des Künstlers, auf Personen und persönliche Assoziationen. Dennoch bleiben sie mehrdeutig und verhindern eine verbindliche Lektüre seines Werkes.

 

Kosmischer Raum

Bis Ende der 1970er Jahre beherrschte Frank Bowling die Maltechniken, die er in den zehn Jahren davor verfeinert hatte. Er entwickelte ein tiefes Verständnis für die Dynamik des Farbflusses und das Drama der Farbkombination. Da er neue Herausforderungen brauchte, arbeitete er mit einer Vielzahl von Interventionen: Bowling setzte Ammoniak und Perlglanz ein und trug Farbkleckse von Hand auf, um Marmorierungseffekte zu erzielen. Er akzeptierte Unfälle, da sie ihm ermöglichten, unerwartete Ergebnisse zu erzielen. So trug zum Beispiel der runde Abdruck eines Eimers, der auf einer trocknenden Leinwand stand, zur Komposition von „Vitacress“ (1981) bei und wurde zu einem wiederkehrenden Element.

Die in der Tate Britain ausgestellten Gemälde lassen an atmosphärische Himmelseindrücke, Visionen der Welt und des Kosmos oder alchemistische Verwandlungen denken. Bowling schafft keine Werke mit diesen Referenzen im Hinterkopf. Er begrüßt jedoch unterschiedliche Reaktionen und Interpretationen der Zuschauer:innen.

 

Mehr Land als Landschaft

In den 1980er Jahren erforschte Bowling weiterhin Farbe und Struktur seiner Kompositionen, fügte aber jetzt neue Experimente zu den Texturen auf der Oberfläche hinzu.

Frank Bowling begann, Acrylfarbe mit farblosem Acrylgel zu mischen, um das Farbvolumen zu vergrößern, eine größere Textur zu erzeugen und dieser Transparenz zu verleihen. Außerdem verwendete er Acrylschaum. Er schneidet das Material in dünne Streifen, um lineare Akzente zu setzen und locker geometrische Formen zu suggerieren. Er begann auch, eine Reihe anderer Materialien und Objekte in seinen Bildern zu verwenden. Auf seine dicht strukturierten Oberflächen brachte er Metallic-Pigmente, fluoreszierende Kreide, Bienenwachs und Glitzer auf. In mehreren Arbeiten sind Fundstücke wie Plastikspielzeug, Verpackungsmaterial, der Deckel einer Filmdose und Austernschalen in die Farbe eingebettet. Diese Gegenstände sind selten vollständig sichtbar, tragen jedoch zur Komplexität und mysteriösen Qualität seiner Werke bei.

Die Arbeiten entwickeln sich in den Betrachterraum, was zu einer stärkeren körperlichen Auseinandersetzung führt. Während oft gesagt wurde, dass diese Gemälde Landschaften und Meereslandschaften suggerieren, stellte der Maler Dennis de Caires fest, dass sie „mehr Land als Landschaft“ sind und „die Ehe des Menschen mit der physischen Welt darstellen“ (1986).

 

Wasser und Licht

Vier 1989 fertiggestellte Gemälde zeigen Frank Bowlings Auseinandersetzung mit der gestischen Handhabung der Farbe und sein Umgang mit der Farbfläche des Abstrakten Expressionismus sowie sein Interesse an der englischen Landschaftsmalerei.
Zwei der Gemälde gehören zur Serie „Great Thames“, die in Bowlings Atelier in East London in der Nähe der Themse entstanden ist. Diese Gemälde fangen das Lichtspiel auf dem Wasser ein, das sich mit der Tageszeit und den Jahreszeiten ändert. Sie gehören zu Bowlings poetischsten Gemälden und verweisen auf die Arbeit der englischen Landschaftskünstler, die er zutiefst bewundert, insbesondere Thomas Gainsborough (1727–1788), William Turner (1775–1851) und John Constable (1776–1837).

Als Bowling 1989 nach New Amsterdam zurückkehrte, erkannte er, dass das besondere Licht Guyanas auch der Schlüssel zu seiner Malerei war.

„Als ich mir die Landschaft in Guyana ansah, erkannte ich, dass das Licht in meinen Bildern ein ganz anderes Licht ist. Ich sah einen kristallinen Dunst, vielleicht einen Ostwind und Wasser, das in den Himmel aufstieg. In meinen Fünfzigern fiel mir zum ersten Mal ein, dass es sich bei dem Licht um Guyana handelt. Es ist eine Konstante in meinen Bemühungen.“ (Frank Bowling, 1992).

 

Schichten und Nähen

In den 1990er Jahren arbeitete Bowling weiter mit Acrylfarbe und Gel und integrierte verschiedene Materialien und Objekte in seine Bilder. Sein Interesse am Gemälde als Objekt veranlasste ihn, Leinwände zusammenzunähen. Er fing an, seine Hauptleinwand an bunten Streifen der Sekundärleinwand zu befestigen, die eine Umrandung bildeten. Bowling begann auch mit der Arbeit an kleineren Gemälden. Da er jahrzehntelang meist großformatig gearbeitet hatte, boten diese kleinformatigen Arbeiten eine neue Herausforderung. Er konnte mit der Behandlung des Trägers experimentieren und Ausschnitte derselben Leinwand in verschiedenen Werken verwenden.

Bowling begann gleichzeitig an mehr als einem Gemälde zu arbeiten. Ausschnitte früherer Leinwände mit unterschiedlichen Farbaufträgen und Farben wurden geheftet und zusammengeklebt. Die Heftklammern, die die verschiedenen Stoffpartien zusammenhalten, bevor der Kleber sie verbindet, zeugen von der Arbeit des Künstlers. Diese Technik verstärkt die Materialität der Werke und vermittelt gleichzeitig ein Gefühl von Vergänglichkeit.

 

Explosives Experimentieren

Im Alter von 85 Jahren, arbeitet Bowling noch jeden Tag in seinem Atelier. Der letzte Abschnitt der Ausstellung ist den Gemälden des letzten Jahrzehnts gewidmet. Bowling experimentiert weiterhin mit Techniken, die er über viele Jahrzehnte hinweg angewendet hatte, und kombiniert sie zu einer unendlichen Anzahl von Variationen: Waschungen von dünner Farbe, gegossener Farbe, fleckiger Farbe, Schablonenapplikationen, Verwendung von Acrylgelen, Einfügen von Fundstücken und Zusammennähen verschiedener Leinwandabschnitte.

Bowling erforscht auch weiterhin die beiden widersprüchlichen Ideen von Geometrie und Fluidität, die ihn während seiner gesamten Karriere beschäftigt haben. Seine Kompositionen basieren auf übergreifenden Strukturen und locker geometrischen Anordnungen. Gleichzeitig wird Farbe mit unterschiedlichsten Materialien und Gegenständen vermischt und über die Leinwand fließend verteilt.

Die Gemälde in diesem letzten Raum scheinen eine besonders offene Qualität zu haben. Bowlings technische Meisterschaft, die durch jahrzehntelanges Experimentieren erworben wurde, weicht einem bemerkenswerten Selbstvertrauen bei der Improvisation. Er etabliert und bricht systematisch ein sich ständig änderndes System selbst auferlegter Regeln.

Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.