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Victor Hugo. Der schwarze Romantiker Tuschezeichnungen des französischen Romanciers

Victor Hugo, Burg und Schloss von Vianden im Mondschein, 1871 (Maisons de Victor Hugo, Paris / Guernese © Foto: Maisons de Victor Hugo/Roger-Viollet)

Victor Hugo, Burg und Schloss von Vianden im Mondschein, 1871 (Maisons de Victor Hugo, Paris / Guernese © Foto: Maisons de Victor Hugo/Roger-Viollet)

Vielen ist Victor Hugo (1802–1885) als Romancier, Dramatiker und Lyriker bekannt. Romane wie Dramen fanden als Vorlagen für Musikstücke und Filme weite Verbreitung: „Der Glöckner von Notre Dame“ (1831) und „Les Misérables [Die Elenden]“ (1862) oder seine Dramen „Hernani“ (1830, Vorlage für Verdis gleichnamiger Oper), „Le roi s’amuse“ (1832, Vorlage für Verdis „Rigoletto“) oder „Lucrèce Borgia“ (1833, Vorlage für Donizettis „Lucrezia Borgia). Hugo ist auch heute noch populär und vielgelesen – seine bislang noch wenig bekannten Tuschezeichnungen zeigen nun eine gänzlich andere Seite des Autors. Gemeinsam mit den beiden Hauptleihgebern, dem Pariser Maison de Victor Hugo und der Französische Nationalbibliothek, zeigt das Leopold Museum die erste monografische Schau mit etwa 60 Sepia-Blättern des berühmten Autors. Werke aus der Sammlung Bernd und Verena Klüser, die neben Zeichnungen von Hugo auch je eine Arbeit von William Turner und George Sand leihen, vervollständigen den Kontext.

Hugo, der Romantiker

Der als Sohn eines Offiziers und Napoleon-Unterstützers am 26. Februar 1802 geborene Victor Hugo zählte ab 1830 zu den bedeutendsten Romantikern und späteren Realisten der französischen Literaturgeschichte. Da er als wichtigster Kritiker von Napoleon III. dessen Regierung aus dem neunzehnjährigen Exil auf Guernsey mit Worten „beschoss“, wurde er bei seiner Rückkehr 1870 umso ehrenvoller empfangen. Als Victor Hugo am 22. Mai 1885 verstarb, entschied die Nationalversammlung, dem Literaten und politischen Querdenker ein Staatsbegräbnis im Pantheon zuteilwerden zu lassen. Zu den herausragendsten politischen Zielen gehörte sein Engagement für die Abschaffung der Todesstrafe und die Gründung der Vereinigten Staaten Europas. Man sollte diesen französischen Nationalhelden aber auch als talentierten Autodidakten in der Kunstgeschichte nicht ausschließen.

„Victor Hugo, wenn er nicht Dichter wäre, wäre [er] ein Maler erster Ordnung; ausgezeichnet mischt er, in düsteren und wilden Phantasien, die Hell­Dunkel­Effekte Goyas mit dem architektonischen Schrecken Piranesis.“1 (Théophile Gautier)

Zeit seines Lebens stellte Victor Hugo ein einziges Mal 1859 am Salon aus, empfand sich weder als bildender Künstler noch wollte er eine Verbindung von Grafik und Literatur herstellen. Als „Zeitvertreib zwischen zwei Strophen“, tat er sein Tun sogar ab. Hugo kokettierte mit seinem Dilettantismus, obwohl er in Wirklichkeit gut zeichnen konnte und sich seiner Mittel sehr wohl bewusst war, vermutet Ivan Ristić, Kurator der Ausstellung. Dennoch stellte diese Art der Beschäftigung keine Kunstproduktion nach Vorstellung des 19. Jahrhunderts dar, sondern war als Freizeitbeschäftigung in besseren Kreisen akzeptiert.

Doch in welchem Verhältnis stehen literarische und bildnerische Produktion zueinander? Es gäbe, so Raphael Rosenberg im Ausstellungskatalog, zwar „durchaus Ähnlichkeiten in Motivwahl und Stimmung zwischen Zeichnungen und literarischen Texten, direkte Verbindungen sind aber im Horizont des gesamten Werkes die Ausnahme“2. Die Zeichnungen Hugos entspringen dessen überquellender Fantasie, einem Amüsement nicht unähnlich. Und es ist überliefert, dass Victor Hugo zeichnete, wenn er zwischen zwei Versen nicht weiterkam. Immerhin haben sich mehr als 3.500 Blätter im malerischen und zeichnerischen Nachlass von Hugo erhalten. Die frühesten Zeichnungen finden sich in Schulheften, viele tragen originale Titel und Jahresangaben.

„Ach, Sie kennen meine Sudeleien? Die sich übrigens nicht gerade anmaßlich aus meinem Hauptberuf ergeben, denn ich erzeuge sie mit den beiden Enden ein und desselben Werkzeugs, das heißt, zeichnenderweise mit der Spitze einer Gänsefeder und malenderweise mit deren Barthaaren.“3 (Victor Hugo in einem Brief an Jules Laurens, 1855)

Düstere Welten voller Charme

Das zeichnerische Werk von Victor Hugo wird im Leopold Museum in thematischen Gruppen vorgestellt. Die klein- bis kleinstformatigen Arbeiten sprühen vor Bildwitz, Dunkelheit, formaler und dadurch inhaltlicher Ambivalenz. Die Rezeption von Rembrandt van Rijns und Francisco de Goyas Radierungen ist Voraussetzung für die Schwärze von Hugos Werken, das Zufallsbild und die Darstellung von surreale Traumwelten entsprechen gängiger Freizeitgestaltungen. In ihrer spielerischen Beiläufigkeit – bei gleichzeitiger spannungsvoller Komposition – zeigt sich die sprezzatura des zeichnenden Schreibers. Für beides, Text wie Bild, nutzte er die gleichen Materialien und Medien, Federzeichnung, braune Tusche, kaum Farbe, einiges wird nur angedeutet, um der Fantasie des Publikums keine Grenzen zu setzen.

Der Romantiker ist in den Motiven wiederzufinden: Fantasie-Schlösser, mittelalterliche Burgen und Ruinen, einsame Landstriche oder aufgewühltes Meer, ein Fliegenpilz mit Gesicht, Spinnen in ihren Netzen oder andere Skurrilitäten, selten Menschen. Und so ist es kein Zufall, dass gerade der Surrealist André Breton den Zeichner Victor Hugo wiederentdeckte (→ Romantik | Surrealismus). In den letzten Jahren nahm das Interesse an den Blättern enorm zu, was an der gestiegenen Anzahl an Ausstellungen und an ebenso gestiegenen Preisen festgemacht werden kann.

Abgründige Welten, verhangene Himmel, klaustrophobische Architekturvisionen, groteske Erhabenheit gotischer Ruinen, nächtliche Szenerien – so lässt sich das Motivrepertoire Victor Hugos wenn auch nur kursorisch zusammenfassen. Erstaunlich wenig Figurenpersonal ist in den phantasievollen Kompositionen zu finden, eher handelt es sich um einsame Gebäude und für sich selbst existierende Landschaften. Das Gebaute als Memento mori, gleichwohl pittoreskes Ambiente träumerischer Spaziergänge. Dass sich Hugo mit der Architektursprache der Gotik intensiv auseinandersetzte, ist hinlänglich bekannt: 1835 setzte er sich in aller Entschlossenheit für den Erhalt gotischer Kirchen beim Comité des Arts et Monuments ein. Die Aufrisse der Kathedrale von Chartres und der Pariser Sainte-Chapelle – Zimelien der französischen Kathedralgotik in der Ile-de-France – zählten zu seinen Studienobjekten.

Ein weiteres Kapitel der Schau ist dem Rhein gewidmet. Der Schriftsteller reiste erstmals 1840 an den Fluss, der auch schon früher Anziehungspunkt von Joseph M. William Turner war. Dieser hatte 1817, inspiriert durch Lord Byrons berühmtes Gedicht „Harolds Pilgerfahrt“ erstmals den Rhein bereits und kam bis 1844 zehn Mal wieder. Dessen Aquarell eines „Schlosses am See“ zeigt in der Ausstellung, wie wenig genug sein kann. Verlaufende Farben, wenige Kleckse – allerdings deutlich farbenfroher, lichter als der mit dunkelbrauner Sepia und schwarzer Tusche arbeitende Victor Hugo. Der Franzose begeisterte sich auch eher an den über Felsspornen thronenden Türmen als der alles verschwimmen lassenden Atmosphäre. So erkundete er das Heidelberger Schloss bei Nacht! Beiden gemein ist der Hang zum Flüssigen, dem Hugo allerdings noch die Qualität des Klatschbildes hinzufügt. Diese sogenannten Klecksographien, oder auch Klappdrucke, wurden von Justinus Kerner (1786– 1862) „erfunden“ und mit Federstrichen vervollständigt. Einmal gefaltet, entsteht auf dem Blatt ein spiegelsymmetrischer Abklatsch, der mit Hilfe von Zeichnung noch gedeutet und konkretisiert wird.

Bild und Text

Erstaunlich wenige Arbeiten im Œuvre von Victor Hugo verbinden Wort und Bild. Offensichtlich sah der Romancier beide Sphären als getrennt an. Er wusste zwar mit Worten malerische Wirkung zu entfalten, in seinen menschenleeren Bildern erzählen mehr die Gebäude denn deren Erbauer oder Bewohner von der Vergangenheit. Eine Abklatscharbeit aus den Jahren 1855/56 zeigt, wie er in die abgeklatschte Spitze seinen Nachnamen „hineinstickte“. Immer wieder fällt auf, dass der Wortmagier doppeldeutige Elemente einbaut, die nicht so einfach benannt werden können.

Die vielfach modernen, beschreibenden Titel helfen nur bedingt, sind sie doch auch nur spätere Deutungen, teils gänzlich hilflos wie „Komposition“. Authentische Benennungen führt das Leopold Museum unter Anführungszeichen an und macht so den Unterschied deutlich.

Das scheinbar mühelose Wechseln zwischen Bild und Text, der variantenreiche Einsatz unorthodoxer Zeichenmethoden und die abgründige Dunkelheit machten die Bilder Hugos für André Breton zu Höhepunkten der Kunst des 19. Jahrhunderts. Kein Wunder, dass der Hohepriester des Surrealismus sich in ihren wiederfand. Für die Anhänger von Lautreamonts Zufallsprinzip waren Hugos „Spielereien“ Pionierarbeiten auf der Suche nach dem Unbewussten.

„Die Vorsehung weiß, was sie tut, wenn sie auf diese Weise das Volk mit dem höchsten Geheimnis konfrontiert und ihm nahelegt, über den Tod zu sinnen, der die große Gleichheit und auch die große Freiheit bedeutet.“ (Victor Hugo in seiner Grabrede zu Ehren von Honoré de Balzac, 1850)

Kuratiert von Ivan Ristić.

Victor Hugo. Der schwarze Romantiker: Ausstellungskatalog

Ivan Ristić, Hans-Peter Wipplinger (Hg.)
mit Beiträgen von Stefan Kutzenberger, Ivan Ristic & Raphael Rosenberg
25,3 x 28 cm, 160 S. mit 95 meist farb., teils ganzseit. Abb.
Text in dt. & engl. Sprache
ISBN 978-3-9504455-8-9
Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln

Biografie von Victor Hugo (1802–1885)

  • 26.2.1802

    Am 26. Februar 1802 wurde Victor-Marie Hugo in Besançon geboren. Er war der dritte Sohn des Offiziers Joseph-Léopold-Sigisbert Hugo (1773–1828) und dessen Ehefrau Sophie-Françoise (1772–1821, geb. Trébuchet). Victor Hugo hatte zwei ältere Brüder: Abel Joseph Hugo (1798–1855) and Eugène Hugo (1800–1837). Der Vater ist ein atheistisch eingestellter Republikaner und Handlanger Napoleons, die Mutter hingegen katholische Royalistin. Diese politischen Gegensätze zwischen den Eltern hatten lange Trennungsphasen zur Folge. Der Zwiespalt prägte den Schriftsteller und sein öffentliches Engagement für Jahre.
  • 1808

    Umzug von Sophie-Françoise Hugo mit ihren Kindern nach Süditalien, wo General Hugo die Verfolgungsjagd nach Fra Diavolo, dem ehemaligen Straßenräuber und Anführer der Aufständischen gegen die französische Besatzung, leitete.
  • 1809

    Umzug von Sophie-Françoise Hugo und ihren Kindern in das Pariser Konvent Feuillantines. Joseph-Léopold-Sigisbert Hugo wurden zum General berufen.
  • 1811/12

    Aufenthalt der Familie in Spanien, wo General Hugo für König Joseph einige Provinzen verwaltete, Rebellen bekämpfte und maßgeblich am Kunstraub beteiligt war; in seinem Auftrag wurden zahlreiche Gemälde aus spanischen Sammlungen nach Frankreich verschleppt.
  • 1813

    Ende des Jahres 1813 verließen Sophie-Françoise Hugo und ihre Kinder das Konvent Feuillantines. Dessen Garten gehörte zu den prägendsten Kindheitserinnerungen des zukünftigen Schriftstellers.
  • 1815

    Victor Hugo war gemeinsam mit seinem älteren Bruder Eugène in der Pension Cordier untergebracht, wo erste Gedichte entstanden.
  • 1816

    Victor Hugos schrieb seine erste Tragödie, „Irtamène“, und notierte vermutlich im Juli in sein Notizbuch: „Entweder werde ich Chateaubriand oder nichts.“ Der angehende Literat nahm sich vor, eine Reihe von Übersetzungen römischer Klassiker ins Französische anzufertigen: Die ältesten erhaltenen drei Zeichnungen dienten als Illustrationen.
  • 1818

    Scheidung der Eltern.
  • 1819

    Victor Hugo gewann den Lys d’Or der Académie des Jeux floraux, Toulouse. Hugo begann zu publizieren, indem er gemeinsam mit seinen Brüdern Abel und Eugène den „Conservateur littéraire“ gründete, der bis 1821 erschien. Darin veröffentlichte er u. a. einen Bericht über den Salon von 1819, in dem er kritisch beobachtete, „Die große Odaliske“ von Jean-Auguste- Dominique Ingres wäre „in der Manier der Chinesen, ohne Schatten und Volumina“ gemalt.
  • 1820

    Für seinen Prosaerstling „Bug­Jargal“, einer später stark überarbeiteten Erzählung über den Sklavenaufstand in Santo Domingo, erntete Victor Hugo königliches Lob.
  • 1821

    Tod der Mutter.
  • 1822

    Das Erscheinen des ersten Gedichtbandes „Odes et poésies diverses“ trug Victor Hugo eine königliche Rente ein, wodurch er Adèle Foucher (1803–1868) heiraten konnte (12.10.). Das Paar hatte vier Kinder. Victors Bruder Eugène fiel in geistige Umnachtung.
  • 1823

    Im Historienroman „Han d’Islande“ drückte Hugo seinen langjährigen Einsatz gegen die Todesstrafe erstmals literarisch aus. Der erste Sohn, Léopold, starb als Neugeborener.
  • 1824

    Geburt der Tochter Léopoldine (1824–1843).
  • 1825

    Victor Hugo nahm als amtlicher Geschichtsschreiber an der Krönungszeremonie des Bourbonenkönigs Karl X. in Reims teil und wurde zum Ritter der Ehrenlegion geschlagen. Die Ode, die er anlässlich der Königskrönung verfasste, wurde im folgenden Jahr im Gedichtband „Odes et Ballades“ publiziert.
  • 1826

    Geburt des Sohnes Charles (1826–1871)
  • 1827

    Im Vorwort zu seinem Drama „Cromwell“ forderte Hugo eine dichterische Form ein, deren Eigenschaften er als „künstlerisch und beseelt, tiefsinnig und unvermittelt, groß und wahr“ bezeichnete. Dieses Manifest der Romantik war Auslöser der erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den Verfechtern des Klassizismus und der neuen Bewegung.
  • 1828

    Geburt des Sohnes François-Victor (1828–1873)
  • 1830

    Victor Hugos Eifersuchtsdrama „Hernani“ löste beim Publikum Kontroversen aus; sowohl bei der Premiere als auch bei den weiteren Aufführungen kam es zu Tumulten. Nach der Julirevolution verfasste Hugo die Ode „À la jeune France“, in der er dem Regime des neuinthronisierten „Bürgerkönigs“ Louis-Philippe von Orléans Avancen machte. Geburt der Tochter Adèle (1830–1915)
  • 1831

    „Notre­Dame de Paris“ erschien. Neuaufführung des Stückes „Marion de Lorme“, das zwei Jahre zuvor unter der Herrschaft Karls X. der Zensur zum Opfer gefallen war.
  • 1832

    Umzug der Familie Hugo in das Hôtel de Guémenée am Place des Vosges in Paris (heute: Maison de Victor Hugo).
  • 1833

    Hugo lernte die junge Schauspielerin Juliette Drouet kennen, die bis zu ihrem Tod 1883 seine Geliebte und Muse war.
  • 1836

    Aufenthalt Hugos in der Bretagne in Begleitung Juliettes. Nachweislich zeichnete Victor Hugo erstmals systematisch und in einer beträchtlichen Anzahl.
  • 1837

    Tod des Bruders Eugène.
  • 1839

    Hugos Frau Adèle hielt sich gemeinsam mit den Kindern in Villequier bei Paris als Gast der Familie Vacquerie auf. Auguste-Edmond Vacquerie, ein Mitschüler von Charles Hugo und späterer Dichter und Fotograf, war ein großer Bewunderer des Schriftstellers; sein Bruder Charles-Urbain heiratete später Hugos Tochter Léopoldine.
  • 1840

    Victor Hugo unternahm gemeinsam mit Juliette Drouet seine erste Reise entlang des Rheins, wo zahlreiche Zeichnungen und Aquarelle entstanden: Landschaftliche Spezifika und Episoden aus der Geschichte dieser Region schilderte Hugo 1842 in dem Buch „Le Rhin. Lettres à un ami“.
  • 1841

    Victor Hugo wurde bei seiner vierten Kandidatur zum Mitglied der Französischen Akademie gewählt.
  • 1843

    Das Ritterdrama „Les Burgraves“ fiel in der Kritik und beim Publikum durch, womit Hugos Tätigkeit als Theaterschriftsteller praktisch beendet wurde. Während einer Spanienreise gemeinsam mit Juliette Drouet erfuhrt Hugo, dass seine Tochter Léopoldine und sein Schwiegersohn Charles-Urbain Vacquerie in der Seine ertrunken sind (Sommer). Der Schriftsteller litt unter diesem tragischen Ereignis enorm.
  • 1845

    Hugo wird zum Pair von Frankreich ernannt. Als er mit seiner neuen Geliebten Léonie Biard in flagranti ertappt und verhaftet wurde, erwies sich die mit dem Adelstitel verbundene Immunität als durchaus nützlich; während die 25-Jährige in Haft bleiben musste, bis ihr Gatte die Klage zurückzog, wurde Hugo vorzeitig freigelassen. Er nahm die Arbeit am Roman „Jean Tréjean“ auf, der nach mehreren Schreibunterbrechungen 17 Jahre später unter dem Titel „Les Misérables“ erschien und zu einem seiner größten Erfolge wurde.
  • 1848

    Im Revolutionsjahr verließ die Familie Hugo das Hôtel de Guémenée. Der Schriftsteller wurde konservativer Abgeordneter der Nationalversammlung, in der er sich vor allem sozialpolitischer Agenden annahm. Trotz dieser öffentlichen Tätigkeit begann eine der produktivsten Phasen in Hugos malerischem und zeichnerischem Schaffen.
  • 1850

    Victor Hugo setzt erstmals größere Blätter um, was er sich schon lange vorgenommen hatte: „Burg mit Kreuz“ hat mit 72,3 × 125,8 cm das verhältnismäßig größte Format.
  • 1851

    Premiere von Giuseppe Verdis Oper „Rigoletto“, deren Libretto auf der Basis von Hugos Drama „Le Roi s’amuse“ basiert in Venedig. Ursprünglich unterstützte Hugo den Staatspräsidenten Louis Bonaparte durch seine publizistische Tätigkeit, nun richtete er unter dem Titel „Napoléon­le­Petit“ eine aufsehenerregende Polemik gegen das Staatsoberhaupt. Als Bonaparte kurz vor Ende seiner Amtszeit durch einen Staatsstreich die Macht übernahm, floh der Schriftsteller mit einem gefälschten Reisepass ins belgische Exil.
  • 1852

    Victor Hugo verließ Belgien und setzte sich auf die Kanalinsel Jersey ab.
  • 1853

    Erste Teilnahme an spiritistischen Séancen: Victor Hugo „begegnet“ seiner verunglückten Tochter Léopoldine sowie seinem politischen Widersacher Louis Bonaparte, dem nunmehrigen Kaiser Napoleon III.
  • 1855

    Nachdem er sich einem Protest gegen Königin Victorias Frankreich-Besuch angeschlossen hatte, wurde Victor Hugo der Insel Jersey verwiesen. Er ließ sich auf der benachbarten Insel Guernsey nieder. In den ersten Jahren war Hugos dichterisches Schaffen äußerst produktiv. Kaufte in Saint Peter Port, der Hauptstadt Guernseys, für sich und seine Familie das Hauteville House. Das Interieur des Hauses wurde zur Gänze nach Entwürfen des Schriftstellers gebaut, wodurch ein selbst inszenatorisches Gesamtkunstwerk entstand.
  • 1859

    Napoleon III. verkündete eine Amnestie für politische Exilanten. Hugo verweigerte jedoch die Rückkehr nach Frankreich und notierte in sein Tagebuch: „Der Schuldige vergibt den Unschuldigen, der Schurke rehabilitiert die Gerechten, der Gesetzesbrecher begnadigt die Verteidiger des Gesetzes; meinetwegen.“ Der erste der insgesamt drei monumental angelegten Bände der Reihe „La Legende des Siècles“ wurde ein großer Erfolg.
  • 1861/62

    Reisen nach England, Holland, Belgien, Luxemburg und Deutschland.
  • 1863

    Adèle, Hugos zweite Tochter, reiste nach Halifax, Amerika, wo sie neun Jahre blieb.
  • 1864

    Auf die Anregung des Kunstkritikers und Künstlers Philippe Burty, sich als Radierer zu versuchen, antwortete Hugo in einem Brief: „Ich würde tage- oder sogar nächtelang daran sitzen, aber meine Zeit gehört nicht mir. Ich bin nicht auf dieser Welt, um mich zu vergnügen.“
  • 1867

    Reise nach Brüssel.
  • 1868

    Geburt des Enkelsohnes Georges. Hugos Frau Adèle starb im Alter von 64 Jahren; Victor Hugo heiratete seine langjährige Geliebte dennoch nicht.
  • 1869

    Reise nach Belgien und in die Schweiz.
  • 1870

    Im Sommer pflanzte Hugo vor dem Hauteville House in Guernsey die „Eiche der Vereinigten Staaten von Europa“. Im Zuge der Niederlage Napoleons III. im Krieg gegen Preußen und der Ausrufung der Dritten Republik kehrte er im Herbst über London und Brüssel nach Frankreich zurück. Der Menschenmenge, die ihn bei seinem Eintreffen in Paris frenetisch bejubelte, dankte er mit den Worten: „Ihr habt mich in einer Stunde für zwanzig Jahre des Exils entschädigt.“
  • 1871

    Mitglied der Nationalversammlung (Frühjahr), er legte jedoch sein Mandat nach wenigen Wochen nieder und floh infolge des Bürgerkrieges nach Brüssel, wo er öffentlich für die Pariser Kommune Stellung bezog. Trotz der Proteste des Brüsseler Stadtsenates wurde er aus Belgien ausgewiesen. Nach einem dreimonatigen Aufenthalt in Luxemburg und mehreren Kurzreisen nach Deutschland und in die Niederlande kehrte er schließlich im Herbst in das verwüstete Paris zurück.
  • 1872

    Hugos Tochter Adèle kehrte aus Barbados zurück und musste aufgrund einer psychischen Erkrankung in eine Anstalt eingewiesen werden.
  • 1876

    Victor Hugo wurde zum Senator gewählt und setzte sich in dieser Funktion erfolglos für eine Amnestie für Pariser Kommunarden ein.
  • 1878

    Hugo erlitt einen Schlaganfall. Ein viermonatiger Aufenthalt auf Guernsey brachte leichte Besserung.
  • 1880

    Auf die Veröffentlichung des philosophischen Poems „L’Âne“, das ursprünglich als Teil von „La Legende des Siècles“ gedacht war, reagiert Émile Zola mit einer heftigen journalistischen Attacke gegen Victor Hugo: „Er gehört ins Mittelalter.“
  • 1881

    Hugo überließ seine Manuskripte und Zeichnungen testamentarisch der französischen Nationalbibliothek.
  • 1882

    Der Stadtrat von Paris beschloss per Dekret, einen wesentlichen Teil der Avenue d’Eylau, in der sich der letzte Wohnort des Schriftstellers befand, in „Avenue Victor-Hugo“ umzubenennen.
  • 1884

    Hugo hielt sich zum letzten Mal an der Küste auf.
  • 22.5.1885

    Am 22. Mai 1885 verstarb Victor Hugo in Paris. In der Abgeordnetenkammer wurde per Votum ein Staatsbegräbnis beschlossen, worauf die Regierung eine Beisetzung im Pariser Panthéon anordnete. Je nach Quelle sollen ein bis zwei Millionen Menschen am Trauerzug teilgenommen haben. Das Panthéon wurde damit vom Kirchenbau zum Staatssymbol. Im letzten, drei Tage vor seinem Tod entstandenen Manuskript findet sich der Satz: „Lieben heißt Handeln.“

Victor Hugo. Der schwarze Romantiker: Bilder

  • Victor Hugo, Hahnenkopf, 1850 (© Bibliothèque naionale de France, Paris)
  • Victor Hugo, Champignon, 1850 (© Maisons de Victor Hugo, Paris/Guernesey)
  • Victor Hugo, Ruinen eines Aquäduktes, um 1850 (Maisons de Victor Hugo, Paris / Guernesey © Foto: Maisons de Victor Hugo/Roger-Viollet)
  • Victor Hugo, „Spitzen und Gespenster“, 1855/56 (Privatsammlung © Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, René Stey)
  • Victor Hugo, „Spitzen und Gespenster“, 1855/56 (© Maisons de Victor Hugo, Paris/Guernesey)
  • Victor Hugo, Komposition, um 1856 (© Bibliothèque nationale de France, Paris)
  • Victor Hugo, Die Erschaffung der Welt, 1864–1869 (Sammlung Klüser, München © Foto: Sammlung Klüser/Mario Gastinger, München)
  • Victor Hugo, Burg und Schloss von Vianden im Mondschein, 1871 (Maisons de Victor Hugo, Paris / Guernese © Foto: Maisons de Victor Hugo/Roger-Viollet)
  • Victor Hugo, Blick auf Türme mit einem Stern im Himmel, Privatsammlung (© Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, René Stey)
  • William Turner, Studie eines Schlosses am See, um 1824 (Sammlung Klüser, München © Foto: Sammlung Klüser/Mario Gastinger, München)
  • Stanisław Julian Ostrorog, genannt Waléry, Victor Hugo, 1878 (© Maisons de Victor Hugo/Roger-Viollet)

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Théophile Gautier, „Vente du mobilier de Victor Hugo“, in: La Presse, 7. Juni 1852; zit. nach Jörg W. Rademacher, Victor Hugo, München 2002, S. 63.Raphael Rosenberg, […]
  1. Théophile Gautier, „Vente du mobilier de Victor Hugo“, in: La Presse, 7. Juni 1852; zit. nach Jörg W. Rademacher, Victor Hugo, München 2002, S. 63.
  2. Raphael Rosenberg, Victor Hugo als Zeichner, in: Ebenda, S. 11–27, hier S. 11.
  3. Zitiert nach Ivan Ristic, Hans-Peter Wipplinger, Victor Hugo (Ausst.-Kat. Leopold Museum, Wien, 17.11.2017–15.1.2018) Köln 2017, S. 56.
  4. Théophile Gautier, „Vente du mobilier de Victor Hugo“, in: La Presse, 7. Juni 1852; zit. nach Jörg W. Rademacher, Victor Hugo, München 2002, S. 63.
  5. Raphael Rosenberg, Victor Hugo als Zeichner, in: Ebenda, S. 11–27, hier S. 11.
  6. Zitiert nach Ivan Ristic, Hans-Peter Wipplinger, Victor Hugo (Ausst.-Kat. Leopold Museum, Wien, 17.11.2017–15.1.2018) Köln 2017, S. 56.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.