Vincent van Gogh schuf mit dem Gemälde „Die Sternennacht” am 18. Juni 1899 eines seiner berühmtesten Werke. Der Niederländer war ein großer Liebhaber der Natur. Bereits als Jugendlicher durchstreifte er Felder und Polder und bewunderte die Schönheit des himmlischen Farbenspiels. Nach seiner traumatischen Erfahrung mit Paul Gauguin im „Atelier des Südens“ sowie seiner anschließenden Erkrankung Ende des Jahres 1888 fand er in der nächtlichen Landschaft Ruhe und Trost (→ Vincent van Gogh : Paul Gauguin in Arles). Seit 1941 befindet sich das Werk im Besitz des Museum of Modern Art in New York.
„Oft erscheint mit die Nacht viel lebendiger und farbenfroher als der Tag.“1 (Vincent van Gogh)
USA | New York: The Museum of Modern Art
21.9.2008 – 5.1.2009
Niederlande | Amsterdam: Van Gogh Museum
13.2. – 7.6.2009
Vincent van Gogh stellte auf 73,7 x 92,1 Zentimetern einen Blick in den blau-orangen Nachthimmel dar. Züngelnde Zypressen begrenzen links das Bildfeld. Im Zentrum blickt man auf das Dorf Saint-Rémy mit einem markant und spitz aufragenden Kirchturm, Weizenfelder, Olivenhain. Die Häuser sind beleuchtet, was Vincent van Gogh gerne als ein Zeichen des Lebens ergänzte. Auf der rechten Seite hebt sich der Horizont zur Bergkette der Alpilles. Etwa zwei Drittel der Bildfläche wird vom Nachthimmel eingenommen. Elf Sterne und ein sichelförmiger Mond, dazwischen wellenförmig dargestellte kosmische Energie im Bildzentrum, vervollständigen die außergewöhnliche Bildfindung des Niederländers.
Die Komposition ist kühn und komplex, obschon Van Gogh ohne Unterzeichnung gearbeitet haben dürfte. Die dunkelgrünen Zypressen rechts wurden von Vincent van Gogh als erste ausgeführt und waren bereits trocken, als er die weiteren Partien des Bildes malte. Sie ist eine Ergänzung zur gesehenen Sternennacht wie auch der spitz aufragende Kirchturm, der aus dem südfranzösischen ein niederländisches Dorf macht. Zypressen wirkten auf ihn wie ägyptische Obelisken und ihre tiefdunkle Farbigkeit „wie ein schwarzer Fleck in einer sonnigen Landschaft“.2 Als Gegensatz zur Sonnenblumen stand die Zypresse für den Tod. Beobachtung und Erfindung gehen in dem symbolisch aufgeladenen Gemälde Hand in Hand.
Der pastose Farbauftrag wird von einem rhythmischen Strich strukturiert, den sich der Maler gut überlegt haben muss. Die Darstellung von Saint-Rémy im unteren Bereich ist vor allem von horizontalen Strichen geprägt, während die Bergkette der Alpilles wellenförmig vom Bildrand in Richtung des Dorfes führen. Darüber verläuft ein heller Streifen, der nur schwierig zu deuten ist. Handelt es sich um Wolken oder um Nebel? Van Gogh malte die „Sternennacht“ nach einem Schema, musste aber sechs der elf Sterne wie auch den Schein des Mondes vergrößern, um die farbige Ausgewogenheit des Bildes zu gewährleisten. Der expressive Strich soll, „die reichen und prachtvollen Aspekte der Natur“ darstellen, wie er in einem Brief3 vermerkte.
Kurz bevor Vincent van Gogh die Arbeit an der „Sternennacht“ aufnahm, hatte er sich dem Bild eines gepflügten Feldes gewidmet. Die züngelnden Zypressen finden sich in „Weizenfeld“ (Národní Galerie, Prag). In der Folge widmete er sich dem „Unendlichen dort oben“, wie er ein Jahr vor dem Bild seinem Bruder in einem Brief den Himmel beschrieb. Am 18. Juni 1899 setzte er Theo darüber in Kenntnis, dass er endlich seine „Sternennacht“ vollendet hätte.
Vincent van Gogh stellt in der „Sternennacht“ den frühen Morgenhimmel über Saint-Rémy dar. Die Stellung des Mondes, d. h. die Richtung, in welche seine Spitzen zeigen, offenbart dem Kenner, dass Vincent van Gogh den östlichen Himmel betrachtete. Berechnungen haben allerdings gezeigt, dass in den Nächten, in denen Van Gogh „Die Sternennacht“ malte, Vollmond war. Die Mondsichel entspringt also der Fantasie des Künstlers. Es muss kurz vor Anbruch der Dämmerung gewesen sein, etwa gegen vier Uhr morgens, die gerne als die „blaue Stunde“ bezeichnet wird.
Er war Anfang Juni 1889 im oberen Geschoss der Anstalt von Saint-Rémy eingesperrt, das im Kloster von Saint-Paul-de-Mausole aus dem 12. Jahrhundert untergebracht war. Von seiner Schlafzelle aus konnte der Maler über ein Kornfeld in Richtung der Alpilles, also in Richtung Osten, sehen. Vincent van Gogh stand regelmäßig sehr früh auf und beobachtete den morgentlichen Nachthimmel. Er schrieb seinem Bruder, wie groß der Morgenstern (Venus) erscheinen würde. Der Morgenstern erscheint im Bild dann auch an bevorzugter Stelle in der Nähe der züngelnden Zypresse. Bereits im September 1888 hatte er seiner Schwester in einem Brief seine Entdeckung mitgeteilt, dass Sterne farbig leuchten:
„gewisse Sterne [sind] zitronengelb, andere leuchten rosa, grün, blau, vermißmeinnichtfarben. Ich will nicht näher darauf eingehen, aber es liegt auf der Hand, dass es durchaus nicht genügt, weiße Punkte auf ein blaues Schwarz zu setzen, wenn man einen gestirnten Himmel malen will.“ (35)
In den beiden Gemälden „Café-Terrasse bei Nacht“ (September 1888, Kröller-Müller, Otterloo) sowie „Die Sternennacht über der Rhône“ setzte er – vor Ort unterstützt durch ein wenig Gaslicht – diese Erkenntnis bereits malerisch um. Der Wunsch, einen Sternenhimmel zu malen, in dem er Naturbeobachtung und Fantasie miteinander vermählen konnte.
Vincent van Goghs Blick in den Nachthimmel begeistert seit Generationen nicht nur Kunstliebhaber. „Die Sternennacht“ zählt zu den herausragendsten Kompositionen im Spätwerk Van Goghs, fand er während seines Aufenthalts in der Anstalt Saint-Paul-de-Mausole, das etwa 3 Kilometer von Saint-Rémy-de-Provence und 32 von Arles entfernt war, doch zu dem für ihn so charakteristischen Stil. Er durfte dort malen, nutzte ein leeres Zimmer als Atelier und arbeitete auch im Garten. Zu seinen wichtigsten Motiven in Saint-Rémy wurden Olivenhaine und Zypressen. „Die Sternennacht“ entstand gleichzeitig mit „Der Olivenhain“, vermutlich bilden beide Bilder ein Paar. Vincent van Gogh selbst beurteilte „Die Sternennacht“ als „Studie der Nacht“ und „Nachteffekt“4, mit der er noch nicht zufrieden war.5 Er beschrieb Theo van Gogh: „Die Linien darin sind gedreht wie auf alten Holzschnitten.“
Im Mai 1889 hatte sich Vincent van Gogh freiwillig in die Anstalt Saint-Paul-de-Mausole in Saint-Rémy aufnehmen lassen. Hier widmete er sich der Landschaft, soweit er sie sehen konnte, und auch dem Anstaltsgarten. Ab Juni durfte er die Anstalt verlassen, um in den umliegenden Olivenhainen Motive zu finden. „Die Sternennacht“ malte Vincent van Gogh von seinem Fenster in der Anstalt aus. Schnell stand das Gemälde daher im Ruf, das Werk eines „Wahnsinnigen“ zu sein. Als extremstes Beispiel für Van Goghs von Halluzinationen oder Visionen geprägten letzten 18 Monate. Alfred Barr jun. Beschrieb die „Sternennacht“ noch 1954 als eine:
„Erfindung schlechthin […], als einmalige und überwältigende Vision eines Mystikers, der sich mit den himmlischen Mächten ekstatisch vereint.“6
Entgegen der älteren Lesart, die den Mystiker Van Gogh ins Zentrum stellte, wird das Werk heute auch als eine realistische Interpretation der Nacht gedeutet. In den Monaten vor dem Ausbruch der mysteriösen Krankheit Vincent van Goghs hatte er sich in Auseinandersetzung mit Paul Gauguin und dessen Kunstpraxis seines Realismus auf schmerzliche Art vergewissert. Wenn auch das kontrastreiche Kolorit und die expressive Strichführung kaum als naturalistische Schilderung eines abendlichen Himmels erscheinen, so bedeutete für Vincent van Gogh der Kontakt mit der Natur als Basis für seine Schöpfung. Ausgehend von der visuellen Wahrnehmung, arbeitete er am Motiv, indem er „übertreibt“.
„Ich übertreibe manchmal verändere ich am Motiv; aber ich erfinde eben nicht das ganz Bild, im Gegen teil, ich finde es fertig vor, aber es muss aus der Natur herausgeschält werden.“7
Die frühesten Darstellungen des Nachthimmels findet sich in der berühmten, bronzezeitlichen Himmelsscheibe von Nebra (1600–1560 v. Chr.). Ihre Funktion ist bis heute umstritten. In der Malerei der Neuzeit war Giotto di Bondone einer der ersten, der sich der realistischen Schilderung von Himmelsereignissen wie Kometen. Da diese im Christentum als Zeichen göttlicher Güte (oder auch Rache) gedeutet wurden, wandte sich der gotische Maler dem Studium der Erscheinungen zu. In der Arena-Kapelle in Padua stellte er 1301 in der „Epiphanie [Anbetung der Heiligen Drei Könige]“ den Halley‘schen Kometen dar. Astronomen der Renaissance – Toscanelli, Kopernikus, Tycho Brahe – gelang es, immer bessere Teleskope und durch Beobachtung und Berechnung immer konkretere Erkenntnisse über die Himmelskörper zu erlangen. Dies führte Galileo Galilei zur 1610 veröffentlichten Publikation „Sidereus Nuncius“, in der er mit größter Genauigkeit die Mondoberfläche in Bildern festhielt und besprach. Gleichzeitig stellten Maler wie Adam Elsheimer zunehmend genaue Nachtbilder dar, und Jan Vermeer inszenierte den „Astronom“ (Frankfurt, Städeles Kunstinstitut) als in Karten vertieften Erd- und Himmelsgelehrten. Das 17. Jahrhundert ist voll von nächtlichen Landschaften, allen voran in der niederländischen Malerei. Vincent van Gogh war von den holländischen und flämischen Meistern des Barock sehr eingenommen und schätzte deren Nachtlandschaften. Dazu zählte Van Gogh auch das Hell-Dunkel von Rembrandt van Rijn. Das Naturstudium Rembrandts hätte auch diesen Maler befähigt, den Alltag in einer scheinbar achtlosen Technik zu überhöhen.
Im Jahr 1675 wurde in Greenwich das Observatorium errichtet, in dem Isaac Newton seine Forschung zur Himmelsmechanik und der Gravitation betrieb. Die Teleskope des Hannoveraner William Herschel revolutionierten ab 1766 die Astronomie und führten zu neuen Entdeckungen am Nachthimmel. Knapp zwei Jahre später präsentierte Joseph Wright of Derby „Ein Philosoph hält eine Vorlesung am Tischplanetarium“ (um 1768). Aber auch Heinrich Füssli und William Blake begeisterten sich für Astronomie und Mondreisen.
In der Romantik wird der Blick zum Sternenhimmel zum Symbol für eine Erfahrung der Unendlichkeit (→ Nacht in der Kunst. Kapitel 1: Romantik bis Symbolismus). Das Naturschauspiel transzendiert in eine Gottesahnung, wenn Philipp Otto Runge meinte:
„Wenn der Himmel über mir von unzähligen Sternen wimmelt, der Wund saust durch den weiten Raum, die Woge bricht sich brausend in der weiten Nacht, über dem Walde röthet sich der Aether, und die Sonne erleuchtet die Welt […], jedes Blatt und jeder Grashalm wimmelt von Leben, die Erde lebt und regt sich unter mir, alles tönet in einen Accord zusammen […], es ist kein unten und kein oben mehr, keine Zeit, kein Anfang und kein Ende, ich höre und fühle den lebendigen Odem Gottes, der die Welt hält und trägt, in dem alles lebt und würkt […].“
Die romantische Überhöhung der Gestirne soll aber nicht davon ablenken, dass hinter diesen Beobachtungen auch eine gehörige Portion Naturwissenschaft, allen voran Meteorologie, Geologie und Astronomie, stand. Auch Caspar David Friedrichs häufige Monddarstellungen verraten, dass er sich mit den Mondphasen bestens auskannte. Zu den bedeutenden Werken Friedrichs zählen „Mönch am Meer“, „Abtei im Eichenwald“ (Berlin), „Zwei Männer den Mond betrachtend“ (Dresden → Caspar David Friedrich: Zwei Männer in Betrachtung des Mondes), „Schwäne“.
Vielleicht am intensivsten fühlte sich Vincent van Gogh mit den Werken der Schule von Barbizon verbunden, die ab den 1830er Jahren die Landschaftsdarstellung in Frankreich revolutionierte. Für den Niederländer waren ihre Naturstücke eine „Offenbarung“. Zu den von ihn favorisierten Malern zählte Camille Corot, ergänzt durch Daubigny, Dupré und Rousseau. Aber auch die Impressionisten machten einen bleibenden Eindruck auf ihn. Ab 1886 setzt er sich intensiv mit den Werken der jüngeren französischen Landschaftsmaler Claude Monet, Camille Pissarro aber auch Edgar Degas auseinander. Pissarros Redensart, dass „die Wirkung, die die Farben durch ihre Harmonie oder Disharmonie verursachen“, wurde für Van Gogh zum Leitstern. Dazu kamen pointillistische Kompositionen von Georges Seurat, die er im Salon des Indépendants von 1887 sah (→ Georges Seurat, Erfinder des Pointillismus). Seine Zeitgenossen Louis Anquetin, Henri de Toulouse-Lautrec, Emile Bernard, Gauguin stellten sich dem Thema der Nacht auch aus gesellschaftlicher Perspektive, wenn sie die Schönen der Nacht und ihre Freier einfingen – ein Zugang, der Vincent van Gogh nicht zu Bildschöpfungen anregte.
Schon vor seinem Entschluss, Künstler zu werden, verband Vincent van Gogh mit der Dämmerung, dem Abend und der Nacht seine Vorstellungen von der Schönheit der Natur mit den bäuerlichen Tätigkeiten zu diesen Tageszeiten. Zu den wichtigsten Bildern des Niederländers in diesem Kontext gehören: