Franz Marc
Wer war Franz Marc?
Franz Marc (8.2.1880–4.3.1916) war ein Gründungsmitglied des „Blauen Reiter“ und ein Hauptvertreter des Expressionismus in Deutschland. Vor allem seine Tierdarstellungen - Pferde, Tiger, Katze, Fuchs - und seine späteren Abstraktionen - wie „Kämpfende Formen“ - machten ihn zu einem Vorreiter einer Kunstauffassung, für die das Wesen der Dinge zentrale Bildaufgabe war. Anstelle etwas abzumalen, sollte der Geist des unberührten Tieres eingefangen werden. Die Grundfarben Blau (für Männlichkeit), Gelb (für Weiblichkeit) und Rot (für das Materielle) halfen Franz Marc, seinem Konzept der Abstrahierung Ausdruck zu verleihen. Das Werk von Franz Marc umfasst vor allem Gemälde und Papierarbeiten aber auch 46 Druckgrafiken (wenige Radierungen, fast ausschließlich Lithografien und Holzschnitte).
Ausbildung
Marcs Vater war der Münchner Genre- und Landschaftsmaler Wilhelm Marc (1839–1907). Die akademische Ausbildung von Franz Marc dauerte nur zwei Jahre (1900/01 Anatomie und Zeichnen bei Gabriel Hackl, 1901/02 Malklasse Wilhelm von Diez), eine erste Paris-Reise im Sommer 1903 eröffnete ihm gleichermaßen die Welt der Antike (im Louvre) und des Impressionismus, obwohl er gleichzeitig Hans von Marées (1837–1887) stark bewunderte. Da seine Mutter Sophie Maurice (1847–1926) aus der französischen Schweiz stammte, war Franz Marc zweisprachig erzogen worden und hatte er keine Sprachschwierigkeiten.
Im Anscshluss an die erste Pris-Reise arbeitete Franz Marc mehrere Jahre weitgehend zurückgezogen im Alpenvorland: Staffelalm (Sommer 1905), Kochel (1906) und Indersdorf (1907). In dieser Zeit beschäftigte sich der angehende Maler zunehmend mit Tierdarstellungen. Daraufhin widmete er sich im Herbst 1907 im Zoologischen Garten in Berlin systematischen Tierstudien.
Sein zweiter Paris-Aufenthalt 1907 machte ihn mit der Malerei von Vincent van Gogh und Paul Gauguin vertraut. Meier-Gräfes Publikation „Impressionisten“ hielt ihn in Bann, was in Marcs Gemälden des Jahres 1907 erstmals auch zu erkennen ist. Vor allem während seines Malaufenthalts in Lenggries 1908, wo es zu einer Annäherung an Maria Franck (1876–1955) kam, die seine zweite Ehefrau wurde, malte er Landschaften in der helle Palette Van Goghs und das erste große Bild einer rhythmisch bewegten Pferdegruppe in der Landschaft.1 Erstmals stellte Franz Marc eine große Pferdegruppe auf einer Weide dar. Seine spätere Ehefrau berichtete, dass Marc bemüht war, seine Bilder besonders hell und sonnig zu gestalten. Diesen Eindruck erzielte Marc durch das Beimischen von Weiß. Unter den Tierstudien dieses Jahres befindet sich auch die Kreidelithografie „Sterbendes Reh“, das zu den ersten aussdrucksstarken Einzelbildern zählt.
Warum malt Franz Marc Tiere?
... zur Verlebendigung der Kunst und spirituelle Durchdringung der Welt vordringen:
„Meine Ziele liegen nicht in der Linie besonderer Tiermalerei. Ich suche einen guten, reinen und lichten Stil, in dem wenigstens ein Teil dessen, was wir moderne Maler zu sagen haben werden, restlos aufgehen kann. Ich suche mein Empfinden für den organischen Rhythmus aller Dinge zu steigern, suche mich pantheistisch einzufühlen in das Zittern und Rinnen des Blutes in der Natur, in den Bäumen, in den Tieren, in der Luft, - […]. Ich sehe kein glücklicheres Mittel zur „Animalisierung“ der Kunst, wie ich es nennen möchte, als das Tierbild. Darum griefe ich danach. […] Das Kreisen des Blutes in den beiden Pferdekörpern, ausgedrückt durch die mannigfaltigen Paralellismen und Schwingungen in den Linien. Der Beschauer sollte gar nicht nach dem 'Pferdetyp' fragen können, sondern das innerlich zitternde Tierleben herausfühlen. Meine Plastik ist ein tastender Versuch nach derselben Richtung. Das Kreisen des Blutes in den beiden Pferdekörpern, ausgedrückt durch die mannigfaltigen Parallelismen und Schwingungen in den Linien.“ (Franz Marc, in: Reinhard Piper, Das Tier in der Kunst, 1910)
Unter „Animalisierung“ verstand Franz Marc, der Verlebendigung der Kunst näherzukommen. Dieses Ziel suchte er mit schwingenden Linien, aber auch Verallgemeinerung und Abstrahierung der Formen seiner Pferdegruppen zu erreichen. Dafür nutzte er vereinfachte Tierkörper, deren Konturen er aufeinander bezog. Ab 1907/08 wandte er sich zunehmend dem Tierbild zu und erreichte 1909/10 jene Lösungen, die seinem Konzept entsprachen.
Franz Marc „suchte die spirituelle Durchdringung der Welt und wollte daraus die künstlerischen Mittel so entwickeln, dass im Bild die Einheit des Seins sichtbar wurde“. Einerseits hatte er das Verlangen, Tiere in der größten Natürlichkeit ihrer Haltung und Bewegung zu zeigen, andererseits wollte er sie auf ihr Wesentliches konzentrieren. Tier und Natur verbinden sich durch gemeinsame Rhythmen. Franz und Maria Marc zogen im April 1914 nach Ried/Bayern. Dort entstand eine Reihe von außergewöhnlichen, weil abstrakten Werken, mit denen der Maler hinter die Masken der Wesen (schlussendlich auch der Tiere) blicken und so auf das Geistige in der Welt verweisen wollte. Franz Marc schätzte die Darstellung von Tieren, die mit der sie umgebenden Umwelt nahezu verschmelzen und in den späten Abstraktionen sogar völlig in Bewegung, Farbenrausch, Balance aufgehen. Da die irdische Welt beschmutzt und unerlöst wäre, suchte Marc die Idylle in der Einsamkeit und Zurückgezogenheit von Landschaften und Naturräumen.
„Ich empfand schon sehr früh den Menschen als 'häßlich'; das Tier schien mir schöner, reiner; aber auch an ihm entdeckt ich so viel Gefühlswidriges und Hässliches, so dass meine Darstellungen instinktiv (aus einem inneren Zwang) immer schematischer, abstrakter wurden. Bäume, Blumen, Erde, alles zeigte mir mit jedem Jahr mehr häßliche, gefühlswidrige Seiten, bis mir erst jetzt die Häßlichkeit der Natur, ihre Unreinheit voll zum Bewusstsein kam.“2 (Franz Marc an Maria Marc in einem Brief vom 12. April 1915)
Warum sind Marcs Pferde blau?
Franz Marc ist heute vor allem als der Maler vom „blauen Pferd“ berühmt. Ab 1910 rückten Tiere - aber besonders Pferde - ins Zentrum seines Schaffens. Dafür ließ er sich auf einer Pferdeweide in Sindelsdorf sogar einen eigenen Verschlag bauen, um die großformatigen Leinwände unterstellen zu können. Viele der frühen, naturalistischen Pferdedarstellungen hat der Maler allerdings zerstört. Grund dafür war, dass er sich von der Abbildung eines einzelnen Tieres zugunsten einer „Gattungsform“ lösen wollte. Erst 1909/10 gelang es ihm, eine passendes formales und farbiges Konzept für seine Weltsicht zu finden: Er vereinfachte die Kompositionen stark, stimmte Landschaften und Tierkörper rhythmisch aufeinander ab und akzentuierte die Pferde mit einer naturfernen Farbigkeit.
Bereits 1911 schuf er mit „Das Blaue Pferd I“ (Städtische Galerie im Lenbachhaus, München) eine Ikone des deutschen Expressionismus, danach folgte „Blaues Pferd II“ (Sammlung Othmar Huber, Kunstmuseum, Basel), die Gouache „Zwei Pferde“ (Privatsammlung) sowie „Turm der blauen Pferde“ (verloren).
Der Münchner definierte Farben als Prinzipien des Männlichen und Weiblichen, indem er die Grundfarben begrifflich auflud - allerdings ohne dass diese Prinzipien die Farbbeziehungen in seinen Werken hinreichend erklären können. in der folgenden Briefstelle erklärte er das Blau zum Symbol des Geistigen, des Sieges über das Materielle:
„Blau ist das männliche Prinzip, herb und geistig. Gelb ist das weibliche Prinzip, sanft, heiter und sinnlich. Rot ist die Materie, brutal und schwer und stets die Farbe, die von den anderen beiden bekämpft und überwunden werden muss! Mischst Du zum Beispiel das ernste, geistige Blau mit Rot, dann steigerst Du das Blau bis zur unerträglichen Trauer, und das versöhnende Gelb, die Komplementärfarbe zu Violett, wird unerlässlich. (Das Weib als Trösterin, nicht als Liebende!). Mischst Du Rot und Gelb zu Orange, so gibst Du dem passiven und weiblichen Gelb eine „megärenhafte“ sinnliche Gewalt, dass das kühle, geistige Blau wiederum unerlässlich wird, der Mann, und zwar stellt sich das Blau sofort und automatisch neben Orange, die Farben lieben sich. Blau und Orange, ein durchaus festlicher Klang. Mischst Du aber Blau und Gelb zu Grün, so weckst Du Rot, die Materie, die „Erde“, zum Leben, aber hier fühle ich als Maler immer einen Unterschied: Mit Grün bringst Du das ewig materielle, brutale Rot nie ganz zur Ruhe … Dem Grün müssen stets noch einmal Blau (der Himmel) und Gelb (die Sonne) zu Hilfe kommen, um die Materie zum Schweigen zu bringen […]“ (Franz Marc in einem Brief an August Macke, Dezember 1910)
Franz Marcs blaue Pferde stehen für das Streben nach Geistigem. Zudem stattete Marc seine Pferde - wie „Das Blaue Pferd I“ - mit Haltungen und Kompositionsweisen traditioneller Figurenbilder aus. So vermenschlichte er die Tiere und ließ sie mit gesenkten Köpfen über den Zustand der Welt sinnieren. Wichtig ist, dass Franz Marc damit von einer „Welt›an‹schauung“ (Abbildung des Gesehenen) zu einer „Welt›durch‹schauung“ (Wesensschau) jenseits der „Buntheit der Welt“ gelangen wollte. Durch das Beispiel seines Freundes August Macke fand Marc zwar einen neuen offeneren Zugang zur Farbe fühlte sich durch dessen Unbekümmertheit allerdings auch unter Druck gesetzt.
Marc und der Blaue Reiter
Wassily Kandinsky und Franz Marc lernten einander im Januar 1911 beim Neujahrsempfang von Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky persönlich kennen. Die beiden Maler schätzten einander sehr und pflegten vorerst einen intellektuellen wie distanzierten Austausch.
Vorbereitet wurde die Gründung des Blauen Reiter durch die Neue Künstlervereinigung München (NKVM), die Wassily Kandinsky, Gabriele Münter, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin 1909 ins Leben gerufen hatten. Bereits die erste Ausstellung der NKVM in der Galerie Tannhauser wurde von Marc höchst interessiert aufgenommen.3 Im Herbst 1910 fand die zweite, heftig kritisierte Ausstellung der NKVM in der Galerie Thannhauser statt. Franz Marc verteidigte die Schau in der Öffentlichkeit und wurde so im Februar 1911 selbst Mitglied der NKVM.
Wenige Monate später, im Juni 1911, beschlossen Marc und Kandinsky im Geheimen einen Kunstalmanach herauszugeben, in dem Maler, Schriftsteller und Musiker „das Geistige in der Kunst“ fächer- und gattungsübergreifend diskutieren sollten. Am 24. und 25. Oktober 1911 fand die Redaktionssitzung statt, in der Zwischenzeit war auch august Macke durch Marc um einen Beitrag angefragt worden. Marcke schrieb „Die Masken“, und von Marc stammten „Geistige Güter“, „Die ›Wilden‹ Deutschlands“ und „Zwei Bilder“ für Almanach, der im Mai 1912 erschien.
In den folgenden Monaten verstärkten sich die Konflikte innerhalb der NKVM: Am 2. Dezember 1911 traten Kandinsky, Münter und Marc nach einer Kontroverse um Kandinskys zu großes und abstraktes Gemälde „Komposition V“ aus der NKVM aus und traten Ende des Monats bereits mit einer ersten, eigenen Ausstellung des Blauen Reiter an die Öffentlichkeit. Die Künstler hatten sich im Herbst mit bayerischen und böhmischen Hinterglasbildern aber auch - vermittelt über die in Paris lebende Malerin Elisabeth Epstein - der naiven Welt des „Zöllners“ Henri Rousseau beschäftigt. Von Februar bis April 1912 stellten sie unter dem Titel „Schwarz-Weiß“ ausschließlich Grafiken bei Hans Goltz aus. Hier präsentierten sie sich bereits mit einem erheblich erweiterten Kreis eingeladener Künstler, darunter Paul Klee (1879-1940), Emil Nolde (1867–1956) und die Maler der Dresdner Künstlervereinigung Die Brücke vertreten.
„In unserer Epoche der großen Kampfes um die neue Kunst streiten wir als „Wilde“, nicht Organisierte gegen eine alte, organisierte Macht. Der Kampf scheint ungleich, aber in geistigen Dingen siegt nie die Zahl, sondern die Stärke der Ideen. […] Wer sind diese „Wilden“ in Deutschland? Ein großer Teil ist wohlbekannt und vielbeschrien: Die Dresdner „Brücke“, die Berliner „Neue Sezession“ und die Münchner „Neue Vereinigung“.“ (aus Franz Marcs Beitrag „Die „Wilden“ Deutschlands“ im „Almanach des „Blauen Reiter““, 1912)
Im Mai 1912 erschein der Almanach „Der Blaue Reiter“, den man als eine kulturkritische Programmschrift bezeichnen könnte. In einem seiner drei Beiträge postulierte Franz Marc, dass nur jene Kunst als neu betrachtet werden dürfte, die mit „einer Neugeburt des Denkens“ einherginge. Der Name der Redaktionsgemeinschaft „Der Blaue Reiter“ war Kandinskys und Marcs Vorlieben geschuldet. 1930 erinnerte sich Kandinsky:
„Den Namen Der Blaue Reiter erfanden wie am Kaffeetisch in der Gartenlaube in Sindelsdorf. Beide liebten wie Blau, Marc - Pferde, ich - Reiter. So kam der Name von selbst. Und der märchenhafte Kaffee von Frau Maria Marc mundete noch besser.“
Bald nach der Eröffnung der erten Ausstellung des Blauen Reiter reiste Franz Marc nach Berlin, um Kontakte zu den Künstlern der Brücke zu knüpfen. Er besuchte Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Max Pechstein in deren Ateliers und suchte Werke für die zweite Ausstellung des Blauen Reiter aus, die ab Februar 1912 zu sehen war und im Juli von Karl Ernst Osthaus in Hagen übernommen wurde.
Marc und die französische Avantgarde
Für Franz Marc waren die Anregungen des Fauvismus, Kubismus, Futurismus und Orphismus von größter Bedeutung (→ Von Matisse zum Blauen Reiter: Expressionismus in Deutschland und Frankreich). Als deutsche Künstler stand er der französischen Avantgarde aufgeschlossen gegenüber, verarbeiteten die neuesten Kunstströmungen und stellten sich der Frage, welche Position sie gegenüber der Möglichkeit einer ungegenständlichen Kunst einnahmen. Dem „Protest deutscher Künstler“ (1911, angezettelt von Carl Vinnen) gegen eine (angebliche) Vorherrschaft französischer Kunst aus dem deutschen Kunstmarkt und in deutschen Ausstellungen hielten Marc und Macke gemeinsam ein ablehnendes „Antwortschreiben“ entgegen.
Ab dem Jahr 1911, verstärkt 1912 durch den Besuch der Sonderbund-Ausstellung in Köln, nahm Franz Marc Einflüsse des französischen Kubismus der frühen Phase von 1908/09 auf. Marc setzte sich, wie seine Briefe belegen, stärker mit dem Futurismus auseinander, wobei er sich nicht für dessen Kunsttheorie oder die Themen aus dem städtischen Leben begeisterte, sondern die Art, wie die Futuristen über Zeit und Raum dachten.4 Unter diesem Einfluss deutete er den Naturraum als „einen kristallin aufgefächerten Raum kosmischer Energien“.
Vor allem die Gemälde von Robert Delaunay (1885-1941) waren seit dessen erster Ausstellungsbeteiligung beim Blauen Reiter in München in Diskussion. Anfang Oktober 1912 reisten August Macke und Franz Marc nach Paris, um den persönlichen Kontakt auszubauen. Im Januar 1913 war Delaunay Gast bei Macke in Bonn, und im März 1913 zeigte der Kölner Gereonsklub eine Einzelpräsentation des Franzosen. Ein zweites Mal trafen sich Macke, Marc und Delaunay, mit dem vor allem Marc auch eine aufschlussreiche Korrespondenz führte, bei der Eröffnung des Ersten Deutschen Herbstsalons in Berlin im September 1913. Für Delaunay ist Farbe Stoff und Motiv des Bildes, direkte Umsetzung des Lichts.
Delaunays Werk halfen Franz Marc in dessen Kompositionen die Figur-Grund-Problemtik zugunsten der Gleichwertigkeit aller Teile zu lösen. Die Umrisslinien der Tiere löst sich zunehmend auf und wird mit der Umgebung dicht verwoben. Damit wollte er die Einbindung des Tieres in einen unendlichen, allem Leben zugrundeliegenden Rhythmus zeigen.5 Marc steigerte die Farbwirkung seiner Gemälde, indem er den Komplementärfarbenkontrast einsetzte. In nur drei Jahren, von 1911 bis 1914, schuf Marc ein bedeutendes Werk, das immer mehr von rhythmischer Zersplitterung und Abstraktion bestimmt ist. 1913/1914 entstand die „Kleine Komposition III“, in der sogar das Tier verschwunden ist. Rückblickend schrieb er an seine Frau Maria:
„Ich empfand schon sehr früh den Menschen als „hässlich“; das Tier schien mir schöner, reiner; aber auch an ihm entdeckte ich so viel gefühlswidriges und hässliches, so dass meine Darstellungen instinktiv (…) immer schematischer, abstrakter wurden. (…) Vielleicht hat unser europäisches Auge die Welt vergiftet und entstellt; deswegen träume ich ja von einem neuen Europa.“
Freundschaft zu Else Lasker-Schüler
Das Ehepaar Maria und Franz Marc lernte im Dezember 1912 die Berliner Schriftstellerin Else Lasker-Schüler kennen. Kurz zuvor hatte sie im Septemberheft von „Der Sturm“ das Gedicht „Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen“ veröffentlicht. Dafür schuf Franz Marc das Titelblatt mit dem Holzschnitt „Versöhnung“. Bevor sich die Künstler trafen, begannen sie bereits einen Briefwechsel, der bis zum Sommer 1914 anhielt. Sie nannte sich selbst den Prinzen Jussuf von Theben und Franz Marc den Blauen Reiter. Es sind 66 Karten und Briefe von Lasker-Schüler und 28 von Franz Marc erhalten. Die kreativen Werke zeigen den unterschiedlichen Umgang der beiden mit Bild und Text: Else Lasker-Schüler vermischte Bild und Schrift, während Franz Marc die Vorderseiten der Korrespondenzkarten mit einem Aquarell oder einer Tuschezeichnung verzierte und die Rückseite beschrieb.
Der Neujahrsgruß 1913 dokumentiert Marcs verlorenes Gemälde „Der Turm der blauen Pferde“ und beginnt mit dem programmatischen Titel „Der blaue Reiter präsentiert Eurer Hoheit sein blaues Pferd“. Franz Marc hatte die Komposition aus einer Bleistiftskizze entwickelt und mit der Postkarte den einzigen farbigen Entwurf an seine Freundin geschickt. Ihr Einfluss ist in der Übernahme ihrer Schrift-Bild-Kompositionen mit seinen Mitteln erkennbar. Das vordere Pferd trägt Halbmonde und Sterne auf seinem Fell, denn Else Lasker-Schüler hatte geschrieben, dass in die „Haut Hieroglyphen eingeschnitten [sind] bis ins Mark“.6 So ergänzten beide einander durch ihre doppelten Begabungen: Lasker-Schülers Stil wird als farbig beschrieben und ihre Gedanken würden schleichen wie bunte Tiere. Franz Marc genoss offenbar die Möglichkeit, seine visuellen und schriftstellerischen Fähigkeiten miteinander zu verbinden und sich an den Methoden seiner Freundin zu schulen.
Beide Künstler liebten Märchen und Idyllen. Franz Marc sandte 1914 mit seiner letzten Karte das Bild einer arkadischen bayerischen Voralpenszene: „Schloss Ried“ (Aquarell) zeigt eine Landschaft mit einem blauen Reiter auf einem blauen Pferd, der mit einem Speer Hirsche jagt. Marc sandte den Gruß in Gedanken an Lasker-Schülers kranken Sohn Paul. Die Autorin nutzte die Darstellung als Frontispiz ihres Romans „Der Malik. Die Briefe an den blauen Reiter Franz Marc“ (1913–1915, überarbeitet 1915), den sie unter dem Titel „Der Malik. Eine Kaisergeschichte mit selbstgezeichneten Bildern und Zeichnungen“ 1919 veröffentlicht. Die Widmung des Buches ist: „Meinem unvergeßlichen Freund Franz Marc / DEM BLAUEN REITER / in Ewigkeit“. Das Buch ist eine in Briefform gekleidete Erzählung, in der die Dichterin dem Freund Franz Marc ein Denkmal setzte. Zahlreiche Freunde Freunde von Else Lasker-Schüler tauchen in diesen Briefen unter den ihnen von der Künstlerin verliehenen phantastischen Namen auf.7
Erster Weltkrieg und früher Tod Marcs
Franz Marc meldete sich 1914 freiwillig und mit großem Enthusiasmus zum Kriegsdienst. Er sah in den Kampfhandlungen eine Möglichkeit, die Gesellschaft zu erneuern. An der französischen Front entstanden im folgenden Frühjahr 36 Zeichnungen seines „Skizzenbuchs aus dem Felde“. Der Maler fiel am 4. März 1916 auf einem Erkundungsritt in der Nähe von Verdun.
Beiträge zu Franz Marc
- Siehe: Helmut Friedel, Annegret Hoberg: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München, München 2013, S. 46.
- Zit. n. Blauer Reiter. Das Moment der Abstraktion, hg. v. Cathrin Klingsöhr-Leroy für die Franz Marc Museumsgesellschaft (Ausst.-Kat. Franz Marc Museum, Kochel am See, 13.10.2019-16.2.2020), Kochel a. See 2019, S. 26-27.
- Es waren Wassily Kandinsky, Alexej Jawlensky, Gabriele Münter, Marianne von Werefkin, Adolf Erbslöh, Alexander Kanoldt, Pierre Girieud, Wladimir von Bechtejeff, Erma Bossi, Alfred Kubin vertreten.
- Aus dem Nacheinander optischer Eindrücke machten Kubisten wie Futuristen eine Gleichzeitigkeit. Es ging ihnen um ein „plastisches Sehen“, eine Untersuchung der „Elemente der Raumanschauung“ und fand in den Skulpturen südlich der Sahara „reine plastische Formen“. So beschrieb Carl Einstein in „Negerplastik“ 1915 die Errungenschaften des französischen Kubismus. Carl Einstein, Negerplastik (1915), Stuttgart 2012, S. 14.
- Siehe: Ebenda, S. 28.
- Ricarda Dick, Else Lasker-Schüler: Die Bilder.
- Siehe: P Raabe, Expressionismus. Literatur und Kunst 1910–1923, Marbach 1960; L. Lang, Expressionistische Buchillustration in Deutschland 1907–1927, Leipzig 1975.