Joseph Beuys
Wer war Joseph Beuys?
Joseph Beuys (Krefeld 12.5.1921–23.1.1986 Düsseldorf) war ein deutscher Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der zu seinen Lebzeiten zu den umstrittensten Kunstschaffenden zählte und dessen Bedeutung seit den 1970er Jahren nicht überbewerten werden kann. Beuys prägte einen erweiterten Kunstbegriff, der in der Sozialen Plastik kuliminiert. Für ihn war jeder Mensch ein Künstler, und Kreativität sollte alle Lebensbereiche erfassen, was in den 60ern im Kontext der Fluxus-Bewegung gesehen werden muss. Der Entstehungsprozess seiner Plastiken war genauso wichtig wie seine Aktionen, seine Denkräume, seine Lehre - Kunst und Leben wurden von Beuys als Einheit wahrgenommen. Mithilfe seiner Kunst sollte die Gesellschaft, die Natur geheilt und Gegensätze überwunden werden.
„Nur unter der Voraussetung einer radikalen Erweiterung der Definition wird es für die Kunst und mit der Kunst verwandte Aktivitäten möglich sein, den Nachweis zu erbringen, dass Kunst heute die einzige evolutionär-revolutionäre Macht ist [...] EIN SOZIALR ORGANISMUS ALS KUNSTWERK.“ (Joseph Beuys, 1973)
Kindheit
Am 12. Mai 1921 wurde Joseph Beuys in Krefeld am Niederrhein, nordwestlich der Landeshauptstadt Düsseldorf geboren. Sein Vater Josef Jakob Beuys (1888–1958) war Kaufmann und Düngemittelhändler; seine Mutter hieß Johanna Maria Margarete Beuys, geborene Hülsermann (1889–1974). Im Herbst übersiedelte die Familie in ein kleines Dorf nördlich des Neuen Tiergartens in Kleve, in Nordrhein-Westfalen, wo der Vater ab 1930 eine Mehl- und Futterhandlung betrieb.
Schulausbildung in Kleve
Beuys besuchte die katholische Volksschule und danach das Staatliche Gymnasium in Kleve (heute: Freiherr-vom-Stein-Gymnasium). Während seiner Schulzeit lernte er Klavier und Cello, er zeigte schon während der Schulzeit ein zeichnerisches Talent. Daneben besuchte er den in Kleve lebenden flämischen Maler und Bildhauer Achilles Moortgat (1881–1957) häufig in dessen Atelier, der Beuys die Werke des belgischen Bildhauers und Malers Constantin Meunier (1831–1905) und des flämischen Malers und Bildhauers George Minne (1866–1941) näher brachte. Auch Werke von Edvard Munch (1863–1944), William Turner (1775–1851) und Auguste Rodin (1840–1917) beeindruckten ihn sehr.
Im Hof des Gymnasiums fand am 19. Mai 1933 eine von den Nationalsozialisten organisierte Bücherverbrennung statt. Aus diesen aufgetürmten Büchern schaffte es Beuys, das Buch „Systema Naturae“ vom schwedischen Naturforscher Carl von Linné (1707–1778) zu retten. Beuys wurde 1936 Mitglieder der Hitler-Jugend war, als er im HJ-Bann 238/Altkreis Kleve am reichsweiten großen Sternmarsch zum Reichsparteitag nach Nürnberg teilnahm.
Durch einen Ausstellungskatalog lernte er 1938 die Kunst des deutschen expressionistischen Bildhauers Wilhelm Lehmbruck (1881–1919) kennen. Beuys entschloss sich daraufhin Bildhauer zu werden, was er während des Kriegs 1943 noch einmal bekräftigte.
Ein Jahr vor dem Abitur brannte Beuys durch und schloss sich für einem Wanderzirkus an, um dort als Tierpfleger und Plakat- und Flugblattausträger zu arbeiten (1939). Die Eltern fanden ihn 1940 am Oberrhein wieder und wollte ihn als Lehrling an die Margarinefabrik in Kleve geben. Stattdessen wurde er aber wieder vom Lehrerkollegium aufgenommen, um ein Jahr zurückgestuft und konnte das Gymnasium abschließen. Er las viel: Goethe, Schiller, Hölderlin, Novalis, Hamsun; unter den Malern schätzte er Munch und unter den Komponisten Erik Satie und Richard Strauss. Sören Kirkegaard prägte ihn mit der Vorstellung, dass die Existenz die Synthese de Zeitlichen und des Ewigen und der Mensch das Absolute wäre.
1941 verließ Joseph Beuys das Gymnasium mit dem sogenannten „Reifevermerk“ (ein sogenanntes Notabitur, d. h. eine Erleichterung der Reifeprüfung während des Ersten und Zweiten Weltkriegs in Deutschland. In Österreich hieß diese Art der Reifeprüfung Kriegsmatura). Laut Hans Peter Riegel (geb. 1959), einem Schweizer Autor, Fotografen und Konzeptkünstler, verließ Beuys das Gymnasium bereits 1940 ohne einen Abschluss. Halbherzig gab er beim Einberufungsbefehl an, er hätte Medizin studieren und Kinderarzt werden wollen.
Joseph Beuys im Zweiten Weltkrieg
Im Frühjahr 1941 meldete sich Joseph Beuys freiwillig zur Luftwaffe der Wehrmacht, wo er sich für zwölf Jahre verpflichtete. Aufgrund einer Rot-Grün-Blindheit konnte er nicht wie erhofft, Pilot werden. Im Mai begann er eine Ausbildung zum Bordfunker und Bodenschützen in der Luftnachrichten-Schule in Posen/Polen beim späteren Tier und Dokumentarfilmer sowie Publizisten Heinz Sielmann (1917–2006). Durch ihn wuchs das Interesse Beuys‘ an Botanik, Zoologie und Geografie, woraufhin er als Gasthörer, sieben Monate lang an der Reichsuniversität Posen Vorlesungen in diesen Fächern besuchte. Er wandte sich auch der spekulativen Kosmologie und Anthropologie von Paracelsus und in der Folge der Lehre Rudolf Steiners zu.
Nach Abschluss seiner Ausbildung, war Beuys im Juni 1942 am Luftkampf um die Festungsstadt Sewastopol – die größte Stadt auf der Halbinsel Krim, als Bordfunker beteiligt. Ab dem 1. Dezember 1942 war er in Königgrätz stationiert. Der Unteroffizier Beuys wurde als Bordschütze und Funker in einem Sturzkampfflugzeug (Stuka) vom Typ Ju 87 eingesetzt. Er schrieb am 18. Mai 1943 in einem Brief an seine Eltern, dass er daran dachte, nach Ende des Kriegs Künstler werden zu wollen. Im Sommer kam er zum Luftwaffenstab nach Kroatien, wo er bis 1944 stationiert war. Dort entstanden zahlreiche Skizzen und Zeichnungen.
Absturz auf der Krim
Am 16. März 1944 stürzten Joseph Beuys und der Pilot mit ihrer Stuka östlich des Feldflughafens Karankut (heute: Ukraine), in der Nähe der Ortschaft Znamyanka bei Schneefall und schlechter Sicht ab. Die Maschine zerschellte am Boden, woraufhin der Pilot starb, Beuys überlebte schwer verletzt. Er wurde unter der Maschine eingeklemmt und zog sich (angeblich) einen doppelten Schädelbasisbruch sowie Brüche der Rippen, Beine und Arme zu. Das Nasenbein wurde zertrümmert, und die Haare verbrannten bis zu den Wurzeln. Im Krankenbuch von Kruman-Kemeltschi findet sich die Diagnose Gehirnerschütterung und Platzwunde über dem Auge.
Am 17. März wurde Beuys in das mobile Militärlazarett 179 nach Kurman-Kemeltschi auf der Krim eingeliefert und am 7. April 1944 entlassen. Beuys litt seitdem an einem Absturztrauma. Später erzählte er gerne die Geschichte, dass er schwer verletzt angeblich von Tataren gefunden und pflegt worden wäre. Sie hätten ihn acht Tage mit Filz gewärmt und seine schweren Wunden mit tierischem Fett behandelt. Diese von dem Künstler selbst genährte Geschichte wurde zu einem Mythos und sollte auch spätestens ab 1976 eine Erklärung dafür sein, warum für Beuys Filz und Fett wichtige Bestandteile seiner Kunst1 waren, und weshalb er stets einen Hut trug.
Im August 1944 wurde Joseph Beuys an die Westfront versetzt, wo er als Oberjäger in der Fallschirmtruppe diente. Beuys erhielt das Verwundetenabzeichen. Am 8. Mai 1945 kam Beuys nach Cuxhaven in Niedersachsen in britische Kriegsgefangenschaft. Das Lager konnte er am 5. August 1945 körperlich schwer angeschlagen verlassen. Er kehre sofort nach Neu-Rindern bei Kleve zurück.
Kleve (1945/46)
Zurück in Kleve schloss sich Joseph Beuys der dortigen Künstlergruppe um die Maler Hanns Lamers (1897–1966) und Walther Brüx (1917–2006) an. Er trat der von Hans Lamers und Walther Brüx neu gegründeten „Klever Künstlerbundes“ (auch: „Profil“) bei. Mit Hilfe der beiden Künstler bereitete er sich auf das Kunststudium vor. Beuys beteiligte sich drei Mal an Gruppenausstellungen, die im Atelierhaus des niederländischen Landschaftsmalers Barend Cornelis Koekkoek (1803–1862) stattfanden.
Zwischen 1945 und 1949 arbeitete er an zoologischen Filmen über nördliche Wildschwäne, Gänse und Enten im Schwemmland der Ems und über das Leben des weißen Storches im schleswig-holsteinischen Bergenhausen mit.
Studium an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf (SoSe 1946–1950)
Zum Sommersemester 1946 immatrikulierte sich Beuys an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf. Dort studierte er drei Semester lang bei Joseph Bernhard Hubert Enseling (1886–1957) Monumentalbildhauerei. Seine akademischen Aktzeichnungen zerstörte der Künstler im Nachhinein. In der Akademie machte Beuys Bekanntschaft mit den deutschen Künstlern Erwin Heerich (1922–2004), Holger Runge (* 1925) und Elmar Hillebrand (1925–2016).
Im Wintersemester 1947/48 und endgültig im Jahr 1949 wechselte Beuys in die Klasse des deutschen Bildhauers, Medailleur und Malers Ewald Mataré (1887–1965), dessen Spezialgebiet die Tierskulptur war. Lehmbruck und Mataré, die beide von den Nationalsozialisten verfemten Künstler, prägten Beuys maßgeblich. Beuys zeigte sich später faszinierent davon, „mit einem Menschen oder Lehrer zu reden, der eine Auffassung von Kunst hatte, die von künstlerischen Problemen getragen wurde".2 So beschäftigte sich Joseph Beuys wie sein Lehrer Mataré mit dem Thema der Frau (Zeichnungen 1945–1960) und mit religiösen Motiven wie Kreuze und Tierdarstellungen. Das geometrische Gerüst, das Beuys seinen Pflanzen- und Tierdarstellungen unterlegt, aber auch seine frühen Holzschnitte und Flachreliefs dokumentieren den Einfluss seines Lehrers. Wie dieser zeigte Beuys Frauen nie als sexuliaiserte Wesen, sondern in sich ruhend und mit doppelter Identität wie „Unbetitelt (Hasenfrau)“. Die Verwandlung von Frau und Hase war für den angehenden Künstler eine Möglichkeit, die Weiblichkeit als Trägerin von Zauberkräften zu charakterisieren, als Weiterführung heidnischer Fruchtbarkeitsgöttinnen. Bereits 1947 arbeitete Beuys an der technischen Ausführung und den Mosaik-Einlegearbeiten am Südportal des Kölner Doms mit - einem der bedeutendsten Aufträge seines Lehrers. 1950 führte Beuys nach einem Entwurf von Ewald Mataré das Grab von Walter Ophey in Schiefer für den Heerdeter Friedhof in Düsseldorf.
Im Arbeitskreis des österreichischen Architekten, Kunsthandwerker und Anthroposophen Max Benirschke (1880–1961) lernte Beuys die esoterischen Lehren des Österreichers Rudolf Steiners (1861–1925) kennen. Vor allem Steiners Schrift „Kernpunkte der sozialen Frage“ waren für seine späteren Ideen der Sozialen Plastik wichtig.
Meisterschüler von Ewald Mataré (1951–WS 1952/53)
Ewald Mataré ernannte Beuys 1951 zu seinem Meisterschüler. Gemeinsam mit Erwin Heerich bezog er bis 1954 das Meisterschüleratelier in der Kunstakademie (für zwei Jahre). Beuys arbeitete an Aufträgen seines Lehrers mit, so unter anderem an den Türen des Südportals des Kölner Doms, der sogenannten „Pfingsttür“ (mit Beuys' eigenständigem Relief „Das brennende Köln“, 1953), oder am Westfenster in der Kapelle im Westwerk des Aachener Doms (1952-1954), für die Gedenkstätte in Alt St. Alban, Köln (Käthe-Kollwitz--Figuren). Obwohl Mataré und Beuys einander schätzten, war ihr persönliches Verhältnis schwierig. Zum einen war Beuys in der Lage auch die kleinsten Entwürfe seines Leheres auszuformulieren und dabei eigene Ideen einfließen zu lassen, was wiederum Mataré belastete. Der Schüler distanzierte sich bereits Ende 1951 wieder von seinem Lehrer, da er nach „Selbstverwirklichung“ strebte. Dennoch sollten viele Werke - in ihrer Symbolik oder auch als dadaistische Parodie - auf Matarés Werke Bezug nehmen.
In seiner ersten größeren plastischen Arbeit, dem „Torso“ (1949/51), ist der Einfluss von Lehmbruck besonders greifbar; in „Pietà“ zeigte er sich noch stärker von Mataré geprägt. Gemeinsam mit Heerich arbeitete Beuys an einer Kopie der Skulptur von Käthe Kollwitz (1867-1945) „Trauerndes Elternpaar“ von 1914 für die Gedenkstätte Alt St. Alban in Köln. Beuys schuf für den Vater der deutschen Theater- und Filmschauspielerin Ruth Niehaus (1925–1994), Fritz Niehaus, einen Grabstein für dessen Grab am Friedhof in Meerbusch-Büderich.
Das Brüderpaar Hans (1929–2002) und Franz Joseph van der Grinten (* 1933) begannen Beuys‘ Werke zu sammeln und halfen ihm damit über finanzielle Schwierigkeiten hinweg. Sie kauften zunächst Druckgrafiken und vor allem Zeichnungen, die in Beuys‘ Frühwerk dominierten. Außerdem organisierten sie Beuys‘ erste Einzelausstellung: „Josef Beuys. Plastik, Graphik“ (22.2.–15.3.1953). Damit konnte der junge Künstler Harald Seiler, den Direktor des Von der Heydt-Museums in Wuppertal, so sehr beeindrucken, dass dieser kurz darauf Teile daraus für eine Werkschau im eigenen Haus übernahm.
Frühe Werke
Bis 1952 dominierten in Beuys‘ Werk die grafischen Blätter; seine Plastiken waren vor allem Auftragsarbeiten. Mit dem Eisenguss „Pietà“ von 1951 gewann Joseph Beuys 1952 einen Preis im Rahmen des Wettbewerbs „Eisen und Stahl“, ausgeschrieben vom Verband der Eisenhüttenwerke Düsseldorf. Beteiligte sich mit „Brunnen“ an der Industrieausstellung „Rhein-Maas“. 1953 entwarf Joseph Beuys Möbestücke.
Erst mit „Bienenkönigin I“, „Bienenkönigin II“ und „Bienenkönigin III“ (1952) schuf Joseph Beuys außergewöhnliche Plastiken, mit denen er einen eigenständigen Weg einschlug. Der Einsatz von Wachs, Schokolade und Fett ist zukunftsweisend für das Werk von Beuys –erweiterte aber auch generell die Materialwahl bildhauerischen Arbeitens. Für den „Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen“ entstand sein erstes Multiple unter dem Titel „Aschenbecher“ in einer Auflage von 63 Exemplaren.
Künstlerische Krise und Selbstfindung (1952–1958)
Joseph Beuys zog nach seiner Exmatrikulation in ein eigenes Atelier in Düsseldorf-Heerdt, das er bis 1958 nutze. Zu dieser Zeit zog er sich immer mehr von seinen künstlerischen Freunden zurück und durchlebte eine Schaffenskrise. Er begann viele naturwissenschaftliche Schriften zu lesen und sich intensiv mit Texten Novalis, Rudolf Steiner (v.a. „Kernpunkte der sozialen Frage“) und James Joyce zu beschäftigen. Joseph Beuys verband Steiners Konzept des „Dreigliederung des sozialen Organismus“ mit seiner Idee der Sozialen Plastik. Beuys war sich bewusst, dass
„zweifellos Kriegsereignisse nach[wirkten], aber auch aktuelle, denn im Grunde musste etwas absterben. Ich glaube, diese Phase war für mich eine der wesentlichsten insofern, als ich mich auch konstitutionell völlig umorganisiert habe. […] Auch beschäftigte ich mich damals mit Dada; ich suchte einen Schlussstrich unter diese Bewegung zu ziehen […].“3
1955 zog sich der Künstler zunehmend zurück. Anfang des folgenden Jahres isolierte er sich vollständig. Er tauchte wochenlang in seinem Atelier oder in der Wohnung von Adam Rainer Lynen unter. In dieser Zeit begann Beuys, an einem (nicht realisierten) Entwurf für ein „Ausschwitz-Denkmal“ für das Comité International d’Auschwitz zu arbeiten.
Die Sommermonate 1957 verbrachte Beuys auf dem Bauernhof der Familie van der Grint in Kranenburg am Niederrhein. Dort entstanden etliche Entwürfe und Konzepte für Plastiken. Er widmete sich dem Studium naturwissenschaftlicher Schriften aus Chemie, Physik, Botanik, Zoologie und Humanmedizin sowie der Literatur von James Joyce und Novalis – später würde er behaupten, er hätte „Naturwissenschaften“ studiert. In Auseinandersetzung mit kunsthistorischen Standardwerken wie Hans Sedlmayrs „Verlust der Mitte“ (1948) und der zeitgenössischen Kunst gelangte Beuys zur Überzeugung, dass Kunst das Leben in sich aufnehmen muss. Die Zeit seines Rückzugs beendete Beuys 1958 mit einer Reihe von Aktivitäten. Er mietete sich ein Atelier im alten Kurhaus am Tiergarten und lernte die Tochter des Zoologen Hermann Wurmbach (1903–1976), Eva-Maria Wurmbach (* 1933), kennen. Ein Jahr später heiratete das Paar.
Neuanfang und Beuys‘ Erweiterter Kunstbegriff
Beuys erster großer öffentlicher Auftrag war das Büdericher Ehrenmal, ein Mahnmal für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs (1958). Allerdings soll Mataré seinen Einfluss geltend gemacht haben, um seinen ehemaligen Meisterschüler den Auftrag entziehen zu lassen.4 Zudem traf er den Galeristen Alfred Schmela, den er von sich überzeugen konnte. Beuys bewarb sich für die Professur für monumentale Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf, was am Einspruch seines Lehrers Mataré scheiterte. Als Grund für den Einspruch gab Mataré zu Protokoll, dass er:
„Beuys als Künstler anerkenne, ihn aber aufgrund seiner vorangegangenen Depression nicht als geeignete Lehrerpersönlichkeit einschätze.“5
Dies führte zum Bruch zwischen dem Schüler und seinem ehemaligen Lehrer.
Eurasier (1958)
Für die Kleinplastik „Eurasier“ verwendete Joseph Beuys erstmals Filz. Der Titel leitet sich von der verschmolzenen Landmasse Europa und Asien ab, die für den Künstler einen grenzenlosen Kontinent symbolisieren. Interessiert am nomadischen Lebensstil der Eiszeit und an herumziehenden Tierherden, übernahm Beuys den Namen von Rudolf Steiners anthroposophischen Schriften. Steiner unterschied bereits zwischen einem rationalistisch geprägten „Westmenschen“ und einem intuitiv agierenden „Ostmenschen“. Für Joseph Beuys war wichtig, die Vorteile der gegensätzlich empfundenen Wesenszüge miteinander zu verschmelzen. Der Eurasier Beuys vereinte beide Zugänge in sich und überwand so die Grenzen. Dieses Konzept führte er 1958 in einem 14 x 33,5 x 16,5 Zentimeter kleinen Objekt aus, das sich heute im Block Beuys im Hessischen Landesmuseum Darmstadt befindet. Das aus Filz, Metall, Mull bestehende Objekt besteht als einer Filz-Fläche und einer kleinen, Figur aus Draht und Mull, die einen Krummstab hält.
Gleichzeitig begann Joseph Beuys das Zeichnungskonvolut „4 Bücher Aus: Projekt Westmensch“ (1958–1965), die je dreihundert Seiten umfassen. In ihnen finden sich Ideen für Plastiken und Räume, die Joseph Beuys in den folgenden Jahren realisierte. Dafür verwendete er Materialien wie Fett, Filz oder Honig und entwickelte Werke rund um die Figur Dschingis Khans und schamanistische Praktiken. Beuys führte diesen Komplex Ende der 1960er Jahre weiter aus: „Transsibirische Eisenbahn“ (1961), „Sibirische Symphonie“ (ab 1963) und die Aktion „Eurasienstab“ von 1967 – Relikt ist ein 50 Kilogramm schwerer, an einem Ende um 180° gebogener Kupferstab in vier hölzernen Winkelprofilen (Stiftung museum kunst palast, Düsseldorf).
Ende der 1950er Jahre entwickelte Beuys seinen „Erweiterten Kunstbegriff“ – der sich mit Kunsttheorie und Sozialphilosophie beschäftigte. Er versuchte das Denken, das Erkennen, die Diskussion darüber und die Kunst als Einheit zu verstehen. Er ging auch davon aus, dass jeder Mensch ein Künstler sei und in der Lage wäre Kunst zu schaffen. Demnach sind Kunst und Leben nicht getrennt voneinander zu betrachten, sondern sie durchdringen einander.
Berufung an die Kunstakademie Düsseldorf (1961)
Der Fotograf Fritz Getlinger schuf eine Mappe mit 50 Abbildungen von Werken Beuys‘. Damit bewarb sich Beuys, der zu diesem Zeitpunkt eher regional bekannt war, um die Professur für monumentale Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf und wurde einstimmig als Nachfolger von Josef (Sepp) Mages (1895–1977) bestellt.
Beuys galt als sehr innovativer, zuverlässiger und offen kritischer Lehrer, der jedoch weit abseits der gängigen Lehrmethoden unterrichtete. Er war ein sehr gewissenhafter Professor, der fast täglich in der Universität anwesend und sogar an Wochenenden und in den Semesterferien dort oft anzutreffen war. Sein Bruch mit der Lehrtradition bestand darin, dass er seinen Studierenden große Freiheiten einräumte. Gleichzeitig hielt er an klassischen Disziplinen wie dem Aktzeichnen oder dem Naturstudium fest.
Seine Auseinandersetzung mit dem Professorenkollegium, dem Rektorat und dem Ministerium begannen 1967, als er sich offen hochschulpolitisch engagierte. Unter den Akademieprofessoren formierte sich im folgenden Jahr Widerstand gegen Beuys und seine Lehrpraxis. Im Oktober forderte er die Abschaffung jedes Zulassungsverfahrens an der Kunstakademie (wiederholt im Juli 1969). Stattdessen verlangte er eine zweisemestrige Probezeit. Spätestens seit dieser Zeit wird Beuys mit dem missverstandenen Satz „Jeder Mensch ein Künstler“ zitiert. Seine Überzeugung, dass die Lehre Teil seiner künstlerischen Praxis ist, drückte Beuys 1969 in dem Text „To be a teacher is my greatest work of art“ aus.
Der Konflikt mit der Düsseldorfer Akademie steigerte sich in den Jahren 1971 und 1972, da Joseph Beuys mit den abgewiesenen Studienwilligen das Sekretariat besetzte, damit diese in seiner Klasse aufgenommen werden konnten. Im Jahr 1971 handelte es sich um 17 Personen, 1972 waren es – aufgrund auch der gestiegenen Bekanntheit des Professors – 54 Abgewiesene. Daraufhin wurde er vom Wissenschaftsminister Johannes Rau (1931–2006) fristlos entlassen. Beuys sprach am 12. Oktober in einer Pressekonferenz über die Entlassung als „das letzte Glied in einer Kette ständiger Konfrontationen“. Nach dem Rauswurf Beuys erreichten das Wissenschaftsministerium zahlreiche Protestbriefe aus aller Welt. In einem offenen Brief forderten die Unterzeichnenden seine. Unter ihnen waren unter anderem Peter Handke (*1952), Jim Dine (*1935), David Hockney (*1937), Gerhard Richter (*1932) und Martin Walser (*1927). Beuys klagte das Land Nordrhein-Westfalen wegen der fristlosen Kündigung und erhielt 1978 Recht.
In seiner Zeit als Lehrer betreute Beuys sehr viele Studenten, darunter vor allem Jörg Immendorf (1945–2007), Kalus Felix Droese (*1950), Katharina Sieverding (*1944) und Blinky Palermo (1943–1977).
Gastprofessuren
Joseph Beuys erhielt im Wintersemester 1974/75 eine Gastprofessur an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Beide Parteien handelten einen Kompromiss aus, Beuys durfte seinen Professorentitel behalten und das Atelier im „Raum 3“ in der Akademie weiterhin nutzen. Noch im gleichen Jahr erhielt Beuys eine Gastprofessur an der Universität für Angewandten Kunst in Wien, Lehrstuhl Gestaltungslehre. 1980 wurde er für eine Gastprofessur an der Frankfurter Städel-Schule berufen.
Beuys, Fluxus und Aktionen
Joseph Beuys lernte 1962 die Protagonisten der Avantgarde in der Düsseldorfer Kunstszene kennen: Nam June Paik, George Brecht und George Maciunas, deren musikalische Praxis ihm auffiel. Er schloss sich der Fluxus-Bewegung an, nutzte ab 1963 Fett als Material und trat erstmals auf Fluxus-Konzerten auf. Anfang Februar 1963 führte er im Rahmen eines „Fluxus-Abends“ in der Aula der Akademie „Festum Fluxorum Fluxus, Musik und Antimusik – Das Instrumentelle Theater“ seine ersten beiden Aktionen auf: „Sibirische Symphonie 1. Satz“. Seine erste Einladung zur „documenta 3“ in Kassel zeigt Beuys‘ steigende nationale Anerkennung. Er beteiligte sich mit Plastiken und Zeichnungen. Zudem schrieb er „Joseph Beuys Lebenslauf Werklauf“, in dem er 50 Ereignisse seines Lebens von 1921 bis 1964 zusammenfasste.
1965 stellte Joseph Beuys zum ersten Mal in einer kommerziellen Galerie aus: Die Galerie Schmela in Düsseldorf präsentierte „Joseph Beuys … irgend ein Strang …“ (27.11.–31.12.1965) mit der Aktion „wie man einem toten Hasen die Bilder erklärt“. Dabei erkundete Beuys mit vergoldetem Haupt und einem toten Hasen im Arm den Ausstellungsraum, in dem u.a. die Plastik „Schneefall“ zu sehen war. In „Schneefall“ (1965) übersetzte er die Schichtung erstmals in Dreidimensionale, indem er 32 quadratische Filzmatten übereinanderlegte. Drei Fichtenstämmchen ohne Äste ragen auf einer Seite unter den Matten hervor. Beim Aufbau ließ der Künstler die Filzmatten aus geringer Höhe fallen und richtete den Stapel dann nur noch geringfügig her. Daraus ergibt sich eine gewisse „Ungenauigkeit“ der Lagerung, die Beuys‘ Werke von jenen der Minimal Art unterscheiden.
Joseph Beuys reiste im Januar 1974 zum ersten Mal in die USA, um dort Vorträge an Hochschulen in New York, Chicago und Minneapolis zu halten. Der Galerist Ronald Feldmann und seine Frau Frayda hatten eine zehntägige Vortragstournee, unter dem Titel „Energy Plan for the Western Man“ durch Amerika organisiert. In Chicago schlüpfte er in die Rolle des Ganoven John Dillinger. Er stellte dessen Erschießung 1934 spontan vor dem Kino nach; Klaus Staeck filmte die Aktion. Zur Eröffnung der Galerie René Block in New York: Drei Tage lang lebte er von 10 bis 18 Uhr mit einem Kojoten in der Galerie, der für ihn die unbewältigte Vergangenheit der Eroberung Amerikas symbolisierte.
Straßenbahnhaltestelle (1976)
1976 beteiligte sich Joseph Beuys mit dem Environment „Straßenbahnhaltestelle/Tram Stop/Fermata del Tram“ (Kröller-Müller-Museum, Otterlo) an der 37. Biennale in Venedig. Im deutschen Pavillon führte er die Plastik als befristetes Ereignis, als Aktion weiter. Die Aktion Straßenbahnhaltestelle „Straßenbahnhaltestelle“ begann schon im April 1976, da Joseph Beuys zu diesem Zeitpunkt das Friedensmonument des brandenburgischen Statthalters Johann Moritz von Nassau-Siegen in Kleve (1648) abgießen ließ. Beuys übernahm davon das nahezu vier Meter lange Kanonenrohr und die Mörserhüllen seiner „Straßenbahnhaltestelle“, das gemeinsam mit einer Schiene der Düsseldorfer Straßenbahn und einem mehrteiligen Gestänge am 1. Juni nach Venedig transportiert wurde. Beuys ließ das Kanonenrohr samt Bronzekopf an der Spitze im deutschen Pavillon aufstellen. Dafür musste ein 20 Meter tiefes Loch für die Säule und ein Bett der versenkten Schienen gegraben werden. Den Aushub – darunter auch Ziegel des 1902 eingestürzten Markusturms – wurde hinter der Installation aufgeschichtet. Die Farbe der Wände blätterte ab und gab Namensschilder von berühmten Männern frei. Damit schuf Beuys eine Referenz auf die Biennale von 1972, als Gerhard Richter an der Stelle „48 Porträts“ installiert hatte. Im Begleitheft der Biennale kommentierte der Künstler seine Aktion mit der Bemerkung: „Medien durch Monumente ersetzen“ Am Tag nach der Eröffnung (15.7.) feierte Beuys mit seinem Aufbauteam, dass sie die Arbeit so gut geschafft hatten.
Honigpumpe am Arbeitsplatz (1977)
Auf der „documenta 6“ von 1977, zeigte Beuys seine Installation „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ und rief die „100 Tage Freie Internationale Hochschule für Kreativität und Interdisziplinäre Forschung [Free International University; F.I.U.]“ aus. 100 Tage lang diskutierte er mit dem Publikum, hielt Vorträge, organisierte Diskussionen von Arbeitsgruppen und Bürgerinitiativen aus verschiedenen Ländern (von Atomenergie bis Menschenrechte). Auf Schautafeln notierte er während der Gespräche Zeichnungen, Diagramme und Sentenzen. Diese von Beuys signierten Tafelarbeiten wurden später Teil der Installation „Das Kapital Raum 1970–77“.
„Honigpumpe am Arbeitsplatz“ besteht aus Honig, Margarine, Schiffsmotoren, einer Pumpe, Stahlbehältern, Plastikschläuchen, drei Bronzekübeln, mit Zinn galvanisierte Edelstahlrohre und einer Kupferwalze. Das heute in seine Bestandteile zerlegte Objekt/Rauminstallation im Louisiana Museum in Humlebæk (Dänemark) lässt sich, so der Eindruck, jederzeit in Betrieb nehmen. Sie zählt zu den bekanntesten Werken Beuys‘. Auf der „documenta 6“ ließ Beuys zwei Tonnen mit destilliertem Wasser verdünnten Honig durch das Friderizianum zirkulieren. Der Weg des Honigs begann in einem zylindrischen Stahlbehälter, von wo er durch das Stahlrohr unter das Dach des Treppenhauses gepumpt wurde. Dort schloss der Plexiglasschlauch an, der durch den Treppenschacht, den daran anschließenden Seminarraum der Freien Internationalen Hochschule, dann umgelenkt und wieder zum Stahlbehälter zurückgeführt wurde. Daneben wurden 100 Kilogramm Margarine von der Kupferwalze (angetrieben von den Schiffsmotoren) bewegt. Durch die Reibungsenergie verflüssigte sich das Fett teilweise. Die drei leeren Bronzekrüge, Abgüsse eines Honigtopfs aus Keramik, standen dicht zusammengedrängt in einer Ecke des Maschinenraums. Joseph Beuys hat sich dezidiert gegen einen erneuten Aufbau der Installation ausgesprochen, da der Arbeitsraum der Freien Internationalen Hochschule fehlen würde. Deshalb begegnet man den Relikten wie einer plastischen Arbeit im Raum.
Seit den späten 1940er Jahren beschäftigte sich Joseph Beuys mit dem Material Honig und dem Sozialverhalten von Bienen. Ausgehend vom Blutkreislauf verband der Künstler das Zirkulieren mit gesellschaftlichen Kreislaufmodellen (wie Geld- oder Wirtschaftskreislauf). Auf die Biene brachte Joseph Beuys die Lektüre von Rudolf Steiner. Die Entstehung eines Bienenstocks, die gemeinschaftliche Arbeit an der Architektur bzw. Plastik, und am Produkt Honig als Ergebnis eines Arbeitskollektivs faszinierten ihn. Für Beuys‘ Denken spielt der Vorgang des plastischen Gestaltens des ungeformten Wachses zur geometrischen Form des Hexagons eine wichtige Rolle. Zwischen dem Unbestimmten (der Wille) und dem Bestimmten (das Denken) vermittelt die Bewegung (das Gefühl). Die Kupferwalze und die Margarine ordnete Beuys den Willen zu. Der Honigkreislauf und die Pumpe standen für das Gefühl und das Herz. Die Krümmung des Stahlrohres unter dem Dach des Friderizianums gereichte ihm zum Bild des plastischen Denkens, strömte der Honig doch zuvor durch den Arbeitsraum der F.I.U.
„Als nächstes muss ich in Dänemark die „Honigpumpe“ installieren, […]. Sie muss dort einen neuen Sonn bekommen. Auf der documenta 6 war sie das Symbol für die Menschen der F.I.U., die dort 100 Tage lang zusammengearbeitet haben. Das entfällt jetzt natürlich. Die „Honigpumpe“ muss jetzt einen ganz autonomen skulpturalen Ausdruck erhalten.“6 (Joseph Beuys im Gespräch mit Bertram Müller, 23.7.1983)
Beuys politisch
Joseph Beuys politisierte sich während der 1960er Jahre, war ein Mitbegründer der Partei „Die Grünen“ und verlegte Ende der 1970er Jahre seine Aktivitäten verstärkt auf die politische Bühne. 20 Tage nach der Protestkundgebung gegen den Besuch des Schahs Mohammad Reza Pahlavi in West-Berlin, bei der der Student Benno Ohnesorg (1940–1967) von einem Polizisten erschossen wurde, gründete Beuys die „Deutsche Studentenpartei“ (22.6. 1967), die 1970 in die „Organisation der Nichtwähler“ (später „Freie Volksabstimmung“) überführt wurde (2.3.).
Am Zenit seines Erfolgs als Künstler verlagerte Beuys 1979 seine Aktivitäten auf das politische Engagement. Er war Mitbegründer der Partei DIE GRÜNEN und kandidierte für das Europaparlament. 1980 trat er für die Grünen zur Bundestagswahl und für den nordrhein-westfälischen Landtag an. Als er 1983 erneut für den Bundestag kandidieren wollte, verweigerten ihm die Grünen einen vorderen Listenplatz, woraufhin Joseph Beuys aus der Partei zurückzog.
Beuys und Warhol
1979 traf Joseph Beuys in der Galerie Denise René und Hans Mayer in Düsseldorf zum ersten Mal Andy Warhol (1928–1987) in dessen Ausstellung. Warhol schoss daraufhin einige Polaroids von Beuys, die Porträtaufnahmen dienten ihm später als Vorlage für mehrere Serigraphien mit Diamantstaub (Diamond-Dust). Im November trafen die beiden Künstler anlässlich der Ausstellung „Kunst = Kapital – Joseph Beuys, Robert Rauschenberg, Andy Warhol“ in der Galerie Denis René und Hans Mayer wieder aufeinander. Am 1. April 1980 trafen sich Beuys und Warhol in der Galerie Lucio Amelio in Neapel. Dort stellte Warhol die neuen Siebdruckportraits mit dem Titel „Joseph Beuys by Andy Warhol“ aus.
Am 12. Januar 1985 nahm Beuys zusammen mit Andy Warhol und dem japanischen Künstler Kaii Higashiyama (1908–1999) am „Global-Art-Fusion-Projekt“ teil. Hierbei handelte es sich um ein international angelegtes Fax-Art-Projekt, das vom Konzeptkünstler Ueli Fuchser (* 1948) initiiert wurde. Alle drei Künstler schickten innerhalb von 32 Minuten ein Fax mit einer Zeichnung um die Welt. Von Düsseldorf über New York nach Tokyo. Empfangen wurde das Fax, im Wiener Palais Liechtenstein. Die Aktion, sollte ein Zeichen des Friedens während des Kalten Krieges sein.
Beuys‘ Bäume
Nachdem Joseph Beuys 1975 einen Herzinfarkt erlitten hatte, wandte er sich verstärkt den Themen Verletzung und Tod zu. Er entwickelte die Überzeugung, dass nur sichtbare Wunden geheilt werden könnten (Einzelperson und Gesellschaft). Mithilfe seiner Kunst sollte die Gesellschaft gesunden – aber auch die Natur durch die Kunst gerettet werden.
In diesem Sinne präsentierte er auf der „documenta 7“ (1982) die Skulptur „Stadt-Verwaldung anstelle von Stadt-Verwaltung. 7.000 Eichen“. Beuys pflanzte dafür mit der Hilfe von Freiwilligen in den kommenden Jahren 7.000 Bäume an unterschiedlichsten Orten in Kassel, dazu ein begleiteter Basaltstein. Bis zu Beuys Tod, waren 5.500 Eichen mit dazugehörigen Steinen gepflanzt worden. Den letzten Baum setzte sein Sohn Wenzel während der documenta 8 am 12. Juni 1987 – sieben Meter neben der ersten. Die Eiche ist seither Beuys‘ Baum schlechthin.
Im Mai 1984 pflanzte Joseph Beuys die ersten 400 Bäume auf einem Land von 15 Hektar, das sich in der Nähe der Ortschaft Bolognano befindet. Beuys hatte das Ackerland von Baron Giuseppe Durini und seiner Ehefrau Lucrezia De Domizio Durini (* 1936) zur Verfügung gestellt bekommen. Innerhalb von zwölf Jahren wollte er 7000 verschiedene Baumsorten pflanzen, um ein „Paradies“ (eigentlich ein Naturschutzgebiet) zu erhalten. Die Stadt Bolognano verlieh ihm die Ehrenbürgerwürde.
„Dank an Wilhelm Lehmbruck“ – eine Rede von Joseph Beuys anlässlich der Verleihung des Wilhelm-Lehmbruck-Preises am 12. Januar 1986
Im Jahr 1986 erhielt Joseph Beuys (1921–1986) die begehrte Auszeichnung. Am 12. Januar hielt er anlässlich der Preisverleihung eine denkwürdige Rede, in der Beuys erstmals vom Einfluss Wilhelm Lehmbrucks auf seine Kunst sprach. Elf Tage später verstarb Beuys, wodurch die Rede zu einer Art von Vermächtnis des Künstlers wurde.
„Ich möchte meinem Lehrer Wilhelm Lehmbruck danken.“ Dem 17jährigen Beuys war 1938 ein Büchlein über Wilhelm Lehmbruck in die Hände gefallen. Der Katalog der Gedächtnisausstellung des gerade verstorbenen Lehmbruck in der Galerie Paul Cassirer in Berlin 1920 entfachte das Interesse des Jugendlichen für die Plastik. Beuys sah in den Skulpturen des Expressionisten, wie dieser nicht nur „physisches Material, sondern seelisches Material“ gestaltete. Lehmbruck meinte „etwas Innerliches“. Beuys folgerte daraus „Alles ist Skulptur“ – und „Denken ist bereits Plastik“. Diese Zuspitzung Lehmbruckscher Experimente zur „Sozialen Plastik“ war nicht ohne Rudolf Steiners Versuch einer politischen Bildung möglich. Dass Wilhelm Lehmbruck auch noch kurz vor seinem Selbstmord am 25. März 1919 zum Unterstützer-Komitee des Anthroposophen gehörte, lässt die „Väter“ von Joseph Beuys zu Propheten eines neuen sozialen Organismus werden. Die Welt sollte nach Lehmbruck, Steiner und Beuys wieder menschlich gemacht werden. Der Nachkriegskünstler war beiden zu tiefem Dank verpflichtet!
Krankheit und Tod
Ende Mai 1985 wurde bei Beuys eine seltene Form einer Lungenerkrankung diagnostiziert. Zur Erholung reiste er im Spätsommer nach Capri und Neapel. Von Dezember 1985 bis Mai 1986 zeigte das Museo di Capodimonte in Neapel die letzte von Beuys eingerichtete große Rauminstallation „Joseph Beuys. Palazzo Regale“ (23.12.1985–31.5.1986).
Kurz nachdem Joseph Beuys am 12. Januar 1986 den Wilhelm-Lehmbruck-Preis der Stadt Duisburg erhalten hatte, erlag er am 21. Januar seiner Lungenerkrankung in Düsseldorf. Todesursache war eine seltene Entzündung des Lungengewebes und daraus resultierendem Herzversagen. Er wurde 64 Jahre alt. Am 14. April 1986 wurde seine Asche in die Nordsee gestreut.
Beuys und der Kristall
Joseph Beuys gehört zu den wichtigsten Künstlern im Zusammenhang mit der Kristall-Reflexion bzw. Aufladung nach 1945. Auffallend ist, dass sich alchimistisch-esoterische Praktiken und wissenschaftlich-ästhetische Analysen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Gegenpole durchsetzen. Beuys` Deutung des Kristalls als „Zeichen für Denken“ und Voraussetzung für eine Erneuerung geht schlussendlich auf Rudolf Steiners Theorie und den deutschen Romantiker Novalis zurück. Ähnlich verhält es sich auch im Werk von Marina Abramović, die mentale Klärung, Reinigen und Vergeistigung im und mit dem Kristall zu finden hofft.7
Schüler und Schülerinnen von Beuys
- Jörg Immendorff (1945–2007) → Jörg Immendorff: Café Deutschland
Literatur zu Joseph Beuys
- Mataré + Beuys + Immendorff. Begegnungen der Werke von Lehrer und Schüler (Ausst.-Kat. Kunstakademie Düsseldorf, Akademie Galerie - Die Neue Sammlung, 27.3.-20.6.2021), Düsseldorf 2021.
- Verena Kuni, Kristallwelten. Facetten des Kristallinen in der Kunst nach 1945, in: Stein aus Licht. Kristallvisionen in der Kunst, hg. v. M. Frehner, D. Spanke (Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bern, Bern, 24.4.–6.9.2015), Bern 2015, S. 52–65.
- Joseph Beuys. Parallelprozesse (Ausst.-Kat. Kunstsammlungen Nordthein-Westfalen, Düsseldorf, 11.9.2010–16.1.2011), München 2010.
- Heiner Stachelhaus, Joseph Beuys, Berlin 2006.
- Petra Richter im Gespräch mit Jörg Immendorff, 21.10.1994, in: Petra Richter, Mit, neben, gegen. Die Schüler von Joseph Beuys, Düsseldorf 2000.
Beiträge zu Joseph Beuys
- Joseph Beuys im Gespräch mit Georg Jappe über Schlüsselerlebnisse, Beuys packen, Regensburg 1996, S. 210.
- Rolf-Gunter Dienst, Interview mit Joseph Beuys, in: Das Kunstwerk, 39, 1986, S. 53.
- zit. n. Götz Adriani, Winfried Konnertz, Karin Thomas, Joseph Beuys, Leben und Werk, Köln 1973/1981/1994, S. 40.
- Heiner Stachelhaus, Joseph Beuys, Düsseldorf 1987, S. 41.
- Petra Richter im Gespräch mit Jörg Immendorff, 21.10.1994, in: Petra Richter, Mit, neben, gegen. Die Schüler von Joseph Beuys, Düsseldorf 2000, S. 35.
- Joseph Beuys im Gespräch mit Bertram Müller, in: Rheinische Post, Nr. 168 (23.7.1983), o.S., zit. n. Carmen Alonso, Honigpumpe am Arbeitsplatz, in: Joseph Beuys. Parallelprozesse (Ausst.-Kat. Düsseldorf, K20, 11.9.2010–16.1.2011), München 2011, S. 250.
- Verena Kuni, Kristallwelten. Facetten des Kristallinen in der Kunst nach 1945, in: Stein aus Licht. Kristallvisionen in der Kunst, hg. v. M. Frehner, D. Spanke (Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bern, Bern, 24.4.-6.9.2015), Bern 2015, S. 52-65, hier S. 53-54.