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Ai Weiwei: Water Lillies #1 Monets Seerosen mit 650.000 Lego™-Steinen | 2023

Ai Weiwei, Water Lilies #1, 2022, Legosteine, Foto © Ela Bialkowska/OKNO studio. © Bild mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Galleria Continua

Ai Weiwei, Water Lilies #1, 2022, Legosteine, Foto © Ela Bialkowska/OKNO studio. © Bild mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Galleria Continua

Ai Weiwei zeigt im Frühjahr 2023 im Design Museum in London sein bisher größtes Werk aus Lego™-Steinen: „Water Lillies #1“ (2022). Der Künstler setzt Monets Seerosen aus 650.000 farbenfrohen Pixel zusammen. Obschon es die Schönheit der Natur feiert, basiert das Bild doch auf einem standardisierten Industrieprodukt. Damit entzieht sich das Relief auch gängigen Klassifikationen der Kunst. Es ist weder Gemälde noch Skulptur, sondern ein bildhaftes Objekt.

 

Water Lilies #1

Der chinesische Künstler baut für seine Ausstellung „Ai Weiwei: Making Sense“ eine persönliche Version der „Seerosen“ (1914–1926) des Malers Claude Monet nach (→ London | Design Museum: Ai Weiwei). Das Original des Impressionisten befindet sich in der Sammlung des Museum of Modern Art in New York. Ais Werk mit dem Titel „Water Lilies #1“ besteht aus knapp 650.000 Legosteinen in 22 verschiedenen Farben und ist über 15 Meter lang.

„Unsere Welt ist komplex und bewegt sich auf eine unvorhersehbare Zukunft zu. Für Einzelpersonen ist es von entscheidender Bedeutung, eine personalisierte Sprache zu finden, um ihre Erfahrungen mit diesen Herausforderungen auszudrücken. Personalisierter Ausdruck entsteht aus der Identifikation mit Geschichte und Erinnerungen, während eine neue Sprache und Erzählung geschaffen wird. Ohne eine persönliche Erzählung verliert die künstlerische Erzählung ihre Qualität. In ‚Water Lilies #1‘ integriere ich Monets impressionistische Malerei, die an den Zen-Buddhismus im Osten erinnert, und konkrete Erfahrungen meines Vaters und mir in eine digitalisierte und verpixelte Sprache. Spielzeugbausteine als Material spiegeln mit ihrer Festigkeit und ihrem Potential zur Dekonstruktion die Attribute der Sprache in unserer sich schnell entwickelnden Zeit wider, in der sich das menschliche Bewusstsein immer mehr aufteilt.“ (Ai Weiwei, 2023)

 

 

Ai Weiweis Giverny

„Water Lilies #1“ reproduziert die Seerosen aus Claude Monets Garten in Giverny. Im Jahr 1915 – mitten im Ersten Weltkrieg – ließ sich Claude Monet neben seinem Haus in Giverny ein großes Atelier bauen. Dort schuf er seine „Grandes Décorations“. Diese monumentalen Gemälde zeigen den kunstvollen Seerosenteich und die Gärten, die Monet auf seinem Grundstück angelegt hatte. Zur Bepflanzung importierte Monet neue Seerosensorten aus Fernost. Der Franzose hielt die Jahreszeiten zwischen 1914 und 1926 in mehr als 40 großformatigen Gemälden und zahlreichen kleineren Bildern fest.

In der Mitte dieses Triptychons blühen Seerosen in einem leuchtenden Teich aus grünen und blauen Feldern, der von lavendelfarbenen Wolkenspiegelungen durchzogen ist. Dicke Striche in dunkleren Farbtönen sickern in das linke Feld, während Himmel und Wasser auf der rechten Seite sanft von einer Fläche rötlich-grüner Vegetation verschluckt werden. Die dichte Komposition schwebt an der Schwelle zur Abstraktion, ihr fehlender Horizont erzeugt einen Effekt totaler Immersion. Nach Monets Tod wurden 22 Tafeln an gekrümmten Wänden im Musée de l’Orangerie in Paris installiert: ein Geschenk des Künstlers an die französische Nation. Die restlichen Leinwände blieben bis Ende der 1940er Jahre in seinen Ateliers, als Sammler:innen und MoMA-Kuratoren begannen, sich für sie zu interessieren.

 

 

1955 erwarb das Museum of Modern Art als erstes Museum in den Vereinigten Staaten eines der großformatigen Seerosen-Bilder. Das Interesse der MoMA-Kuratoren an Monets Spätwerk ging auf die zeitgenössische Kunst zurück (→ Abstrakter Expressionismus | Informel): Die großformatigen Kompositionen von Künstlern wie Jackson Pollock machten Monets große Gemälde erneut relevant. Seither symbolisieren Monets Seerosen Monets Überzeugung, dass Kunst eine Pause von einer zunehmend urbanen, kommerzialisierten und technologischen Welt bieten kann.

Durch den Einsatz von Lego™-Steinen verwandelt Ai Weiwei Monets Pinselstriche in eine entpersönlichte Sprache industrieller Elemente und Farben. Farbpunkte lassen an digitale Fotografie denken, mittels der das Kunstwerk im digitalen Raum verbreitet wird. Im rechten Teil der Arbeit integrierte Ai Weiwei ein schwarzes Rechteck, das auf seine Kindheit in der Region Xinjiang (Nordwest-China) anspielt. Dem Design Museum in London zufolge stellt dieser Schatten die Tür zu jenem unterirdischen Unterschlupf dar, in dem der Künstler in den 1960er Jahren mit seinem Vater Ai Qing im Exil lebte. Der Schönheit der Natur setzte Ai seine frühen Erfahrungen im ruralen China während der Kulturrevolution entgegen.

 

 

Ai Weiweis Lego-Serien

Seit einigen Jahren zieht der Künstler Lego™-Bausteine als Material heran. Es interessiert ihn das verpixelte Erscheinungsbild der Arbeiten und er verweist damit auf ein verfremdetes Original. Weiters steht das Bauen mit Lego für ihn für soziale Gleichheit. Mit der entsprechenden Vorlage ist es jeder Person möglich, das Bild nachzubauen, wodurch wiederum der Unterschied zwischen Kunst und Produkt thematisiert wird. Gleichzeitig werden die Grenzen zwischen sogenannter High Art und Low Art infrage gestellt.

2018 realisierte Ai Weiwei den chinesischen Tierkreis in Form von Lego®-Arbeiten. Die Köpfe der Tiere waren an jene seines „Circle of Animals“ angelehnt. Während die erste Version ausschließlich in Schwarz-Weiß gehalten war, ist jene von 2019 in Farbe umgesetzt. Jedem der 12 Tiere wird ein Hintergrund zugeordnet ist, der aus Ais Fotoserie „Study of Perspective“ stammt.

Im folgenden Jahr übersetzte Ai sowohl sein ikonisches Foto in der Aufzugskabine nach seiner Verhaftung oder jene medial ausgeschlachtete Aufnahme eines ertrunkenen zum Meeresboden gesunkenen Flüchtling in Lego®-Bilder. Für den chinesischen Künstler steht sein Bild für die zunehmende Bedeutung von Smartphones und Soziale Medien für den Aktivismus, zeigt es doch jenen Moment, in dem er vom Künstler zum Aktivisten wurde. Zugleich finden sich in seinem Werk „I Can’t Breathe“ (2019) auf legogrünem Hintergrund in Weiß auf Arabisch eingeschrieben Satz „Ich kann nicht atmen“, der Verweis auf den getöteten saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi und dessen letzte Worte als Kritik an der Gewalt gegen Regimekritiker. Weitere Themenkreise in diesem Jahr sind die Studentenproteste auf dem Tienamen Platz („Illumination“, 2019) sowie die Migration im Mittelmeer („The Navigation Route of the Sea-Watch 3 Migrant Rescue Vessel, June 2019”).

In seinen neuesten Lego™-Serien von 2020/21 beschäftigt sich Ai mit Ikonen der westlichen Kunstgeschichte, denen er chinesische Symbole und Attribute einschreibt wie den Pandabär in Peter Paul Rubens Gemälde „Der Raub der Töchter des Leukippos“ oder einen Flüchtling in Georges Seurats „Sonntagnachmittag auf der Insel La Grand Jatte“.

„Untitled (After Van Gogh) [Ohne Titel [Nach Van Gogh]]“ von 2020 basiert auf einem Bild aus Pakistan – aufgenommen anlässlich einer Heuschreckenplage in Afrika und am indischen Subkontinent. Ai Weiwei fühlte sich an Vincent van Goghs Ölgemälde „Le Semeur au soleil couchant [Der Sämann vor Sonnenuntergang]“ erinnert. Seiner Lego™-Arbeit könnte tatsächlich beides, Fotoaufnahmen oder Gemälde, zugrunde liegen. Der Künstler zieht mit diesem Werk eine Parallele zwischen van Goghs Feldarbeitern und den harten Lebensumständen in vielen Teilen der heutigen Welt.

Mit seinem jüngsten Lego™-Bild von 2022, „Water Lilies #1“, verbindet Ai Weiwei eine romantische Ansicht von Monets Giverny mit der dunklen Phase seines eigenen Lebens.

 

Water Lillies #1: Bilder

  • Ai Weiwei, Water Lilies Nr. 1, 2022, Legosteine, Foto © Ela Bialkowska/OKNO studio. © Bild mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Galleria Continua
  • Ai Weiwei, Water Lilies Nr. 1, 2022, Legosteine, Foto © Ela Bialkowska/OKNO studio. © Bild mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Galleria Continua
  • Ai Weiwei, Water Lilies Nr. 1, Tür, 2022, Legosteine, Foto © Ela Bialkowska/OKNO studio. © Bild mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Galleria Continua
  • Ai Weiwei, Water Lilies Nr. 1, Seerosen, 2022, Legosteine, Foto © Ela Bialkowska/OKNO studio. © Bild mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Galleria Continua

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.