André Kertész

Wer war André Kertész?

André Kertész (Budapest 2.7.1894–28.9.1985 New York City) war ein aus Ungarn stammender Fotograf der Klassischen Moderne (→ Klassische Moderne). Kertész ist heute für seine bahnbrechenden Beiträge zur fotografischen Komposition und zum Fotoessay bekannt. Im Jahr 1927 hatte er die erste Einzelausstellung eines Fotografen überhaupt. Kertész Werk wird in vier Perioden unterteilt: Ungarn (ab 1912), Paris (ab 1926), New York (ab 1936) und Internationale Periode (ab 1961).

Kindheit & Ausbildung

André Kertész wurde am 2. Juli 1894 in Budapest, Österreich-Ungarn, als Andor Kertész geboren. Er war der Sohn des jüdischen Buchhändlers Lipót Kertész und seiner Frau Ernesztin, geb. Hoffmann. Andor wurde von seinen Freunden „Bandi“ gerufen und war das mittlere Kind von drei Söhnen; seine Brüder hießen Imre (1890–1957) und Jenő (1897–?).

Als Kertészs Vater Lipót 1908 an einer Tuberkuloseerkrankung verstarb, war die verwitwete Ernesztin ohne Einkommensquelle und könnte ihre drei Kinder nicht ernähren. Ernesztins Bruder, Lipót Hoffmann, versorgte die Familie und kümmerte sich wie ein Vater um die Jungen. Die Familie zog bald auf Hoffmans Landsitz in Szigetbecse um. Kertész wuchs in einem gemächlichen Lebensrhythmus und einer pastoralen Umgebung auf, was auch seinen späteren Karriereweg prägen sollten.

Kertész sollte auf Wunsch des Vaters Börsenmakler werden. Er besuchte deshalb bis 1912 die Handelsakademie und begann an der Börse zu arbeiten. Im Gegensatz zu seinem älteren Bruder Imre, der sein ganzes Leben lang an der Börse in Budapest arbeitete, hatte Kertész wenig Interesse an diesem Bereich. Er fühlte sich von illustrierten Zeitschriften und Aktivitäten wie Angeln und Schwimmen in der Donau in der Nähe des Grundstücks seines Onkels angezogen. Im Jahr 1912 erwarb Kertész seine erste Kamera, eine ICA-4,5 × 6 Box und widmete sich als Autodidakt der Fotografie. Kertész' erste Begegnungen mit der Zeitschriftenfotografie inspirierten ihn, Fotografie zu lernen. Er wurde auch von Gemälden von Lajos Tihanyi (1885– 1938) und Gyula Zilzer (1898–1969) sowie von Gedichten beeinflusst.
In seiner Freizeit fotografierte André Kertész lokale Bauern, Zigeuner und die Landschaft der umliegenden ungarischen Tiefebene (die Puszta). Sein erstes Foto soll „Schlafender Bub, Budapest“ von 1912 sein. Bereits 1914, wie beispielsweise in „Eugene“ zu sehen, hatte er einen unverwechselbaren und reifen Stil entwickelt. Später erinnerte sich Kertész, dass seine Kamera „ein kleines Notizbuch, ein Skizzenbuch“ wurde:

„Ich fotografierte Dinge, die mich umgaben – menschliche Dinge, Tiere, mein Zuhause, die Schatten, Bauern, das Leben um mich herum. […] Ich habe das echte Leben fotografiert – nicht so, wie es war, sondern so, wie ich es gefühlt habe. Das Wichtigste ist: nicht analysieren, sondern fühlen.“1 (André Kertesz)

Im Ersten Weltkrieg diente André Kertész von 1914 bis 1918 und dokumentierte mit einer Tenax-4,5 × 6 cm-Kamera das Kriegsgeschehen. Kertész wurde 1915 durch eine Kugel verwundet und erlitt eine vorübergehende Lähmung seines linken Arms. Er wurde zur Genesung in ein Militärkrankenhaus in Budapest gebracht, später aber nach Esztergom verlegt, wo er weiterhin fotografierte. Dazu gehörte ein Selbstporträt für einen Wettbewerb in der Zeitschrift Borsszem Jankó. Sein berühmtestes Werk aus dieser Zeit war „Unterwasser Schwimmer, Esztergom“ (1917), das einzige erhaltene Werk einer Serie eines Schwimmers, dessen Bild vom Wasser verzerrt wird. Kertész hat sich Anfang der 1930er Jahre in seiner Fotoserie „Distortions“ intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt. Kertész erholte sich nicht schnell genug, um in den Kampf zurückzukehren. Aber 1916 gewann er den ersten Preis für ein Selbstporträt. Kertész‘ Fotografien wurden erstmals 1917 in der Zeitschrift „Érdekes Újság“ veröffentlicht.

Nach dem Kriegsende kehrte André Kertész an die Börse zurück. Dort lernte er seine spätere Frau Erzsébet Salomon (später: Elizabeth Saly, auch Sali) kennen, die ebenfalls an der Börse arbeitete. Während dieser Zeit und während seiner gesamten Karriere nutzte Kertész Elizabeth als Modell für seine Fotografien. Er machte auch zahlreiche Fotos von seinem Bruder Jenő. Kertész beendete seine Karriere an der Börse, um sich im Sommer 1921 in der Landwirtschaft und in der Imkerei zu versuchen. Kertész erhielt von seiner Mutter die Erlaubnis, in das Dorf Abony zu ziehen, wo er bei einem Künstler und Barkeeper wohnte. Dieser führte ihn in die Kunst des Coctailmischens ein, was Kertész als praktische Übung für das Kontrollieren des scheinbar Unkontrollierbaren interpretierte. Das Unterfangen war jedoch angesichts der politischen Unruhen, die die Revolution und die Ankunft des Kommunismus begleiteten, kurz. Während der Ungarischen Revolution im Jahr 1919 ging jedoch der allergrößte Teil seiner Glasnegative und Abzüge verloren.

Nach seiner Rückkehr an die Börse entschloss sich Kertész zur Emigration, um an einer der Fotoschulen Frankreichs zu studieren. Seine Mutter riet ihm davon ab, und er wanderte mehrere Jahre nicht aus. Tagsüber arbeitete er an der Börse, den Rest der Zeit widmete er sich der Fotografie.

1923 wählte der Ungarische Amateurfotografenverband eine seiner Fotografien für die Silbermedaille aus, unter der Bedingung, dass er die Aufnahme im Bromölverfahren druckte. Kertész gefiel das nicht, also lehnte er die Medaille ab. Stattdessen erhielt er ein Diplom des Vereins. Am 26. Juni 1925 verwendete das ungarische Nachrichtenmagazin „Érdekes Újság“ eines seiner Fotos für sein Cover, was Kertész große Aufmerksamkeit verschaffte. Zu dieser Zeit war er entschlossen, die Sehenswürdigkeiten in Paris aus ungewohnter Perspektive zu fotografieren und sich der Boheme anzuschließen.

Paris (1925–1936)

Im September 1925 zog André Kertész gegen den Willen seiner Familie nach Paris und begann, für Illustrierte zu fotografieren. Seine Einreisebeglaubigung nennt den Beruf „photographique réimprimer [fotografischer Drucker]“, ein Dunkelkammer-Techniker. Vermutlich hat er, obwohl dies nicht dokumentiert ist, im Entwicklungsprozess seine ersten Sporen verdient. Bald nach seiner Ankunft in Paris, wo er in einem kleinen Hotel in der Rue Vavin wohnte, änderte Kertész seinen Vornamen in André und kaufte sich eine der ersten Präzisionskameras (35 Millimeter). Er ließ seine Mutter, seine geheime Verlobte Elizabeth, beide Brüder und seinen kurz darauf verstorbenen Onkel Hoffmann in Ungarn zurück. Jenő wanderte später nach Argentinien aus. Elizabeth Kertész blieb, bis André Kertész sich in Paris so gut etabliert hatte, dass sie heiraten konnten. Kertész gehörte zu zahlreichen ungarischen Künstlern, darunter François Kollar, Robert Capa, Emeric Fehér, Brassaï, Julia Bathory und Anton Prinner, Man Ray, Germaine Krull und Lucien Aigner, die in dieser Zeit ebenfalls Ungarn verließen und nach Paris emigrierten.

Kertész und andere ungarische Künstler bildeten einen synergetischen Kreis. Als er seine Bildhauerfreunde besuchte, begeisterte er sich für den Kubismus. Er schuf Fotoporträts der Maler Piet Mondrian und Marc Chagall, der Schriftstellerin Colette und des Filmemachers Sergei Eisenstein. In den ersten beiden Jahren nach seiner Ankunft ließ sich Kertész deutlich von Le Corbusiers Bewegung „L’Esprit nouveau“ beeinflussen und wurde auch in die gleichnamige Publikation aufgenommen. Weitere Anregungen erhielt er von Alfred Stieglitz und Josef Sudek (1896–1976), die in den 1920er Jahren Postkartenpapier für ihre Kontaktabzüge entdeckten.

Kertész‘ Arbeiten erschienen unter anderen in der ersten illustrierten Zeitschrift, „VU“, der Frankfurter Illustrierten, der „London Times“ und der „Berliner Illustrirten Zeitung“. Er zeigte als erster Fotograf 30 Fotografien in einer Einzelausstellung in der Galerie „Au Sacre du Printemps“ in Paris (1927). Von den Einnahmen kaufte er sich seine erste Leica (kein Glasnegativ mehr!). Die nun folgende Periode in Paris zählt zu den produktivsten seiner Karriere; Kertész fotografierte täglich, wobei die Arbeit bis Ende der 1920er Jahre zwischen Zeitschriftenaufträgen und seinen persönlichen Werken aufgeteilt war. 1930 wurde Kertész auf der „Exposition Coloniale“ in Paris mit einer Silbermedaille für Verdienste um die Fotografie ausgezeichnet.

André Kertész lernte 1928 Brassaï kennen, der ihn einige Zeit lang bei seinen Reportagen unterstützte; weiteren Kontakt pflegte er mit Florence Henri. Im gleichen Jahr heiratete Kertész heimlich die französische Porträtfotografin Rosza Klein, alias Rogi André. Die Ehe war von kurzer Dauer und wurde 1932 geschieden, der Fotograf sprach nie darüber. Ebenfalls 1928 nahm er, zusammen unter anderen mit Man Ray und Nadar, am „Salon de l'Escalier“, dem „Premier Salon Indépendant de Photographie“ im Théâtre des Champs-Élysées teil und nahm seine Tätigkeit für das von Lucien Vogel (1886–1954) neu gegründete Fotomagazin „VU“ auf. Vogel veröffentlichte Kertész‘ Arbeiten als Fotoessays und ließ ihn bildlich über verschiedene Themen berichten. Der Fotograf war fasziniert von der Vielfalt der von Vogel vorgegebenen Themen.

Im Jahr 1929 erwarben die Staatliche Museen und Kunstbibliothek in Berlin und König-Albert Museum in Zwickau erste Arbeiten des Fotografen. Als er 1932 in der Julien Levy Gallery in New York ausstellte, belief sich der Preis von Kertész‘ Fotografien auf 20 US-Dollar (397 US-Dollar im Jahr 2023).

Im Jahr 1930 kehrte André Kertész nach Ungarn zurück, um seine Familie zu besuchen. Elizabeth folgte ihm 1931 nach Paris – trotz des Widerstands ihrer Familie. Elizabeth und André blieben für den Rest ihres Lebens zusammen und heirateten am 17. Juni 1933, obwohl seine Mutter Anfang 1933 verstorben war.

Distortion (1933)

Obwohl sich Kertész schon lange für Spiegel, Reflexionen und die Idee der Verzerrung der menschlichen Figur interessierte, untersuchte er ihre fotografischen Möglichkeiten erst ernsthaft, als ihn das französische Magazin „Le Sourire“ 1933 mit einer Reihe von gewagten Figurenstudien beauftragte. Kertész, der noch nie zuvor Akte fotografiert hatte, benutzte einen Schaufensterspiegel aus einem Pariser Vergnügungspark und benötigte vier Wochen, um etwa 200 Bilder von Najinskaya Verackhatz und Nadia Kasine herzustellen.

Die beiden Modelle zeigen sich nackt und in verschiedenen Posen, wobei die Reflexionen in einer Kombination aus Verzerrungsspiegeln eingefangen wurden, ähnlich einem Spiegelhaus. Auf einigen Fotos waren nur bestimmte Gliedmaßen oder Merkmale in der Reflexion sichtbar. Eine Handvoll dieser Verzerrungen sind überzeugend surreal und aufregend – nicht anders als Edvard Munchs berühmtes Gemälde „Der Schrei“ von 1893 (Nationalgalerie, Oslo).

Einige Bilder erschienen auch in der Ausgabe der Mädchenzeitschrift „Le Sourire“ vom 2. März und in der Ausgabe von „Arts et métiers graphiques“ vom 15. September 1933. Später in diesem Jahr veröffentlichte Kertész das Buch „Distortions“, eine Sammlung der Arbeit.

New York (1936)

Seit der Machtübernahme der NSDAP in Deutschland wuchsen soziale und politische Spannungen in Europa. Viele Zeitschriften brachten Geschichten über politische Themen und stellten die Veröffentlichung von Kertész wegen seiner unpolitischen Themen ein. Als seine Auftragsarbeiten zurückgingen und die Judenverfolgung zunahm, beschlossen Kertész und seine Frau, nach New York zu ziehen. Ihm wurde eine Stelle bei der Keystone-Agentur von Ernie Prince angeboten.

Das Paar kam am 15. Oktober 1936 an Bord der SS Washington in New York an. Sie wohnten im Beaux Arts Hotel in Greenwich Village. Kertész fand das Leben in Amerika schwieriger, als er es sich vorgestellt hatte, und es begann eine Zeit, die er später als „absolute Tragödie“ bezeichnete. Seine Probleme mit Englisch zu lernen, verschlimmerten seine Situation. Jahre nachdem er in Paris Französisch gelernt hatte, fiel es ihm schwer, sich eine weitere neue Sprache anzueignen. Dadurch fühlte er sich wie ein Außenseiter.

Seiner Künstlerfreunde beraubt, musste er auch feststellen, dass die Amerikaner:innen ablehnten, auf der Straße fotografiert zu werden. Kurz nach seiner Ankunft wandte sich Kertész an Beaumont Newhall, den Direktor der Fotoabteilung des Museum of Modern Art (MoMA), der eine Ausstellung mit dem Titel „Photography 1839–1937“ vorbereitete. Kertész bot Newhall einige Fotografien der Serie „Distortion“ an. Obwohl sich Newhall kritisch äusserte, stellte er die Fotos aus. Im Dezember 1937 hatte Kertész seine erste Einzelausstellung in der New Yorker PM Gallery.

Die Keystone-Agentur, die ihm Offsite-Arbeit angeboten hatte, forderte ihn auf, im Studio der Firma zu bleiben. Frustriert kündigte Kertész bei Keystone, nachdem Prince das Unternehmen 1937 verlassen hatte. Er wurde von „Harper's Bazaar“ für einen Artikel über das Kaufhaus Saks in der Fifth Avenue für ihrer Aprilausgabe 1937 beauftragt. Das Magazin setzte ihn weiterhin ein, und Kertész nahm auch Aufträge von „Town and Country“ an, um sein Einkommen aufzubessern. „Vogue“ lud den Fotografen ein, für das Magazin zu arbeiten, aber er lehnte ab, da er glaubte, dass dies keine angemessene Arbeit für ihn sei. Er entschied sich, für das „Life-Magazin“ zu arbeiten und begann mit einem Artikel namens „The Tugboat“. Dafür fotografierte er jedoch nicht nur Schlepper, sondern auch Arbeiten am gesamten Hafen und andere Aktivitäten. „Life“ weigerte sich, die nicht autorisierten Fotos zu veröffentlichen, was Kertész ärgerte.

Am 25. Oktober 1938 druckte „Look“ eine Serie von Kertész-Fotografien mit dem Titel „A Fireman Goes to School“; schrieb sie aber fälschlicherweise Ernie Prince, seinem ehemaligen Chef, zu. Wütend darüber überlegte Kertész, seine Zusammenarbeit mit Fotomagazinen gänzlich abzubrechen. Seine Arbeit wurde 1937 in der Zeitschrift „Coronet“ veröffentlicht; jedoch 1939 wurde er in der Sonderausgabe mit ihren „denkwürdigsten Fotografien“ nicht aufgenommen. Später trennte er alle Verbindungen zum Magazin und seinem Herausgeber Arnold Gingrich.

Nachdem Kertész von der Juni-Ausgabe 1941 der „Vogue“ ausgeschlossen wurde, die der Fotografie gewidmet war, brach Kertész die Beziehungen zu ihnen ebenfalls ab. Er hatte zu mehr als 30 in Auftrag gegebenen Fotoessays und Artikeln sowohl in „Vogue“ als auch in „House and Garden“ beigetragen, wurde aber von der Liste der vorgestellten Fotografen gestrichen.

1941 wurde das Ehepaar Kertész wegen des Zweiten Weltkriegs als feindliche Ausländer eingestuft, da Ungarn auf Seiten der Achsenmächte kämpfte. André Kertész war es nicht gestattet, im Freien zu fotografieren oder Projekte im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit durchzuführen. Um Ärger zu vermeiden, weil Elizabeth eine Kosmetikfirma (Cosmia Laboratories) gegründet hatte, hörte Kertész auf, Auftragsarbeiten zu machen, und verschwand für drei Jahre aus der fotografischen Welt.

Am 20. Januar 1944 wurde Elizabeth Kertész US-Bürgerin; und André Kertész wurde am 3. Februar eingebürgert. Trotz der Konkurrenz durch Fotografen wie Irving Penn erhielt Kertész wieder Aufträge. Er wurde zwar aus der Liste der 63 Fotografen gestrichen, die Vogue in ihrem „fotografischen Stammbaum“ als bedeutsam identifizierte, aber „House and Garden“ beauftragte ihn, Fotos für eine Weihnachtsausgabe zu machen. Außerdem bot ihm László Moholy-Nagy, Direktor der New Bauhaus – American School of Design, im Juni 1944 eine Stelle als Lehrer für Fotografie an. Trotz der Ehre lehnte Kertész das Angebot ab.

House and Garden

Als das Kosmetikgeschäft seiner Frau boomte, schloss Kertész 1946 einen langfristigen Exklusivvertrag mit „House and Garden“. Obwohl es seine redaktionelle Freiheit einschränkte und viele Stunden im Atelier erforderte, war die Bezahlung von mindestens 10.000 US-Dollar pro Jahr2 zufriedenstellend. Alle fotografischen Negative wurden ihm innerhalb von sechs Monaten für seinen eigenen Gebrauch zurückgegeben. Kertész arbeitete in den Kulissen vieler berühmter Häuser und bemerkenswerter Orte sowie in Übersee, wo er erneut nach England, Budapest und Paris reiste, Freundschaften erneuerte und neue schloss. Während der Zeit von 1945 bis 1962 bei „House and Garden“ veröffentlichte das Magazin mehr als 3.000 seiner Fotografien, und er schuf sich in der Branche einen hohen Ruf. Mit wenig Zeit für seine persönliche Arbeit fühlte sich Kertész ausgehungert, um mehr künstlerische Kreativität ausüben zu können.

Day of Paris

Nachdem die US-Truppen Frankreich befreit hatten, versuchte er, seine Negative aus Paris in die USA zu überführen, aber wie schon nach dem Ersten Weltkrieg war ein Großteil seiner Negative zerstört worden. 1945 veröffentlichte Kertész ein neues Buch, „Day of Paris“, bestehend aus Fotografien, die kurz vor seiner Emigration aus Frankreich aufgenommen wurden. Es erzielte damit einen durchschlagenden Kritikererfolg. Ein Jahr später (1946) widmete das Art Institute of Chicago Kertész eine Einzelausstellung, wo er Fotografien aus seiner Serie „Day of Paris“ zeigen konnte. Laut Meinung des Künstler war dies eine seiner großartigsten Zeiten in den Vereinigten Staaten. Trotz des Erfolgs der Ausstellung in Chicago erhielt Kertész erst 1962 eine weitere Ausstellung, als seine Fotografien an der Long Island University gezeigt wurden.

Von 1949 bis 1962 arbeitete Kertész fast ausschließlich für Publikationen aus dem Condé-Nast-Verlag in New York City. Nach schwerer Krankheit beendete er 1962 sein festes Engagement, blieb aber bis kurz vor seinem Tod künstlerisch tätig.

Washington Square Park

1952 zogen er und seine Frau in eine Wohnung im 12. Stock in der 2 Fifth Avenue in der Nähe des Washington Square Park. Der Park wurde die Kulisse für einige seiner besten Fotografien seit seiner Einwanderung in die USA. Mit einem Teleobjektiv nahm Kertész eine Serie des schneebedeckten Washington Square auf, die zahlreiche Silhouetten und Spuren zeigte. 1955 wurde seine Arbeit ausgeschlossen, als Edward Steichens „The Family of Man“-Ausstellung im MoMA gezeigt wurde. Kertész lebte während des Baus und der Einweihung des ehemaligen World Trade Centers in der 2 Fifth Avenue. Vor seinem Tod fotografierte er die Twin Towers mehrfach von seiner Wohnung aus.

Internationale Periode

Gegen Ende des Jahres 1961 löste Kertész nach einem kleinen Streit seinen Vertrag mit dem Verlag Condé Nast und begann wieder mit seiner eigenen Arbeit. Diese spätere Zeit seines Lebens wird oft als „Internationale Periode“ bezeichnet, als er weltweite Anerkennung erlangte und seine Fotos in vielen Ländern ausgestellt wurden.

Im Jahr 1962 stellte er Fotografien in Venedig aus; 1963 war er dort einer der eingeladenen Künstler der „IV Mostra Biennale Internazionale della Fotografia“ und wurde für sein Engagement für die Fotoindustrie mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Bibliothèque nationale de France zeigte 1963 seine Arbeit in Paris. Später besuchte er Argentinien, um seinen jüngeren Bruder Jenő zum ersten Mal seit Jahren wiederzusehen.

1964, kurz nachdem John Szarkowski Direktor für Fotografie am Museum of Modern Art geworden war, stellte er Kertész in einer Einzelausstellung vor. Mit seiner von der Kritik gefeierten Arbeit erlangte Kertész Anerkennung in der Fotowelt als bedeutender Künstler und wurde 1965 zum Mitglied der American Society of Media Photographers ernannt. Kertész‘ Fotografien wurden ab nun in zahlreichen Ausstellungen auf der ganzen Welt gezeigt.

Trotz seiner Erfolge fühlte sich Kertész als Fotograf immer noch verkannt. Seine letzten Jahre verbrachte er damit, für seine Ausstellungen über die ganze Welt zu reisen, insbesondere nach Japan. Dies führte zu neuen Freundschaften mit anderen Künstlern. Um mit dem Verlust seiner Frau im Jahr 1977 fertig zu werden, griff Kertész auf sein neues Netzwerk zurück und besuchte sie oft, um sich zu unterhalten. Zu diesem Zeitpunkt soll er grundlegendes Englisch gelernt und in dem gesprochen haben, was seine Freunde „Kertészian“ nannten, eine Mischung aus Ungarisch, Englisch und Französisch.

Die Polaroid Corporation schenkte 1979 André Kertész eine ihrer neuen SX-70-Kameras, mit der er bis in die 1980er Jahre experimentierte. Kertész experimentierte auch mit Farbfotografien, schuf aber nur wenige wie beispielsweise für das Fotobuch „From My Window“ (1984).

1980 saß André Kertész für den kanadischen Künstler Arnaud Maggs für das groß angelegte Porträtprojekt „André Kertész, 144 Views“ (1980). Laut Maggs beschrieb Kertész das Werk als „Porträtmosaik“.

Fotobücher

Ab 1933 veröffentlichte André Kertész Fotobücher:

  • 1933: „Enfants“, das erste Fotobuch Kertész‘. Er widmete „Enfants“ seiner Verlobten Elizabeth und seiner Anfang des Jahres verstorbenen Mutter.
  • 1933: Distortions
  • 1934: Paris, gewidmet seinen Brüdern Imre und Jenő.
  • 1936: Nos Amies les bêtes [Unsere Freunde die Tiere]
  • 1937: Les Cathédrales du vin [Die Kathedralen des Weins]

Ehrungen und Preise

  • 1974: Guggenheim-Stipendium
  • 1974: Kommandeur des französischen Ordre des Arts et des Lettres
  • 1977: Kertész erhielt den Mayor's Award of Honor for Arts and Culture in New York
  • 1980: Medaille der Stadt Paris
  • 1980: Erster Jahrespreis der Association of International Photography Art Dealers in New York
  • 1981: Ehrendoktorwürde der Schönen Künste vom Bard College
  • 1981: Ehrenpreis des New Yorker Bürgermeisters für Kunst und Kultur
  • 1982: Kertész erhielt den National Grand Prize of Photography in Paris.
  • 1982: Kertész erhielt den 21. George Washington Award der American Hungarian Foundation.
  • 1983: Verleihung des Titels Chevalier de la Légion d'honneur in Paris: zusammen mit einer Wohnung für zukünftige Besuche in der Stadt
  • 1983: Ehrendoktorwürde des Royal College of Art
  • 1984: erster Annual Lifetime Achievement Award des Maine Photographic Workshop
  • 1985: Californian Distinguished Career in Photography Award
  • 1985: erster Annual Master of Photography Award, verliehen vom International Center of Photography
  • 1985: Ehrendoktorwürde der Parson's School of Design der New School for Social Research
  • 1986: Kertész wurde posthum in die International Photography Hall of Fame and Museum aufgenommen.
  • 2002: Ein New Yorker Foto von Kertész erscheint auf einer 37-Cent-US-Briefmarke, Teil einer Masters of American Photography-Serie.

Tod

Im Jahr 1984 erwarb das Metropolitan Museum of Art 100 Abzüge von André Kertesz‘ Fotografien. Das ist seine größte Erwerbung von Werken eines lebenden Künstlers. Ebenfalls 1984 begann auch das J. Paul Getty Museum, die Fotografien von André Kertész zu sammeln; heute umfasst die Kollektion mehr als 164 Arbeiten des Künstlers.

André Kertész starb am 28. September 1985 im Alter von 91 Jahren in New York City. Er wurde eingeäschert und seine Asche wurde mit der seiner Frau beigesetzt.

Literatur zu André Kertész

  • Michel Frizot, Annie-Laure Wanaverbecq, André Kertész (Ausst.-Kat. Galerie Nationale du Jeu de Paume, Paris, 28.9.2010–6.2.2011; Fotomuseum Winterthur, 26.2.2011–15.5.2011; Martin-Gropius-Bau, Berlin, 11.6.2011–11.9.2011; Ungarisches Nationalmuseum, Budapest, 30.9.2011–31.12.2011), Ostfildern 2010.
  • Reinhold Mißelbeck, André Kertész, in: Photographie des 20. Jahrhunderts (Ausst.-Kat. Museum Ludwig Köln), Köln 1996.
  • André Kertész: Photographs from the J. Paul Getty Museum, hg. v. John Harris und Mollie Holtman (Ausst.-Kat. ‎J. Paul Getty Museum 1994), Los Angeles 1994.
  • Hans-Michael Koetzle, Photo Icons. Band 2.
  • André Kertész. Momente eines Lebens, Kehl 1982.

Beiträge zu André Kertész

  1. Zitiert nach André Kertész: Photographs from the J. Paul Getty Museum, hg. v. John Harris und Mollie Holtman (Ausst.-Kat. ‎J. Paul Getty Museum 1994), Los Angeles 1994, S. 20.
  2. 139.000 US-Dollar pro Jahr im Jahr 2023.