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Die 70er Jahre: Expansion der Wiener Kunst Feminismus, Abstraktion und erste Medienkunst

Kurt Ingerl, Struktur, 1978, Foto: Alexandra Matzner.

Kurt Ingerl, Struktur, 1978, Foto: Alexandra Matzner.

Die Kunst der 1970er Jahre unter dem Titel „Expansion der Wiener Kunst“: Bereits ein schneller Rundgang zeigt, wie viel die heutige Kunstszene diesem Jahrzehnt verdankt, und wie viele Künstlerinnen und Künstler von den großen Ausstellungshäusern sträflich vernachlässigt werden.

Kunst der 70er Jahre bedeutet Aufbruch! Feministische Künstlerinnen wollen die traditionellen Rollenfestschreibungen als solche nicht mehr akzeptieren, kenntlich machen und ihnen entkommen, wie die Medienkünstler_innen den althergebrachten Formen und Präsentationsweisen von Malerei und Skulptur. Kunst der 70er Jahre bedeutet aber auch die Infragestellung von Wissensinhalten. Die neuen Medien Video und Computer symbolisieren die anhaltende Technikgläubigkeit des Jahrzehnts, die jedoch (medien)kritisch hinterfragt und dekonstruiert wird. Von den Wiener Aktionisten wurden Performances bereits in die Wiener Szene eingeführt, die nun v.a. von feministischen Künstlerinnen als Ausdrucksform genutzt wird, um gesellschaftliche Schranken zu thematisieren und zu bekämpfen. Die konzeptuelle Basis der Kunstwerke – ihre politische, gesellschaftliche Dimension – nimmt deutlich zu. Dennoch wird weiter und vor allem ab Mitte des Jahrzehnts expressiv gemalt, figurativ skulpiert und abstrakt gestaltet.

 

Objektkunst statt Bildhauerei

Eines vorneweg – mit Ausnahme von Arnulf Rainer, der in den 70ern seinen internationalen Durchbruch feierte, sind die während der 70er Jahre berühmtesten und arriviertesten Künstler nicht präsent, da sie bereits in der 60er Jahre Ausstellung zu sehen waren: Die „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“ auf Seite der Malerei und Fritz Wotruba für die Bildhauerei repräsentierten den Geschmack des Bildungsbürgertums und besetzten die wichtigsten Akademieprofessuren der Zeit. Im Jahr 1977 übernahm Bruno Gironcoli Wotrubas Lehrstuhl an der Akademie der bildenden Künste, eine Sensation, war der Künstler kein Bildhauer der Wotruba-Schule, sondern ein Objektkünstler, der seine Werke u.a. aus Alltagsgegenständen zusammenführte und auf den Boden stellte. Gironcoli ist mit einer Kopf-Zeichnung aus dem Jahr 1971 im MUSA vertreten, die auf Gironcolis Übergang zu stark abstrahierten Kopf-Formen Mitte der 60er Jahre verweist.1 Wenn Gironcoli selbst nicht mit einem Objekt aus dieser Zeit vertreten ist, so lässt Fritz Steinkellners „Raum, Andeutung einer Figur (Raum für eine Prothese)“ (1971) an eine Auseinandersetzung (beider) mit der Frankfurter Schule und Max Horkheimers Publikationen aber auch eine Aufarbeitung verdrängter Gewalterfahrungen aus dem 2. Weltkrieg denken. Steinkellner deutet seine Figur mit Hilfe von Prothesen an, der Raum wird (vergleichbar in Gemälden von Francis Bacon) durch eine Käfigstruktur begrenzt, Mullbinden ergänzen die Andeutung von Zerstörung des menschlichen Körpers, von Schmerz und Einsamkeit. Der verletzte Leib anstelle heroischer Körpermassen, die Heterogenität der eingesetzten Materialien (Farbe, Oberflächenstrukturen, Haptik) und der Raum als sich ausdehnende Größe wurden in den 70ern zu wichtigen Kriterien der Objektkunst. Auch Gerda Fassels Diplomarbeit, ein fragmentierter, massiver Frauenleib, arbeitet mit der Idee der Raumverdrängung fernab aktueller Schönheitsvorstellungen.

 

 

Besonders inspirierend wirkten sich (nicht nur in Wien) die Aktionen von Joseph Beuys aus, wobei der Kommentar von Franz Graf „Wien freut sich auf Beuys“ (1979) zwischen Todesernst und Ironie angesiedelt sein könnte.
Im Vergleich dazu wirkt Curt Stenverts „Die Blume ist die Botschaft“ (1970) wie ein Hippie-Traum aus den vergangenen 60er Jahren. Das an einer Seite mit Text2 beschriftete Objekt verbindet zwei mit Falken jagende Reiter im Blumenhain, letztere baumhoch gewachsen und aus topmodischem Plastik geformt. Alles bunt, alles schön, alles weltentrückt!

 

 

Die „Wirklichkeiten“

Eine weitere Facette der 70er Jahre-Kunst, die die späten 60er Jahre mit den frühen 70ern verbindet, ist die Gruppierung der „Wirklichkeiten“, bestehend aus Wolfgang Herzig, Martha Jungwirth, Kurt Kocherscheidt, Peter Pongratz, Franz Ringel und Robert Zeppel-Sperl, die im Mai 1968 in der von Otto Breicha kuratierten Secessionsausstellung zu einer Gruppe formiert wurde. Die befreundeten Künstler sind weder stilistisch noch formal oder inhaltlich unter einen Hut zu bringen, weshalb sie sich Wirklichkeiten (im Plural) nannten. Kurt Kocherscheidt berichtete Jahrzehnte später, dass sie versucht hätten, möglichst triviale und unzeitgemäße Bildinhalte „geradezu wettbewerbsmäßig auszuloten“, der Unterschied zu den Malern rund um Monsignore Otto Mauer sollte möglichst groß ausfallen.3 Der durchschlagende Erfolg der Ausstellung ließ die Beteiligten auch noch Anfang der 70er Jahre unter dem Gruppenlabel auftreten. In der 70er Jahre-Ausstellung des MUSA ist ein Erdschnitt von Peter Pongratz zu sehen, Zeppel-Sperl ist noch immer von der Ästhetik der Beatles-Cover der späten 60er Jahre beeinflusst und Franz Ringel verbindet nackte Menschen mit Rohren. Ringel erinnert in seiner Thematisierung der „Biomechanik“ an den Schweizer H.R. Giger (→ Ars Electronica 2013: Total Recall) und dessen Alien-Weltraum-Fantasien wie Bruno Gironcolis Körpermaschinen. Der wichtigste Beitrag in der Wirklichkeiten-Koje stammt zweifelsohne von Martha Jungwirth (* 1940), die in ihrer Indesit-Serie bereits den weiblich konnotierten Haushalt als titelgebendes Atelier nutzt und damit auf ihr Frausein anspielt. Auf einem riesigen Blatt zeichnete sie ihre Küchengeräte fein säuberlich ab, bevor sie die „ordentliche“ Zeichnung durch schwarze Flecken überarbeitete. Braut sich hier etwas Ungeheuerliches zusammen?

 

 

Konsumkritik und Existenzangst

Nicht nur einige der wichtigsten Objektkünstler Österreichs beschäftigten sich in den 70er Jahren mit der Frankfurter Schule und ihren Schriften. Roman Scheidl (* 1949) stellte bereits 1976 als jünger Künstler in der Graphischen Sammlung Albertina seine Farbradierung „Hauseinsturz“ (1975) aus. Im Ausstellungskatalog stellt Scheidl das Konzept seiner Komposition mit dem Statement vor: „Was passiert, wenn man zu der Einsicht gelangt, daß (sic!) alles, wovon man heute noch überzeugt ist, morgen auf Grund von neuen Erfahrungen und Erlebnissen nicht mehr stimmt!“ Scheidl und die Generation der 70er Jahre empfand sich in einer Krise und die Texte der Frankfurter Schule, würden sirenenhaft diese Gefahren ankündigen. „Hauseinsturz“ ist die breitangelegte Vision einer illusionslosen Weltschau, einer Konsum- und Gesellschaftskritik. Im oberen Bereich ist der breitbeinig stehende Peter Handke zu erkennen, im Keller dafür eine Hitler-Figur und missgestaltete Kinderkörper, ein Kopf sieht aus wie ein Charly Chaplin-Porträt. Die Misere des menschlichen Lebens wird in der Gegenüberstellung der Landschaft und der kranken Körper ausgedrückt. Während für manche Bildhauer der Mensch zwar immer mitgedacht aber durch Partialobjekte ersetzt wird, ist Scheidls früher Realismus genauso geheimnisvoll wie schockierend und abgründig.

Neben Scheidl verteten auch Anton Fleck und Heinz Stangl die Albträume der Konsumwelt. Eine neue Bedrohung wird zudem in der Umweltverschmutzung verortet, die von Lois Weinberger, Linde Waber, Ingeborg G. Pluhar in Environments, Collagen aus Illustrierten und Druckgrafiken als Bedrohung des menschlichen Lebens bildhaft umgesetzt wird.

 

 

Die Ismen der 70er Jahre

Vor vielen Ismen der 70er Jahre steht das Präfix Neo: Neo-Konstruktivismus, Neue Wilde oder Neo-Expressionismus (siehe unten). Wirklich neu, so könnte man anfügen, sind hingegen der Feminismus und die Neuen Medien.
Die Kuratoren Berthold Ecker und Johannes Karel entschieden sich für Kurt Ingerls (1935-1999) „Struktur“ (1978) als Plakatmotiv. Der Pionier der Computerkunst in Österreich, der selbst nie einen PC besaß, entwickelte einen Algorithmus, um streng konstruktivistische Gemälde und Skulpturen zu konzipieren. Die errechnete Struktur setzt er mit Lackfarben und Hard Edge Technik präzise, wie von Maschinen gefertigt auf Hartfaserplatten um. Jede Geste, alles Menschliche scheint in den Bildern eliminiert. Während Hildegard Joos in ihren Abstraktionen Harmonie und Ausgleich trotz auseinanderstrebender Teile suchte und meist über Spiegelungen und Parallelsetzungen fand, geht es Ingerl um die Aufteilung und unendliche Variationsbreite eines klar definierten Feldes. Das Bild besteht aus aneinandergereihten Quadraten, die in fünf Streifen unterteilt sind. Die Streifen werden mit Schwarz bzw. Rot oder Blau gefüllt. Die Quadrate lassen sich in der Folge drehen, erneut unterteilen und nehmen so unterschiedlichste Figurationen an, obwohl sie immer dem gleichen Muster unterliegen.

Diese positive Hinwendung zur Maschine, dem Design (über den Werkstoff Lack), die Aufladung der Objekte über glänzende Oberflächen (z.B. Silber) lassen sich in einigen der bildhauerischen Arbeiten im MUSA feststellen: Peter Pertz` großes Spiegel-Objekt aus dem Bereich „Kunst am Bau“, das die Bersucher_innen am Eingang empfängt, befand sich ursprünglich in einem Wiener Studentenheim in der Nähe der Bar!

 

 

Kunst von Frauen – Feminismus – Gründung von IntAkt

Vor allem die Zweite Frauenbewegung sollte im Wien der 70er Jahre zu wichtigen Veränderungen führen. Frauen-Kunst wurde von der männlich dominierten Kunstwelt marginalisiert, wogegen eine gerade aufstrebende Generation von Künstlerinnen vehement rebellierte.
Renate Bertlmann (* 1943) brachte im persönlichen Gespräch das Motto der Kunst-Aktivistinnen auf den Punkt: „Schwanz ab!“, war die Devise, Penisse zu zeichnen (z.B.: Florentina Pakosta), ein revolutionäres Bekenntnis. Bertlmann dekonstruierte den Mythos der Braut wie der Mutter, indem sie Schnuller als Symbol für den Kinderwunsch einsetzte. Die Sammlung der Stadt Wien hat eine feine Entwurfszeichnung „Wunsch abnehmend“ (1976), das dazugehörige Schnuller-Objekt traute man sich offenbar nicht zu erwerben. Gemeinsam mit Linda Christanell (* 1939) und Margot Pilz (* 1936) bilden die Wiener Künstlerinnen innerhalb von „IntAkt“ („Internationale Aktionsgemeinschaft bildender Künstlerinnen“, gegründet 1977) eine diskussionsfreudige und international beachtete Speerspitze im Kampf um die Rechte der Frauen.4 Anlass war eine vom Bildungsministerium geplante Schau mit Werken von österreichischen Künstlerinnen mit einer ausschließlich männlich besetzten Jury im Völkerkundemuseum (heute: Weltmuseum)! Nachdem die Proteste gegen diese Behandlung ungehört verhallten, sagten 46 Kunstschaffende ihre Teilnahme ab und formulierten ihre Kritik im Maßnahmenkatalog „Verbesserung der Situation der bildenden Künstlerin in Österreich“.5 Die männlich dominierte Kunstszene und –geschichte sollte aufgebrochen werden. Daher experimentierten die Pionierinnen von IntAkt mit teils gemeinschaftlichen Performances, nutzten Neue Medien und entwickelten körper- bzw. prozessorientiertes Arbeiten. Erfahrungen von Diskriminierung und die Reduktion auf die „Rolle als Hausfrau und Mutter“ zeigen die Werke von Lotte Hendrich-Hassmann (* 1932-2007) und Auguste Kronheim im MUSA deutlich. Die Medienkünstlerin Hendrich-Hassmann setzt die drei „Ks“ - Kinder, Küche, Kirche – mittels Fotografien aus Illustrierten als „Frauen-Scheinwelten“6 (Hendrich-Hassmann) zusammen.

Margot Pilz stellte 1979 in „Das letzte Abendmahl. Eine Hommage an Kremser Schmidt“ die, wie sie selbst formulierte, „Religionsvorstellungen des Patriarchats infrage und widmete die Fotografie an die um ihre Selbstbestimmung ringenden Künstlerinnen“7. Margot Pilz ist wie ihre Kolleginnen als feministische Künstlerin auch an den neuen Medien interessiert, da diese noch nicht mit Traditionen besetzt waren. Performance, Fotografie und Computer sind für Konzeptkünstlerin die perfekten Medien, um experimentell arbeiten zu können. Im Gegensatz dazu nutzte die Wienerin Lieselott Beschorner mit Häkeln und Stricken dezidiert weiblich konnotierte Methoden, um ihre „Hausgeister“ herzustellen. Auguste Kronheim setzt die alte Technik des kolorierten Holzschnitts dazu ein, die „Aufgaben der Frau“ aus einem Hauswirtschaftsbuch für Mädchen zu demontieren, indem sie Ideal und Wirklichkeit heftig aufeinanderprallen lässt.

Dass nicht jede IntAkt-Künstlerin den akademischen Kunstbegriff sprengen, sondern in diesem auch reüssieren wollte, beweisen Hildegard Joos (1909-2005) und Angelika Kaufmann (* 1935). Joos wurde 1958 für die erste Einzelausstellung einer Künstlerin in der Wiener Secession eingeladen (Mitglied seit 1954). Das für ihr Schaffen in den 70er Jahren typisches, schwarz-weißes Rasterbild ist eines der seltenen Beispiele für konstruktives Gestalten in der österreichischen Nachkriegskunst. Angelika Kaufmann ist heute für ihre seit 1970 entstehenden Kinderbuchillustrationen (u.a. mit Mira Lobe, Friederike Mayröcker, Barbara Frischmuth, Christine Nöstlinger u. v. a.) bekannt. Das MUSA zeigt sie als Feministische Künstlerin, die das „Private öffentlich“ macht und die Verbindungen von Sexualität und Dominanz thematisiert.

Als wichtiges Rollenvorbild für die IntAkt-Frauen konnte neben Hildegard Joos auch VALIE EXPORT dienen, denn Maria Lassnig sollte erst Ende der 70er Jahre wieder aus New York nach Wien zurückkehren und 1980 als erste Frau eine Professur an der Hochschule für Angewandte Kunst erhalten (heute: Universität für Angewandte Kunst). Die Ende der 60er Jahre mit inzwischen berühmten Aktionen wie dem „TAPP und TASTKINO“ (1968) oder „Aktionshose: Genitalpanik“ (1969) Furore machende Künstlerin VALIE EXPORT organisierte zwischen 7. März und 5. April 1975 in der Galerie nächst St. Stephan die Ausstellung „MAGNA. Feminismus: Kunst und Kreativität“8. Die Künstlerin hatte bereits seit 1972 an dem Konzept gearbeitet, jedoch wollte keine der Wiener Institutionen die Schau zeigen. Mit dieser kuratorischen Arbeit zählt VALIE EXPORT auch zu den Protagonistinnen einer feministischen und kritischen Kunst. Dass die in Oberösterreich geborene Künstlerin Grenzen sprengt, zeigt die Arbeit im MUSA deutlich: Die Wegbereiterin des experimentellen Films und Kinos ist mit Fotografien und den Relikten einer abgebrannten und in Wien vor der Galerie wieder aufgebauten Steinmauer vertreten.

 

 

Fotografie als neu anerkannte Kunstform

In den 70er Jahren erobert sich die Fotografie ihren Kunststellenwert endgültig, sichtbar u.a. am Erwerb erster Fotoarbeiten durch die Stadt Wien. Wenn auch Hubert Sieleckis (* 1946) Werk aufgrund seiner surrealen Komposition und dem „malerischen“ Oberflächeneffekt nicht auf den ersten Blick als Fotografie erkennbar ist, ist „Schizophranus“ aus der Serie „Mutationen“ (1974; 1975 im Künstlerhaus erstmals ausgestellt) unabhängig von seiner Technik erworben worden. Der starke Kontrast wird durch die selbst gemachte Vergrößerung und der Verschluss der Oberfläche mittels einer Kunstharzschicht erreicht.
Erst die konzeptuelle Fotoserie von Cora Pongracz (1943-2003) wurde Ende der 70er Jahre als „sammlungswürdig“ anerkannt. Sie zeigt in zehn Aufnahmen Ernst Jandl meist auf einem Regiestuhl sitzend und mit einer Kamera in der Hand selbst fotografierend. Es geht nicht nur um die Unmöglichkeit, eine Person, ihr Aussehen, ihren Charakter in einer Fotografie einzufangen, sondern auch um eine Reflexion über das Medium Fotografie selbst. Die Bilder enthüllen nichts, da sich der Schriftsteller hinter der Linse zu verstecken scheint, selbst einen Blick zurückwirft, die Fotografin abfotografiert. Ähnlich der Auffassung der Performance-Künstlerinnen der Zeit (z.B. Linda Christanell mit ihrem Video „Fingerfächer“ von 1975/2009) sind Körper und Maschine Produzenten der Bilder und Abgebildete gleichermaßen.

Das Arbeiten in Serien ist in den 1970er Jahren für Fotokünstlerinnen und Fotokünstler maßgeblich: Fritz Simak hält das „Testbild“ des ORF fest, Peter Dressler interessiert sich für die übersehenen Kellergitter und ihre ästhetische Umsetzung, Friedl Kubelka hält an den Stadträndern von Wien das abrupte Zusammentreffen von Hochhäusern, Gasometern und kleinstädtischen Strukturen oder Franz West an einem ganzen Tag fest. Für West inszenierte sie auch Fotografien von den Passtücken. Peter Weibels (* 1944) „Die unendliche 1-Wort-Ausstellung“ (Mai 1977) hingegen macht auf das fragmentierte Sehen durch die Fotografie aufmerksam, wenn er ein Wort mit der Hand aufschreibt, dieses fragmentiert, abfotografiert und dieser Prozess so lange wiederholt bis am Ende eine abstrakte Linienformation entsteht, die keinen Hinweis mehr auf das Ausgangsmaterial erlaubt.

 

 

Tod und Renaissance der Malerei: Die Neuen Wilden

Wenn auch so manche Zeitgenossen mutmaßten, dass die neo-expressive Malerei der sog. „Neuen Wilden“ ein kurzlebiges Produkt des Kunstmarktes und der daran anhängenden Kuratoren wären, so hat der seit Jahren anhaltende Erfolg der malenden Generation rund um Siegfried Anzinger, Hubert Schmalix, Thomas Reinhold (im MUSA mit einer prozessualen Fotoarbeit zu sehen) und Alfred Klinkan ihnen nicht Recht gegeben. Der „Tod der Malerei“ wurde von vielen Seiten beschworen, wenn auch Zeitgenossen wie Jorg Hartig ihre malerischen Experimente auch in diesem Jahrzehnt weiter betrieben (→ Jorg Hartig. REALPOP). In der Zwischenzeit wurde die Annahme als Mythos entlarvt, denn weder Performance noch Neue Medien konnten den Malereiboom zum Erliegen bringen. Das Malerische, die offene Pinselführung sind die wenigen Begriffe, auf die die Gruppierung der „Neuen Wilden“ zurückgeführt werden können (→ Neue Wilde | Junge Wilde). Es finden sich in den für die Künstler wichtigen Ausstellungen Anfang der 80er Jahre sowohl abstrakt als auch figurativ malende. Der seit 1981 in Köln lebende Siegfried Anzinger (* 1953) ist der einzige, der sich von Motiven aus der Kunstgeschichte inspirieren ließ. Der im MUSA gezeigte „Kopf“ aus dem Frühwerk des Künstlers, lässt eine formal stark reduzierte Figur erkennen. Der „Kopf“ ist sowohl nach links als auch rechts lesbar, aus der Augen-Nase-Mund-Partie ließe sich auch ein Strichmännchen generieren. Anzingers Malerei ist in den 70ern weder heftig noch wild, sondern zeichnet sich durch Ruhe und eine „milde, melancholische Stimmung“ (Lóránd Hegy) aus.9

Jürgen Messensee (* 1936), dessen Bild „Liegender Frauenakt“ nur in Kenntnis des Bildtitels als traditionelle Odaliske zu erkennen ist, experimentiert ebenso seit den 70er Jahren mit der Figuration, graffittihaftem Linienarrangement, bis hin zu sparsamen Notationen, wird jedoch nicht den Neuen Wilden zugerechnet.

 

 

Die 70er im Überblick

Die von Berthold Ecker, Leiter des Referats Kunst an der Kulturabteilung der Stadt Wien, kuratierte Schau ist eine vielschichtige Zusammenstellung von Werken bekannter bis kaum bekannter Künstler und Künstlerinnen, die von Ko-Kurator Johannes Karel zu einer ästhetisch und inhaltlich stimmigen Präsentation zusammengestellt wurde. Formalen und thematischen Gruppenbildungen strukturieren die gezeigten Werke, deren Heterogenität den Wandel von der industriellen in die postindustrielle Gesellschaft mit steigender Individualisation, die Emanzipation der Frau und das kritische Hinterfragen von Ideologien, Konsumverhalten, Subjektdefinition u.v.m. widerspigelt. Die Bedeutung von Wien als Ausbildungsstätte und Arbeitsumfeld darf in den 70ern nicht unterschätzt werden.

Insgesamt besitzt die Stadt Wien heute an die 3.500 Objekte von ca. 800 Künstler_innen aus den 70er Jahren. Die Objektbeschildung offenbart in vielen Fällen, dass erst in letzter Zeit manches Ausstellungsstück in die Sammlung angekauft oder von den Künstler_innen der Sammlung geschenkt wurde. Man darf auf den umfassenden Katalog gespannt sein – die Präsentation findet am 17.10.2013 um 19 Uhr im MUSA statt!

 

Ausgestellte Künstlerinnen und Künstler

Marc Adrian (→ Op-Art und Konkrete Kunst in Wien), Christiane Adrian-Engländer, Siegfried Anzinger, Franz Beer, Renate Bertlmann, Lieselott Beschorner, Linda Christanell, Peter Dressler, VALIE EXPORT, Gerda Fassel, Peter Dressler, Erna Frank, Ingeborg G. Pluhar, Bruno Gironcoli, Franz Graf, Jorg Hartig, Lotte Hendrich-Hassmann, Lore Heuermann, Kurt Ingerl, Hildegard Joos, Martha Jungwirth, Birgit Jürgenssen, Angelika Kaufmann, Karl Heinz Koller, Auguste Kronheim, Friedl Kubelka, Maria Lassnig, Frantisek Lesàk, Karin Mack, Dora Maurer, János Megyik, Elfriede Mejchar, Hermann Painitz, Florentina Pakosta, Arnulf Rainer, Meina Schellander, Hubert Sielecki, Fritz Simak, Kurt Spurey, Fritz Steinkellner, Curt Stenvert, Peter Weibel, Hans Weigand, Lois Weinberger, Zelko Wiener, Rainer Wölzl, Gerlinde Wurth, Robert Zeppel-Sperl u.a.

 

Kunst in Wien der 70er Jahre: Bilder

  • Martha Jungwirth, Peter Pongratz, Franz Ringel, Ausstellungsansicht „Die 70er Jahre“ im MUSA 2013, Foto: Alexandra Matzner.
  • Martha Jungwirth, o.T., aus der Serie Indesit, 1976, Foto: Alexandra Matzner.
  • Schellander, Bertlmann, Jürgenssen, Pakosta, Christanell (links nach rechts), Beschorner (oben), Ausstellungsansicht „Die 70er Jahre“ im MUSA 2013, Foto: Alexandra Matzner.
  • Angelika Kaufmann, Den Mann dressieren wollen, 1972, Foto: Alexandra Matzner.
  • Kronheim, Hendrich-Hassmann, Ausstellungsansicht „Die 70er Jahre“ im MUSA 2013, Foto: Alexandra Matzner.
  • Margot Pilz, Das letzte Abendmahl. Eine Hommage an Kremser Schmidt, 1979, Foto: Alexandra Matzner.
  • Cora Pongracz, Ernst Jandl I-X, 1978, Foto: Alexandra Matzner.
  • VALIE EXPORT, Kontext - Variationen: Zustandsveränderungen - Bedeutungsveränderungen, 1971, Installationsfoto: Alexandra Matzner.
  • Hubert Sielecky, Schizophranus, aus der Serie Mutationen, 1974, Foto: Alexandra Matzner.
  • Anzinger, Moosbacher, Wukounig, Messensee, Ausstellungsansicht „Die 70er Jahre“ im MUSA 2013, Foto: Alexandra Matzner.
  • Siegfried Anzinger, Kopf, 1978, Mischtechnik auf Papier auf Leinwand, 55 x 50 cm, Foto: MUSA.
  • Roman Scheidl, Hauseinsturz, 1976, Foto: Alexandra Matzner.
  • Scheidl, Painitz, Ausstellungsansicht „Die 70er Jahre“ im MUSA 2013, Foto: Alexandra Matzner.
  • Fritz Steinkenner, VALIE EXPORT (Hintergrund), Ausstellungsansicht „Die 70er Jahre“ im MUSA 2013, Foto: Alexandra Matzner.
  • Curt Stenvert, Die Blume ist die Botschaft, 1970, Foto: Alexandra Matzner.
  • Curt Stenvert, Die Blume ist die Botschaft, Detail, 1970, Foto: Alexandra Matzner.
  • Lois Weinberger, Baumfest, 1977, Foto: Alexandra Matzner.
  • Kurt Ingerl, Struktur, 1978, Foto: Alexandra Matzner.
  • Pertz, Klinkan, Ausstellungsansicht „Die 70er Jahre“ im MUSA 2013, Foto: Alexandra Matzner.
  • Joos, Ausstellungsansicht „Die 70er Jahre“ im MUSA 2013, Foto: Alexandra Matzner.
  • Scheidl, Painitz, Ausstellungsansicht „Die 70er Jahre“ im MUSA 2013, Foto: Alexandra Matzner.
  • Gironcoli (oben), K.U.S.C.H., Ausstellungsansicht „Die 70er Jahre“ im MUSA 2013, Foto: Alexandra Matzner.
  • Franz Graf, Wien freut sich auf Beuys, 1979, Foto: Alexandra Matzner.
  • Curt Stenvert, Lois Weinberger, Ausstellungsansicht „Die 70er Jahre“ im MUSA 2013, Foto: Alexandra Matzner.
  • Ausstellungsansicht „Die 70er Jahre“ im MUSA 2013, Foto: Alexandra Matzner.

Merken

  1. Bruno Gironcoli begann 1965/1966 solche Zeichnungen auf Basis naturalistischer Kopfzeichnungen zu entwerfen, die er auch in meist silbern bemalten Objekten zum Hängen an die Wand realisierte.
  2. Es steht zu lesen: „erste hippie situation auf einem trip durch den dschungel psychedelic hasch high träume mit dem falken jagen“
  3. Kurt Kocherscheidt: Das fortlaufende Bild. Erinnerungen, in: Kurt Kocherscheidt. Das fortlaufende Bild (Ausst.-Kat. MAK Wien 25.6.-5.10.2006), Köln 2006, S. 18: Damit waren die Künstler_innen der Galerie (nächst) St. Stephan gemeint (1954 gegründet und bis 1973 von ihm geleitet), die v.a. dem Informel zuzurechnen waren: Maria Lassnig, Arnulf Rainer, Josef Mikl, Oswald Oberhuber u.a.
  4. Gründungsmitglieder von IntAkt waren: Linda Christanell, Christa Hauer, Hildegard Joos, Angelika Kaufmann, Doris Lötsch, Roswitha Lüder, Ingeborg Pluhar, Doris Reitter, Ilse Schwartz, Edda Seidl-Reiter, Gerlinde Wurth. Im Jahr 1972 war in Österreich anlässlich der Diskussion um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch sowie der Forderung nach Gleichberechtigung bereits die „Aktion Unabhängiger Frauen“ (AUF) gegründet worden.
  5. Edith Almhofer, Reibungsflächen, in: INTAKT – die Pionierinnen (Fotobuch 40/2008 der Fotogalerie Wien), Wien 2008, S. 3.
  6. Ebenda, S. 19.
  7. Zit. n. http://www.margotpilz.at/margot_pilz_das_letzte_abendmahl.html (letzter Besuch 26.8.2013).
  8. Der genaue Titel lautete: „MAGNA. Feminismus: Kunst und Kreativität. Ein Überblick über die weibliche Sensibilität, Imagination, Projektion und Problematik, suggeriert durch ein Tableau von Bildern, Objekten, Fotos, Vorträgen, Diskussionen, Lesungen, Filmen, Videobändern und Aktionen, zusammengestellt von VALIE EXPORT“ (7.3. - 5.4.1975). In der Ausstellung waren Arbeiten von folgenden Künstlerinnen zu sehen: Hilde Absalon, Renate Bertlmann, Friedl (Kubelka-)Bondy, VALIE EXPORT, Birgit Jürgenssen, Maria Lassnig, Friederike Pezold, Cora Pongracz, Meina Schellander, Karin Schöffauer. Literatur: Barbara Frischmuth, Elfriede Gerstl, Elfriede Jelinek, Friederike Mayröcker, Heidi Pataki, Waltraud Seidlhofer. Musik: Dorothy Iannone, Franca Sacchi. Videos: VALIE EXPORT, Rebecca Horn, Muriel Olesen, Friederike Pezold, Ulrike Rosenbach, Katharina Sieverding. Film: Anna Ambrose, La lotta non e finita, Gerda Didens, Claudia Eizykmann, VALIE EXPORT, Rebecca Horn, Kirsten Justesen, Barbara Meter, Miss Amerika, Dore O., Meret Oppenheim, Vibeke Petersen, Christina Perincioli, Jytte Rex, Erika Runge, Carolee Schneemann, A Women`s Place. Agitation: AUF Aktion unabhängiger Frauen.
  9. Lóránd Hegy: Zerbrechlichkeit und Kohärenz. Siegfried Anzinger: Ethos jenseits der Klassik, in: Siegfried Anzinger (Ausst.-Kat. 20er Haus 1.4.-31.5.1998), Wien 1998, S. 36.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.