Katharina Grosse
Wer ist Katharina Grosse?
Katharina Grosse (* 2.10.1961 in Freiburg im Breisgau) ist eine deutsche Künstlerin der Gegenwart (→ Zeitgenössische Kunst). Sie gilt als eine der einflussreichsten Malerinnen der zeitgenössischen Kunst und überzeugt mit monumentalen, ortsbezogenen, Installationen, in denen Architektur, Skulptur und Malerei eine Einheit bilden. Katharina Grosses Werke bieten visuelle Erlebnisse, die sich einer einfachen Beschreibung entziehen.
Seit den späten 1990er Jahren verwendet sie ein industrielles Farbsprühgerät, um prismatische Farbschwaden auf eine Vielzahl von Oberflächen aufzutragen. Dabei verwendet Grosse oft helle, unvermischte aufgesprühte Acrylfarben, um sowohl großformatige skulpturale Elemente als auch kleinere Wandarbeiten zu schaffen.
Katharina Grosse lebt und arbeitet in Berlin sowie in Neuseeland.
„Wenn wir Malerei betrachten, wird uns bewusst, dass die Dinge jedes Mal unterschiedlich aussehen – selbst wenn wir uns mit der Vertrautheit einer schon einmal erlebten Situation trösten können. Alles ist zu jeder Zeit unterschiedlich: Es bedarf nicht der einen großen Lösung, denn beständiger Wandel ist etwas ganz Natürliches.“1 (Katharina Grosse, 2020)
Kindheit
Katharina Grosse wurde am 2. Oktober 1961 als Tochter der Künstlerin Barbara Grosse und des Germanisten und späteren Rektors der Ruhr-Universität Bochum Siegfried Grosse geboren. Sie besuchte die Schule in Bochum.
Ausbildung
Katharina Grosse studierte ab 1982 an den Kunstakademien Münster bei Johannes Brus, Reiner Ruthenbeck und Norbert Tadeusz (1940–2011 → Münster | LWL-Museum: Norbert Tadeusz); 1986 wechselte sie in die Klasse von Gotthard Graubner (1930–2013) an die Kunstakademie Düsseldorf. Wichtig waren in diesen Jahren die Beschäftigung mit Nam June Paik und Videokunst bzw. die Suche nach Möglichkeiten, die eigenen Lebenserfahrungen künstlerisch umzusetzen. Grosse erinnert sich an die unterschiedlichen Herangehensweisen und Empfehlungen ihrer Lehrer:
„Johannes Brus riet mir, nur mit dem Material zu arbeiten, das ich auf dem Bildfeld angesammelt habe, ökonomisch zu sein. Reiner Ruthenbeck empfahl Transzendentale Meditation und Humor. Norbert Tadeusz erzählte wunderbar von Joseph Beuys, seinem Freund Blinky Palermo und von Tintoretto und er sagte, der Gegenstand im Bild müsse entgegenstehen. Graubner sagte, man könne nicht spekulieren – weder in der Kunst noch im Leben. Im Grunde sagte er, es gebe keine Wahl, sondern nur die vollkommene Hingabe an die eigene Veranlagung. Er bewunderte Begabung und glaubte an das Meisterwerk. Da konnte ich ihm nicht mehr folgen. Alle Lehrer waren sehr autoritär. Mir gefiel die Reibung mit dem Machtgehabe.“2 (Katharina Grosse)
In Katharina Grosses zweitem Jahr in Düsseldorf (1987) entstanden Wandobjekte, die sie aus Polyethylen formte und teils mit Öl- oder Acrylfarben bemalte.3 Im Folgejahr wechselte die Künstlerin auf die Leinwand, wobei sie eine Schicht aus Polyvinylchlorid (PVC) auftrug, um eine reliefartige Oberfläche erzeugte. Auch diese Werke setze sie in Positiv- und Negativformen gegeneinandergesetzt und bemalte sie partiell mit Ölfarbe. Katharina Grosse suchte nach einem Weg, Malerei räumlich und materiell zu verwirklichen.
Werke
Bereits während ihres Studiums an der Düsseldorfer Kunstakademie in den Jahren 1987 bis 1990 schuf Katharina Grosse eine Reihe kleiner, farbiger Objekte, in denen sie Farbe und Raum miteinander in Verbindung brachte. 1989 entstanden teils nur handtellergroße Objekte aus Paraffin. Grosse arbeitete in die Objekte Pigmente aber auch Fäden ein. Dennoch betont die Künstlerin immer wieder, dass es sich um Malerei handle.
Bevor Katharina Grosse auf die Sprühpistole kam, führte sie Wandmalereien mit dem Pinsel aus. 1995 führte Katharina Grosse für das Telekomgebäude in Wesel und 1996 für die Siemensniederlassung in München Malereien aus, die abgesehen von ihrer Größe an Grosses Leinwandarbeiten dieser Zeit erinnern.
Katharina Grosse verwendet für ihre Malerei eine mit Kompressor betriebene Spritzpistole, einem Kompressor und Industriefarben auf Acrylbasis, die mit Wasser vermischt werden. Die ersten mit der Spritzpistolen-Technik gemalten Wandarbeiten schuf Grosse 1998 in Sydney als Beitrag zur 11th Biennale of Sydney oder im selben Jahr in der Kunsthalle Bern. „Untitled“, das formlose Bild, wird auch als „grüne Ecke“ bezeichnet.
„Ich glaube, es geht eher um dieses Umschlag- oder Umkehrmoment, in dem sich in einer Form die andere so verkapselt, dass es gar nicht mehr um ein Entweder-oder geht, sondern eher um das paradoxe Gleichzeitige. Dass Kräfte, die sich gegenseitig auszuschließen scheinen, gleichzeitig auftauchen können, so wie der gebaute Raum und der darüberliegende Bildraum bei der ,grünen Ecke‘ in der Kunsthalle Bern. Sie löschen sich nicht gegenseitig aus.“4 (Katharina Grosse, 2022)
In den Folgejahren besprayte Grosse größere Flächen, die sich ab 2001 auch im Außenraum fortsetzen. Grosse übermalte auch Gegenstände des Alltags wie Bücherregale, ein Bett oder anderes Mobiliar. Die installativen Anordnungen der Arbeiten werden dabei immer komplexer: Boden und Decke werden mit zum Malgrund, Schutt und Stein wird aufgeschüttet, Möbelstücke, Stoffe, Objekte und Gegenstände einbezogen, darunter „Das Bett“ (2004). Museen, Privathäuser, Plakatflächen, Treppenhäuser, Kantinen und Trainingsräume wurden von ihr bemalt. Die Sprayarbeiten schaffen Kontrapunkte und Irritationen, die eine Illusion, eine falsche Wahrnehmung der Wirklichkeit, schaffen.
„[B]is zum Jahr 2004, habe ich die Malerei als ein isoliertes Feld gesehen. Ich hatte eine Vision davon, was die Malerei sein kann, die sehr von meiner Kultur und meiner Perspektive eingeschränkt war. Als ich das Schlafzimmer gemacht habe, war es das erste Mal, dass ich vielerlei Perspektiven zugelassen habe. [...] Ich habe mich eigentlich nie an die Regeln gehalten, die mir von einer Institution oder von der Anordnung der Architektur vorgegeben wurden. Für mich kommt Malerei aus einem Impuls, etwas zu durchbrechen, aus dem Rahmen auszubrechen, sogar über die Regeln hinauszugehen, die ich mir selbst gegeben habe. Es ist auch ein bisschen ein Kampf, eine Art Freude am Konflikt. Das Schlafzimmer war das erste Mal, dass ich viele der Regeln abgelegt habe, die ich mir selbst vorgegeben hatte. Es hat sich wie eine Reinigung angefühlt.“5 (Katharina Grosse, 2025)
Groß und ausdrucksstark erzeugen Grosses Bilder durch ihre emphatische materielle Präsenz gesteigerte Sinneswahrnehmungen. Sie sprengen die konventionellen Beziehungen von Hintergrund und Vordergrund, Oberfläche und Untergrund, Leinwand und Bildrand, um neue imaginäre Welten innerhalb und außerhalb des Kunstwerks zu eröffnen. Flecken, Streifen, Schwaden und Farbnebel; komplexe Farbschichten; ausladende raumgreifende Bewegungen; und flüssige, abstrakte Formen vermitteln eine gleichzeitige Vielfalt, die sowohl intuitive als auch unterschwellige Wahrnehmungen mobilisiert. Der Akt des Malens, von Grosse als Prototyp menschlicher Aktivität konzipiert, und die Art und Weise, wie sie Subjektivität und Selbstbewusstsein herausfordert, die seit langem untrennbar mit dem Medium Malerei verbunden sind, können als Mittel zur Abrechnung mit der Welt jenseits der Leinwand verstanden werden.
Für die deutsche „Vogue“ gestaltete Grosse zusammen mit der Schriftstellerin Annika Reich die Januar-Ausgabe 2020 unter dem Titel „Imagine: Wir machen das“.
2025 eröffnete Katharina Grosse im 26 Meter hohen Kuppelsaal des Kunstgebäude Stuttgart eine neue Installation: „The Sprayed Dear", eine beinahe 3 Meter hohe, 15 Meter lange und 8 Meter breite Plastik, die aus doppelwandigen Aluminiumplatten, die, wie eine Welle oder Haarlocke geformt ist. Indem die Künstlerin den Raum und die Figur bemalte, schuf sie eine raumfüllende und immersive Installation.
„Es ist das ständig Wandelbare, es ist der offene Aspekt im unabgeschlossenen System, zu dessen Kristallisationsform es nicht gekommen ist. Ich finde die Vorstellung, dass das Bild auch außerhalb der Sichtbarkeit existiert, so interessant, weil das auch auf den Umstand hinweist, dass wir auf dieser nicht-sichtbaren Ebene ständig Erfahrungen machen.“6 (Katharina Grosse)
Lehre
Katharina Grosse war Professorin an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee (2000–2009) und Professorin für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf (2010–2018).
Ehrungen
- 2015: Otto-Ritschl-Preis, Wiesbaden
- 2014: Oskar-Schlemmer-Preis, Land Baden-Württemberg
- 2010: Mitglied der Akademie der Künste in Berlin
- 2003: Fred-Thieler-Preis
- 1995: Stipendiatin der Stiftung Kunstfonds
- 1993: Schmidt-Rottluff-Stipendium
- 1992: Villa-Romana-Stipendium, Florenz
Literatur zu Katharina Grosse
- Katharina Grosse. The Sprayed Dear, hg. v. Staatsgalerie Stuttgart, Hendrik Bündge (Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart, 11.4.2025–11.1.2026), Dresden 2025.
- mit Beiträgen von Hendrik Bündge, Robin Detje, Katharina Grosse, Emily LaBarge und Dan Lie
- Katharina Grosse. Studio Paintings 1988–2022, hg. von Sabine Eckmann, (Ausst.-Kat. Mildred Lane Kemper Art Museum; Kunstmuseum Bern; Kunstmuseum Bonn), Berlin 2022.
- Katharina Grosse: It Wasn’t Us, hg. von Udo Kittelmann und Gabriele Knapstein (Ausst.-Kat. Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin), Berlin 2020.
- Katharina Grosse, hg. v. Katharina Grosse, Ulrich Loock, Annika Reich, mit einem Text von Ulrich Loock, Köln 2013.