Das Folkwang Museum in Essen feiert seinen 100. Geburtstag mit den Künstler:innen des Expressionismus! Die hochkarätige Schau holt geliebte Sammlungswerke aus dem Depot und stellt ihnen ehemalige Bestände gegenüber. Die Geschichte des Folkwang wird anhand von etwa 250 Werken in 15 Kapiteln erzählt. Der Ruhm der Sammlung und des Hauses beruht auf die offene und weitsichtige Sammlungsstrategie zweier Förderer der Moderne: Karl Ernst Osthaus, der im Sommer 1902 das Museum Folkwang in Hagen begründete, und Ernst Gosebruch, ab 1912 Direktor des städtischen Kunstmuseums in Essen, wohin das Folkwang nach dem Tod seines Gründers 1922 übersiedelte.
Anhand von ca. 250 Kunstwerken zeichnet das Folkwang Museum seine vielfältigen Verbindungen zu Künstler:innen nach, darunter Paula Modersohn-Becker, Ernst Ludwig Kirchner, Oskar Kokoschka, Franz Marc, Gabriele Münter, Emil Nolde, Karl Schmidt-Rottluff und Egon Schiele.
Deutschland | Essen: Museum Folkwang
20.8.2022 – 8.1.2023
Das Essener Haus gehört zu den wichtigsten Sammlungen Deutschlands, nicht zuletzt da Karl Ernst Osthaus (1874–1921) ab 1900 zu den ersten Sammlern der französischen und deutschen Avantgarde zählte. Der Bankierssohn aus Hagen hatte im Jahr 1896 von seinen Großeltern drei Millionen Reichsmark geerbt und davon etwa 2/3 für seine Sammlungstätigkeit ausgegeben. Mit rasender Geschwindigkeit konnte Osthaus Werke der internationalen Avantgarde erwerben. Der Mäzen förderte damit nicht nur die Kunstschaffenden beiderseits des Rheins, sondern stellte seine Kunstschätze auch der Arbeiterschaft vor. Sein am 9. Juli 1902 eröffnetes Folkwang-Museum trägt den volksbildenden Wunsch seines damals erst 28-jährigen Gründers im Namen, ist es doch nach der germanischen „Halle des Volkes“ benannt. 1913 frohlockte Gertrud Osthaus „ein Fest für die Augen“.
Karl Ernst Osthaus förderte früh den deutschen Expressionismus und war sich der Kontroversen, die seine Aktivitäten hervorrufen würden, wohl bewusst:
„Es wäre aber unrecht, Künstlern die Möglichkeit zum Ausstellen zu versagen, weil sie Widerspruch hervorrufen könnten. Der Zweck unserer Anstalt ist nicht, die Menschheit vor Entwicklungen zu schützen.“1
Seine Offenheit den Expressionist:innen gegenüber dürfte mit seinem Verständnis für Vincent van Gogh und Edvard Munch, Paul Gauguin und Ferdinand Hodler zusammenhängen, wie Tobias Burg in seinem Katalogbeitrag betont.2 Die sich formierende Künstlergemeinschaft „Die Brücke“ war im Herbst 1905 von einer Van Gogh-Ausstellung in der Dresdner Galerie Arnold so beeindruckt, dass sie ihren Stil in Richtung einer farbintensiven Malerei mit zunehmend eigenständigem Pinselduktus änderte. Im Sommer 1907 ermöglichte Osthaus den „Brücke“-Künstlern eine Gemeinschaftsausstellung; eine zweite folgte im Jahr 1910. In der Folge war es vor allem Ernst Ludwig Kirchner, der im Folkwang Museum 1913 seine erste Einzelausstellung erhielt und der in den 1920er Jahren eine nicht realisierte Dekoration für das nunmehr in Essen beheimatete Museum entwarf. Emil Nolde hatte im frühen Folkwang Museum eine Sonderstellung inne, verstanden sich nicht nur der Künstler und der Sammler, sondern auch ihre Ehefrauen Ada und Gertrud wunderbar miteinander.
Im Folkwang Museum fanden aber nicht nur die „Brücke“-Künstler wichtige Anregungen, sondern auch die Künstler:innen der Gruppierungen „Neue Künstlervereinigung München,“ und „Der Blaue Reiter“. Karl Ernst Osthaus bot ihnen allen durch seine Sammlungstätigkeit Bestätigung ihrer künstlerischen Ziele, förderte die Kunstschaffenden ideell und finanziell durch Ausstellungseinladungen und Ankäufe. Diese Offenheit schloss auch die beiden führenden Maler Wien ein: Oskar Kokoschka und Egon Schiele. Ein Ausstellungsbesuch in der Berliner Galerie Paul Cassirer begeisterte Osthaus bereits im Sommer 1910 für Kokoschka. Kurz darauf erwarb er zwei Aquarelle Egon Schieles und organisierte im April 1912 dessen erste museale Ausstellung.
Der 1907 völlig unbekannt verstorbenen Malerin Paula Modersohn-Becker (1876–1907) widmete das Folkwang Museum bereits 1913 eine Einzelausstellung, organisiert von Curt Stoermer, Heinrich Vogeler und ihrem Ehemann Otto Modersohn. Die Retrospektive wanderte im Anschluss an vier weitere Stationen und begründete den Ruhm der heute so populären Künstlerin. Karl Ernst Osthaus kaufte aus der Schau das späte „Selbstbildnis mit Kamelienzweig“ (1906/1907) sowie fünf Zeichnungen. Damit dürfte wohl ein insgeheim gehegter Wunsch der Künstlerin in Erfüllung gegangen sein, hatte sie doch 1905 bewundernd angemerkt:
„Das Schönste war für mich in Hagen das Museum eines Herrn Osthaus. Der hat die neuste Kunst um sich versammelt: Rodin, Minne, Maillol und Meunier, Gauguin, van Gogh, einen alten Trübner, einen alten Renoir und viel anderes Schönes.“3
Karl Ernst Osthaus plante, in Hagen eine Künstlerkolonie zu gründen. Der damals 52-jährige Christian Rohlfs folgte der Einladung und zog 1901 von Weimar nach Hagen. Bis 1938 nutzte Rohlfs ein Atelier im Museumsgebäude (→ Farbenrausch. Werke des deutschen Expressionismus) – damit ist er der erste Artist-in-Residence des Folkwang Museums. Für Rohlfs bedeutete die Auseinandersetzung mit den Sammlungsbeständen aber auch den Ausstellungen einen enormen Input an neuesten Kunstströmungen, den er auf innovative und höchst selbstständige Weise verarbeitete. Weitere Kunstschaffende konnte oder wollten der Einladung Osthaus‘ nicht Folge leisten, darunter Ernst Barlach. Einzig der Plastiker und Grafiker Moissey Kogan am Anfang 1910 nur für einige Monate.
Der in Hagen geborene Künstler Walther Bötticher wurde von Karl Ernst Osthaus intensiv gefördert und war auch Christian Rohlfs freundschaftlich und künstlerisch eng verbunden. Der frühe Tod des Künstlers, er fiel 1916 im Ersten Weltkrieg, machten die Hoffnungen, die Osthaus auf ihn gesetzt hatte, zunichte.
Am 25. März 1921 starb Karl Ernst Osthaus in Meran. Seine Erben verkauften die Kollektion samt Namen für 15 Millionen Reichsmark nach Essen, nachdem die Stadt Hagen das Angebot abgelehnt hatte.
Ernst Gosebruch hatte zweifellos nicht die finanziellen Möglichkeiten wie Karl Ernst Osthaus, doch teilten die beiden ihren Kunstgeschmack und förderten die gleichen Künstler:innen. Es mag daher naheliegend gewesen sein, dass sich der Direktor des Städtischen Museums nach dem Ableben des Mäzens für den Erwerb der Folkwang-Sammlung stark machte. 1922 konnte er den Deal unter Dach und Fach bringen. In den 1920er Jahren setzte Gosebruch die Linie des Folkwang Museums kontinuierlich fort. So förderte er besonders Emil Nolde mit drei Einzelausstellungen, gleichzeitig erweiterte er aber auch das künstlerische Spektrum um Arbeiten des 1920 verstorbenen Wilhelm Lehmbruck und des Breslauer Akademieprofessors Otto Mueller.
Im Sommer 1933, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, musste Ernst Gosebruch sein Amt zurücklegen. Er wurde den linientreuen Klaus von Baudissin ersetzt, der sich aktiv an der Säuberungsaktion „Entartete Kunst“ beteiligte und bereits 1936 „Improvisation 28“ von Wassily Kandinsky verkaufte. 1937 ließ von Baudessin zu, dass rund 1.400 Werke konfisziert wurden. Darunter befanden sich sämtliche Gemälde des Expressionismus, von denen einige auf der Feme-Ausstellung „Entartete Kunst“ in München ausgestellt wurden. Einzelne, vermutlich übersehene Grafikblätter blieben im Sammlungsbestand erhalten. 48 Werke des Expressionismus aus dem Museum Folkwang gelangten über einen spektakulären Tausch in Besitz des Künstlerpaars Sofie und Emanuel Fohn. 1939 wechselte ihre eigene Sammlung von Werken des 19. Jahrhunderts gegen insgesamt mehr als 400 Arbeiten aus dem Fundus der beschlagnahmten Arbeiten die Besitzer.
Die wichtigste Kontinuität von den 1930er bis in die 1940er Jahre bildete ausgerechnet der Kunsthistoriker Heinz Köhn. Seit 1930 als Assistent von Gosebruch in Essen tätig, vertrat er von Baudessin als kommissarischer Direktor und wurde 1938 zum Direktor berufen. In dieser Funktion blieb Köhn bis 1962 am Folkwang Museum. Hatte er sich in der NS-Zeit dem offiziellen Kunstgeschmack gebeugt, so setzte er nach 1945 dort an, wo Gosebruch 1933 geendet hatte. Heinz Köhn förderte die Expressionisten und richtete im Herbst 1948 eine Ausstellung mit Werken von Erich Heckel, Emil Nolde, Christian Rohlfs und Karl Schmidt-Rottluff aus. Den Neubau des 1943 zerbombten Folkwang Museum eröffnete er im Oktober 1958 mit einer großangelegten Ausstellung zur Geschichte der „Brücke“. Den gewandelten Kunstgeschmack der Nachkriegszeit beschrieb Köhn in einem Brief vom Oktober 1953:
„Viele andere haben mit mir nach dem Kriege die Erfahrung gemacht, dass die expressionistischen Bilder, als sie aus der Verborgenheit wieder zum Vorschein kamen, gar nicht mehr ‚problematisch‘, sondern in ihrer Art ‚klassisch‘ wirkten, jedenfalls die besten darunter, die von den geringeren zu unterscheiden nun auch sehr viel leichter war. Sie hatten in der Zwischenzeit nicht verloren, sondern gewonnen, man entdeckte an ihnen mit einmal das Siegel, das nur die bleibenden Leistungen tragen.“4
Nachlässe von Künstlern und Künstlerinnen aber auch Schenkungen und Ankäufe machten die Sammlung des Folkwang Museums bald wieder zu einem Kompetenzzentrum für expressionistische Kunst. Dies wird ab den 1960er Jahren umso deutlicher, als das Museum nationale wie internationale Ausstellungsprojekte initiierte und durchführte.
Museum Folkwang (Hg.)
mit Beiträgen von Peter Gorschlüter (Direktor Museum Folkwang), Tobias Burg, Rainer Stamm, Birgit Schulte, Söke Dinkla, Anna Straetmans, Rebecca Herlemann, Isgard Kracht, Oliver Kase, Mathilde Heitmann-Taillefer, Anna Brohm
ISBN 978-3-96999-125-1
Steidl, Göttingen 2022