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Oskar Kokoschka. Humanist und Rebell Porträts von Mensch und Tier

Oskar Kokoschka. Humanist und Rebell, Cover des Ausstellungskatalogs Wolfsburg 2014, HIRMER.

Oskar Kokoschka. Humanist und Rebell, Cover des Ausstellungskatalogs Wolfsburg 2014, HIRMER.

Noch unter der Herausgeberschaft des jüngst verstorbenen Markus Brüderlin (1958–2014) legt das Kunstmuseum Wolfsburg einen Ausstellungskatalog zu „Oskar Kokoschka. Humanist und Rebell“ vor. Das Haus feiert mit dieser Schau sein 20-jähriges Bestehen und beleuchtet in elf Kapiteln Leben und Werk des international gefeierten Expressionisten. Als Rebell der Vorkriegszeit etablierte sich Oskar Kokoschka in Österreich und Deutschland innerhalb der Avantgarde, um nach schwerer Verwundung im Ersten Weltkrieg eine Professur in Dresden anzutreten. Während der Mensch schon immer im Zentrum von Kokoschkas Werk stand, wurden die Kriegserlebnisse zum Auslöser einer besonders offensichtlichen, humanistischen Haltung in den folgenden Jahrzehnten. Kokoschkas Porträts von Mensch und Tier ist diese Schau gewidmet.

Menschen und Tiere, von Kokoschka porträtiert

Das Werk Kokoschkas unter dem Aspekt des Porträts anzuschauen, ist eine fruchtbare Entscheidung, steht diese Gattung doch im Werk des Wiener Expressionisten für seine lebenslange Beschäftigung mit dem Menschen und im Frühwerk für seine rebellische Haltung der Gesellschaft aber auch der künstlerischen Tradition gegenüber. Das Bildnis auch auf die Tierdarstellungen auszudehnen, und vor allem jene der Jahren 1926 und 1927 in den Fokus zu rücken, lenkt den Blick auf das Konzept des Animalischen im Wesen des Menschen – oder mit den Worten des Künstlers ausgedrückt:

„Ein Aff schaut den anderen an!“1

Der Ausstellungsrundgang ist in elf Kapitel gegliedert, die sich einerseits aus der Lebensgeschichte des Künstlers ergeben und andererseits thematische Gruppierungen von Werken darstellen: Kokoschkas Beschäftigung mit Musik und Musikerporträts, Selbst- und Kinderbildnisse, allegorische Frauenbildnisse, Tierporträts und humanistisches Engagement ergänzen die historischen Kapitel zu den Lehrjahren, frühen Bildnissen, Alma Mahler, seine Jahre als Akademieprofessor in Dresden, Herwarth Walden und der Sturm.

Der Student Oskar Kokoschka ist durch zwei realistisch-impressionistische Porträts seiner Cousine Anna Donner (1906) und Aktzeichnungen (ab 1907) repräsentiert. Georg Minnes „Kniender Jüngling“ (1898) steht zwischen den traditionellen Bildnissen und den eckig aufgefassten Formen der ausgemergelten Kindermodelle. Im Vergleich dazu ist Kokoschkas Entwurf für eine Postkarte der Wiener Werkstätte aus dem gleichen Jahr noch dem Jugendstil zuzuordnen. Das von Carl Otto Czeschka gestaltete „Programmheft des Kabarett Fledermaus“ zeigt drei Lithografien von Oskar Kokoschka, was die enge Verbundenheit der Professoren und ihrer Schüler_innen mit der Kooperative verdeutlicht. Kokoschkas eigenes „Märchenbuch“ „Die träumenden Knaben“ (1906–1908) sowie das Plakat für die ambitionierte Gruppenausstellung „Kunstschau“ markieren 1908 den Eintritt des jungen Künstlers in die Wiener Szene. Der „Oberwildling“, wie er von der Presse rasch tituliert wurde, brachte ein Jahr später sein Drama-Komödie-Stück „Mörder, Hoffnung der Frauen“ auf die Bretter der „Internationalen Kunstschau“ und publizierte den Text wie auch Szenenbilder 1910 in der Berliner Avantgarde-Zeitschrift „Der Sturm“. Der Architekt Adolf Loos hatte Kokoschka unter seine Fittiche genommen, ihn finanziell unterstützt, mit der Wiener Intelligenzija bekannt gemacht und ihn Herwarth Walden, DEM Berliner Verleger des Expressionismus, vorgestellt.

 

Frühe Bildnisse und Arbeit für den „Sturm“

Mit dieser Unterstützung konnte sich Oskar Kokoschka dem Porträt widmen, womit er ab 1909 zur Speerspitze der Avantgarde nicht nur in der Kaiserresidenz avancierte. Bereits 1910 übersiedelte der umtriebige Maler nach Berlin, um in der Redaktion des „Sturm“ mitzuarbeiten. Nach ersten Porträts von Wiener Freunden wie dem Malerkollegen Felix Albrecht Harta und dessen „Vater Hirsch“, den Freund von Karl Kraus und kurz vor seiner geistigen Umnachtung stehenden Schriftsteller Ludwig Ritter von Janikowsky (alle 1909), dem Schauspieler Karl Etlinger (1911), bannte er Frau Karpeles (1911) und „Emil Löwenbach“ (1914) auf die Leinwand. Das „Porträt von Hermann Schwarzwald II“ ist 1916 das erste Bildnis nach Kokoschkas Kriegseinsatz.

Von diesen Bildnissen getrennt werden jene Porträts gezeigt, die im Kontext seiner Arbeit für den „Sturm“ entstanden sind. Zuvorderst ist hier sein Plakat für den „Sturm“ aus dessen Gründungsjahr 1910 zu nennen: Oskar Kokoschka zeigt sich mit Glatze und Seitenwunde als Ausgestoßener und Verfolgter der Gesellschaft. Der Künstler als „Wahnsinniger“, wie seine Porträts in der Presse beschrieben wurden. Das Porträt von „Herwarth Walden“ hingegen ist als Bildnis eines Intellektuellen mit übermächtiger Stirn und feinnervig aufeinandergepressten Lippen gegeben. Förderer und Künstler – darunter Rudolf Blümner, William Wauer, Peter Baum (alle 1910) – zeugen von der Vernetzung des Wiener Künstlers in der Hauptstadt des deutschen Kaiserreichs.

 

Oskar Kokoschka und Alma Mahler

Das Kapitel Alma Mahler wird mit dem ersten Doppelbildnis (1912/13) eingeleitet, auf dem beide noch einen fast scheuen Ausdruck haben. Zyklen wie „Der gefesselte Kolumbus“ (1913, publ. 1916) und „Die chinesische Mauer“ (1913, publ. 1914) zeugen aber kurz darauf von der Tragik der Beziehung, die an Almas Untreue und Kokoschkas übermäßiger Eifersucht wohl gescheitert ist. Die Deutung des „Stilllebens mit Putto, Katze und Kaninchen“ (1913/14) als „Familienbild“ von Oskar und Alma in Form von Hase und Katze mit ihrem abgetriebenen Kind hat einiges für sich. Der Knabe (?) wird durch einen Baum oder Ast von den beiden Tieren getrennt, wendet sich ab. Die Katze dreht sich zwar nach dem Kind um, das Kaninchen sitzt jedoch still und klein im Hintergrund. Dass in diesem Kapitel die berühmt-berichtigte Puppe der Münchner Puppenmacherin Hermine Moos nicht fehlen darf, ist klar. Sie wird über zwei der vier erhaltenen Fotografien, wie je eine Zeichnung und ein Aquarell belegen, schnell zu einem beweglichen Modell in Kokoschkas Bildwelt.

 

Oskar Kokoschka und die Musik

Das Mappenwerk „Die Bachkantate (O Ewigkeit, Du Donnerwort)“ (1914, publ. 1916) hätte auch als Versinnbildlichung der Beziehung Kokoschkas zu Alma Mahler dienen können, wurde jedoch für den Bereich „Die Macht der Musik“ aufgespart. In diesen Kreidelithografien lässt Kokoschka die Personifikationen von Furcht und Hoffnung, aber eigentlich sich selbst mit Alma Mahler, auftreten und ihren Leidensweg mit dem Blatt „Pietà (Es ist genug)“ enden. Das Plakat für sein Stück „Mörder, Hoffnung der Frauen“, in dem Kokoschka den unüberwindbaren Geschlechterkampf 1909 thematisiert hatte, scheint hier ikonografisch und inhaltlich eine Wiederholung zu finden. Darüber hinaus ist es dem Kunstmuseum Wolfsburg gelungen, einige Musikerporträts (Egon Wellesz, 1911; Pablo Casals, 1954; eine Zeichnung von Swjatoslaw Richter, 3.9.1965) für seine Ausstellung zusammenzutragen. Eine Originalzeichnung und drei Probedrucke zum Zyklus „Das Konzert“ zeigen Kokoschkas Beschäftigung mit den menschlichen Reaktionen auf Musik. Im Zentrum steht jedoch das querformatige Bild „Die Macht der Musik“ (1920).

 

Kinderporträts

Kinderbildnisse, eine Mischung aus Auftragsporträts und eigenständigen Bildnissen nach „Proletarierkindern“, werden von Porträts aus der Dresdner Zeit gefolgt. Der bereits früh von Kokoschka entwickelte Kanon der Porträtgestaltung, sich nämlich auf Gesicht und Oberkörper der sitzenden Modelle zu konzentrieren, wird auch in den späten 10er und frühen 20er Jahre deutlich spürbar. Dass die Kuratorinnen alle Medien in ihre Präsentation einbanden, hat nicht nur mit dem gesteigerten Interesse in der Zeit an Grafikmappen und der Vervielfältigung der Zeichnung in Form von Lithografien oder Lichtdrucken zu tun, sondern ist auch der gesteigerten Bedeutung der Landschaft im Werk Kokoschkas geschuldet. In der Zwischenkriegszeit arbeitete er vornehmlich als Landschaftsmaler, aber seiner Dienstfreistellung an der Akademie in Dresden im Jahr 1923 sogar als „Reisekünstler“.

 

Tiere sind auch nur Menschen

Als sich Kokoschka dem riesenhaften „Mandrill“ George im Zoo von London gegenübersah, meinte er, hier würde ein Aff` den anderen ansehen. Das außergewöhnliche Werk führt in seiner Detailgenauigkeit, Kleinteiligkeit und Buntheit ins mittlere Werk des Künstlers, der 1926 seinen vierzigsten Geburtstag feierte. Kokoschka hob das Tier auf einen Sockel – so zumindest stellt er es in einer Karikatur an Berta Patočka-Kokoschka 1926 dar. Anstelle des Zwingers imaginiert er jedoch eine tropische Landschaft mit Wasserfall. Ähnlich ruhig präsentieren sich „Rehe“, eigentlich ein Rudel Damwild, während der in den Katalogtexten oft genannte „Tigerlöwe“ nicht in der Ausstellung zu sehen ist. Er stellt, so wie ihn Kokoschka über einer gerissenen Gazelle platziert und mit seiner zum Sprung geballten Kraft, ein Gegengewicht zu den ruhigen Tieren der anderen beiden Gemälde dar. „Der Kater“, 1926 zurück in Berlin gemalt, balanciert elegant über einen Balken, um sich im nächsten Moment am Nachwuchs einer Taube gütlich zu tun. Kokoschka nutzte Tiere, so arbeitet Katharina Erling in ihrem Beitrag heraus, als Symbole für eine exotische und gefährliche Welt, die zwischen Schönheit und Drama changiert, möchte man ergänzen.

 

Der Humanist

Der Bereich „Humanistisches Engagement“ ist bunt zusammengewürfelt und umfasst das „Porträt von Thomáš Garrigue Masaryk“ (1935/36) neben den Plakaten „Das Prinzip“ (1918), „Helft den baskischen Kindern!“ (1937), „Christus hilft den hungernden Kindern“ (1945), drei seiner politischen Allegorien („Die Krabbe“, 1939/40; „Private Property“, 1939; „Loreley“, 1942), gefolgt von den Politikerporträts Körner, Brauner und Maisky. Verbindendes Element ist der tschechischen Pädagogen, Philosophen und Theologen Johann Amos Comenius (1592–1670), der schon seit frühester Kindheit für Kokoschka von großer Bedeutung war. Sein Vater Georg hatte ihm eine Ausgabe des „Orbis sensualium pictus“ (1675), die erste Enzyklopädie für Kinder, geschenkt. Comenius gilt als der bedeutendste Pädagoge des 17. Jahrhunderts, der Zwang an den Schulen abschaffen wollte, Bildung für alle Stände und beide Geschlechter einforderte, Lernen durch Tun sowie Erklären anhand von Beispielen vorlebte und der Anschauung dem Vorzug gab. Nicht nur dass Kokoschka diese pädagogischen Richtlinien in seiner eigenen Lehre – v.a. an der Schule des Sehens in Salzburg und weiteren Vermittlungsaktionen in seinen Ausstellungen – einsetzte, er wollte die Jungend bilden, um die Welt zu retten. Kokoschka stellte den tschechischen Reformator nicht nur hinter Masaryk in dessen Porträt dar, sondern widmete ihm 1972 auch sein letztes Drama, eine historische Fiktion über das Künstlerdasein. Auf der Bühne treffen Comenius und Rembrandt van Rijn in dessen Amsterdamer Atelier aufeinander. Auf die Verhaftung des Pädagogen setzt bei Rembrandt eine solche Schaffenswut ein, dass er seine „Nachtwache“ über Nacht fertigstellen kann. Leider erfährt man in diesem Katalog nur wenig über Comenius und kaum etwas über Kokoschkas Lehren.

 

Allegorische Frauen und selbstkritische Eigenbetrachtungen

Die Angewohnheit Kokoschkas ab den späten 20er Jahren weniger erklärende als deutende bzw. beschützende Elemente im Hintergrund der Porträts einzufügen, veranlasste die Kuratorin van Bormann von „allegorischen Frauenbildnissen“ zu sprechen. Entgegen der traditionellen Bedeutung der Allegorie als Personifikation (eines abstrakten Begriffs) oder Kombination von Elementen, die auf einen nicht im Bild dargestellten Sachverhalt hinweisen (→ Oskar Kokoschka. Werke und Fotografien), wird hier von einer Art Sondergattung ausgegangen. Handelt es sich hierbei um ein Konzept, das Kokoschka auch reflektierte? Da er es nicht in allen Porträts einsetzte, stellt sich auch die Genderfrage bzw. die der Häufigkeit allgemein. Hier wäre noch Informationsbedarf gegeben.

Selbstbildnisse, darunter ein erst kürzlich aufgetauchtes Blatt aus dem Jahr 1906, beschließen den Rundgang der Ausstellung. Hier zeigt sich Kokoschka als kritisches Gegenüber, als Trickkünstler („Dr. Bassa`s Magische Form“, 1951) aber auch als dem eigenen Tod entspannt ins Auge blickender Künstler („Time, Gentlemen Please“, 1971/72).

 

Oskar Kokoschka – Humanist und Rebell. Der Ausstellungskatalog

Mit Régine Bonnefoit, Beatrice von Bormann und Katharina Erling prägen drei Autorinnen den Inhalt dieser HIRMER-Publikation, von denen zwei als ausgewiesene Kokoschka-Expertinnen gelten. Die Qualität der ganzseitigen Abbildungen ist hervorragend, dass einige wichtige, querformatige Gemälde über den Falz gezogen werden, stört wohl nur die Ästhet_innen. Katalog und Ausstellung bieten einen guten Querschnitt durch das Schaffen Kokoschkas, die Berücksichtigung aller Medien – Malerei, Zeichnung und Druckgrafik – ist dafür nicht unwesentlich verantwortlich. Auffallend ist, dass dem Frühwerk deutlich mehr Gewicht gegeben wird als den späten Gemälden der Nachkriegszeit.

Beatrice von Bormann, Kuratorin der vorangegangenen Kokoschka-Ausstellung in Rotterdam, stellt Kokoschka als Rebell und Humanisten vor. Dem Rebellen widmet sie dabei jedoch mehr Aufmerksamkeit als dem Humanisten. Der Text ist dort am überzeugendsten, wo die Autorin stilkritisch die Werke analysiert. Eine ihrer wichtigsten Fragestellungen ist jene nach der künstlerischen Beeinflussung. Demnach teilt sie Kokoschkas Werk in drei Phasen: Dem Frühwerk von 1906 bis 1914 folgen die Dresdner Jahre 1917 bis 1923 und das Spätwerk der 60er Jahre. Man darf sich fragen, was dazwischen passiert. Sein gesamtes Leben bleibt Kokoschka jedoch dem Expressionismus treu, indem er die Formen übertreibt, kräftige Farben einsetzt und mittels Verformung seine Gefühlswelt vermittelt, so die Autorin. Wie jedoch aus der „weitverbreiteten Revolte gegen etablierte Kunstformen“ (S. 12) ein (teils) anerkannter Stil in der Nachkriegszeit wurde, lässt die Autorin offen. Stattdessen sieht sie den Ursprung des Expressionismus in der Romantik, als Konzepte wie „Innere“ und „Geistiges“ als subjektive Blicke der Künstler entwickelt wurden (S. 12-13). Der humanistische Anspruch des Expressionismus lässt sich mit dem Interesse am Menschen schlechthin, der Auseinandersetzung mit seiner Gefühlswelt und einem sozialen und politischen Engagement verbinden. Letzteres müsste m.E. nur für einzelne Expressionist_innen gesondert nachgefragt und herausgearbeitet werden. Denn hier sind deutliche Unterschiede zwischen etwa Wassily Kandinsky und Franz Marc mit ihrem abstrahierenden Lyrizismus und der „Seelenaufschlitzerei“ von Oskar Kokoschka festzustellen. In seinen politischen Überzeugungen war der Wiener Expressionist wohl auch der russischen Avantgarde und deren Vorstellung eines „neuen Menschen“ näher als Kriegsunterstützern oder Kunstästheten.

Bormann stellt in ihrem Beitrag leider deutlich unter Beweis, dass sie sich mit dem Wiener Jugendstil, dem Werk Anton Romakos und den Frühexpressionisten, die so wichtig für das Werden Kokoschkas waren, nur wenig auseinandergesetzt hat. Der österreichische Maler Anton Romako ist für sie ein wenig bekannter Künstler – genauso wie Max Oppenheimer und Anton Faistauer. Zumindest für Max Oppenheimer hätte sich die Autorin mehr interessieren müssen, war er doch bereits 1911 in der Galerie Heinrich Tannhauser mit einer Einzelausstellung und einer Serie von Wiens prominentesten Intellektuellen präsent gewesen (darunter Egon Schiele, Peter Altenburg, Adolf Loos, Heinrich Mann, Franz Blei, Arthur Schnitzler). Kokoschka beurteilte den Erfolg Oppenheimers zumindest als Konkurrenz zu seinem Werk und verunglimpfte ihn als „Kopisten“ seiner psychologisierenden Porträts.2

Nur eine fehlende Auseinandersetzung mit der Wiener Kunst der Moderne erklärt, warum Bormann für Kokoschkas Aktstudien während seiner Studienzeit an der Kunstgewerbeschule einen Verweis auf Rodins Praxis heranzieht (S. 16, → Auguste Rodin), anstelle auf die revolutionären Unterrichtsmethoden am Wiener Institut hinzuweisen. Auch die Behauptung Bormanns Kokoschka habe Paul Sérusiers nahezu abstrakte Komposition „Talisman“ gekannt haben müssen (S. 30), wird leider von ihr ohne Beleg in den Raum gestellt. Für die Kunsthistorikerin ist die Kenntnis dieses epochalen Werks jedoch unabdingbar für den stilistischen Wandel, den Kokoschka zwischen 1920 und 1923 durchmacht. Seine Malerei wird flächiger und farbenfroher, bevor er sich von seinem wenig geliebten Professorendasein verabschiedet und als Landschaftsmaler Erfolge feiert. Dass Kokoschka nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl in Deutschland wie auch in Österreich zum beliebten Porträtisten auserkoren wurde, muss zumindest für die österreichische Seite zurückgewiesen werden. Das Bildnis von Theodor Körner als Wiener Bürgermeister hatte keinen positiven Widerhall, wurde von der Stadt nicht bezahlt und schlussendlich 1954 von der Stadt Linz zugunsten von Hochwassergeschädigten in Pöchlarn und Linz erworben.3

Dass auch ein kritikloses Zitieren aus Wikipedia sich rächen kann, zeigt sich, wenn die Autorin Fürstin Mechtilde Lichnowsky zur Urenekelin der 1780 (!) verstorbenen „Kaiserin“ (war sie nie!) Maria Theresia macht (S. 27). Wenn schon auf die hochadeliger Abstammung der Autorin Lichnowsky hingewiesen werden soll, dann doch korrekterweise als Urururenkelin der Regentin.4 Auch hat Mechtilde Christiane Marie Fürstin Lichnowsky, geborene Gräfin von und zu Arco-Zinneberg (1879–1958), nie für den „Sturm“ gearbeitet, wie die Autorin behauptet. Der Kontakt zu Kokoschka könnte über die an Berliner Bühnen aufgeführten Stücke der Autorin oder dem gemeinsamen Freund Karl Kraus geknüpft worden sein. Das Gemälde entstand im September und Oktober 1916 in Berlin und befand sich 1918 noch in Besitz der Fürstin, die auch das Gemälde „Der Gefangene“ (1914?) besaß, wie in der ersten Biografie des Künstlers von Paul Westheim dokumentiert ist.5

Die Beträge von Régine Bonnefoit und Katharina Erling, beide ausgewiesene Kokoschka-Expertinnen, stellen einige interessante Hintergrundinformationen zu den ausgestellten Werken zusammen. Das am Cover des Katalogs abgebildete Doppelporträt des homosexuellen Liebespaars „Carl Georg Heise und „Hans Mardersteig“ aus dem Jahr 1919 wird von Bonnefoit als Aufnahme der Renaissance-Praxis, Ehepaarbildnisse am Rahmen mittels Scharnieren zu verbinden, präsentiert. Das Gemälde „Araberin mit Kind“ (1929/30) als Epiphanie einer Schwarzen Madonna zu deuten und hierfür eine Postkarte Kokoschkas als Quelle benennen zu können, zeigt die intensive Auseinandersetzung der Forscherin mit dem Künstler. Ob man für Porträts, in denen Kokoschka neben die darzustellenden Personen auch noch Hinweise auf deren Leben und Denken als „allegorische Porträts“ bezeichnen solle, müsste hingegen noch diskutiert werden. Zumindest deutet diese Benennung auf einen sehr allgemeinen Allegorie-Begriff hin, der diesen fast schon ad absurdum führt.

Bonnefoit verweist auf die hohe Anzahl von Porträts im Werk Kokoschkas – nämlich 228 Bildnisse unter 486 Arbeiten – und die hohe Dichte derselben im frühen Schaffen zwischen 1906 und 1920. Der Kreis um Adolf Loos, dem ersten Förderer Kokoschkas außerhalb der Kunstgewerbeschule, und Freund_innen wurden von Kokoschka in fast manischem Eifer auf Leinwände gebannt. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte der inzwischen international berühmte Maler dieselbe Strategie, um den Ruhm bereits bekannter Intellektueller, Künstler aber auch von Politikern für sich selbst zu nutzen.

Zu den wichtigen Arbeiten auf Papier zählt Bonnefoit „Die Bachkantate (O Ewigkeit du Donnerwort)“ (1916, 11 Kreidelithografien) und „Variationen über ein Thema (Das Konzert)“ (1920 gezeichnet und 1921ff publiziert). Die Zeichnungen zu „Das Konzert“ entstanden im Sommer 1920 im Haus des Kunsthistorikers Karl Swoboda und dessen Ehefrau Kamilla. Kokoschka hielt in diesem Zyklus die Reaktionen von Kamilla Swoboda auf die Musik fest. Dass der Maler auf den Fotografien nach den Drucken das Schicksal der Jüdin reflektierte, führt allerdings erst Beatrice von Bormann im Einleitungstext zum Kapitel „Die Macht der Musik“ an (S. 150), denn der Kunsthistoriker hatte sich 1934 von seiner jüdischen Frau scheiden lassen, die 1942 deportiert und in einem Konzentrationslager umgebracht worden ist. Dass ein Porträt für Kokoschka neben einer Seelenschau auch eine Verewigung der Dargestellten bedeutete, lässt sich aus seinen eigenen Worten zu diesem Schicksal herauslesen. Er schrieb auf Fotoreproduktionen:

„Dennoch ist Camilla [sic!] lebendig als Idee durch diese Zeichnungen, die sich 1922 [sic!] in Wien während mehrerer Sitzungen machte. Ich meinte ihre Lebensgeschichte, denn ich liebte, verstand sie und sympathisierte mit ihr.“ (S. 150-151).

Katharina Erling analysiert die Tier-Darstellungen Kokoschkas mit Hilfe des Buches „Das Tier in der Kunst“ von Reinhard Piper, das 1910 herauskam. Darin beschreibt der Autor, der auch als Herausgeber des Almanachs des Blauen Reiter 1912 fungierte, das Tier als naiv und unverfälscht, als Quelle der Erneuerung mit Hilfe von „Tiercharakteren“. Die Autorin stellt die Publikation richtigerweise in die zeitgenössische Suche nach Ursprung und Natürlichkeit. Franz Marc schrieb an Piper, er „sehe kein glücklicheres Mittel zur »Animalisierung der Kunst« [, wie ich es nennen möchte,] als das Tierbild“6. Marc und Kokoschka trafen einander zum ersten Mal im September 1912 in Frankfurt, Kokoschka wurde eingeladen ein Porträt im Almanach zu publizieren.
In Kokoschkas Frühwerk ist das Tier noch deutlich vom Jugendstil geprägt, vor allem japanische Holzschnitte (Utagawa Kuniyoshi) prägen die linear-flächige Gestaltungsweise aber auch die Vorstellung, dass Tiere Symbole für eine exotische Welt voller Gefahren sein können. Erst 1910 mit dem wichtigen „Stillleben mit Hammel und Hyazinthe“ (nicht in der Ausstellung!) wird das Tier bei Kokoschka ein Symbol für Vanitas (Vergänglichkeit), für vegetatives Leben (Maus, Schildkröte, Lurch), für die Untersterblichkeit der Seele (Schildkröte, weil zäh aber sensibel; Hyzinthe als Licht und Fingerzeig nach oben). Im gleichen Jahr malte Kokoschka ein erstes Katzen-Porträt (Ende 1910), indem das Tier zu „Schlüsselfiguren persönlicher Erlebnisse und zu Vertretern besonderer Wesenmerkmale (…) aber auch zu Sinnbildern menschlicher Eigenschaften wie Dummheit, Bosheit und Begehrlichkeit aller Art“ (S. 63) wird.

Besondere Aufmerksamkeit erhalten die fünf großformatigen Tierporträts aus den Jahren 1926 und 1927, die nacheinander in London und Berlin entstanden sind: Mandrill, Tigerlöwe und „Rehe“ (eigentlich Damwild), Riesenschildkröten (eigentlich Geierschildkröten) und erneut eine Katze sind Protagonisten von Kokoschkas monumentaler Tierwelt. Erst zu Beginn des Vierziger Jahre sollten Tiere in den politischen Bildern Kokoschkas wieder eine so große Rolle spielen, stehen sie doch stellvertretend für die inneren Werte der mit ihrer Hilfe symbolisierten Nationen oder Personen. Das Spätwerk kennt noch einige Stillleben, Farbstiftzeichnungen und vor allem Ergänzungen in Porträts, die der Welt der Fauna entlehnt wurden. Zum „Helden“ hat er aber kein Tier mehr gemacht.

Markus Brüderlin (Hg.)
mit Texten von R. Bonnefoit, B. von Bormann, K. Erling, L. Smit
322 Seiten, 315 Abb.
überw. in Farbe
24,2 × 31 cm, gebunden
ISBN 978-3-7774-2250-3
HIRMER

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  1. Zit.n. Ausst.-Kat. S. 58.
  2. Siehe: Gemma Blackshaw: Der moderne Mensch als „Wahnsinniger“. Die Darstellung psychischer Krankheit in Porträts, in: Madness & Modernity. Kunst und Wahn in Wien um 1900, hg. v. Gemma Blackshaw, Leslie Topp (Ausst.-Kat. Wien Museum Karlsplatz 21.1.-2.5.2010), Wien 2009, S. 62-66.
  3. Georg Wacha: Oskar Kokoschka und Linz, in: Oskar Kokoschka und Linz. Eine Dokumentation (Ausst.-Kat. Stadtmuseum Linz – Nordico 28.2.-6.4.1986), Linz 1986, S. 11-14.
    Franz Smola: Nachkriegswien und Adenauer und die deutsche Politprominenz, in: Tobias G. Natter, Franz Smola (Hg.): Kokoschka. Das Ich im Brennpunkt (Ausst.- Kat Leopold Museum, Wien 4.10.2013-27.1.2014), Wien 2013, S. 212-217;296-305.
  4. http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/mechtilde-lichnowsky/ (letzter Aufruf 5.5.2014) zu Maria Theresia siehe: Maria Theresia: Kinder, Kunst und Kinofilm.
  5. Paul Westheim, Oskar Kokoschka, Berlin 1918, S. 53. Ob die Datierung des Bildes „Der Gefangene“ zutreffend ist, muss mit Blick auf die anderen Datierungen kritisch hinterfragt werden.
  6. http://www.zeno.org/Kunst/M/Marc,+Franz/Schriften/Zur+Kunsttheorie/2.+%C3%9Cber+das+Tier+in+der+Kunst (letzter Aufruf 5.5.2014).
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.