Florine Stettheimer
Wer war Florine Stettheimer?
Florine Stettheimer (Rochester 28.8.1871–11.5.1944 New York) war eine amerikanische Malerin der Klassischen Moderne (→ Klassische Moderne). Ab Mitte der 1910er Jahre wurde sie für vielfigurige, farbintensive Kompositionen bekannt, in denen sie das gesellschaftliche Leben der Upper Class von New York analysierte. Die aus wohlhabender Familie stammende Stettheimer führte mit ihrer Mutter und ihren Schwestern einen vielbeachteten Salon, in dem einige der wichtigsten Künstler:innen, darunter Marcel Duchamp, verkehrten.
Kindheit
Florine Stettheimer wurde am 28. August 1871 in New York als Tochter wohlhabender deutsch-jüdischen Eltern geboren. Der Vater Joseph Stettheimer, ein Bankier, verließ seine Ehefrau Rosetta (geb. Walter) und die gemeinsamen Kinder, bevor diese erwachsen waren. Die Stettheimers gehörten zur jüdischen Aristokratie New Yorks und waren auch mit den Seligmans, Hellmans, Bernheimers, Guggenheims und Neustadters verwandt. Florine war das vierte von fünf Kindern: Walter, Stella (1867–1931), Caroline, genannt Carrie (1869–1944), Florine (1871–1944), Henrietta, genannt Ettie (1875–1944).
Die Mutter zog mit ihren Kindern nach Deutschland, wo sie ab 1888 bis 1886 in Stuttgart bei Verwandten lebten. Ab 1887 bis 1889 zog die Familie nach Berlin. Florine erhielt bereits in Stuttgart und Berlin Zeichenunterricht.
1890 kehrte die Familie nach New York zurück. Florine, Carrie und Ettie blieben unverheiratet und lebten bis zum Tod ihrer Mutter 1935 in einem gemeinsamen Haushalt. Ihr Bruder Walter und die ältere Schwester Stella heirateten und zogen nach Kalifornien.
Ausbildung
Ab 1892 studierte Florine Stettheimer an der Art Students League of New York bei J. Carroll Beckwith, Harry Siddons Mowbray und Kenyon Cox. Diese Schule hatte sich 1878 als erste moderne Kunstschule in den USA gebildet. Junge Lehrer unterrichteten, teils hatte sie selbst erst die Ausbildungen in München oder Paris absolviert, darunter George Grosz, Morris Kantor, Lucian Bernhard und Ossip Zadkine. Finanziert wurde die Schule über Beiträge der Studierenden, die dafür auch ein Mitspracherecht erhielten. Ein Großteil der Studierenden waren Frauen.
Florines Schwester Ettie begann am Bernhard College ein Philosophie Studium, in dem sie 1903 promovierte.
Werke
Reisen in Europa
Die Familie Stettheimer hielt sich immer wieder für längere Zeit in Europa auf, unter anderem in Deutschland, Italien und Frankreich, wo Florine in dieser Zeit auch Malunterricht nahm. Ihre erste Ausstellungsbeteiligung war 1900 in der „25th Anniversary of the Art Students League of New York” im American Fine Arts Society Building.
Während ihrer Reisen durch Europa besuchen die drei Schwestern und ihre Mutter Theater-, Opern- und Ballettaufführungen, Kunstausstellungen und Museen in Berlin, Florenz, London, München, Paris, Rom, Venedig und Wien. Florine führte Tagebuch, allerdings wurden diese Erinnerung nach dem Tod Florines von ihrer Schwester Ettie stark redigiert und vor allem Persönliches wurde vernichtet. Trotzdem geben sie einen Einblick über die impulsive Zeit und das Leben.
Im Jahr 1906 hatte Florine Stettheimer einen „Flirt“ mit James Loeb, den Sohn des Münchner Bankiers Solomon Loeb. James, mit dem sie nicht nur in New York, sondern auch in München zusammentraf, galt als Philanthrop und Herausgeber der „Loch Classical Library“ und Sammler antiker Plastiken. 1911 baute er sich ein Haus in Schwabing mit privaten Museumsräumen. Seine Sammlung hinterließ er der Antikensammlung in München.
Florine und ihre Familie besuchten 1909 die Alte Pinakothek in München, die Große Kunstausstellung im Glaspalast, die Secession, Galerien wie die von Heinemann und Thannhauser und die große Schau im Ausstellungspark auf der Theresienhöhe, wo eine Ausstellung über japanische Kunst zu sehen war. In ihren Tagebüchern schrieb sie positiv über Gemälde des deutschen Malers Lovis Corinth (1858–1925) und die Skulpturen des deutschen Bildhauers und Medailleur Hermann Hahn (1868–1945). Wohingegen sie Zeichnungen aus der Zeitschrift Jugend von Erich Wilke und Ferdinand von Reznicek als vulgär beschrieb. Nachdem sie am 18. Juli gemeinsam mit ihrer Schwester Ettie die Villa Lenbach besucht hatte, malte Stettheimer Ettie als Stuck´sche Medusa.
Die Familie Stettheimer reiste 1910 nach Paris und weiter nach München, wo sie in der Galeriestraße 35 eine Wohnung bezog. Florine las das Buch „Tempera und Tempera-Technik“ von Ernst Friedleins, einem Apotheker aus Würzburg, der in seinem 1906 publizierten Buch über Kasein als Bindemittel schreib, das die Wirkung eines Freskos hatte. Im Glaspalast sah sie Bilder des Franz von Stuck-Nachfolgers Hanns Pellar (1886–1971). Die Farben und die „trivialen Rokoko-Szenen“ gefielen ihr sehr, doch seine Darstellung von Frauen fand sie „abschreckend“. Florine Stettheimer besuchte in München die beiden Bildhauer Fritz Behn und Hermann Hahn in ihren Ateliers.
Den Herbst und den Winter 1912/13 verbrachte die Familie in München in einer Wohnung in der Hohenstaufenstraße 10/1. Florine fand ein Atelier in der Ainmillerstraße 24, das ihr besonders wegen dem guten Licht gefiel. In diesem Jahr entsteht das Bild „Flora“, das sie als kitschig empfand. Das ganzfigurige Porträt Etties im weißen Kleid entstand.
Zu Beginn des Jahres 1913 sah Florine Stettheimer in der Münchner Secession Werke von Paul Cézanne. Weiters besuchte sie die Galerie Thannhauser und eine Expressionismus-Ausstellung. Im April reisten die Stettheimers nach Paris, wo Florine unzählige Ausstellungen besuchte. Vor allen die Gemälde des Fauvismus und hier Henri Matisse (1869–1954) und die Künstler des Postimpressionismus | Pointillismus | Divisionismus prägten sie sehr.
Am 8. Juni 1913 besuchte Stettheimer eine Ballettaufführung der russischen Ballettkompagnie von Sergej Djagilew. Das Bühnenbild war von Léon Bakst, die Choreografie von Vaslav Nijinsky. Dieses Erlebnis beflügelte Florine so sehr, dass sie begann, Entwürfe für das Ballett „Orphée of the Quat´z´Arts“ zu kreieren. Die Arbeiten erstreckten sich über Jahre, es kam jedoch nie zur Aufführung, allerdings zeigt Stettheimer den Balletttänzer Nijinsky in ihren Bildern immer wieder. Als Faun in „Sunday Afternoon in the Country“, oder als androgyner Tänzer in „Le spectre de la rose in Music“.
Von Paris aus reiste die Familie erstmals nach Spanien, wo Florine den Prado besuchte. Von Tizian, Diego Velázquez und Guercino war sie begeistert, von El Grecos Werken war sie nicht so angetan.
Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Sommer 1914 befand sich die Familie gerade in Bern, Schweiz. Im September reisten die Stettheimers über Paris zurück nach New York, wo sie in das Haus von Florins Tante, Caroline Neustadter, 102 West, 76 Straße, zogen. Florine bezeichnete dies als „Wartesaal zweiter Klasse“. Zu dieser Zeit war Florine 43 Jahre. Sie kehrte nie wieder nach Europa zurück.
New York
Durch den Ersten Weltkrieg kehrten viele Amerikaner zurück bzw. übersiedelten Europäer nach Amerika. Vor allem Mitglieder der Pariser Avantgarde, darunter Marcel Duchamp (1887–1968), das Malerehepaar Albert Gleizes (1881–1953) und Juliette Gleizes (1884–1980) oder Francis Picabia (1879–1953 → Francis Picabia: Unser Kopf ist rund) fanden sich im großen Freundeskreis der Stettheimers wieder.
Die drei Schwestern und ihre Mutter pflegten mit viel Hingabe ihren Salon. Dieser galt als besonders elitär. Zu ihren Freunden zählte unter anderem Georgia O’Keeffe (1887–1986) und ihr Ehemann Alfred Stieglitz (1864–1946), die Künstlerpaare William Zorach (1887–1966) und Marguerite Zorach (1887–1968), Marie Sterner (1880–1953) und ihr Mann Albert Sterner (1863–1946). Lebenslange Freundschaft pflegte Florine mit amerikanischen Fotografen Carl van Vechten (1880–1964) und seiner Frau, der Schauspielerin Fania Marinoff (1890–1971). Van Vechten schrieb über Musik und Tanz und war ein großer Förderer der Künstler:innen der sogenannten „Harlem Renaissance“, auch „New Negro Movement“ genannt. Durch ihn erhielt Florine Stettheimer Einblicke in die Welt des Jazz und in die Formensprache afroamerikanischer Künstler:innen.
Blumensträuße und ein Puppenhaus
Während des Ersten Weltkriegs meldeten sich Carrie und Ettie für freiwillige Dienste. Der Sohn von Stella Stettheimer und Sigmund Feuchtwanger, Walter (1894–1968), wurde 1917 eingezogen. Später arbeitete er als Produzent in Hollywood. Sein letzter Film war 1963 „Cleopatra“ mit Elizabeth Taylor und Richard Burton.
Zwischen 1914 und 1916 malte Florine Stettheimer sehr viele Blumenbilder. Florine band jeden Tag neue Sträuße, ihre sogenannten „eyegays“, die auch in ihren Bildern und Gedichten vorkommen und mit der Zeit ein richtiges Eigenleben entwickeln.
Carrie Stettheimers Puppenhaus
Zur gleichen Zeit begann Carrie Stettheimer mit der Erschaffung eines zweistöckigen Puppenhauses, dem sogenannten Dollhouse mit 12 Zimmern, welches das Tarrytown-Anwesen, wo die Familie die Sommermonate verbrachte, nachbildet. Die Idee dazu kam ihr, als ihre Familie während ihrer Sommerferien im Hinterland von New York, sich bei einem Spendenbazar der Oberschicht von Lower Saranac für lokale Kinder, die von einer Polio-Epidemie betroffen waren, beteiligten. Mit Holzkisten eines Lebensmittelhändlers begann Carrie ein Puppenhaus aus Fundstücken und Resten zu basteln. Als die Familie nach New York zurückkam, begann Carrie mit ihrem eigenen Puppenhaus. Carrie Stettheimer richtete es komplett ein – mit Badezimmer, Salon und Aufzug. Es ist 127 cm lang, 88,9 cm breit und 71,12 cm hoch.
Fast zwei Jahrzehnte von 1916 bis 1935 arbeitete Carrie Stettheimer am Dollhouse. Es enthält Miniaturkunstwerke von Marcel Duchamp – eine Miniaturkopie seines Aktes „Akt, eine Treppe hinuntersteigend, Nr. 2“. Dieses Bild schenkte Duchamp Carrie 1918 zu ihrem 48. Geburtstag. Im Haus findet sich unter anderem ein Werk des Bildhauers Alexander Archipenko (1887–1964) und eines dessen deutscher Ehefrau, der Bildhauerin Gela Foster Archipenko (1893–1957), zwei stromlinienförmige Akte des Schweizer Künstlers Paul Thévenaz (1891–1921) und die nicht mehr im original erhaltene Gouache „Basque Sailors“ um 1925 von Claggett Wilson (1897–1952). Das Bild „Mama´s Boy“ von Louis Bouché (1896–1969), George Bellows (1882–1925), eine Alabaster-Venus von Gaston Lachaise (1882–1935) und zwei Bilder von Badenden der fauvistischen Malerin, Textilkünstlerin und Grafikdesignerin Marguerite Zorach, welche die Künstler:innen eigens für das Puppenhaus angefertigt haben. Über dem Kamin bekam eine anmutige Abstraktion des schwedisch-amerikanischen Künstlers Carl Sprinchorn (1887–1971) einen prominenten Platz. 1945 schenkte Ettie das unvollendete Puppenhaus dem Museum of the City of New York, wo es ausgestellt wird.
Salon Stettheimer
Die drei Schwestern hatten ihre fixen Rollen im Salon ihrer Mutter. Carrie blieb zu Hause, kümmerte sich um ihre Mutter und spielte die Gastgeberin. Sie organisierte die Veranstaltungen und war für die Planung der oft ausgefallenen Menüs verantwortlich.
„Künstler […] gingen dorthin, und zwar nicht nur wegen der Individualität des Frauentrios und ihrer geschmackvollen Gastfreundschaft. Sie gingen, weil sie sich bei den Stetties – so hieß das Trio – ganz zu Hause fühlten und die Stetties sich in ihrer Gesellschaft ganz zu Hause zu fühlen schienen. Kunst war ein unverzichtbarer Bestandteil des modernen, offenen Geisteslebens des Ortes. Die Schwestern empfanden es als ein lebendiges Thema. Aufrichtig lebten sie es.“ (Paul Rosenberg über den Salon Stettheimer)
Erste und letzte Einzelausstellung zu Lebzeiten
Nachdem die Stettheimers eine Rundreise mit dem Auto durch den Staat New York unternommen hatten, kehrte Florine im September 1916 alleine zurück. Sie wollte ihre erste Einzelausstellung in der Galerie M. Knoedler & Co vorbereiten, kuratiert von Marie Sterner. Florine Stettheimer kümmerte sich sogar um die Ausstellungsgestaltung. Sie entwarf Möbel, Drapieren und einen Baldachin, weshalb die Ausstellungsräume große Ähnlichkeit mit ihrem Schlafzimmer hatten. Leider wurde die Ausstellung wird nicht der gewünschte Erfolg, weshalb Florine nicht mehr in kommerziellen Galerien ausstellte. Jedoch war sie in regelmäßigen Abständen in Gruppenausstellungen vertreten.
Daneben begann Florine Stettheimer, sogenannte „birthday parties“ zu organisieren. Dazu lud sie Freunde zu einem Empfang zu Hause oder in ihr Atelier ein, um ihre neuen Arbeiten zu präsentieren. Als erstes Bild zeigt sie ein Portrait des Schauspielers Avery Hopwoods, der große Erfolge am Broadway feierte.
Neuer Stil
Mitte der 1910er Jahre fand Florine Stettheimer zu einem neuen Stil. Sie löste sich von ihren Vorbildern der Münchner Secession, den Fauves und Matisse. Ihre Bilder wurden vielfigurig und bestückt mit privaten Anekdoten. Stettheimers Kolorismus entwickelt sich auf einem hellen Grund; darauf tummeln sich viele, elegante, zarte Figuren in kräftigen, bunten Farben. Zur Inspiration nutzte die Malerin die Modemagazine „Vogue“, „Harper´s Bazaar“ und „Vanity Fair“. 1916 schuf Florine Stettheimer Bilder wie „Studio Partie” (auch: “Soirée“), „Sunday Afternoon in the Country“, „La Féte á Duchamp“, „Picnic at Bedford Hills“ und „Heat“; 1917 entstand das Bild „A Day at West Point“ sowie 1918/19 das Bild „New York/Liberty“.
1918 wurde die Society of Independent Artist gegründet. Das Motto der Ausstellungen lautet: Keine Jury – Keine Preise. 1919 stellte Florine Stettheimer das Bild „Lake Placid“ dort aus: Es beschreibt eine Badevergnügen in New York. Das Bild wird von den Kritikern sehr wohlwollend aufgenommen und sein Charme und das bunte Treiben faszinierten. Bis 1926 nahm Stettheimer regelmäßig an Ausstellungen der Society of Independent Artist teil.
Die amerikanische Malerin, Mäzenin und Kunstsammlerin Katherine Dreier (1877-1952), der amerikanische Fotograf Man Ray (1890–1976), Florine Stettheimer und Marcel Duchamp riefen 1920 die Société Anonyme Inc. ins Leben. Jedoch beteiligte sich Florine nicht an den Ausstellungen.
Vergnügungen der Amerikaner:innen und Porträts
Die Themen ihrer Bilder in den 20er Jahren drehen sich um die Vergnügungen der Amerikaner:innen, ums Tanzen und um die Musik, vor allem um den Jazz. Carl van Vechten bezeichnete Florine Stettheimers Arbeiten von „moderner Qualität“. In den folgenden Jahren entstanden viele Portraits der Familie und von Freunden, darunter Gemälde von Carl van Vechten, Marcel Duchamp, dem Maler und Fotografen Baron Adolphe de Meyer (1868–1946) oder Alfred Stieglitz. Bei Familienmitgliedern ging es Stettheimer mehr um die Ähnlichkeit, doch auch diese Portraits gehen ins Surreale.
In ihrem Studio fotografierte der in Luxemburg geborene Edward Steichen (1879–1973) neben anderen Modellen auch Mr. und Mrs. Rodolph Valentino für die Zeitschriften „Vanity Fair“ und „Vogue“ vor Werken von Florine Stettheimer. Alfred Stieglitz, der Stettheimer in ihrem Atelier besucht und begeistert von ihren Werken ist, bittet sie mehrmals in seiner Galerie auszustellen, was sie jedoch immer ablehnt.
1921 zeigte sie ihre Arbeit „Russian Bank“ auf der „Carnegie International“, das positive Kritiken erhielt. So schrieb Penelope Post in der Pittsburgh Sunday Post:
„Miss Stettheimer ist die einzige Malerin in Amerika, und es scheint auch anderswo wenige zu geben, die auf der Leinwand eine individuelle Sichtweise zum Ausdruck bringen.“
Im Jahr 1925 wurde der Gesundheitszustand der Mutter immer schlechter. Die folgenden zehn Jahre bis zu ihrem Tod musste sich immer eine der Schwestern um sie kümmern. Florine, die sich dadurch eingeschränkt fühlte, kam nicht mehr so zum Arbeiten, wie sie es die Jahre davor tun konnte.
Mutter und die drei Töchter zogen 1926 in einer Wohnung mit 14 Zimmern, das sich im Apartmenthaus Alwyn Court, Ecke 58 Straße Seventh Avenue befindet. Van Vechten nannte das neue Zuhause „Chateau Stettheimer“; durch seine Fassade mit Stilzitaten aus Gotik und Renaissance sowie der neo-barocken Einrichtung mutete es sehr außergewöhnlich an. Auch hier designte Florine ihre Räumlichkeiten mit eigenen Möbeln und Tapeten, um ihren Bildern das passende Ambiente zu geben.
Der Komponist Virgil Thomson führte 1928 seine Oper „Four Saints in Three Acts“, die auf einem Libretto von Gertrude Stein (1874–1946) basiert, am Klavier auf – zuerst in der Wohnung von van Vechtens, dann in der Wohnung der Stettheimers. Fasziniert von Florines Werken, bat er sie, das Bühnenbild und die Kostüme für seine Oper zu entwerfen. Daraufhin entstanden über Jahre Kleiderpüppchen und Miniaturmodelle für die Bühnenbilder.
Im Jahr 1929 fand im Museum of Modern Art die Ausstellung „Exhibition of Nineteen Living Americans“, die von Alfred H. Barr Jr. kuratiert wurde, statt. Der amerikanische Kunstkritiker Henry McBride (1867–1962) kritisierte, daß Florine Stettheimers Arbeiten nicht gezeigt wurde. Das Angebot einer Einzelausstellung, die ihr der Direktor der Gallery of Living Art in America anbot, schlug Stettheimer aus. Dennoch zeigte sich Florine Stettheimer 1930 zu ihrem 59. Geburtstag enttäuscht, über mangelnde Anerkennung ihrer Arbeit.
Cathedrals of
Florine Stettheimer beginnt mit ihren Arbeiten der sogenannten „Kathedral-Bilder“. In vier Bildern beschäftigt sie sich in „The Cathedrals of Broadway“ mit zentralen „Glaubensfragen“ über das moderne Leben in New York. „Broadwaytheater und -kino“, „Konsum und Geldadel“, „Finanzen und Patriotismus“ und „Kunst- und Museumsszene“.
Im November 1932 zeigte sie in der Ausstellung „American Society of Painters, Sculptors and Gravers” am Whitney Museum of American Art, das Gemälde „The Cathedrals of Fifth Avenue“. Das Bild erfuhr große Beachtung, vor allem die Modernität des Werkes wurde von Henry McBride hervorgehoben. Der Kunstkritiker Paul Rosenfeld (1890–1946) schrieb von einer Sensation der Arbeiten Stettheimers, die viel zu selten öffentlich zu sehen sind. Florine Stettheimer dürfte neben Georgia O´Keeffe und Peggy Bacon (1895–1987) zu den drei wichtigsten Künstlerinnen der USA zählen.
Die deutsch-amerikanische Malerin, Kunstsammlerin und Mäzenin Hilla von Rebay (als Hildegard Anna Augusta Elisabeth Baronin Rebay von Ehrenwiesen geboren) (1890–1967) schrieb Stettheimer persönlich an und teilte ihr mit: Sie sei nicht nur die beste Künstlerin in der Ausstellung auch unter den männlichen Künstlern gäbe es keinen, dessen Werk so fein und originell visionär und gut gemacht sei, und versicherte ihr: „Aber es ist gut, dass sie anfangen, viel über Sie zu schreiben, denn das haben Sie verdient.“ Von Rebay und der amerikanische Industrielle und Philanthrop Solomon R. Guggenheim (1861–1946) stifteten 1937 die Non-Profit-Organisation „Solomon R. Guggenheim Foundation“ mit Sitz in New York.
Stettheimers Arbeiten wurden von ihren Zeitgenoss:innen häufig geschlechtsspezifisch betrachtet. So schrieb der amerikanische Maler Marsden Hartley (1877–1943) ihr Werk als „ultra-lyrischen Ausdruck eines ultra-femininen Geistes“ und setzt für den Genuss des Werks „einer Frau, die in Kultiviertheit und vertraut mit den Finessen des gesellschaftlichen Lebens aufgewachsen“ sei, auch einen kultivierten Betrachter voraus (1934).
Das Gemälde „Cathedrals of Wall Street“ entstand 1938. Stettheimer zeigt darin verschiedene amerikanische Persönlichkeiten, darunter George Washington, den Florine verehrte, bis zu Franklin D. Roosevelt, dessen New-Deal-Politik sie befürwortete, eingebettet in das Finanzzentrum der Wall Street und den Eindrücken der Weltausstellung in New York von 1939/40.
1942 begann sie mit dem Gemälde „The Cathedrals of Art“, das unvollendet bleibt. Darin zeigt sie mit viel Witz und Kenntnis des Geschehens die Aktivitäten und Rivalitäten der Kunstszene. Künstler, Kritiker, Kunsthändler und die Direktoren, besonders die drei großen Institutionen des Metropolitan Museums, Museum of Modern Art und dem Whitney Museum of American Art werden sind Thema. Stettheimer und ein Freund, der Designer Robert E. Locher (1888–1956), agieren als Pat:innen.
Four Saints in Three Acts
Am 7. Februar 1934 fand die Premiere von „Four Saints in Three Acts“ im Avery Memorial Theater am Wadsworth Atheneum in Hartford, Connecticut statt. Das Theater ist in einem Flügel des Museums für zeitgenössische Kunst untergebracht, das kurz zuvor mit einer Retrospektive von Pablo Picasso (1881–1973) eingeweiht worden war. Die Theateraufführung wurde ein großer Erfolg, und vor allem das Bühnenbild und die Kostüme von Florine Stettheimer fanden viel Beachtung. Mit 63 Jahren erfuhr die Künstlerin, die erste offizielle Anerkennung ihrer Kunst. Das Stück wurde ab 1. März am Forty-Fourth Street Theater in New York gezeigt und danach in Chicago.
Als Gertrude Stein mit Alice B. Toklas (1877–1967), einer Autorin und ihrer Lebensgefährtin von Stein, nach New York kam, gab Florine in ihrem Atelier einen großen Empfang zu Ehren Steins.
1935 unternahmen Florine und Ettie Stettheimer eine lange Reise durch Kalifornien, wo sie ihre Freunde besuchten. Auch ihren Bruder Walter sehen die Schwestern seit langem wieder.
Kurz nach ihrer Rückkehr starb Florines Mutter Rosetta Walter Stettheimer. Die Schwestern lösten ihre gemeinsame Wohnung auf. Carrie und Ettie zogen ins Dorset Hotel, 30 West 54th Straße, New York, Florine in ihr Studio-Apartment im Beaux-Arts Building in New York. Auch dort richtete sie sich ihre Wohnung so ein, um ihre Gemälde perfekt in Szene zu setzen: die Möbel in Weiß und Gold, viel drapierte Spitze, die Vorhänge aus Cellophan und vergoldete Blumen.
1936 traf Florine den in Moskau geborenen Maler, Bühnen- und Kostümbildner Pawel Tschelitschew (1898–1957) bei seiner Ausstellungseröffnung in der Julian Levy Gallery. Er wurde einer ihrer letzten wichtigen Kunstfreunde.
Ausstellungserfolge
Das Museum of Modern Art erhielt 1938 von der französischen Regierung eine Einladung, eine Überblicksausstellung zur amerikanischen Kunst an das Jeu de Paume zu schicken. Georgia O´Keeffe und Florine Stettheimer waren die einzigen weiblichen Kunstschaffenden, die gebeten wurden teilzunehmen. Stettheimer musste dazu überredet werden. A. Conger Goodyear (1877–1964), Unternehmer und Gründungsmitglied des Museum of Modern Art in New York, und der Kurator Thomas D. Mabry konnten sie überzeugen, und so schickte sie nach längerem Zögern „Asbury Park South“ von 1920 nach Paris.
Im Dezember 1942 werden ihre Portraits „Ettie Stettheimer“ und „Duchamp & Rrose Sélavy“ in der Ausstellung „Twentieth Century Portraits“ im Museum of Modern Art gezeigt. Der Kurator der Ausstellung, Monroe Wheeler, ordnete Florine Stettheimer der „Poetical Tradition“ zu – einer eklektischen Ansammlung von Arbeiten unter anderem von James Ensor (1860–1949), Odilon Redon (1840–1916), Giorgio de Chirico (1888–1978), Marc Chagall (1887–1985) und Marcel Duchamp.
Krankheit
Anfang des Jahres 1943 wurde Florine Stettheimer ins Roosevelt Hospital eingeliefert. Die Diagnose Krebs veranlasste ihre Schwestern, sich im Krankenhaus ein Zimmer zu nehmen. Florine änderte ihr Testament, in dem sie zuvor verfügt hatte, daß ihr gesamtes Werk als Einheit an ein Museum gehen soll, in ein bedingungsloses Vermächtnis an ihre Schwestern.
Im Sommer wurde sie aus dem Krankhaus entlassen. Sie nahm kurz noch einmal ihr gesellschaftliches Leben und ihre Arbeit wieder auf. Bis kurz vor ihrem Tod arbeitete sie an den „Cathedrals of Art“ und an Kostümen und dem Bühnenbild für das Ballett „Pocahontas“.
Tod
Am 11. Mai 1944 starb Florine Stettheimer mit 73 Jahren im New York Hospital. Sechs Wochen später verschied auch ihre Schwester Carrie.
Ettie Stettheimer beauftragte das Fotografenbüro Peter A. Juley & Son, das davor auch alle Gemälde Florines dokumentiert hatte, das Studio-Apartment zu fotografieren. Van Vechten und R. Kirk Askew (1903–1974) berieten Ettie bei der Verteilung von Florines Bilder an wichtige amerikanische Museen.
Am 25. September 1848 streute Ettie Stettheimer zusammen mit dem Anwalt der Familie, Joseph Solomon, Florines Asche in den Hudson River.
Nachruhm
Heute befinden sich 126 Arbeiten von Florine Stettheimer in der Sammlung des New Yorker Museum oft Modern Art (MoMA), wo Marcel Duchamp zwei Jahre nach ihrem Tod (1946) eine erste posthume Retrospektive organisierte. Seither konnte man ihr Werk in einer großen Einzelausstellung noch im Whitney Museum of American Art (New York) sehen.
Die Werkschau im Kunstbau des Lenbachhauses, München, war die erste Präsentation der Künstlerin in Europa.