Paul Klee und die Abstraktion in den USA? Erstmals stellen das Zentrum Paul Klee in Bern und die Philipps Collection in Washington D.C. die spannende Frage nach dem Einfluss des Grafikers und Malers Paul Klee (1879–1940) auf die Kunstproduktion der Nachkriegszeit in den Vereinigten Staaten. Wenn auch der bedeutendste Sammler der europäischen Ungegenständlichen Kunst – Solomon R. Guggenheim – Kandinsky bevorzugte, so konnten Künstlerinnen und Künstler den damals berühmteren Paul Klee in der Washingtoner Philipps Collection und in New Yorker Galerien intensiv studieren. Maler von Jackson Pollock, Mark Tobey und sogar noch Kenneth Noland beschäftigten sich eingehend mit den Theorien und Werken des 1940 in der Schweiz verstorbenen Künstlers. Paul Klee, so zeigt Kuratorin Fabienne Eggelhöfer, prägte die Avantgarde in der Neuen Welt bis in die 1960er Jahre, ohne je selbst einen Fuß in die Neue Welt gesetzt zu haben.
Schweiz / Bern: Zentrum Paul Klee
15.9.2017 – 7.1.2018
USA / Washington D. C.: Philips Collection
3.2. – 6.5.2018
Der Bauhauslehrer war über Vermittlung von Emmy Galka Scheyer schon während der 1920er Jahre in New Yorker Ausstellungen präsent. Vor allem die Marke „The Blue Four“ – Paul Klee gemeinsam mit Wassily Kandinsky, Lyonel Feininger und Alexej von Jawlensky – sollte gesteigerte Aufmerksamkeit auf die Expressionisten lenken, was allerdings in Hinblick auf ein breiteres Publikum nur mäßig gelang. Im Gegensatz dazu begeisterten sich Künstler für Klees poetische Werke zwischen Figuration und Abstraktion. Seine Fähigkeit verschiedene künstlerische Tendenzen – Kubismus, Surrealismus, Konstruktivismus – in einem neuen Stil miteinander zu verschmelzen, löste Erstaunen und Bewunderung aus. Paul Klee, so schien es, war das Schicksal eines „artist’s artist“ beschieden.
Den Umbruch in der Wahrnehmung des deutschen Grafikers und Malers brachte Paul Klees Einzelausstellung im Museum of Modern Art in New York 1930. Deren Zustandekommen hatten u.a. nach New York emigrierte Galeristen wie Israel Ber Neumann, Karl Nierendorf oder Curt Valentin angeregt, die den Künstler in den Vereinigten Staaten mit Ausstellungen förderten. Paul Klee, der nach seiner Emigration Ende 1933 ein sehr zurückgezogenes Leben in Bern führte und 1936 erkrankte, konnte nie zu den Eröffnungen anreisen.
Privatsammler, darunter Albert E. Gallatin, Duncan Phillips, Peggy Guggenheim oder Hilla von Rebay, hatten sich Paul Klees Werk bereits geöffnet. Die Washingtoner Phillips Collection widmete dem Künstler ab 1948 ein ganzer Raum in der Dauerausstellung. Der „Klee-Boom“, den Eggelhöfer diagnostiziert, trat jedoch erst nach dem Tod Paul Klees im Jahr 1940 ein: Das MoMA organisierte 1941 eine Gedenkausstellung, und eine große Retrospektive tourte im Winter 1949/50 durch mehrere Städte Amerikas. Obwohl die Generation der amerikanischen Abstrakten Expressionisten den Künstler nie persönlich kennenlernen konnte, begeisterte sie sich aus unterschiedlichen Gründen für sein facettenreiches Werk.
Die Neudefinition von Malerei während der 1940er Jahre gelang einer Reihe von amerikanischen Künstlern, indem sie von Paul Klee entwickelte Konzepte auf ihre eigenen Arbeitsprozesse übertrugen. Zu den wichtigsten Grundlagen gehörte die Arbeit mit dem Unbewussten, die auch die Surrealisten in Form des Automatischen Schreibens und Zeichnens pflegten. Spontan gezeichnete Liniengefüge in einem zweiten Schritt kontrolliert weiterzubearbeiten, war aber nur eine der Inspirationsquellen. Eine weitere Möglichkeit stellte die Auseinandersetzung mit dem „Ursprung“ der Kunst bzw. der Kreativität in Form von Kinderzeichnungen und ethnografischen Werken dar, der im Einsatz von Symbolen und Zeichen zum Ausdruck kam. Der Zeichner Klee, der sich mit der Linie ausdrückte, zählte daher genauso zu den Vorbildern der zehn in Bern ausgestellten Amerikaner –wie der späte Klee, der sich mit Hieroglyphen, Kalligrafie und anderen archaischen Zeichen auseinandersetzte.
Es ist daher einerseits eine gewisse formale Ähnlichkeit zwischen einigen Werken nicht ausgeschlossen, andererseits interessierte die Kuratorin verstärkt eine intellektuelle, reflektierte Haltung zum Wahl-Schweizer: Das freie Schweben geheimnisvoller Symbole, die in den Werken Klees bereits angedeutete All-over-Struktur (d.h. die Formationen könnten über den Bildrand hinausgeführt werden), das spannungsvolle Arbeiten mit Zentrum und Peripherie in vielen abstrakten Kompositionen, der deutliche Gegensatz zwischen Figur und Grund, zwischen klar gezogener Linie und Form und malerisch differenziertem Hintergrund, Klees poetische Titel.
„Der Automatismus der Surrealisten [ist] eine Form des Kritzelns. […] Ich denke, Kritzeln ist grundsätzlich einer der möglichen Wege zu zeichnen. Soviel ich weiß, beginnt Paul Klee, mit Ausnahme seiner frühen Werke, jedes Mal mit Kritzeln.“ (Robert Motherwell über den „Ober-Kritzler“ Paul Klee)
Mark Tobey wurde mit „White Writing“ bekannt, Gemälden mit kalligrafischen Strukturen, die ihm halfen, das Pulsieren der modernen Großstadt in bewegliche, zitternde Notationen zu übertragen. Über die Galerie Beyeler, bei der Tobey selbst auch ausstellte, kaufte er 1963 ein Werk Paul Klees.
„Mit Erfahrung scheint es möglich zu sein, den Farbfluss weitgehend zu kontrollieren. […] Ich arbeite nicht mit Zufall – weil ich den Zufall vermeide. Ich arbeite von Innen nach Außen, wie die Natur. Ich bin Natur.“ (Jackson Pollock)
Wenn sich Jackson Pollock mehrfach negativ über die Kleinheit von Paul Klees Werken äußerte, so verdankte er dennoch der Auseinandersetzung mit dessen Werk wichtige Befreiungsschläge für seine spätere Drip-Technik. Bewegung der Linie, All-over-Komposition und prozessuales Denken entstanden aus Pollocks Beschäftigung mit dem Automatismus der Surrealisten, der Kunst der amerikanischen Ureinwohner und Paul Klees dichten, rhythmisierten Linienstrukturen. Im Gegensatz zu Klee führte er jedoch diese Idee in großen Gesten und tänzerisch-performativer Weise am Boden in Großformaten aus.
Die 1935 gegründete Künstlergruppe „The Ten“, u.a. bestehend aus Adolph Gottlieb, Mark Rothko, John D. Graham, Joseph Solman und Theodoros Stamos, setzte sich zum Ziel, verschiedene Stilrichtungen in ihren Werken miteinander zu kombinieren. Vorbild für diese Auffassung war das Werk von Paul Klee. Im Werk von Adolph Gottlieb zeigt sich der Einfluss des Deutschen Grafikers und Malers in dessen Auseinandersetzung mit der Kunst der First Nations (oder „Native Americans“) und der Entwicklung von Piktogrammen. Auch Theodoros Stamos fand in Hieroglyphen (Mexiko), im pflanzlichen Wachstumsprozess sowie spontan-unbewussten Arbeitsweisen Motive und Methoden, die ihn von der Erzählung wegführten.
„Klee war ein wichtiger Einfluss [...] Klee war in der Einfachheit sehr komplex, und interessierte mich mehr als alles andere und tut es immer noch ...“ (Theodoros Stamos, 1965)
„„In a Garden“ ist eine kleinformatige Malerei […] Sie entstand unter dem Einfluss Paul Klees, einem modernen Meister. Er hat mich beeindruckt, und ich habe eine Menge aus dem Studium seines Werks gelernt.“ (Kenneth Noland, 1959)
Einige Frühwerke von Kenneth Noland, der am Black Mountain College bei Josef Albers studiert hatte, erinnern frappant an Paul Klees Kompositionen. Auf dem Weg zu seinen charakteristischen Kompositionen analysierte er die Kunst Klees und beschäftigte sich mit dessen Kunsttheorie. Anstelle des Künstlersubjekts und eines erzählten Themas sollten der Entstehungsprozess des Werks treten.
Zeitgenössischen Kritikern, wie Lawrence Alloway, bemerkten bereits früh die Nähe zwischen dem Werk von Paul Klee und dem jüngeren William Baziotes. Noch in den 19540er und 1950er Jahren wurden seine Gemälde mit Arbeiten von Klee (und auch Odilon Redon) in gemeinsamen Ausstellungen gezeigt: „… die Tierköpfe und geschichteten Linien bei Klee, [wurden] von Baziotes aufgegriffen und in seine eigene Meeres-Mineralische Bildsprache umgesetzt“, analysierte Alloway die „Herkunft“ der Symbolsprache des Amerikaners. Eine weitere Gemeinsamkeit ist das Festhalten an der Figur, die Baziotes durch assoziative Titel evoziert. Wie Klee verteilt auch Baziotes diese erst nach Vollendung der Werke.
Im Fall Tobey drückt sich Anerkennung über den Erwerb eines Gemäldes aus, bei Norman Lewis und Jackson Pollock nur indirekt über ihre Kunstwerke. Lewis betonte die „Lebendigkeit“, womit er weder Tobeys pulsierende Metropolen noch Pollocks tänzerische Werkgenese meinte, sondern „in sich aufgestaute Energie und ein intensives Eigenleben“ des Werkes selbst.
„Dialektik – Gegensätze in ein Stadium des Gleichgewichts führen, – eine gespannte Statik erreichen, die den bildnerischen Raum beherrscht. Diese Gegensätze entsprechen unseren inneren Konflikten, die normalerweise ungelöst bleiben.“ (Adolph Gottlieb)
Kuratiert von Dr. Fabienne Eggelhöfer, Chefkuratorin / Leiterin Sammlung Ausstellungen Forschung, Zentrum Paul Klee
„Eines meiner natürlichen Talente, das ich in der Malerei nicht genügend einsetze, ist die Linie in Verbindung mit Farbe. Ich denke, das Beispiel, das dem am nächsten kommt, obwohl er im Vergleich zu mir Miniaturen malt, ist Paul Klee. Seine Arbeiten haben eine Grundfläche, und die Motive darauf sind im Wesentlichen linear. Das ist für mich sehr natürlich.“ (Robert Motherwell, 1989)