Wien | KHM: Idole & Rivalen. Künstler im Wettstreit | ARTinWORDS
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Wien | KHM: Idole & Rivalen. Künstler:innen im Wettstreit Konkurrenz in Renaissance und Barock | 2022

Peter Paul Rubens, Helena Fourment (Das Pelzchen), Detail & Tizian, Mädchen im Pelz, Detail (beide: Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie © KHM-Museumsverband)

Kunstschaffende von der emotionalen Seite kennenlernen kann man im KHM im Herbst 2022/23. Die von Gudrun Swoboda verantwortete Schau spannt den Bogen von der griechischen Antike über Renaissance und Barock bis ins französische Rokoko. Beginnend mit dem Künstlerwettstreit zwischen Vasenmalern und Bildhauern vor etwa 2.600 Jahren, führt der Rundgang ins frühe 16. Jahrhundert von Michelangelo und Leonardo, Giovanni Bellini und Andrea Mantegna zu Tizian und Tintoretto. Spannend ist die Inszenierung der beiden Renaissance-Malerinnen Sofonisba Anguissola und Lavinia Fontana, die Wertschätzung für das Werk der älteren Anguissola erscheint wohltuend zwischen all den überschäumenden Künstler-Egos, deren Streitigkeiten bis zu Totschlag und Selbsttötung reichten.

Über Zusammenarbeit und Lehrer-Schülerverhältnis rund um Peter Paul Rubens und Anthonis van Dyck spinnen sich spannende Geschichten um Aneignung und gegenseitige Unterstützung. Bildpaare aus dem französischen Salon und zwei Porträts des Komponisten Christoph Willibald Gluck runden die Erzählung ab, indem das kunstverständige Urteil zunehmend dem Kritikerstand und dem bürgerlichen Publikum überantwortet wird. Folgerichtig können alle Besucher:innen selbst darüber abstimmen, welchen Werken sie ihre Stimme geben wollen.

Antike Kunstrivalitäten und neuzeitliche Antworten

Seitdem es Kunst gibt, gibt es Wettbewerb, Wettkampf und Wettstreit unter den Kunstschaffenden – zumindest, soweit man es in der Archäologie nachweisen kann. Erste Schriftzeugnisse wie etwa des römischen Autors Plinius d. Ä. (23/24–79 n.Chr.) oder auch Inschriften auf erhaltenen attisch rotfigurigen Amphora des Euthymides (Ende 6. Jh.–Anfang 5. Jh. v. Chr.) belegen die Auseinandersetzung zwischen Künstlern.

Der antike Mythos selbst ist voller Auseinandersetzungen um die beste künstlerische Leistung. So wagte es der Satyr Marsyas, den Gott der Künste, Apollo, im Spiel herauszufordern. Athena, die Erfinderin der Rohrflöte, hatte das Instrument abgelehnt, da es ihre Gesichtszüge „entstellte“. Nachdem Marsyas dem Gott im Wettstreit unterlegen war, häutete ihn Apollo bei lebendigem Leibe. Weniger blutrünstig ging der Wettkampf zwischen Apoll und Pan aus: Hier war der Juror, Midas, der Leidtragende, wuchsen ihm doch Eselsohren nach seinem unqualifizierten Urteil. Ein Krater des Suessula-Malers aus dem British Museum trifft auf Luca Giordanos Imagination der „Schindung des Marsyas“ (um 1695) aus dem Escorial; das Midas-Urteil hingegen wird durch Werke von Bartholomäus Spranger und Hendrick de Clerck illustriert.

Durch Pinius‘ Überlieferung sind sowohl die Geschichte von Zeuxis und Parrhasios, ersterer konnte Vögel täuschen und letzterer sogar Zeuxis selbst, als auch der Wettbewerb unter den Bildhauern Phidias, Polyklet und Kresilas um die Statuen verwundeter Amazonen für den Tempel der Artemis in Ephesos überliefert (440/30 v. Chr.). Die Musei Vaticani leihen für die Ausstellung ihre römische Kopie nach griechischem Original des Phidias (2. Hälfte 2. Jh. n. Chr.). Die Marmor-Statue trifft auf zwei Gipskopien ihrer Schwester-Amazonen von Polyklet und Kresilas der Paris Lodron Universität in Salzburg. Das heutige Publikum mag angesichts der drei Figuren selbst entscheiden, ob die antike Entscheidung, den Sieg dem Polyklet, gefolgt von Phidias, zuzusprechen.

Neuzeitliche Künstler:innen nahmen in ihren Werken auf dieses gelehrte Wissen Bezug. So manches Stillleben mit Vögeln (Jan van der Hamen y León) oder Vorhang (Jan van Rossum), Selbstporträt mit Vorhang (Cornelis Bisschop) oder gar in „Verkleidung“ als antiker Künstlerheld führt die Aktualität dieser Erzählungen vor Augen. Im Wettstreit mit der Antike versuchten Künstler durch Werke oder auch Beschreibungen bekannte Leistungen nachzueifern bzw. zu übertreffen (aemulatio): Georg Raphael Donner glaubte im 18. Jahrhundert, einem antiken Vorbild zu folgen, als er seine preziösen Kleinbronzen schuf. Heute ist bekannt, dass „Apollo und Cupido“ (1635/40) aus den Princely Collections des Fürsten von und zu Liechtenstein vom französischen Barockbildhauer François Duquesnoy stammt.

Eines der unterhaltsamsten Werke der KHM-Ausstellung ist Raphaelle Peales „Venus, die dem Meer entsteigt – eine Täuschung“ (um 1822) aus dem Nelson-Atkins Museum of Art in Kansas City. Um seine Ehefrau zu überraschen, malte der sonst als Pionier des US-amerikanischen Stilllebens bekannte Peale, die Göttin der Schönheit hinter einem weißen Vorhang. Raphaelle Peale spielt mit der Faszination des Verborgenen und dem verbotenen Blick auf die Nacktheit.

Kunst-Wettbewerb in der Renaissance

Leonardo gegen Michelangelo lautete Anfang des 16. Jahrhunderts in Florenz die Losung – gefolgt von alle erweisen Reverenz vor Michelangelo. Dass der Wettstreit unter Künstlern in der Florentiner Renaissance gleichsam die Wiege der neuen Kunstproduktion war, ist hinlänglich bekannt (siehe: Baptisteriumstür). Zwei Versionen der „Opferung Isaaks“ von Filippo Brunelleschi und Lorenzo Ghiberti, beide 1401 und Leihgaben aus dem Museo Nazionale del Bargello in Florenz, sind zwei von sieben Einreichungen. Die Jury bestand aus 34 Personen, die Ghibertis Darstellung zum Sieger kürten und ihm so den Auftrag zusprachen.

Die KHM-Ausstellung setzt mit dem legendenumwobensten Künstler-Kampf ein, Leonardo da Vincis und Michelangelo Buonarrotis Kartons für Schlachtengemälde in der Signoria des Stadtstaates. Zuerst das Allround-Talent Leonardo und danach der 23 Jahre jüngere Bildhauer-Maler Michelangelo beschäftigten sich mit wichtigen Schlachten aus der Geschichte von Florenz. Auf 18 mal 8 Metern soll Leonardo die Schlacht von Anghiari darstellen, bei der die Florentiner 1440 die Mailänder besiegten. Kurz darauf wird Michelangelo mit der Schlacht von Cascina beauftragt, in der die Florenti­ner erfolgreich im Jahr 1364 gegen die Pisaner kämpften. Die Fresken wurden vermutlich nie ausgeführt, aber die Kartons und Vorzeichnungen prägten jahrhundertelang Künstler:innen und Kunstliebhaber:innen. Im KHM bezeugt u.a. Peter Paul Rubens‘ „Kampf um die Standardte“ (um 1605, Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien), wie er Leonardos Komposition für sich fruchtbar machte. Michelangelos Schlacht von Cascina ist in drei Druckgrafiken und Zeichnungen im Haus am Ring präsent. Die wertvollen Kopien gegeben partiell Einblick in die revolutionären Arbeiten, an denen beide Maler vermutlich ob der Größe der Aufgabe und weiteren wichtigen Mäzenen gescheitert sind.

Auseinandersetzungen um Aufmerksamkeit und vor allem Kunstverständnis findet sich überall, wo man hinsieht: Sei es Michelangelos Überraschung, als er 1545 in Rom Tizian bei der Arbeit an dessen „Danae“ (nach 1554, KHM) sah und feststellen musste, dass der Venezianer seine „Allegorie der Nacht“ als Ausgangspunkt genutzte hatte – in Wien durch die Alabaster-Replik Giambolognas vertreten. Gleichsam in Abwehrhaltung lästerte der Florentiner über die fehlende Zeichnung Tizians, dessen revolutionären Kolorismus unterschlug er gekonnt. In Italien wurde Michelangelo seit seinen ersten, vor allem bildhauerischen Werken kopiert: Bartolomeo Ammannati verarbeitete um 1550 den berühmten „Moses“ (um 1513) und sogar noch der Caravaggist Valentin de Boulogne ließ sich für seinen „Moses mit den Gesetzestafeln“ (um 1628, KHM). Auch seine „Pietà“, die der 25-jährige Michelangelo 1499 geschaffen hatte, setzte so neue Maßstäbe, dass die Skulptur in St. Peter zum Studienobjekt von Künstler:innen wurde. Im KHM zeigen Cigoli und Annibale Carracci noch 100 Jahre nach Entstehung des Werks dessen hohe Bedeutung.

Künstler:innen-Wettstreit im KHM

Leonardo da Vinci, Michelangelo Buonarroti, Albrecht Dürer, TizianAndrea MantegnaGiovanni Bellini Sofonisba Anguissola, Lavinia Fontana, Benvenuto Cellini, Peter Paul Rubens, Anthonis van Dyck und anderen im KHM. Die Ausstellung wirft mit herausragenden Werken des Kunsthistorischen Museums und einer Auswahl von rund 70 weiteren Hauptwerken aus internationalen Sammlungen einen differenzierten Blick auf dieses gleichermaßen komplexe wie faszinierende Thema.

Teil des Ausstellungskonzepts ist es, zahlreiche künstlerische Konfrontationen von der Antike bis in die Zeit um 1800 nachzuzeichnen und die rivalisierenden Werke heute wieder einander gegenüberzustellen. Dabei sollen aber positive Wertschätzung und Bewunderung, wie jene zwischen Sofonisba Anguissola und Lavinia Fontana, nicht zu kurz kommen!

Kuratiert von Gudrun Swoboda.

Ausgestellte Künstler und Künstlerinnen

Phidias | Euthymides Euphronios | Jan van der Hamen y León | Jan van Rossum | Cornelis Bisschop | Suessula-Maler | Bartholomäus Spranger | Hendrick de Clerck | Luca Giordano | Antonio Lombardo | Jodocus van Winghe | Valentine Green, nach James Barry | Raphaelle Peale | François Duquesnoy | Georg Raphael Donner | Filippo Brunelleschi | Lorenzo Ghiberti | Antonio Pollaiuolo | Benedetto da Maiano | Peter Paul Rubens (nach Leonardo da Vinci) | Lorenzo Zacchia | Bastiano da Sangallo (nach Michelangelo) | Michelangelo Buonarroti | Agostino Veneziano | Marcantonio Raimondi | Benvenuto Cellini | Giambologna | Francesco Petrarca | Giorgione | Tizian | Giovanni Bellini | Lorenzo Lotto | Georg Schweigger | Bartholomäus Spranger | Hubert Gerhard | Sebastian Stoskopff | Marten Jozef Geeraerts | Frans Floris – Werkstatt | Ludovico Cigoli | Annibale Carracci | Bartolomeo Ammannati? | Valentin de Boulogne | Andrea Mantegna | Giovanni Bellini | Sofonisba Anguissola | Lavinia Fontana | Anthonis van Dyck | Tleson | Giorgio Vasari | Roberto Venturi | Filippo Negroli / Giovan Battista Negroli | Joachim von Sandrart | Christopher Paudiß | Franz Rösel von Rosenhof | Carlo Dolci | Luca Giordano | Gasparo de Vecchi | Francesco Borromini | Christoph Lencker | Anton Schweinberger / Nikolaus Pfaff | Christoph Jamnitzer | Paulus van Vianen | Albrecht Dürer | Daniel Fröschl | Tintoretto | Il Cerano / Giulio Cesare | Procaccini / Il Morazzone | Jan Brueghel d. Ä. | Hendrick van Balen / Jan Brueghel der Jüngere | Pieter van Avont | Jan Vermeyen / Ottavio Miseroni | Jobst Bürgi / Ottavio Miseroni | Roger de Piles | Charles-Nicolas Cochin | Joseph-Benoît Suvée | Jacques-Louis David | Claude-Joseph Vernet | Philippe-Jacques de Loutherbourg / Pierre-Antoine de Machy | Joseph-Sifrède Duplessis | Jean-Antoine Houdon | Franz Anton Maulbertsch | Jean Mauger / Thomas Bernard | Giovanni Martino Hamerani | Ermenegildo Hamerani | Benedikt Richter / Matthäus Donner | Jean Dassier

Idole & Rivalen. Künstler im Wettstreit: Bilder

  • Peter Paul Rubens, Helena Fourment (Das Pelzchen), 1636/38, Öl auf Eichenholz, 178,7 × 86,2 cm (Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie © KHM-Museumsverband)
  • Tizian, Mädchen im Pelz, um 1535, Öl auf Leinwand, 95,5 × 63,7 cm (Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie © KHM-Museumsverband)

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.