Gerhard Richter, Abstraktes Bild 559-1, 1984, Öl auf Leinwand 200 x 300 cm (Kunstsammlung der Hypo Vereinsbank- Member of UniCredit) Courtesy Richter Images © Gerhard Richter 2017 (0131)
Die „Neue Abstraktion“ begann in den 90ern und blüht in verschiedensten Ausprägungen bis heute. Die Abstraktion der „Zweiten Moderne“ (Heinrich Klotz) ist durch ihre Heterogenität geprägt, fernab verbindender oder trennender Manifeste oder Ideologien wie es für die Abstraktion der 1910er Jahre bzw. der Nachkriegsmoderne charakteristisch ist. Sichtbares Zeichen für die Erneuerung der Abstraktion nach dem Ende des Kalten Kriegs war die „documenta IX“ 1992: Gerhard Richter, Günther Förg, Juan Uslé und Herbert Brandl waren mit wichtigen Werken vertreten und propagierten eine ungegenständliche Malerei.
Österreich | Krems: Kunsthalle Krems
2.7. – 5.11.2017
Mit mehr als sechzig Positionen bietet die Ausstellung „Abstract Painting Now!“ einen Überblick über die wichtigsten Abstrakten der anglo-amerikanischen und deutschsprachigen Kunstszene. Die Liste der ausgestellten Künstlerinnen und Künstler reicht von Gerhard Richter über Albert Oehlen, Imi Knoebel, Charline von Heyl und Katharina Grosse bis Wade Guyton. Werke von österreichischen Malerinnen und Malern – wie Erwin Bohatsch, Herbert Brandl, Hubert Scheibl und Walter Vopava, Martha Jungwirth, Suse Krawagna oder Christoph Schirmer – werden international kontextualisiert.
Alles begann mit Gerhard Richter und seinen „Grauen Bildern“ der Jahre um 1970. In dieser Phase erforschte Richter anhand von Fotomalerei aber auch figurativ-abstrakten Formulierungen – wie den Vorhand-, Wellen- und Röhrenbildern (→ Gerhard Richter: Über Malen / frühe Bilder) – Möglichkeiten der Abstraktion bar einer persönlichen Handschrift und subjektivem Ausdrucks, wie es die Maler des Abstrakten Amerikanischen Expressionismus oder des Informel geprägt hatten (→ Abstrakter Expressionismus | Informel). Die Möglichkeiten der Repräsentation auszuloten, zu malen ohne zu komponieren, waren, verkürzt ausgedrückt, wichtige Fragestellungen Gerhard Richters in den 1970er Jahren. Dass der Maler in Düsseldorf gerade 1976 wieder zur Farbigkeit und Abstraktion fand, erstaunte die Zeitgenossen, lässt sich jedoch aus den Erfahrungen der vorangegangenen eineinhalb Jahrzehnte ableiten. Dem „gefundenen“ Motiv setzte Gerhard Richter die Rakel entgegen, um individuelle Handschrift zu verwischen. Der Zufall führt bei dieser Geste ebenso Regie, da Richter das Freilegen und Verschmieren der Farbschichten nur rudimentär kontrollieren kann. Bis heute arbeitet Richter mit dieser Methode (→ Gerhard Richter. Neue Bilder) und schafft dichte Farbgewebe, die von der Ästhetik der Dichte und Farbwerte lebt.
Sean Scully führte Emotion in das abstrakte Bild ein und holte, so Florian Steininger, „die Malerei aus der Selbstverweigerung heraus“1. Und weiter der Kurator: „Sinnliches Verlangen, personal touch und loaded brush anstelle von asketischer Konzeptualität. Eine Malkultur in der Nachfolge von Diego Velázquez, Edouard Manet, Paul Cézanne, Henri Matisse, Mark Rothko und Willem de Kooning verbreitet sich.2 Strenge geometrische Formen „humanisiert“ Sean Scully mit Hilfe seiner Handschrift bzw. Spuren des Entstehungsprozesses. Die „Neue Abstraktion“, so kann man aus der Gegenüberstellung des konzeptualistischen Richter und des emotional-sinnlichen Scully, ergänzt durch Günther Förg, Helmut Federle aber auch dem analytischen Peter Halley (→ Neo-Geo), schlussfolgern, speist sich aus der Unauflösbarkeit dieses Gegensatzes.
Eine weitere „Entwicklungslinie“ der Abstraktion führt über das autonome Landschaftsbild des 19. Jahrhunderts zu den „Erfindern“ abstrahierter Kompositionen, also von Caspar David Friedrich, Gustave Courbet und William Turner über die Seerosen-Panoramen von Claude Monet bis zu Wassily Kandinsky und Piet Mondrian, weiter zu Mark Rothkos Farbfeldmalerei und Willem de Koonings abstrakt-impressionistischen Impasto-Gemälden der 1970er Jahre. Per Kirkeby oder Eugène Leroy schlossen an diese Auseinandersetzung mit dem Landschaftlichen an. Kirkeby selbst spricht von seinen Gemälden als Sedimentation. Transformation, Atmosphäre, Figürliches, ohne illustrativ zu sein, sind weitere wichtige Assoziationen vor seinen Werken. Doch auch direkte Auseinandersetzungen sind heute nicht verpönt: Die amerikanische Malerin Caitlin Lonegan bekennt sich zur Beschäftigung mit Willem de Kooning.
Mitunter entwickeln sich solche Abstraktionen auch zu Materialbildern, d. h. materiellen Anhäufungen auf dem Bildträger, so zu sehen bei Franz Grabmayr oder Rudolf Stingel. Ihre Bilder haben einen objekthaften Charakter per se, leben auch von der großen Geste des pastosen Spachtelauftrags (bei Grabmayr seit 1967).
„Die radical painters sind dem Idealismus und der Strenge der Moderne verpflichtet, ja setzen die Geschichte der absoluten Bilder von Malewitsch (Weißes Quadrat auf weißem Grund, 1918), Alexander Rodtschenko (seine letzten Bilder in den drei Primärfarben von 1921), Ad Reinhardt („Black Paintings“) und Robert Ryman (weiße Malerei) konsequent ins Heute fort.“3 (Florian Steininger)
Wenn auch die aktuelle Abstraktion von Stilpluralismus und durchaus emotionaler Durchdringung geprägt ist, so gibt es doch eine Reihe von Malerinnen und Malern, die der strengen, dogmatischen Ungegenständlichkeit ihren Tribut zollen. Monochrome Malerei ist durch Werke der Amerikaner Marcia Hafif und Joseph Marioni sowie Günter Umberg vertreten. Joseph Marioni verweigert sich – in bester Greenberg’scher Tradition – der Tiefenräumlichkeit und schüttet Acryl-Farbe über die Bildträger. Die Leinwände saugen die Flüssigkeit auf und bilden monochrome Farbflächen aus, Farbnasen lassen auf den Entstehungsprozess rückschließen.
Während der 1980er Jahre prägte eine Gruppe von Malern, darunter Peter Halley, Gerwald Rockenschaub und Heimo Zobernig, eine Form der humorvoll-ironischen Abstraktion: Unter dem „Label“ Neo-Geo spielten sie mit Zeichensystemen und Logokultur. Auffallend ist, dass die jüngere Generation an ungegenständlichen Malerinnen und Malern, vertreten von Tomma Abts, Natalia Załuska oder Svenja Deininger, zu den Geburtsstunden der Avantgarden wieder zurückgehen und konstruktivistische Strategien mithilfe von Linie und Faktur neu interpretieren.
Schillernde Schleierbilder und sphärische Felder vs. pulsierende Kaleidoskope stellen zwei weitere Möglichkeiten abstrakten Gestaltens dar. Farbfeldmalerei4 von Arnulf Rainer, Pat Steir oder Mark Francis setzt Farbe als immaterielle Substanz ein. Atmosphärisches zeigt sich in von der Leinwand aufgesogenen Farbschleiern. Formal im Kontrast dazu stehen Philip Taafe, Bernard Frize und Ross Bleckner, für deren Werke das Ornament als serielles, sich wiederholendes Formengut zum Ausgangspunkt malerischer Recherchen wurde.
Kuratiert von Florian Steininger
Florian Steininger (Hg.)
mit Textbeiträgen von Heinrich Klotz, Ulrich Loock, Demetrio Paparoni, Florian Steininger
23 x 28 cm, 216 Seiten, Hardcover, Deutsch / Englisch
Verlag der Buchhandlung Walther König
Tomma Abts, John M. Armleder, Ross Bleckner, Erwin Bohatsch, Herbert Brandl, André Butzer, Ernst Caramelle, Gunter Damisch, Svenja Deininger, Helmut Federle, Günther Förg, Mark Francis, Bernard Frize, Jakob Gasteiger, Rudolf Goessl, Franz Grabmayr, Katharina Grosse, Wade Guyton, Marcia Hafif, Peter Halley, Nancy Haynes, Mary Heilmann, Secundino Hernández, Callum Innes, Martha Jungwirth, Franco Kappl, Per Kirkeby, Imi Knoebel, Kurt Kocherscheidt, Suse Krawagna, Jonathan Lasker, Eugène Leroy, Caitlin Lonegan, Brice Marden, Joseph Marioni, Jason Martin, Sarah Morris, Frank Nitsche, Walter Obholzer, Albert Oehlen, Ahmet Oran, Sigmar Polke, Arnulf Rainer, Gerhard Richter, Gerwald Rockenschaub, Thomas Scheibitz, Hubert Scheibl, Adrian Schiess, Christoph Schirmer, Josef Schwaiger, Sean Scully, Pat Steir, Rudolf Stingel, Philip Taaffe, Liliane Tomasko, Lee Ufan, Günter Umberg, Juan Uslé, Charline von Heyl, Walter Vopava, Christopher Wool, Natalia Załuska, Otto Zitko, Heimo Zobernig.