Klimt und die Antike: Mythologie, Hetärengespräche, Vasenmalerei
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Klimt und die Antike Griechische Vasenmalerei als Inspirationsquelle für Gustav Klimt

Gustav Klimt, Sitzender weiblicher Halbakt, 1904 (Leopold Museum, Wien, Reproduziert in: Die Hetärengespräche des Lukian)

Gustav Klimt, Sitzender weiblicher Halbakt, 1904 (Leopold Museum, Wien, Reproduziert in: Die Hetärengespräche des Lukian)

Ausgehend von den „Hetärengesprächen“ des Lukian, die Gustav Klimt für eine Neuübersetzung 1907 mit erotischen Zeichnungen „illustrierte“, stellt Tobias N. Natter im Belvedere die Frage nach der Bedeutung der Antike und Erotik für das Werk des berühmten Wiener Jugendstilmalers.

Klimts Antikenbezüge im Frühwerk

Das Frühwerk von Gustav Klimt ist im Sinne des Historismus und der akademischen Tradition deutlich von der Antike geprägt. In den Dekorationen für das Stiegenhaus des Wiener Burgtheaters wählten Klimt und die Künstler-Compagnie Szenen aus der antiken Theatergeschichte: „Der Altar des Dionysos“ oder „Das Theater in Taormina“. Im Stiegenhaus des Kunsthistorischen Museums hatte die Dreiergruppe in einem der Interkolumnienbilder die „Allegorie der griechischen Antike“ umzusetzen. Gustav Klimt wählte dafür ein altgriechisch gekleidetes Mädchen, die im Bildprogramm „im Wesen der Tanagrafiguren gehalten, ein Hetaerentypus“ beschrieben wurde. Quadrierte Übertragungszeichnungen für die „Griechische Antike“ (1890/91, Kunsthistorisches Museum → Klimts Dekoration im Kunsthistorischen Museum: Stairway zu Klimt) zeigen in der Ausstellung, wie Klimt diese Allegorien, teils noch mit Bewegung, umsetzte.

Der positivistische Zugang des Historismus ist im Werk Gustav Klimts in den 1890er Jahren deutlich spürbar. Für das Bildnis von Joseph Pembaur gestaltete der Maler einen Rahmen, der u.a. ein antikes Dreibein zeigt. Zeichnungen und Aquarelle, wie das heute verschollene Aquarell „Am Morgen“ (1892), das als Lichtdruck-Postkarte reproduziert wurde (erstmals in der Ausstellung zu sehen!), belegen die intensive Beschäftigung Klimts mit der Kunst der Antike. Diese erfolgte nicht nur vor den Originalen im Kunsthistorischen Museum bzw. Gipskopien, sondern auch über Reproduktionen in Prachtbänden, wie die Ausstellung vorführt. Seit Ende des 18. Jahrhunderts, als vor allem die Griechische Vasenmalerei als Dokument antiker Malerei wertgeschätzt und gesammelt wurde, ließen deren Besitzer ihre Kostbarkeiten in Buchform veröffentlichen. Die schwarz- und rotfigurigen Dekorationen wurden mit Betonung der Flächigkeit abgezeichnet und in Folianten europaweit verfügbar. Gustav Klimt konnte sich mit Hilfe dieser Bücher (vergleichbar mit Vorlagenwerken) in die Welt der Antike einarbeiten – sowohl wissenschaftlich, was die Gestaltung antiker Objekte, Kleidung, Figurentypen anlangte, als auch formal, was die betonte Flächigkeit, grafische Gestaltung und der Umgang mit Leerflächen betraf.

Antike in der Wiener Moderne?

Mit der Gründung der Wiener Secession im Jahr 1897 und der Erneuerung der Kunst im „Heiligen Frühling [Ver Sacrum]“ lösten sich die Mitglieder rund um Klimt mitnichten kategorisch von der Tradition, sondern suchten diese auf komplexe Weise mit ihren Modernevorstellungen zu verbinden. Für das erste Plakat der Wiener Secession stellte Gustav Klimt das Schicksal der Gruppe unter den Schutz von Allas Athene, die über den Kampf von Theseus und Minotaurus wacht. Wenn auch der Motivschatz und die Bedeutungen antiker Figuren aus dem 19. Jahrhundert weitergeführt wurden, so wählte Klimt doch für diese Darstellung eine dem Jugendstil bereits verpflichtete Flächigkeit. Etwa gleichzeitig arbeitete der Wiener Maler am Gemälde „Pallas Athene“ (1898, Wien Museum), für das er die attische Göttin und Schutzherrin der Künste, frontal und mit goldglänzender Rüstung vorstellt. Leider konnte sich das Wien Museum nicht vom Original trennen, weshalb das Werk in Form eines alten Lichtdrucks in der Schau präsent ist. Dem Vorbild von Franz von Stuck und der Münchner Secession folgend (→ Franz von Stuck. Sünde und Secession), präsentierte Klimt die Wiener Moderne als Erneuerung der Kunst, ohne revolutionären, oder gar umstürzlerischen Konzepten zu verfolgen.

Die Weiterführung antiker Motive traf im Laufe der Jahre zunehmend auf Antikenzitate und eine stilistische Auseinandersetzung Gustav Klimts mit der griechischen Vasenmalerei (→ Griechische Vasenmalerei). Exponate aus der Griechischen Abteilung des Kunsthistorischen Museum, der Glyptothek in München und dem Antikenmuseum in Basel zeugen nicht nur von der Vorbildwirkung der bemalten Vasen, sondern wurden teilweise vom Künstler wörtlich in seine Bildwelt übertragen.

Interessierte sich der historistische Klimt noch für die antike Lebenswelt, um sie in den Dekorationsaufträgen des Burgtheaters und des Kunsthistorischen Museums in einer akademischen Historienmalerei à la Lawrence Alma-Tadema umzusetzen, so verschob er seinen Fokus nach Gründung der Wiener Secession 1897 auf formale Inspirationen. Flächigkeit als stilprägenes Merkmal des Jugendstils, Rhythmus und leere Flächen tauchen zuerst in der Rahmengestaltung zum Porträt Josef Pembaur auf. Das erste Plakat für die Wiener Secession (1897) und vor allem der „Beethoven-Fries“ (1901/02) gehen in der Antikenrezeption Klimts bereits einen Schritt weiter. Hier sind nicht mehr „nur“ antike Wesen zugange (Theseus im Kampf gegen Minotaurus, von Pallas Athene bewacht bzw. Poesie mit einer antiken Lyra), sondern die Gestaltung an sich lässt sich mit antiken Vorbildern vergleichen. Die langjährige Auseinandersetzung Klimt mit der Antike und seine Öffnung in Richtung Jugendstil findet im „Beethoven-Fries“ (1901/02) einen bedeutsamen Höhepunkt. In dieser wandgebundenen Monumentalmalerei (Original in der Wiener Secession, in der Ausstellung ist die vom Bundesdenkmalamt angefertigte Kopie zu sehen) gelangte Klimt zu einem aus heterogenen Quellen gespeisten Personalstil, der als Goldene Periode bezeichnet wird. „Poesie“, „Typhaeon“ und das Schweben der „Sehnsucht nach Glück“ lassen sich mit Vorbildern der Vasenmalerei besser verstehen. Klimt entwickelte in diesem Werk eine Art Copy-and-Paste Verfahren, das ihn m.E. als Vertreter sowohl der Moderne wie gleichermaßen des Historismus kennzeichnet.

Gustav Klimt und das Buchprojekt „Hetärengespräche“

Der spätantike hellenistische Autor Lukian von Samosata verfasste die „Hetärengespräche“ 160 n. Chr.; in attischer Gossensprache erzählte er Geschichten über die Halbwelt Athens, in denen er Alltägliches aus dem Leben der Hetären schildert: Eifersucht, Homosexualität, lesbische Liebe, Züchtigung und Liebeszauber werden komödiantisch zum Besten gegeben.

Für eine Neuausgabe, die 1907 auf den Buchmarkt kam, übersetze der Wiener Schriftsteller Franz Blei den Text neu auf Deutsch. Gustav Klimt ist mit 15 „Illustrationen“, oder besser gesagt erotischen Zeichnungen, bei diesem Buchprojekt. Die verlegerischen Belange wurden von Julius Zeitler in Leipzig übernommen. Zeitler vertraute auch die Gestaltung der Einbände der Wiener Werkstätte an: Da er am 14. August 1906 die Wiener Werkstätte mit der Gestaltung der Mustereinbände beauftragte, waren zu diesem Zeitpunkt Umfang der Publikation und Auswahl der Klimt-Zeichnungen wohl schon festgelegt.

Gustav Klimts erotische Zeichnungen in den „Hetärengesprächen“

Klimts Zeichnungen gelten als „Inbegriff erotischen Raffinements“ (Bisanz-Prakken). Die 15 Blätter, die als Illustrationen der 1907 von Franz Blei veröffentlichten „Hetärengesprächen“ des Lukian ihre einmalige Verwendung fanden, entstanden in einem Zeitraum von 1904 bis 1906. Zwei Drittel der Zeichnungen können in das Jahr 1904 datiert werden. Das ist insofern von Bedeutung, als Klimt in diesem Jahr von Packpapierbögen auf helleres Japanpapier umstieg, da er die weiche Kreide durch den harten Bleistift ersetzte. Einige der Arbeiten schuf Gustav Klimt im Rahmen der ersten Fassung von Wasserschlangen II (1904–1907): Während sich Klimt im Gemälde mit der Andeutung von Erotik begnügte (begnügen musste), ging er in den vorbereitenden Studien und Zeichnungen weit über die Tabugrenze seiner Zeit hinaus. Bisanz-Prakken hebt daher die „unverblümte Sinnlichkeit [und das] äußerst kultivierte Linienvokabular“ der ausgewählten Zeichnungen hervor. Durch die Publikation erfuhren die Blätter nicht nur eine (eingeschränkte) Veröffentlichung, die in den folgenden Jahren teils auch in Ausstellungen erzielt wurde, sondern das Medium der Zeichnung wurde als autonomer, bildwürdiger Ausdruck des Künstlers erkannt.

Im Vergleich zum zeichnerischen Werk Klimts der vorangehenden Jahre fällt das zunehmende Interesse des Künstlers an der Erotik (Autoerotik) und Sexualität der Frau auf. Das Tabuthema Selbstbefriedigung – das Gustav Klimt ausschließlich in Zeichnungen behandeln konnte – trat erstmals im Jahr 1904 auf. Immerhin zeigen drei Illustrationen in den „Hetärengesprächen“ masturbierende Frauen, wodurch die Publikation zu einem Erotikon wurde. Ob sich Gustav Klimt für diesen Schritt durch die erotischen Zeichnungen von Auguste Rodin inspiriert fühlte, wird im Ausstellungskatalog von Tobias N. Natter nicht erwähnt.

Die Entscheidung, bereits vorliegende Zeichnungen als Ergänzungen zum Text aufzunehmen und kleine textreuen „Illustrationen“ in Auftrag zu geben, lässt das Buchprojekt wie eine Verbindung von zwei Welten erscheinen: Der spätantike Text bar jeglicher Erotik wird durch die Bilder Klimts mit Sinnlichkeit gleichsam aufgeladen. Die Differenz wird verlegerisch kenntlich gemacht, indem nahezu alle Zeichnungen im Verhältnis zum Textspiegel um 90 Grad gedreht gedruckt wurden. Die einzigen Hochformate in den „Hetärengesprächen“ – die so bezeichnete „Corinna“ und das vorgebeugt sitzende Modell – markieren Anfang und Ende des zentralen Text- und Bildteils.

Die bibliophile Neuauflage der „Hetärengespräche“ war Anfang 1907 ein echter Kassenschlager. Die erhaltenen Vorzugsausgaben A und B geben einen Eindruck von der Käuferschicht, die mit dem Produkt angesprochen wurde: Zu den prominenten ErstbesitzerInnen zählten Hermann Bahr, André Gide, Gottfried Eissler und vor allem der deutsche Sammler Karl Ernst Osthaus, Gründer des Museum Folkwang (ehemals Hagen, heute: Essen).

Überschwänglich bedankte sich Bahr bei dem Verleger für dessen Idee, hielt eine Lobrede auf seinen Freund Gustav Klimt und dessen gezeichnete Tabubrüche und vermeinte in den erotischen Darstellungen das natürliche „Weib“ zu entdecken:

„Ich trinke Klimt, den hellen Heiden. Die da draußen, wo sie alles wissen, glauben, daß er nur mit Linien spiele. Arme Toren, daß ihr die namenlose Macht dieser heilig schwörenden Geilheit nicht vernehmt! Hier ist der einzige, dem keine bürgerliche Scham die blühende Natur verdunkelt. Der einzige, der wieder heidnisch blickt. Der einzige, dem das Weib überall Weib ist.“

Kooperation mit dem Kunsthistorischen Museum, Wien

Kuratiert von Tobias Natter, Stephanie Auer

Klimt und die Antike: Bilder

  • Gustav Klimt, Bildnis Josef Pembaur d. Ä., 1890, Öl auf Leinwand, 69 × 55 cm, Bez. r. o. „ANNO DOMINI -/ MDCCCLXXXX.“; r. u. „G. -/ K.“ (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, © Tiroler Landesmuseen)
  • Gustav Klimt, Die feindlichen Gewalten (Detail des Beethovenfrieses), 1901/02 (Belvedere, Wien, © Belvedere, Wien)
  • Gustav Klimt, Die Poesie (Detail Beethovenfries), 1901/02 (© Belvedere Wien)
  • Gustav Klimt, Sitzender weiblicher Halbakt, 1904 (Leopold Museum, Wien, Reproduziert in: Die Hetärengespräche des Lukian)
  • Die Hetärengespräche des Lukian, Edition A, 1907 (Privatbesitz, © Belvedere, Wien)
  • Gustav Klimt, Freundinnen (Wasserschlangen I), 1905/06, mit letzten Überarbeitungen 1907, Bleistift auf Pergament mit Aquarell- und Deckfarben, mit Silber- und Goldbronze und Goldauflagen gehöht, 50 × 20 cm (Belvedere, Wien, © Belvedere, Wien)
  • Kalathos des Brygos-Malers, Attisch, rotfigurig, um 470 v. Chr. (Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München, © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München/Renate Kühling)
  • Amphora des Phrynos-Malers, um 550/540 v. Chr. (© Antikensammlung Basel und Sammlung Ludwig)
  • Schale des Tarquinia-Malers, Attisch, rotfigurig, um 470–460 v. Chr. (Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig, © Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig)
  • Halsamphore des Providence-Malers, Attisch, rotfigurig, um 480 v. Chr. (Kunsthistorisches Museum, Wien, Antikensammlung, © KHM-Museumsverband)
  • Musensarkophag, 180–200 n. Chr. Mittlere Kaiserzeit (Kunsthistorisches Museum, Wien, Antikensammlung, © KHM-Museumsverband)

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.