Lisette Model

Wer war Lisette Model?

Lisette Model (Wien 10.11.1901–30.3.1983 New York) war eine in Österreich geborene US-amerikanische Fotografin der Street Photography. Als produktive Fotografin in den 1940er Jahren und Mitglied der New Yorker Genossenschaft Photo League wurden ihre Aufnahmen in „PM's Weekly“, „Harper's Bazaar“ und „US Camera“ veröffentlicht, bevor sie 1949 durch die Vermittlung von Ansel Adams ihre Lehrtätigkeit aufnahm. Lisette Model fotografierte weiterhin und unterrichtete von 1951 bis zu ihrem Tod 1983 an der New School for Social Research in New York; zu ihren berühmtesten Student:innen zählt Diane Arbus und Bruce Weber; weiter zu nennen sind Larry Fink und Shelly Rusten.

Zu den bekannten Persönlichkeiten, die sie porträtierte, gehören Frank Sinatra, Georges Simenon, Valeska Gert, Louis Armstrong und Ella Fitzgerald. Models Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen gezeigt und befinden sich immer noch in mehreren ständigen Sammlungen, darunter die der National Gallery of Canada und des J. Paul Getty Museums.

„Die Kamera ist ein Erkennungsinstrument; wir fotografieren nicht nur das, was wir kennen, sondern erforschen neue Aspekte einer sich ständig verändernden Welt.“1 (Lisette Model)

Kindheit

Lisette Model wurde am 10. November 1901 als Élise Amélie Félicie Stern im Haus der Familie im 8. Wiener Gemeindebezirk, Österreich-Ungarn, geboren. Ihr Vater Victor Hypolite Josef Calas Stern war ein italienisch-österreichischer Arzt jüdischer Abstammung, der der österreichisch-ungarischen kaiserlichen und königlichen Armee und später dem Internationalen Roten Kreuz angehörte; ihre Mutter Francoise Antoinette Félicié (geb. Picus) war Französin und Katholikin. Lisette Model wurde römisch-katholisch getauft. Sie hatte einen ein Jahr älteren Bruder namens Salvator. Aufgrund des zunehmenden Antisemitismus in Österreich und der Auseinandersetzung ihres Vaters mit seiner jüdisch-österreichischen Identität ließ er im Februar 1903 den Nachnamen in Seybert ändern. Sechs Jahre später wurde ihre jüngere Schwester Olga geboren. Laut einer Interviewaussage ihres älteren Bruders wurde sie von ihrem Vater sexuell belästigt, obwohl das volle Ausmaß seines Missbrauchs unklar bleibt.

Model erhielt eine bürgerliche Erziehung, wurde hauptsächlich von einer Reihe von Privatlehrern unterrichtet und sprach fließend Italienisch, Deutsch und Französisch. Auch als die Familie nach dem Ersten Weltkrieg finanziell angespannt war, wurde ihre private Ausbildung weitergeführt. Trotz ihrer privilegierten Erziehung erinnerte sich die Künstlerin häufig an ihre schwierige Kindheit.

Ausbildung

Lisette erhielt ab 1918 Klavierunterricht von Eduard Steuermann. Im Jahr 1920 begann die 19-Jährige an der Schwarzwald Schule ein zweijähriges Musikstudium bei dem Komponisten – und Vater ihrer Jugendfreundin Gertrude – Arnold Schönberg (Harmonielehre und Kontrapunkt) sowie Gesang bei Marie Gutheil-Schoder. Lisette war den Mitgliedern seines Kreises vertraut. „Wenn ich jemals in meinem Leben einen Lehrer und einen großen Einfluss hatte, dann war es Schönberg“, sagte sie. Über ihre Kunstausbildung ist wenig bekannt, aber ihre Verbindung zu Schönberg brachte sie in Kontakt mit der zeitgenössischen Kunstszene und führenden Avantgarde-Künstlern. Der frühe Kontakt mit dem Expressionismus beeinflusste möglicherweise Models Interesse an der Beobachtung von Menschen und später an der Fotografie.

Nach dem Krebs-Tod ihres Vaters (1924) verließ sie mit ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester Olga 1926 Wien, um Gesang bei der polnischen Sopranistin Marya Freund zu studieren, die sie bei Schönberg getroffen hatte. Zudem besuchte Model den Salon der Sängerin, Felicie und Olga zogen weiter nach Nizza, aber Lisette blieb in Paris, dem neuen kulturellen Zentrum nach dem Ersten Weltkrieg, um ihr Musikstudium fortzusetzen.

Von 1926 bis 1933 unterzog sich Lisette einer Psychoanalyse wegen Kindheitstraumata, aber es ist wenig darüber bekannt, welche genauen Probleme sie hatte, außer dass sie vermutlich in ihrer Kindheit von ihrem Vater missbraucht wurde. Diese Jahre wurden als ihre einsame Zeit bezeichnet, da sie allein Cafés besuchte und darum kämpfte, in eine radikal andere soziale Gruppe einzutauchen als die bürgerliche Klasse, von der sie umgeben war.

Im Jahr 1933 gab Lisette die Musik auf und widmete sich wieder dem Studium der bildenden Kunst, zunächst als Malerei-Schülerin von André Lhote (zu dessen weiteren Schülern Henri Cartier-Bresson und George Hoyningen-Huene gehörten). Bei einer Reise nach Nizza lernte sie ihren Mann, den konstruktivistischen Maler Evsa Model (1901–1976), kennen. Model gehörte zur Pariser Gruppe „Cercle et Carré“, gemeinsam mit Piet Mondrian, Michel Seuphor und Sophie Taeuber-Arp. In Nizza produzierte Lisette 1934 eine ironische Bilderserie über die Nobelurlauber:innen an der Promenade des Anglais, die 1935 mit einem sozialkritischen Kommentar in der Zeitschrift „Regards“, einem Organ der kommunistischen Partei, veröffentlicht wurde. Damit gelang ihr der Durchbruch im Bereich der Straßenfotografie. 1937 war sie Schülerin bei der surrealistischen Fotografin Florence Henri und heiratete im September 1937 Evsa Model.

Erste Fotografien

Zwischen 1933 und 1938 schuf Lisette Model ihre ersten extrem direkten, aber dennoch respektvollen Fotografien in Paris und an der Côte d‘Azur. Model kaufte ihren ersten Vergrößerer und ihre erste Kamera, als sie nach Italien reiste. Sie hatte kaum Ausbildung oder Interesse an Fotografie; Olga brachte ihr die Grundlagen der Fototechnik bei. Model interessierte sich am meisten für den Dunkelkammerprozess und wollte Dunkelkammertechnikerin werden. Sie benutzte ihre Schwester als Modell, als sie anfing zu fotografieren. Model behauptete, dass sie „einfach eine Kamera in die Hand genommen habe, ohne den Ehrgeiz, gut oder schlecht zu sein“. Ihre Freunde aus Wien und Paris bestätigten jedoch, dass Lisette Model hohe Ansprüche an sich selbst und einen starken Wunsch hatte, sich hervorzutun – bei allem, was sie tat. Lisette Model erklärte, dass die einzige Lektion, die sie jemals in Fotografie erhalten hätte, außer von ihrer Schwester, von Rogi André gewesen wäre, die ihr sagte: „Fotografiere niemals etwas, an dem du nicht leidenschaftlich interessiert bist.“ André war Fotografin und erste Ehefrau von André Kertész. Model überarbeitete später Zitat und forderte ihre Student:innen in der Straßen von New York auf: „Schießt aus dem Bauch.“ André zeigte Model auch den Umgang mit der Rolleiflex und erweiterte so ihre fotografische Praxis.

Ende 1933 oder Anfang 1934 fällte sie den Entschluss, professionelle Fotografin zu werden, nachdem sie mit dem Wiener Emigranten und ehemaligen Schönberg-Schüler, Hanns Eisler, gesprochen hatte. Eisler warnte sie vor der Notwendigkeit, in einer Zeit hoher politischer Spannungen zu überleben, und drängte sie, ihren Lebensunterhalt mit dem Fotografieren zu verdienen. Als Model 1934 ihre Mutter in Nizza besuchte, nahm sie ihre Kamera mit auf die Promenade des Anglais und schoss eine Reihe von Porträts. Im Februar 1935 veröffentlichte die linke Zeitschrift „Regards“ einige Aufnahmen neben einem Artikel von Lise Curel mit einer harschen Kritik der Bourgeoisie; und noch immer gehören sie zu ihren am häufigsten reproduzierten und ausgestellten Bildern. Diese kleingeschnittenen, oft heimlichen Porträts der lokalen Privilegiertenschicht trugen bereits das, was ihr Markenzeichen werden sollte: Nahaufnahmen, unsentimentale und unberührte Darstellungen von Eitelkeit, Unsicherheit und Einsamkeit. Die Kompositionen des Models und die Nähe zu ihren Motiven wurden durch Vergrößern und Beschneiden ihrer Negative in der Dunkelkammer erreicht Darüber hinaus waren ihre Verwendung eines 2 + 1⁄4 Zoll Quadratnegativs und eine größere Druckgröße stilistische Entscheidungen, die als einzigartig angesehen wurden (viele Straßenfotografen bevorzugten die sog. Minicam). Eine spätere Untersuchung ihrer Negative zeigte, dass die unbeschnittenen Bilder einen Großteil der physischen Umgebung der Fotografierten zeigen. Models Bearbeitungen der Negative in der Dunkelkammer eliminieren diese Ablenkungen, schärfen den Fokus auf die Person und schließen irrelevante Hintergrundinformationen aus. Nach der Veröffentlichung der Bilder der Promenade des Anglais oder der Serie „Riviera“ nahm Model ihre Praxis der Pariser Straßenfotografie wieder auf, wobei sie sich diesmal auf die Armen konzentrierte.

New York

Weder Evsa noch Lisette besaßen die französische Staatsbürgerschaft. Da sie sich des Aufbaus politischer Spannungen in Europa bewusst waren, wanderten sie im Oktober 1938 in die Vereinigten Staaten aus (eigentlich wollten sie nur Evsas Schwester, Luba Ash, in New York besuchen). Ihr erstes Heim fanden sie in den 310 Riverside Drive, das art déco Master Apartments Building, Manhattan, New York City. Doch bald wurde ihnen das zu teuer, und das Paar zog in den ersten Jahren in New York mehrmals um. Das Künstlerpaar, insbesondere Evsa, war als sehr gesellig bekannt und besuchte Cafés und insbesondere Orte mit Künstler:innen, die Lisette gerne fotografierte.

In den ersten 18 Monaten, in denen Lisette Model in New York lebte, dürfte sie keine Fotos gemacht haben. Ein Umschlag aus dem Jahr 1939 enthielt jedoch viele Negative von Battery Park, Wall Street, Delancey Street und der Lower East Side, die gewöhnliche Amerikaner:innen darstellen. Model wurde schnell zu einer prominenten Fotografin; 1941 veröffentlichte sie ihre Arbeiten in „Cue“, „PM's Weekly“ und „U.S. Camera“. Sieben Fotografien der Serie „Promenade des Anglais“ erschienen im Januar 1941 in „PM’s Weekly“ unter dem Titel „Why France Fell“. Lisette Model war fasziniert von der Energie New York Citys, die sie in ihren Serien „Reflections“ (1939–1945) und „Running Legs“ (1940–1941) zum Ausdruck brachte. Stilistisch und thematisch unterscheiden sie sich von ihrem übrigen Werk, in dem sie sich auf Porträts spezialisierte. Model interessierte sich für die amerikanischen Konsumkultur und eine neue Lebensweise. In „Reflections“ untersuchte sie Produkte oder Verbraucher:innen in Fensterreflexionen. Sie wurde für ihre radikale Abweichung vom traditionellen Standpunkt und ihre Beschäftigung mit Vorstellungen von Glamour und Anti-Glamour anerkannt. Diese Serie erregte zusammen mit ihrer Arbeit „Running Legs“ die Aufmerksamkeit der Redakteure Carmel Snow und Alexey Brodovitch von „Harper's Bazaar“. Letzterer machte die Fotografin mit Beaumont Newhall, Direktor der gerade erst gegründeten Fotoabteilung am Museum of Modern Art, bekannt. Im Oktober 1940 traf sie Newhall und Ansel Adams, der zwei von Models Fotografien erwarb und eine Freundschaft mit ihr begann.

Lisette Model arbeitete von 1941 bis 1955 für das Magazin „PM’s Weekly“. Einer ihrer ersten Aufträge führte sie nach Coney Island, wo Model einige ihrer bekanntesten Werke wie „Coney Island Bather“ (1941) aufnahm. Ihre Vision war für die Redakteure von „Harper's Bazaar“ von großem Interesse, wo Models bekannte Serien aus der Lower East Side und der Bowery, darunter Sammy’s Bar, Gallagher’s und das Metropole Café, erschienen. In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre nahmen die Aufträge für „Harper’s Bazar“ kontinuierlich ab. Ihre Freundin, die Tänzerin, Kabarett-Künstlerin und Besitzerin der Beggar‘s Bar Valeska Gert, porträtierte sie 1941. In dieser Zeit reiste Lisette Model mehrere Male an die Westküste, wo sie Intellektuelle, Künstler:innen und Fotograf:innen ablichtete, darunter Henry Miller, Dorothea Lange, Edward Weston, Salvador Dalí und Imogene Cunningham (1947 in „Harper’s Bazar“), aber auch Besucher:innen der San Francisco Oper.

In den 1950er Jahren nahm ihr Engagement dramatisch ab und sie veröffentlichte nur zwei Aufträge: „A Note on Blindness“ und „Pagan Rome“. Es entstanden in dieser Zeit noch Aufnahmen am New York Jazz Festival (1954–1956) und auf der Pferderennbahn, aber zunehmend wandte sich die Künstlerin dem Unterrichten zu. Das führte dazu, dass die Fotografin zwar noch weiter ihrer Tätigkeit nachging, die Aufnahmen aber weder entwickelte noch vergrößerte (bis 1974).

Lisette Model und die New York Photo League

Lisette Model wurde schließlich ein prominentes Mitglied der New York Photo League (gegr. 1936) und studierte bei deren Gründer Sid Grossman (gemeinsam mit Sol Libsohn). Dort traf die Fotografin Berenice Abbott und die Kritikerin Elizabeth McCausland, die 1942 eine erste tiefschürfende Analyse verfasste. Von Mai bis Juni 1941 organisierte die New York Photo League Lisette Models erste Einzelausstellung in den USA.

Trotz der Bemühungen der Liga, zu behaupten, sie sei eine kulturelle, fotografische Organisation, führte politischer Druck 1951 zum Niedergang der Liga. Während ihres Bestehens war Model ein aktives Mitglied der New York Photo League und fungierte als Preisrichterin bei Bewerben der Mitglieder. Im Jahr 1941 veranstaltete die New York Photo League Lisette Models erste Einzelausstellung. Von 1941 bis 1953 war sie freiberufliche Fotografin und veröffentlichte in vielen Zeitschriften, darunter „Harper's Bazaar“, „Look“ und „Ladies' Home Journal“.

Im Jahr 1944 wurden Lisette Model und Evsa eingebürgert. Briefe aus demselben Jahr zeigen, dass Models Familie in Europa finanziell angeschlagen und dass ihre Mutter am 21. Oktober 1945 an Krebs verstorben war.

Lisette Models Beteiligung an der New York Photo League wurde während der McCarthy-Ära in den 1950er Jahren zum Grund für viel Streit, als die Organisation vom House Un-American Activities Committee wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Kommunistischen Partei unter die Lupe genommen wurde. Obwohl die Photo League offiziell keine politische Organisation war, nutzten viele ihrer Mitglieder Fotografie als Mittel für soziales Bewusstsein und Veränderung. Obschon Model sich selbst nicht als politische oder dokumentarische Fotografin empfand, datierte sie ihre Fotoserie über die Promenade des Anglais im Nachhinein auf 1937 vor. Damit wollte sie das FBI während der McCarthy-Ära von ihrer Bilderserie in „Regards“ abzulenken. Die New York Photo League wurde schließlich vom FBI als kommunistische Organisation eingestuft; das FBI interviewte Model am 8. Februar 1954 1954 und versuchte, sie als Informantin zu rekrutieren. Sie weigerte sich, mit dem FBI zu kooperieren, was dazu führte, dass ihr Name auf die National Security Watchlist gesetzt wurde. Da viele Kunden zögerten, jemanden einzustellen, der unter FBI-Verdacht stand, stieß Model zunehmend auf Schwierigkeiten, Arbeitsmöglichkeiten zu finden, was eine Rolle bei der Verlagerung ihres Fokus auf das Unterrichten spielte.

Lehre und Guggenheim-Stipendium

Lisette Model begann in der zweiten Hälfte ihres Lebens eine produktive Karriere als Lehrerin, sowohl institutionell als auch privat. Im Jahr 1946 besuchte sie zum ersten Mal Kalifornien und freundete sich mit Mitgliedern der von Ansel Adams gegründeten Abteilung für Fotografie der CSFA an. Während sie im Westen waren, vertrieb ihr Vermieter illegal Mieter aus ihrer Wohnung in der Grove Street in New York. Die Gründe des Vermieters dafür sind unbekannt, aber als die Models nach New York zurückkehrten, hatten sich ihre Freunde um ihre Habseligkeiten gekümmert.

Im Jahr 1949 unterrichtete Lisette Model Fotografie am San Francisco Institute of Fine Arts, vermittelt über Anselm Adams. Die Fotografin zog nach Kalifornien, um zu unterrichten, zum Teil aus wirtschaftlichen Gründen und aufgrund ihrer Freundschaft mit Ansel Adams, der eine informelle Einladung zu einem Lehrauftrag aussprach. Von August bis mindestens November desselben Jahres lehrte Model als „Sonderlehrerin für Dokumentarfotografie“ im Fachbereich Fotografie. Sie produzierte zu dieser Zeit nicht viele eigene Arbeiten, möglicherweise weil sie im Vorjahr das Guggenheim-Stipendium nicht erhalten hatte. Danach entschied sie sich privat Fotounterricht zu geben, um Geld zu verdienen.

Im Frühjahr 1951 wurde Model von Berenice Abbott eingeladen, an der New School for Social Research in New York City zu unterrichten, wo auch ihre langjährige Freundin Berenice Abbott Fotografie unterrichtete. Die New School hatte einen liberalen, humanistischen Bildungsansatz und eine hohe Anzahl europäischer Geflüchteter im Personal. Bekannt für ihre geradlinige Art, ihre Schüler:innen anzusprechen, und ihren unorthodoxen Unterrichtsstil, erkannte Model, dass sie ein Talent für das Unterrichten hatte. Ihre Unterrichtshefte beziehen sich häufig auf die Verwendung von Kinderkunst als Beispiel, um zu zeigen, dass Kunst eine Erforschung der Welt und keine Nachbildung dessen, was bereits vorhanden war. Model konzentrierte sich darauf, ihre Schüler:innen herauszufordern, nach subjektiven Erfahrungen und größtmöglicher Kreativität zu streben. Lisette Model duldete keine lauwarmen Bemühungen und war rücksichtslos kritisch gegenüber Arbeiten von Student:innen, denen es an Leidenschaft mangelte.

Zwanzig Jahre lang unterrichtete sie das Programm mit wenig Variationen und folgte routinemäßig denselben Prinzipien. Nach dem Tod ihres Mannes Evsa im Jahr 1976 unterrichtete sie weiterhin in New York, sowohl an der New School als auch am International Center of Photography. 1981 wurde ihr von der New School die Ehrendoktorwürde der Schönen Künste verliehen. 1964 bewarb sich Model erneut um das Guggenheim-Stipendium, und 1965 erhielt sie das Stipendium in Höhe von 5.000 US-Dollar für einen Zeitraum von einem Jahr. 1966 ging sie nach Los Angeles und Las Vegas, mit der Absicht, Anti-Glamour der amerikanischen Kultur zu fotografieren. Sie ging auch zum Fotografieren nach Italien, kehrte aber aus gesundheitlichen Gründen früher als erwartet nach New York zurück, wo Gebärmutterkrebs diagnostiziert und erfolgreich behandelt wurde.

Diane Arbus und Lisette Model

Im Jahr 1957 besuchte Diane Arbus einen Workshop bei Alexei Brodowitsch, dem Art Director von „Harper’s Bazaar“. Weiters absolvierte sie einige Workshops bei Lisette Model an der New School (1956 und 1957). Lisette Model suchte in ihren Motiven das Extreme. Als Folge dieses Unterrichts verließ Arbus ihr bisheriges Themenspektrum und entdeckte in New York Lokalitäten wie Hubert’s Museum, einem Sideshow-Gauklerkeller, und den Transvestitentreff Club 82. Hier fand sie ihre ersten Modelle, die sie wiederum mit anderen Exzentrikern bekannt machten. Heute gilt Diane Arbus als Models bekannteste Schülerin:

„Lisette befreite mich von meinen bürgerlich-puritanischen Vorurteilen. Fotografien, die Bewunderung verdienen, haben die Kraft aufzuschrecken.“

Arbus' Ehemann Allan meinte sogar:

„Das war Lisette. Drei Sitzungen und Diane war Fotografin.“

Im Jahr 1962 empfahl Model Diane Arbus für ein Stipendium von der Guggenheim Foundation. Die jüngere Fotografin unterstützte ihrerseits Lisette Model 1964 bei der eigenen Bewerbung für ein Stipendium für die Serie „Glamour: The Image of Our Image“, die sie zum Projekt „Photographic Studies oft he Social and Artistic History of Our Time“. Im folgenden Jahr erhielt Model 5.000 Dollar zugesprochen und konnte nach Las Vegas und Los Angeles reisen, um an ihrem Projekt zu arbeiten.

Späte Werke

In den 1970er Jahren bekam Lisette Model Rheuma in ihren Händen, unterrichtete und fotografierte jedoch weiterhin fleißig. Das erste Buch mit Fotografien von Model mit einem Vorwort von Berenice Abbott wurde 1979 von „Aperture“ veröffentlicht. Marvin Israel hat das Buch gestaltet. Zweiundfünfzig Fotografien, die zwischen 1937 und 1970 entstanden waren, wurden in einem ausreichend großen Maßstab reproduziert, um ihrer bevorzugten Größe von 16 × 20 Zoll zu entsprechen.

Anfang 1970 bewarb sich Lisette Model bei der Ingram Merrill Foundation und erhielt 2.500 US-Dollar, im März 1973 wurde ihr ein Creative Artists Public Service Program Award für 2.500 US-Dollar zugesprochen. In der zweiten Hälfte ihrer Karriere erlebte Models Arbeit einen starken Rückgang der Veröffentlichungen. Die Fotografin hatte zwar nicht aufgehört zu fotografieren, aber sie hatte einfach aufgehört, sie zu entwickeln. Ähnlich wie bei einigen der verschwommenen Details ihrer Biografie wurde der Grund für diese Änderung nicht endgültig identifiziert. Spekulationen deuten auf eine abnehmende Gesundheit und Selbstwirksamkeit, eine erhöhte Energie für das Lehren und eine prekäre finanzielle Situation als einige der Hauptursachen hin. Trotzdem fotografierte und unterrichtete Model bis zu ihrem Tod weiter. Sie wurde besonders dazu inspiriert, fern von zu Hause zu fotografieren, wie zum Beispiel ihre Fotografien von Studenten in Berkeley 1973, Luzern 1977, Venedig 1979 und so weiter. Sie kehrte sogar zum ersten Mal seit fast 30 Jahren nach Nizza, Frankreich, zurück. Allerdings fand sie dort nicht die gleiche Inspiration wie einst beim Fotografieren ihrer ersten einflussreichen Serie Promenade des Anglais.

Das Bild Models ist auf dem legendären Poster „Some Living American Women Artists“ von Mary Beth Edelson aus dem Jahr 1972 enthalten.

Im Januar 1976 erlitt Evsa einen Herzinfarkt, der eine ständige medizinische Betreuung erforderte. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich bis zu seinem Tod am 19. Oktober 1977. Sein Tod hat Lisette tief getroffen, die weiterhin in ihrer Kellerwohnung lebte.

Noch in ihren letzten Jahren wurden ihre Fotografien in Italien, Japan und den Niederlanden ausgestellt (ab 1980). Das New Orleans Museum of Art trug die Ausstellung „Lisette Model: A Retrospective“ zusammen (1981), die im folgenden Jahr im Museum Folkwang in Essen (D) zu sehen war. Am 5. April 1982 erhielt Model die Goldmedaille der Stadt Paris.

Tod

Am 4. März hielt Lisette Model ihren letzten Vortrag am Haverford College und starb am 30. März 1983 im Alter von 82 Jahren im New York Hospital an einer Herz- und Atemwegserkrankung.

Die National Gallery of Canada in Ottawa widmete Lisette Model eine große Retrospektive ihre Werk, kuratiert von Ann Thomas.

Der Nachlass von Lisette Model wird von der Bruce Silverstein Gallery, New York, vertreten. Dieser Nachlass war verantwortlich für die Veröffentlichung einer Menge von Informationen über das notorisch private Model nach ihrem Tod, darunter 25.000 Negative, persönliche Briefe, Vorträge, Presseausschnitte und viele weitere Quellen. Die Veröffentlichung dieser Informationen machte den vorherigen Mangel an genauen Informationen über das Leben von Model wett, der teilweise auf ihr Misstrauen gegenüber schriftlichen Veröffentlichungen zurückzuführen war. Die Künstlerin verweigerte die Veröffentlichung von Interviews und sabotierte angeblich sogar ein Manuskript über sie von Phillip Lopate. Es wird vermutet, dass sie mehr als einmal die Wahrheit über ihre Vergangenheit gefälscht hat, und ihre Zurückhaltung war auf die Angst zurückzuführen, diese Fehlinformationen aufzudecken und ihre persönliche Geschichte zu enthüllen.

  1. Zit. n. Lisette Model, S. 3.