Cercle et Carré

Was war „Cercle et Carré”?

„Cercle et Carré“ (dt.: Kreis und Quadrat) war eine im März 1929 in Paris gegründete, kosmopolitische Künstlervereinigung zur Fürderung der Abstrakten Kunst (→ Abstrakte Kunst). Gründer waren der Zeichner, Dichter und Kunstkritiker Michel Seuphor und der Maler Joaquín Torres-García. „Cercle et Carré“ bestand zwar nur ein Jahr, ihre Mitglieder organisierten aber eine nennenswerte Ausstellung. Während ihres kurzen Bestehens gab die Gruppe drei Ausgaben der gleichnamigen Kunstzeitschrift heraus. die in Reaktion auf die zunehmende Präsenz des Surrealismus beschlossen hatten, Künstler konstruktivistischer Tendenz zu vereinen. Nachdem die Gruppe rasch ein Ende fand, wurden die meisten Mitglieder von „ Abstraction-Création “ (1931–1937).

Gründung

Joaquín Torres-García und Michel Seuphor berichten beide übereinstimmen in ihren Erinnerungen, dass sie bereits anlässlich der Ausstellung von Friedrich Vordermberge-Gildewart in der Galerie Povolozky im Frühjahr 1929 erste Pläne zur Gründung von „Cercle et Carré“ besprochen haben. Beide empfanden die Vorherrschaft des Surrealismus in Paris als so erdrückend, dass sie sich organisierten, um der Abstrakten Kunst eine Plattform zu geben.

Frühere Strömungen und Künstlervereinigungen von abstrakten und konstruktivistischen Künstlerinnen und Künstlern wie De Stijl, Bauhaus und der russischen Avantgarde schienen ihre Anziehungskraft sowohl auf junge Kunstschaffende als auch auf die Öffentlichkeit verloren zu haben, so dass eine große Anzahl von Malern und Bildhauer die Idee von „Cercle et Carré“ unterstützten.

Mit Unterstützung von Hans Arp, Piet Mondrian und Georges Vantongerloo trat die Gruppe „Cercle et Carré“ am 15. März 1930 mit der ersten Nummer der gleichnamigen Zeitschrift an die Öffentlichkeit. Wie bei fast allen Druckwerken der neuen Gruppierung dominierten auch hier in der grafischen Gestaltung ein schwarzer Kreis und ein schwarzes Quadrat. Die kann als absolute Basis all dessen gedeutet werden, was die Gruppe an künstlerischen Konzepten vereinte. Für die Mitglieder waren Kreis und Quadrat die Symbole für jene elementaren Ausdrucksmittel, mit welchen sie einen Entwurf des Geistigen für eine universelle Sicht auf Kunst und Leben schaffen wollten.

„Es freut mich zu erfahren, dass es ‚Circle et Carré‘ gelungen ist, eine gewisse Anzahl von Menschen zu vereinen, die trotz offensichtlicher Unterschiede gemeinsam danach streben, sowohl das Wesen und die Ziele unserer Zeit zu erfassen als auch ihren Stil wiederzugeben wiederzugeben. Der individuelle Ausdruck muss hinter ein solches Konzept zurücktreten, es fordert Kollektivität.“ (César Domela-Nieuwenhuis, in: Cercle et Carré, 1. Heft, 1930)

Seuphor & Torrès-Garcia

Michel Seuphor war erst 29 Jahre jung, Literat, zentraler Mentor und Organisator von „Cercle et Carré“ – und somit jünger als die meisten beteiligten Künstlerinnen und Künstler. Allerdings war er sehr Jahren mit Mondrian und Arp befreundet. Die Kunst dieser beiden kann man stellvertretend als die beiden Pole der Kunstpraxen der Gruppe ansehen. Mondrian ist bekannt für die puristische Zurücknahme der Gestaltungsmittel auf rechtwinklige Liniengeflechte in Grundfarben, ergänzt durch Nichtfarben (Schwarz, Weiß, Graustufen). Sein Prinzip von Horizontale und Vertikale verbildlichen für ihn die Grundlagen von Leben und Welt: Harmonie und Ideal. Im Gegensatz dazu sind Hans Arps Plastiken und Skulpturen von organoiden, fließenden Formen geprägt. Mit ihnen fand er Analogien zum Wachsen und Werken als Prozess und Formwerdung.

Im Text „Pour la défense d’une architecture” formulierte Seuphor eine Brücke zwischen den beiden Extrempositionen der Abstrakten Kunst. Für ihn war der kreative Mensch ein Konstrukteur, ein Schöpfer klarer und damit schöner Beziehungen. Die Nähe zum internationalen Stil in der Architektur sind in diesen Ansichten deutlich zu spüren.

Der Maler Torrès-Garcia führte die Schwerpunkte Vernunft und Konstruktion in seinem Aufsatz „Vouloir construire“ ein. Er hatte eine Vorstellung von Kunst als universelle Ordnung und reine Gestaltung, in der das Gemälde zugleich Teil und Sinnbild übergreifender Einheit ist.

Cercle et Carré: die Zeitschrift

No. 1 – 15. März 1930: Schwarzer Kreis und schwarzes Quadrat am Cover und als Logo der Künstlergruppe. Mit den beiden obengenannten großen Aufsätzen von Seuphor und Torrès-Garcia sowie Stellungnahmen von 22 Künstlern.

No. 2 – 15. April 1930: Mondrian schrieb „Le Morphoplastique et la Néoplstique“, Idelsohn vertiefte Aspekte der Theatergestaltung, Vantongerloo brachte Gedanken zur Kunst in mathematischer Errechenbarkeit ein.

No. 3 – Juni 1930: Das Näherrücken der Künste wird deutlich aus dem Beitrag von Seuphor zu „Poétique Nouvelle“, von Gorins Analyse von Architektur und Stadtplanung. Le Corbusier und der deutsche Kritiker Behne stellte „L’objet en mouvement“ von Hans Richter vor, einem Pionier des abstrakten Films.

1ère Exposition Internationale du Groupe Cercle et Carré

Die einzige, von Seuphor organisierte Ausstellung „1ère Exposition Internationale du Groupe Cercle et Carré“ wurde am 18. April 1930 in der „Galerie 23“ in der Pariser Rue La Boétie 23 eröffnet und schloss am 1. Mai. Das Logo und das Ausstellungsplakat gestaltete Pierre Daura. Insgesamt nahmen 46 internationale Künstler teil und präsentierten 130 abstrakte Kunstwerke. Am Tag der Vernissage rezitierte Michel Seuphor Gedichte, wobei er sein Gesicht hinter einer Maske des Bildhauers German Cueto verbarg. Luigi Russolo spielte auf einem der von ihm entwickelten Instrumente, dem sogenannten Russolophe. Die Ausstellung gilt als die erste internationale Gruppenausstellung für Abstrakte Kunst.

Mitglieder von „Cercle et Carré“

Mitglieder der Gruppe und Teilnehmer an der Ausstellung von 1930 waren u. a. in alphabetischer Reihenfolge:

  • Hans Arp (1886–1966), elsässischer Maler und Bildhauer
  • Willi Baumeister (1889–1955), deutscher Maler und Bühnenbildner
  • Ingibjörg Stein H. Bjarnason
  • Carl Buchheister (1890–1964), deutscher Maler
  • Marcelle Cahn (1895–1981), französische Malerin
  • Serge Charchoune (1888–1975)
  • Wanda Chodasiewicz-Grabowska, auch: Nadja Léger (1904–1982)
  • Germán Gutiérrez Cueto (1883–1975), mexikanischer Bildhauer und Maler
  • Franciska Clausen (1899–1986), deutsch-dänische Malerin
  • Jaime A. Colson (1901–1975), dominikanischer Maler
  • Le Corbusier (1887–1965), schweizerischer Maler und Architekt
  • Pierre Daura (1896–1976), katalanischer Maler
  • Alexandra Exter (1882–1949), russische Malerin
  • Fillia, alias Luigi Colombo (1904–1936), italienischer Futurist
  • François Foltyn
  • Julio González (1876–1942), spanischer Bildhauer
  • Jean Gorin (1899–1981), französischer Maler
  • Walter Gropius (1883–1969), deutscher Architekt
  • Huib Hoste (1881–1957), belgischer Architekt, Designer und Stadtplaner
  • Vilmos Huszár (1884–1960), ungarisch-niederländischer Maler und Designer
  • Vera Idelson (1893–1977), Theaterkünstlerin und Malerin aus Riga
  • Wassily Kandinsky (1866–1944), russisch-deutscher Maler
  • Luc Lafnet (1899–1939), belgischer Maler, Druckgrafiker und Illustrator
  • Fernand Léger (1881–1955), französischer Maler
  • Oscar Lüthy (1882–1945), schweizerischer Maler
  • Piet Mondrian (1872–1944), niederländischer Maler
  • Stefan Moszczynski
  • Erik Olson (1901–1986), schwedischer Maler
  • Amédée Ozenfant (1886–1966), französischer Maler
  • Antoine Pevsner (1884–1962), russischer Maler und Bildhauer
  • Enrico Prampolini (1894–1956), italienischer Maler
  • Luigi Russolo (1885–1947), italienischer Maler und Komponist
  • Alberto Sartoris (1901–1998), italienischer Architekt
  • Kurt Schwitters (1887–1948), deutscher Künstler
  • Michel Seuphor (1901–1999), belgischer Zeichner, Dichter und Kunstkritiker
  • Henri (Henryk) Stazewski (1894–1988), polnischer Maler
  • Nechama Szmuszkowicz (1895–1977), ukrainisch-französische Malerin
  • Joseph Stella (1877–1946), italienisch-amerikanischer Maler und Futurist
  • Hans Suschny
  • Sophie Taeuber-Arp (1889–1943), schweizerische Malerin und Bildhauerin
  • Joaquín Torres García (1874–1949), uruguayischer Maler
  • Adya van Rees, auch: Adriana van Rees-Dutilh (1876–1959), niederländische Textilkünstlerin, Malerin und Druckgrafikerin
  • Otto van Rees (1884–1957), niederländischer Maler
  • Georges Vantongerloo (1886–1965), belgischer Maler, Bildhauer und Architekt
  • Friedrich Vordemberge-Gildewart (1899–1962)
  • Hans Welti (1894–1934), schweizerischer Maler
  • Hendrik Nicolaas Werkman (1882, Typograf und Druckgrafiker–1945), niederländischer Künstler
  • Wanda Wolska-Conus (1919–2012), ponisch-französische Künstlerin

Auflösung von „Cercle et Carré“

Die Gruppierung, deren Zeitschrift weder in der Öffentlichkeit, noch bei der Kritik auf Interesse stieß und deren Ausstellung wenig Beachtung gefunden hatte, löste sich bereits zum Sommer 1930 wieder auf. Gründe dafür waren neben den zwischen Piet Mondrian und Theo van Doesburg bestehenden Meinungsverschiedenheiten – die van Doesburg veranlassten, gemeinsam mit Jean Hélion die Revue „Art concret“ (1930) herauszugeben – vor allem auch die auf Initiative von Vantongerloos in Abwesenheit des erkrankten Seuphors am 15. Februar 1931 erfolgte Gründung der neuen Pariser Gruppe „Abstraction-Création“. Diese übernahm die meisten Mitglieder der Gruppe „Cercle et Carré“ sowie die bereits zuvor entwickelten Ideen und verwirklichte sie mit steigendem Erfolg und Einfluss bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1937.

Das kurze, aber heftige Aufblühen von „Cercle et Carré“ war eine wichtige Aussage einiger der einflussreichsten Kunstschaffenden der Abstraktion und der Moderne. Die Gruppierung eröffnete einen Weg, der schlussendlich den Siegeszug der abstrakten Kunst in der Nachkriegszeit einläutete.

Theo van Doesburgs „Art Concret”

Theo van Doesburg ging 1930 den gegenteiligen Weg der verstärkten theoretischen Reflexion. Er tat sich im Januar 1930 mit einigen wenigen Gleichgesinnten zur Gruppe „Art Concret“ zusammen. Mitglieder waren: Carlsund, van Doesburg, Hélion, Tutundjian und Wantz. Für „Cercle et Carré“ fand Doesburg nur abschätzende Worte; für ihn war die Gruppierung ein „Club ohne Basis und Ziel“. Stattdessen wollte er mit „Art Concret“ alle Rest von Gefühl und Zufall bei der Findung von Konzepten tilgen:

„Konkrete und nicht abstrakte Malerei. Denn wir haben die Zeit des Suchens und der spekulativen Experimente hiner uns gelassen. Auf der Suche nach der Reinheit waren die Künstler gezwungen, von den Natur-Formen, die die plastischen Elemente verbragen, zu abstrahieren. Um sich auszudrücken und Kunst-Formen zu schaffen, war der Gestalter gezwungen, die Natur-Form zu zerstören. […] Wir sehen die Zeit der reinen Malerei voraus und konstruieren die Geist-Form, die Zeit der Konkretisierung des schöpferischen Geistes. Konkrete und nicht Abstrakte Malerei, denn nichts ist konkreter, wirklicher als eine Linie, eine Farbe, eine Oberfläche. […] Konkrete und nicht abstrakte Malerei, denn der Geist hat den Zustand der Reife erreicht: Er braucht klare, intellektuelle Mittel, um sich auf konkrete Art zu manifestieren. 1. Die Vorherrschaft des Individualismus, wie auch des Lokalgenies, waren stets die großen Hindernisse für die Geburt einer universellen Kunst. Wenn die Ausdrucksmittel von allen Eigentümlichkeiten befreit sind, stehen sie in Beziehung mit dem eigentlichen Ziel der Kunst: Eine universelle Sprache zu schaffen. 2. […] Die Erregung, das Gefühl, die Sensibilität haben niemals den Gang der Kunst nach Perfektion beschleunigt. Nur der Geist (der Intellekt) ist schöpferisch, mit einer Geschwindigkeit, die zweifellos der des Lichtes überlegen ist. […] 3. In der Malerei ist nur die Farbe wahr. Die Farbe ist eine konstante Energie, bestimmt durch den Widerspruch zu einer anderen Farbe. Die Farbe ist die Grundsubstanz der Malerei; sie bedeutet nur sich selbst.“1 (Theo van Doesburg)

Damit stellte Theo van Doesburg die Fortführung der Ideen von De Stijl sicher. Für ihn und seine Mitstreiter wurde das Ausschalten jeglicher Spontaneität bei der Anlage rationaler Konzepte zum Ziel. Nur wenn ein Konzept mathematisch genau nachvollzogen werden konnte, würde es zum bildnerischen Ausdruck des menschlichen Geistes führen. Eine Grundlage dafür war die Unterscheidung von „konkret“ und „abstrakt“ in Hegels Ästhetik: Der Philosoph setzte den bildnerischen Prozess gegen den abstrakten Gedanken voneinander ab. Die Entpersönlichung fand ihren Höhepunkt in der Oberfläche des Kunstwerks, das keine arbeitende Hand verraten sollte. Van Doesburg ging es um die strenge, um nicht zu sagen eisige, wissenschaftliche Klarheit, um eine persönliche Askese.

Im April 1930 erschien die einzige Ausgabe der Zeitschrift „Art Concret“, in der das „manifest de l’art Concret“ abgedruckt ist. Heute wird der Text als Beleg verstanden, wie Doesburg es schaffte, seine Theorien und Konzepte beständig neu zu überdenken. Ein Jahr vor seinem Tod im Frühjahr 1931 gelang es Doesburg damit, einen nachhaltigen Impuls an die nachfolgende Generation zu setzen.
Doch schon im Sommer 1930 wurde klar, dass „Art Concret“ keine Zukunft hatte. Theo van Doesburg erkrankte. Der Financier Carlsund kehrte nach Schweden zurück. In dieser Phase trat Hans Arp für die Zusammenführung aller Kräfte auf. Gemeinsam mit van Doesburg erarbeitete er den Vorschlag zur Bildung eines „Société Internationale des artistes non-figuratifs“, unterstützt durch Herbin, Hélion und Kupka (→ František Kupka. Pionier der Abstraktion). Am 12. Februar 1931 fanden die Beteiligten im Haus van Doesburgs den Gruppennamen „Abstraction-Creation“. Der offene Titel ermöglichte, viele verschiedene Richtungen in einer Künstlervereinigung zu bündeln.

Literatur zu Cercle et Carré

  • Zeitschrift: Cercle et carré, hg. v. Michel Seuphor, Nummer 1 bis 3 (1930).
  • Gottfried Honegger, Dölf Hürlimann, Hommage à cercle et carré, Zürich 1964.
  • Marie-Aline Prat, Contribution aux archives de l'art abstrait en France: le groupe et la revue "Cercle et Carré", Paris 1980.
  • Michel Seuphor, Hubert Juin, Cercle et carré: 1930, Paris 1977.
  1. Theo van Doesburg (Ausst.,-Kat. Stedelijk van Abbemuseum), Eindhoven 1968/69, S. 58.