Wien | Leopold Museum: Faszination des Okkulten um 1900 Verborgene Moderne | 2025

Wassily Kandinsky, Landschaft mit Kirche (Landschaft mit roten Flecken I), 1913 (Folkwang Museum, Essen)
Das Leopold Museum widmet sich im Herbst 2025 der okkulten Moderne, also jenen Künstlern und wenigen Künstlerinnen, die sich um 1900 mit Spiritismus, Okkultismus, Theosophie oder Anthroposophie auseinandergesetzt haben. Den Ausgangspunkt nimmt die Gruppenausstellung im späten 19. Jahrhundert, als spätromantische, symbolistische Motive auftraten. So prägte Richard Wagner mit seinem "Ring" eine ganze Generation von Kreativen, während sich zeitgleich Karl Wilhelm Diefenbach mit seinen Schülern auf Land zurückzog und dort eine Kommune gründete. Neben Vegetarismus und einer antibürgerlichen, antiklerikalen Haltung, widmeten verschiedene Vertreter der Lebensreformbewegung sich auch der Kunst - von Malerei über Architektur bis zur Dichtkunst.
Verborgene Moderne.
Faszination des Okkulten um 1900
Österreich | Wien: Leopold Museum
4.9.2025 – 18.1.2026
Moderne Kunst und Okkultismus im Leopold Museum 2025
Adolf Hirémy-Hirschls Monumentalgemälde „Die Seelen am Acheron“ (1898, Belvedere, Wien) leitet in die Ausstellung ein. Es zeigt in fahlem Licht, wie die Verstorbenen über den Acheron schwimmen, um in das Totenreich zu gelangen. Sie folgen Hermes, dem Götterboten und Seelenführer über den Fluss des „Ach und Wehs“1. Der Rückgriff auf antike Vorstellungen ist der akademischen Historienmalerei bestens vertraut, wie der ungarische Maler belegt. Er malte das Bild im Jahr 1898, als die Wiener Secession ihre neue Ausstellungshalle bezog, und Hirémy-Hirschl seine Freundschaft zu Gustav Klimt längst gelöst hatte. „Die Seelen am Acheron“ verkörpern die brillante Meisterschaft eines akademischen Malers und Mitglieds des Künstlerhauses, der Schauer auslöst, ohne Begeisterung für die Welt der Toten zu vermitteln.
Diese Haltung sollten einige Kunstschaffende der Jahrhundertwende (und darüber hinaus) angesichts von Umbrüchen in Technik und Wissenschaften, beispielsweise in der Entwicklungsbiologie und Psychologie, aber auch in der Philosophie und der Religionswissenschaft in Frage stellen. Etliche Kunstschaffende wandten sich dabei dem Spiritismus, dem Okkultismus, der Alchemie, der Theosophie oder in der Folge der Anthroposophie zu. Ihr Ziel war es, das Geheimnisvolle zu erforschen, sich mit dem Übernatürlichen zu verbinden oder einen neuen Sinn im Leben zu finden. Dadurch wähnten sie sich sowohl als Künstler:innen als auch als Suchende an der Speerspitze von Kunst und Gesellschaft, denn formal und inhaltlich bildeten sie die Avantgarde.
Aller Anfang ist Wagner
Verbunden mit den Schattenseiten der Industrialisierung, mit wissenschaftlichen Durchbrüchen (Röntgenstrahlen) aber auch mit der schwindenden Bedeutung von Kirche und konservativem Moralvorstellungen wuchs im ausgehenden 19. Jahrhundert in Wien das Interesse an alternativen Gesellschaftsmodellen. Die Ausstellung „Verborgene Moderne. Faszination des Okkulten um 1900“ spürt der Kritik am Materialismus des Industriezeitalters wie auch an christlichen Religionspraktiken nach, einhergehend mit einer Begeisterung für okkulte Praktiken wie Geisterbeschwörungen (Spiritismus) und fernöstliche Erlösungsszenarien. Körperkult, Vegetarismus, Kleiderreform, Ausdruckstanz und Theosophie waren Symptome einer von Friedrich Nietzsche eingeforderten ethischen Revolution. Die Begeisterung für das Werk Richard Wagners drang in alle Bereiche des Kulturlebens ein, sein Ideal des Gesamtkunstwerkes war für die Wiener Secessionisten richtungsweisend.
Richard Wagner (1813–1883) schuf mit seiner Musik jenes intensive Hörerfahrung und im Gesamtkunstwerk des Bayreuther Festspielhauses auch Seherlebnis, das eine ganze Generation begeisterte. Zu seinen leidenschaftlichen Fans gehörte auch der Altphilologe und Philosoph Friedrich Nietzsche (1844–1900), der 1872 den Text „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ veröffentlichte. Darin tritt die Figur des Zarathustra auf, ein Gott der geistigen Erneuerung. Der „Übermensch“ sollte über sich hinauswachsen und zum dionysischen Rausch zurückfinden. Schlussendlich geht es bei Nietzsche wie auch Wagner um eine Sinnsuche, die sich vom vorherrschenden Positivismus ab und der geistigen Welt zuwandte. Erkenntnisse können nicht nur auf empirisch überprüfbaren und tatsächlichen Fakten beruhen, so die Überzeugung der Jugend und der Vertreter der Lebensreform.
Die Ausstellung im Leopold Museum startet daher mit einem Wagner-Epilog. Karl Wilhelm Diefenbachs Porträt „Richard Wagner“ (Februar 1883) aus dem Münchner Stadtmuseum, das der Künstler-Prophet in tiefer Verehrung kurz nach dem Tod des Dichter-Komponisten gemalt hat. Seine Opern – allen voran der monumentale „Ring“ – inspirierte Generationen von Kunstschaffenden, darunter Eduard Veith („Alberich und die Rheintöchter“, 1909, Belvedere, Wien) und Koloman Moser („Der Liebestrank (Tristan und Isolde)“, 1913/15, Privatsammlung; „Wotan und Brünnhilde“, um 1916, Leopold Museum)
- Koloman Moser, Tristan und Isolde, 1913-15 © Privatsammlung.
... und Nietzsche
Das Verständnis von moderner Kunst als transformatives Medium wurzeln tief im existenziellen Kunstbegriff der Jahrhundertwende. Darin spielte die Philosophie Friedrich Nietzsches eine zentrale Rolle. In „Also sprach Zarathustra“ entwarf Nietzsche mit dem Übermenschen eine Figur, die sich von den moralischen und kulturellen Konventionen der Zeit löst und eigene Werte schafft. Im Leopold Museum wird mittels einer Büste von Gustinus Ambrosi an den Deutschen erinnert.
Für Nietzsche und seine Nachfolger war Kunst ein Raum der Erkenntnis, Erneuerung – und Selbstbehauptung. Institutionen, wie unter anderem die Wiener Secession, sollenKunst nicht nur zu präsentieren, sondern durch aktive Vermittlung neue Denkräume zu öffnen und gesellschaftliche Impulse setzen. In Wien sollte vor allem die Wiener Secession mit ihrem Ausstellungspavillon am Naschmarkt und ihrem Ausstellungsprogramm diese Forderung am deutlichsten umsetzen. Auf der Ebene des Künstlers selbst zeichnet das schöpferische Individuum sich durch eine Abkehr von der urbanen Kunstwelt und die bewusste Isolation von der Mehrheitsgesellschaft aus. Der Künstler bzw. die Künstlerin der Moderne kennzeichnet radikale formale Eigenständigkeit und intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Werk. Künstlerisches Schaffen ist eine existentielle Form des „Weiterkommens in der Welt“, so Nietzsche.
Karl Wilhelm Diefenbach: Künstler-Prophet der Jahrhundertwende
In München zog sich Karl Wilhelm Diefenbach, der sog. Kohlrabi-Apostel, 1884 in seine Künstlerkommune „HUMANITAS, Werkstätte für Religion, Kunst und Wissenschaft“ zurück. Während seines Studiums an der Kunstakademie München hatte sich der Gesundheitszustand des deutschen Malers so sehr verschlechtert (Typhus, Operation am Arm), dass er seine Ernährung umstellte. In Büchern von Eduard Baltzer stieß er auf den Vegetarismus und die Selbststilisierung des Autors zum „Propheten“. Während Richard Wagner an seinem „Parsifal“ und Friedrich Nitzsche an „Also sprach Zarathustra“ arbeiteten, hatte Diefenbach auf dem Hohen Peißenberg eine Offenbarung. Danach zog der nunmehrige „Künstler-Prophet“ die bürgerliche Kleidung für immer aus, legte sich eine Kutte an und ging barfuß. Nach zwei ersten Einzelausstellungen, einem Nudistenprozess (dem ersten in Deutschland) und viel Pressewirbel um seine Person und Lehre (Vegetarismus, Sonnenheilung), wurde Moriz Terke, Leiter des Österreichischen Kunstvereins in Wien, auf den Maler aufmerksam. Diefenbach stellte elf großformatige Gemälde für die Ausstellung fertig und feierte damit einen Sensationserfolg! Die Schau blieb NEUN Monate geöffnet und etwa 100.000 Personen kamen, und Künstler wie František Kupka schlossen sich dem charismatischen Lebensreformer begeistert an.
„Dass alle Herrlichkeit des Erdballs, des Weltalls Unermesslichkeit als Keim verborgen liegt in jedes Menschen Brust! Erkenne dich, Mensch.“
Im Leopold Museum sind noch Werke seiner anderen „Schüler“ resp. „Apostel“ zu sehen: Hugo Höppener alias „Fidus [der Getreue]“, der sich selbst „Vegetarianer-Apostel“ nannte und nach anfänglicher Begeisterung rasch von seinem dominanten, spirituellen „Meister“ löste. Besonders hervorzuheben sind hier Fidus' „Astralpsychologische Versuchsstation“ (1907, The Jack Daulton Collection) und Tempelentwürfe, damit er mit seiner Kunst „zu einer kleinen aber weit verbreiteten Gemeinde sprechen“ könne. Diese Orte, an denen er „wundersame Darstellungen einheitlicher Gefühlserlebnisse“ versprach, gelangten jedoch nie über das Entwurfsstadium hinaus.
Gusto Gräsers fast märchenhaftes Gemälde „Der Liebe Macht“ (1898/99) ist sein einziges Gemälde. Ein Journalist beschrieb es mit diesen Worten:
„Die gegenwärtige Welt mit ihren Schäden des sozialen Elends läßt den Wunsch nach Befreiung und Erlösung zu einem menschenwürdigen Dasein hinüberflüchten aus der brennenden Fabrikstadt zu einer Art idyllischen Lebens im engeren Anschluß an die Mutter Natur.“
Kurze Zeit später gründete Gräser mit seinem Bruder Karl die Reformsiedlung Monte Verità am Lago Maggiore (Schweiz). In der Landschaft scheint er bereits einen Vision davon realisiert zu haben: Rechts eröffnet Gräser das Bild mit einer wahrhaft höllischen Industrielandschaft mit fallenden Engeln, einem Gehängten und einen Mord. Ein Menschenpaar findet den Weg ins Paradies, angeleitet von Kindern. Sie erblicken durch eine Pforte das verheißungsvolle Land: eine idyllische Waldlandschaft, die Mutter Natur, bekrönt vom Felsentempel einer neuen Religion, ein Phantasievogel und die Sphinx.
- Gusto Gräser, Der Liebe Macht
Im Gegensatz zu Paris oder Prag zählte Wien nicht zu den Zentren des Okkultismus. Dennoch gelangte die Theosophie der russischen Schriftstellerin Helena Blavatsky zu den vegetarischen Zirkeln Wiens. Ein Protagonist war der Universalgelehrte Friedrich Eckstein (1861–1939), Sektretär von Anton Bruckner und Netzwerker verband die Komponisten Gustav Mahler und Hugo Wolf mit dem Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner und dem sozialdemokratischen Politiker Victor Adler. Bei Eckstein trafen sich auch Gustav Klimt und die angehende Malerin Broncia Koller-Pinell. Seine Ehefrau Bertha Eckstein-Diener machte sich unter dem Pseudonym Sir Galahad (1874–1948) einen Namen als feministische Schriftstellerin und wurde von Oskar Kokoschka porträtiert. Kurzum: Die philosophische Welt Wiens war aufs Engst mit Literat:innen, Musiker:innen und Künstler:innen versippt und verschwägert. Dass die Suche nach dem Neuen beide Interessengruppen miteinander verband, ist ein Kennzeichen der Moderne.
Zwei Vertreter der Theosophie in Wien sind der wenig bekannt Erich Mallina und der theaterbegeisterte Richard Teschner. Mallinas „Engelszug“ (1904) entstand ganz im Geheimen und verdeutlicht das Streben des Künstlers nach einer göttlichen Vision. Als Mitglied der Theosophischen Gesellschaft studierte er buddhistische sowie christlich-theologische Schriften und lebte vegetarisch-asketisch. Seit 1903 an der Wiener Kunstgewerbeschule beschäftigt und dadurch finanziell so abgesichert, musste Erich Mallina weder ausstellen noch verkaufen.
Deutlich aktiver im Wiener Kunstleben war der seit 1909 hier ansässige Richard Teschner. Seine drei Zeichnungen überraschen sogleich mit ihrem Titel, werden die Figuren doch mit der „weißen, brauen und gelben Kulturrasse“ in Verbindung gebracht. Der Künstler notierte auf fotografische Reproduktionen Gedichte von Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie. Rassisches Denken und kolonialistische Hierarchien sind auch den Anhängern des Okkultismus nicht fremd (siehe Ariosophie). Künstler und Theoretiker fordern im Gleichschritt die Abkehr vom Materialismus (Europa) und eine Hinwendung zu fernöstlichen Philosophien und Weltanschauungen.
Okkultismus vs. Spiritismus
Okkultismus ist ein Überbegriff für alle Praktiken und Lehren, die sich mit verborgenen, geheimen und übernatürlichen Kräften und Phänomenen beschäftigen.
Spiritismus ist eine spezifische Form des Okkultismus, dessen Kernstück die Kommunikation mit Verstorbenen durch (meist weibliche) Medien, um die Existenz des Jenseits und das Fortleben der Seele nach dem Tod zu beweisen. Der Spiritismus ist ein Teilbereich des Okkultismus.
Theosophie (von griechisch theosophía, „göttliche Weisheit“) ist eine esoterische Lehre, entwickelt von der russisch-amerikanischen Spiritistin Helena Petrovna Blavatsky (1831–1891). Sie verband europäische Traditionen wie Neuplatonismus, Gnosis und Rosenkreuzertum mit indischer Religiosität und Spiritualität (Buddhismus, Hinduismus und Yoga). Blavatsky erhob den Anspruch, damit einen gemeinsamen wahren Kern in allen Religionen aufzeigen zu können, zur „göttlichen Ethik“. Die Theosophie vertrat einen stark individualistischen und egalitären Ansatz und förderte die Verbreitung von libertären Ideen, insbesondere der Frauenrechte.2 Die Theosophische Gesellschaft wurde 1875 in New York gegründet.
Anthroposophie (von griechisch ánthrōpos und sophίa, „Weisheit vom Menschen“) ist eine von Rudolf Steiner entwickelte spirituelle und ethische Weltanschauung. Die Anthroposophie dient zur Erforschung des Übersinnlichen, sie bezeichnet aber auch die Lehren Steiners (menschliche Entwicklung, Zugang zu einer höheren geistigen Realität durch Schulung möglich).
Ariosophie ist der rechtsex-
tremistische und antisemitische Arm des Okkultismus. Adolf Joseph Lanz von Liebenfels (1874–1954) ging von der Überlegenheit der arischen Rasse aus. Sie seien die Wiege aller Kultur und Religion. Die Vermischung mit niederen Rassen, besonders Juden, die Wurzel aller Übel der Gegenwart darstellt.
Männliche Künstler, weibliche Medien und Geister
Der Münchner Maler Albert von Keller begeisterte sich für spiritistische Sitzungen, die so manches interessante Gemälde wie „Spiritistischer Apport eines Bracelets“ (1887, Kunsthaus Zürich,) zur Folge hatten. Das Medium Lina, eine „Somnambule [Schlafwandlerin]“, zeigt die Telekinese eines Armbandes. Von Keller war Gründungsmitglied der „Psychologischen Gesellschaft“ um Carl du Prel, den Altmeister der deutschen Parapsychologie. Der Künstler nahm an Séancen wie dieser lebhaft teil, fotografiert und zeichnete die Protagonistinnen, um sie dann in Gemälden zu verewigen.
So verfuhr er auch mit der sog. Traumtänzerin Magdeleine (um 1905 Kunsthaus Zürich). die Pariserin Magdeleine Guipet wurde europaweit berühmt, nachdem ihr Therapeut entdeckt hatte, dass sie in Trance zu Musik quasi automatisch tanzt. Im Jahr 1904 trat sie bereits im Münchener Schauspielhaus auf, wo sie großes Aufsehen erregte und die Starmaler Friedrich August von Kaulbach und Albert von Keller porträtierten. Der Erste schuf ein repräsentatives Bildnis der wachen Dame, während Von Keller sie in extatischer Bewegung festhielt. Der Traumtanz inspirierte nicht nur die Maler, sondern löste auch wissenschaftliche Debatten aus. Heute ist bekannt, dass Magdeleine Guipet in Zürich eine rhytmisch-musikalische Ausbildung bei Émile Jacques-Dalcroze erhalten hatte. Für die beginnende Tanzmoderne bedeutete ihre Auftritte eine Befreiung vom starren Korsett des Klassischen Balletts, ein direktes Reagieren auf die Musik und die Formung eines neuen Körperbildes beim Tanz.
In diesem Kapitel finden sich auch zwei spiritistische Zeichnerinnen Gertrude Honzatko-Mediz, Tochter von Karl Mediz und Emilie Mediz-Pelikan, sowie Therese Vallent. Die jugendliche Gertrude Meditz entwickelte nach dem frühen Tod ihrer Mutter im Jahr 1908 mediumistische Fühigkeiten. Sie schuf anfangs düstere Szenen, die Ivan Ristic an Blätter von Alfred Kubin erinnern. Mit „Emilie Mediz-Pelikan, Zeichnung XIV“ (1910, The Jack Daulton Collection) löste sie sich von ihren Todesvisionen und sah ihre Mutter nackt in einem rosa Lebensbrunnen (?) schwimmen.
Im Leopold Museum kann man auch die einzige erhaltene Zeichnung der Ungarin Therese Vallent bewundern. Mit Zeichnungen wie der „Mondblume Eroses“ (1899, Elmar R. Gruber Collection of Mediumistic Art) löste Vallent in Budapest und Wien einen Debatte über Sinn und Unsinn des Spiritismus aus.3 Als der „wissenschaftliche Verein für Okkultismus“ im Herbst 1899 die mysteriöse Dame einlud (sie hatte erst im März mit dem Zeichnen begonnen), um vor Publikum zu zeichnen, verbot die Polizei die Veranstaltung aus „hygienischen Gründen“.4 Deshalb führte der Verein ihre Zeichentechnik der versammelten Jounalistenschaft vor. Minutiös beschreiben die Autoren, wie sie wild und ohne ihre Hand abzusetzen Punkte und Striche auf das Papier verteilte. Der Geist Ralph oder Ralf, so Vallent, führe dabei ihre Hand. Die Zeichnende schwor, dass sie unbewusst, absichtslos und unwillkürlich arbeite, ja nie zeichnen gelernt habe.5 Und auf wundersame Weise verbanden sich im Laufe von etwa 50 Minuten zu einer erkennbaren, manchmal phantasievollen oder grotesken Form. Dennoch sind die Pressestimmen höchst skeptisch, ob Frau Vallent wirklich das Werkzeug des Geistes eines englischen Musterzeichners sei.6
Munch - Strindberg - Gerstl - Schönberg
Kurator Ivan Ristic wirft auch einen Blick in den Norden Europas, wenn er auf August Strindberg verweist. Dessen nahezu abstrakte Kompositionen oder auch kameralose Fotografien changieren zwischen Kunst, naturwissenschaftliche Studien und Alchemie. Damit prägte er das Werk des Norwegers Edvard Munch aber auch des österreichischen Künstler-komponisten Arnold Schönberg.
Wiener Avantgarde und das Unsichtbare: Schiele - Kokoschka - Oppenheimer
Die fluiden Gestalten von Edvard Munch, der Glaube an die Existenz der Lebenskraft spendenden Od-Strahlen und die Entdeckung der Röntgenstrahlen lieferten künstlerische Impulse, bis hin zu den Innenschauen von Richard Gerstl, Egon Schiele, Oskar Kokoschka oder Max Oppenheimer, die ihre Bildprotagonist:innen als auratische Erscheinungen begriffen.
- Frantisek Kupka, Der Traum, um 1909 (Kunstsammlung Bochum)
- Egon Schiele, Selbstseher II (Tod und Mann), 1911 (© Leopold Museum, Wien, Foto Leopold Museum, Wien)
Das Geistige in der Kunst
An diese Entwicklungen schlossen Frantisek Kupka, ein ehemaliger Apostel Diefenbachs, und Wassily Kandinsky mit ihren Überlegungen zu Figuration und Abstraktion an. Beide lösten ihre Bildmotive immer mehr auf, bis ungegenständliche Kompositionen resultierten. Kupkas Bild "Der Traum" zeigt, wie er ein Paar und ihre Astralleiber farbig interessant ins Bild setzte. Im Vergleich dazu widmete sich Kandinsky mit der Kirche in Murnau einem eher alltäglichen Motiv. Mit Georg Jung kommt ein Wiener Maler in die Schau, dessen monumentales Werk bereits in der Hagenbund-Ausstellung begeisterte!
Lebensreform: Mode, Sport und Neuer Tanz
Die Lebensreformbewegung umfasste sämtliche Bereiche des täglichen Lebens, wie Ristic erzählt. Er bringt Reformmode mit frühen Trainingsgeräten (sogenannten Zandergeräten), Künstler und der Alpinismus und Tänzer:innen wie Erika Giovanna Klien zusammen.
Über 180 Werke von 72 Künstler:innen bieten spannende Einblicke in die unterschiedlichsten Bereiche der verborgenen Moderne. Es entstanden um 1900 Kunstwerke voller geheimer Symbole. Künstler und Medien wagten auf ihrer Suche nach „höheren Welten“ neuartige Experimente. Ihre Inspiration fanden sie in religiösen Überzeugungen, indischen Texten, in geheimnisvollen Phänomenen wie beispielsweise der Telepathie. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse wie Röntgenstrahlen und Magnetismus ermutigten die Künstler:innen, sich mit dem Okkulten auseinanderzusetzen. So wähnten sie sich sowohl als Künstler:innen als auch als Suchende an der Speerspitze von Kunst und Gesellschaft, denn formal und inhaltlich bildeten sie die Avantgarde.
Ausgestellte Künstler und Künstlerinnen
Gustinus Ambrosi, Otto Barth, Josefine Barwig (Franz Čižeks Jugendkunstklasse), Walter Barwig, Augusto Benvenuti, Friedrich (Fritz) Bernas (Franz Čižeks Jugendkunstklasse), Frédéric Boissonnas, Hans Canon, Maria Cyrenius, Josef Maria Eder, Eduard Valenta, Gertrude Fischel, Richard Gerstl, Gusto Gräser, Adolf Hirémy-Hirschl, Ferdinand Hodler, Ludwig von Hofmann, Gertrude Honzatko-Mediz, Emilie Mediz-Pelikan, Hugo Höppener (Fidus), Georg Jagendorfer, Georg Jung, Johannes Itten, Gustav Jahn, Mizzi Langer-Kauba, Wassily Kandinsky, Franziska Kantor, Elisabeth Karlinsky-Scherfig, Friedrich August von Kaulbach, Albert von Keller, Fernand Khnopff, Paul Kirnig, Erika Giovanna Klien, Georg Klimt, Gustav Klimt, Max Klinger, Oskar Kokoschka, Alfred Kubin, František Kupka, Erwin Lang, Erich Mallina, Gabriel von Max, Hedda Medina, Karl Mediz, Koloman „Kolo“ Moser, Edvard Munch, Friederike (Fritzi) Nechansky-Stotz, Joseph Maria Olbrich, Max Oppenheimer, Adolf Ost, Erwin Pendl, Emil Pirchan, Mäda (Gertrude) Primavesi (Franz Čižeks Jugendkunstklasse), Carl Anton Reichel, Gertraud Reinberger-Brausewetter, Egon Schiele, Arnold Schönberg, Fritz Schönpflug, Franz Xaver Setzer, August Strindberg, Friedrich Strnischtie, Richard Teschner, Anton Josef Trčka, Grete Wiesenthal, Olga Stahlberger, Hilde Holger, Ellinor Tordis, Gertrud Kraus, Magdeleine (Tänzerinnen), Franz Trimmel, My (Marianne) Ullmann, Therese Vallent, Eduard Veith, Otto Wagner, Malers der Würzburger Amymone
- Ferdinand Hodler, Blick ins Unendliche III, 1903-1904 (© Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne, Foto Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne)
Weitere Beiträge zur Kunst der Moderne
- s.v. Acheron, in: Wilhelm Heinrich Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Leipzig 1884, S. 9–11, hier S. 10.
- Simon Grant, Art, Spiritualism, and Theosophy, in: Women in Abstraction, hg. v. Christine Macel und Karolina Ziebinska Lewandowska (Ausst.Kat. Centre Pompidou, Paris; Musée national d’Art moderne, Paris; Guggenheim Museum Bilbao), London 2021, S. 46.
- Die „Mondblumen“ des „Geistes“ Ralph in Budapest, in: Das interessante Blatt, Nr. 26 (29.3.1899), S. 2–3.
- Mondblumen, in: Neuigkeits-Welt-Baltt (20.10.1899), S. 7.
- Neue Freie Presse (18.10.1899), S. 6.
- Die Mondzeichnerin Vallent, in: Kremser Zeitung, (29.10.1899) S. 8. In diesem konservativen Blatt verbindet sich Skepsis mit Judenhass. Mondzeichnungen, in: Der Floh, Jg. 31, Nr. 43 (1899) S. 2.










