Das Belvedere feiert mit einer Mega-Schau zu Gustav Klimt und der westeuropäischen Moderne seinen 300. Geburtstag! In Kooperation mit dem Van Gogh-Museum in Amsterdam gelingt dem Wiener Haus eine Ausstellung mit beachtlicher Dichte an hochkarätigen Leihgaben. Sie beleuchtet die Entwicklung von Klimts Werk und die Kunstszene von Wien 1900 mit der Modernen Galerie (ab 1903), dem Kunsthandel (Galerie Miethke) und der Ausstellungsgeschichte der Wiener Secession. Nach der ersten Station der Ausstellung in Amsterdam rund 90 Werke um die „Wasserschlangen II“ (1904/05) aus einer unbekannten Privatsammlung in Wien zu sehen.
Österreich | Wien: Belvedere, Unteres Belvedere
3.2. – 29.5.2023
Klimts Werk wird kontextualisiert von seinen historistischen Anfängen bis zum farbintensiven Spätwerk, die ersten zehn/fünfzehn Arbeitsjahre als Dekorationskünstler werden dabei ausgespart.
Gleich beim Eingang startet die Schau mit drei Wandabwicklungen furios: Entwürfe für das Stiegenhaus des Burgtheaters und das Mappenwerk „Allegorien und Embleme“ werden Skizzen für das Kunsthistorische Museum von Makart und einer römischen Szene von Alma Tadema gegenübergestellt. Zu Klimts frühesten Vorbildern zählen Hans Makart und Lawrence Alma-Tadema, Hauptvertreter des Historismus in Wien und London. In einem selten ausgestellten Aquarell Klimts fügen sich die Inspirationsquellen zusammen: Ein skulpturaler Frauenakt in einem römischen, von Marmorarchitektur geprägten Ambiente fügt sich perfekt neben eine liegende, genauso nackte Frau in südlichem Licht. Das akademisch-realistische Porträt des Komponisten Joseph Pembaur schließt diese Werkfolge mit einem antikisch gestalteten Rahmen ab. Auf der gegenüberliegenden Wand zeigt das Kurator:innen-Team Klimts Übernahmen von Franz von Stuck und Fernand Khnopff – allen voran die Inszenierung der gefährlichen Frau als femme fatale als Judith, Pallas Athene oder Salome. Männliche Helden sind in Klimts Werk äußerst selten, der „Goldene Ritter“ trifft im Belvedere auf einen im Baum sitzenden „Engel des Lebens“ von Giovanni Segantini, beides äußerst geheimnisvolle Bilder, die wohl in den Bereich der Privatmythologie zu verorten sind.
Das oben genannte Gemälde „Wasserschlangen II“ wird einer Kopie des Beethoven-Frieses gegenübergestellt (→ Gustav Klimts Gold für das Paradies). Klimt hat 1902/3 für die Hommage an den Komponisten eine echte Wandmalerei mit dem Streben nach Glück inszeniert, die sich heute als Leihgabe des Belvedere in der Secession befindet. Die Ausstellungskopie war in Amsterdam zur Gänze ausgestellt, um dieses Hauptwerk zumindest ideell ins Zentrum der Schau stellen zu können. In Wien wird das Finale – „Diesen Kuss der ganzen Welt“ – herausgegriffen und den schwimmenden Wasserschlangen, eigentlich Frauenakten umgeben von Goldfischen, Seegras und goldener Schlange, zur Seite gegeben. Eine großformatige, fast zeichnerische Komposition von Jan Toroop lässt vermuten, woher Klimt die Idee der sich treibenlassenden Frauen hat. Ergänzt um Skulpturen von Goerges Minne und eine textile Arbeit von Margaret McDonald, wird das stilisierte, überschlanke Figurenideal eingebettet. Ferdinand Hodler und Sascha Schneider thematisierten ihrerseits den dem Schicksal ausgesetzten Menschen. Klimts symbolistische Zeichnungen und Gemälde fügen sich in diese von Friedrich Nietzsche geprägte Weltanschauung, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren.
Seine „Wasserschlangen I“ (auch „Freundinnen“) aus dem Belvedere, „Nixen“ sowie das leider nicht perfekt erhaltene Gemälde „Irrlichter“ wandeln die Verbindung von erotisch aufgeladenen Frauenkörpern in Unterwasserszenen facettenreich ab. Der für seine langsame Malpraxis bekannte Künstler – Klimt schuf in 40 Arbeitsjahren nur etwa 250 Ölgemälde – nahm zwar einmal entwickelte Ideen gerne wieder auf, variierte jedoch ihre Kompositionen so stark ab, dass man weder von Serien noch Variationen sprechen kann.
Klimt als „Maler der Frauen“ zu bezeichnen, war bereits seinen Zeitgenoss:innen eingefallen. Wie er sich in die Tradition des monumentalen Standesporträt einfügte, wird im dritten Saal der Ausstellung augenfällig. Das „Porträt Sonja Knips“ aus dem Belvedere und das „Porträt Emilie Flöge“ aus dem Wien Museum stehen zwei lebensgroßen Bildnissen Theo van Rysselberghes sowie James McNeill Whistler gegenüber. Im Kabinett inszenieren ein frühes Frauenbildnis Klimts und eine Skizze John Singer Sargents die beiden Dargestellten auf ähnliche Weise. Klimt nimmt die Konventionen des Frauenporträts auf und setzt sie stilistisch eigenständig und maltechnisch bravourös um. Zwar gibt es Bildnisse Klimts, in denen er das Flirren des Postimpressionismus aufnimmt, doch diese wertvollen Werke haben nicht den Weg nach Wien gefunden.
Höhepunkt der Schau ist zweifellos der vorletzte Saal der Ausstellung! Hier treffen Klimts Landschaften auf Naturvisionen von Fernand Khnopff, Claude Monet, Theo van Rysselberghe, Vincent van Gogh, Paul Cézanne.
Gustav Klimt hat sich erst im Alter von 35 Jahren mit Landschaftsmalerei zu beschäftigen begonnen. Leider sind aus dem Jahr 1897 keine Werke überliefert, so dass „Morgen am Teiche“ (1899) aus dem Leopold Museum zu den frühesten Landschaftsbildern des Wieners gehört: Der titelgebende Teich nimmt nahezu die gesamte Bildfläche ein, die sich spiegelnden Wolken auf der Wasseroberfläche scheinen das wirkliche Thema des Werks zu sein. Darin zeigt Klimt bereits die Kenntnis von Claude Monets Werk. Dem Belvedere ist es gelungen, eine hellfliederfarbene Version von „Arm der Seine bei Giverny im Nebel“ (1898, Chicago Art Institute) nach Wien zu holen (ein Wahnsinn!). Der direkte Vergleich macht deutlich, dass der Franzose willens war, die Welt in Wasserdampf und Farbe aufzulösen, während der Wiener zwar die Haptik der Objekte an deren Rändern gleichsam „anknabbert“, ohne jedoch Lokalfarbigkeit und Differenzierbarkeit aufzugeben.
Ein selten ausgestelltes Bild aus Privatbesitz, Klimts „Seeufer mit Birken“ (1901), schafft die Verbindung zum pointillistisch beeinflussten Landschaftswerk des Wieners, indem es den Blick auf das Wasser mit der Spiegelung des gegenüberliegenden Ufers, schlanken Birkenstämmen im Vordergrund und ersten getupften Blumenköpfen kombiniert. „Blühender Mohn“ (Belvedere) von 1907 hängt zwischen Landschaften von Theo van Rysselberghe und Georges Seurat (→ Georges Seurat, Erfinder des Pointillismus); die späte „Italienische Gartenlandschaft“ (1913) wird von zwei Getreidefeldern Vincent van Goghs gerahmt. Beide bezeugen Klimts stilistische Versatilität, hat er doch die neuesten Tendenzen von Pointillismus bis zur Van Gogh-Rezeption u. a. durch Cuno Amiet in sein Werk aufgenommen.
Nichts scheint Klimt in den Jahrzehnten rund um 1900 entgangen zu sein. Einige Aufenthalte des Künstlers in Paris sind belegt, vieles hat die Wiener Secession und die Galerie Miethke nach Wien gebracht: sei es das skulpturale wie das grafische Werk von Auguste Rodin, seien es die Plakate von Henri de Toulouse-Lautrec, die flächigen Druckgrafiken Pierre Bonnards und die Illustrationen von Aubrey Beardsley.
Der Bruch in Klimts Werk um 1910 – weg von der Goldenen Periode hin zum farbintensiven, expressiven Malen – wird am Ende der Schau mit internationalen Vergleichen unterfüttert. Henri Matisse und Kees van Dongen, Edvard Munch und einmal mehr Vincent van Gogh gestalteten ihre Bilder mit sichtbarem Pinselstrich und leuchtenden Farbtönen. Reine, unvermischte Farben direkt aus der Tube zu verarbeiten, Details und Linien zu vernachlässigen und stattdessen die große Form anzustreben, trieb um 1905 die Pariser Avantgarde um. Vorläufer hierfür war van Goghs später Stil in Saint-Rémy und Auvers-sur-Oise (→ Amsterdam | Van Gogh Museum: Van Gogh in Auvers-sur-Oise). Klimt verarbeitet diese Neuerungen in seinem Werk auf individuelle Weise. Wie bereits in seinen früheren Porträts und Figurenbildern zu beobachten, bleibt das Inkarnat naturalistisch, während Kleidung und Hintergrund buntfarbig aufleuchten.
Gustav Klimts künstlerisches Denken wurde von der westeuropäischen Kunst maßgeblich geprägt, und die Belvedere-Ausstellung bereitet dies wunderbar auf. Die Gegenüberstellungen überzeugen vor allem durch stilistische und formale Konvergenzen. So erzählen die Bilder selbst vom künstlerischen Austausch zwischen den Kunstschaffenden mit Klimt im Zentrum. Klimts Welt ist vom ständigen Wandel geprägt. Der Wechsel seiner Vorbilder von historistischen zu symbolistischen Malern vor 1900 zu (post-)impressionistischen und fauvistischen Künstlern ab 1903 machen einen Künstler erlebbar, der mit offenen Augen durch die Welt geht. Zum einen gelang es Klimt, mit seiner Goldenen Periode ein „Wiener“ Idiom und zum anderen eine „Wiener Melange“ im Sinne einer guten Mischung zu entwickeln. Fernab davon ein kompilierender Maler zu sein, schafft Klimt spannende Synthesen und modernisierte auf diese Weise die Wiener Moderne wie kein anderer zu seiner Zeit.
„Klimt Inspired by“ ist eine äußerst gelungene Ausstellung auf Basis einer guten Erzählung und wunderbare Kunstwerke auf Besuch in Wien. Chapeau!
Sir Lawrence Alma-Tadema | Edmond Aman-Jean | Cuno Amiet | Aubrey Beardsley | Pierre Bonnard | Paul Cézanne | André Derain | Ferdinand Hodler | Fernand Khnopff | Gustav Klimt | Max Klinger | Lord Frederic Leighton | Margaret MacDonald-Mackintosh | Hans Makart | Edouard Manet | Henri Matisse | Georges Minne | Claude Monet | Edvard Munch | Auguste Rodin | Sascha Schneider | Giovanni Segantini | Georges Seurat | John Singer Sargent | Franz von Stuck | Jan Toorop | Henri de Toulouse-Lautrec | Kees van Dongen | Vincent van Gogh | Theo Van Rysselberghe | Franz von Stuck | Jan Toorop | James Abbott MacNeill Whistler
Kuratiert von Markus Fellinger (Belvedere, Wien) und Edwin Becker und Renske Suijver (Van Gogh Museum, Amsterdam)
Assistenzkuratorinnen: Stephanie Auer (Belvedere, Wien) und Lisa Smit (Van Gogh Museum, Amsterdam