Wiener Glaskunst des Jugendstil und Art Deco wurde vielfach von Architekten gestaltet, die dem Material völlig neue Qualitäten abringen konnten, bzw. sich bisweilen auch an historischen Glasentwürfen orientierten. Die Zuspitzung des Titels auf die durchwegs männlichen Architekten-Designer in Ausstellung und begleitendem Katalog wird durch die Ausbildungswege des späten 19. und 20. Jahrhunderts in Akademie und Kunstgewerbeschule vorgezeichnet. Wenn auch einige Künstlerinnen, darunter die bedeutende Susanne Loetz oder Mitarbeiterinnen der Wiener Werkstätte wie Gisela Falke und Camilla „Milla“ Weltmann, in der Schau vertreten sind, so hatte diese natürlich keine die Möglichkeit, ein Architekturstudium zu belegen. So treten die Künstlerinnen der Schau vor allem als begabte Glasmalerinnen, wie Lotte Fink und Hilde Jesser, in Erscheinung.
Österreich | Wien: MAK
18.01.2017 – 17.04.2017
Le Stanze del Vetro und der Fondazione Giorgio Cini
18.4. – 31.7.2016
Im Sinne des Gesamtkunstwerkbegriffs der Wiener Moderne sahen sich Architekten mit Fragen der Inneneinrichtung konfrontiert. Vor allem Josef Hoffmann ist für seine perfekt durchgestylten Ausstattungen berühmt, für die er sein ganzes Leben lang auch mit dem Material Glas arbeitete. Dass sich auch sein größter Widersacher, Adolf Loos, 1931 mit einem sehr schlichten Entwurf für J. & L. Lobmeyr in die Geschichte der Glaskunst einschrieb, ist fast schon ein Bonmot.
Otto Wagner formulierte in seinem Lehrbuch „Moderne Architektur“ (1895) Begriffe wie Neustil und Nutzstil als Gegenentwürfe zu einem historistischen „Durchpeitschen aller Stilrichtungen“ (→ Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen). Neue Materialien, so schlussfolgerte Otto Wagner, bedürfen neuer Formen, die adäquat auf neue Funktionen, neue Bedürfnissen reagieren. Gleichzeitig formierte sich an der Akademie der Siebener-Club rund um Joseph Maria Olbrich, Josef Hoffmann, Leopold Bauer, Koloman Moser und Gustav Klimt, der 1897 zur Gründung der Wiener Secession führte. Mit der Reform der Kunstgewerbeschule unter Arthur von Scala und Felicien von Myrbach sowie der 1903 erfolgten Gründung der Wiener Werkstätte durch Koloman Moser, Josef Hoffmann und Fritz Waerndorfer öffneten sich Architekten und Maler endgültig dem Kunsthandwerk. Von Scala hatte Objekte aus London und Glas von Louis Comfort Tiffany aus Paris mitgebracht, zudem führte er Glaskünstler wie Émile Gallé in Wien ein. La Maison Moderne aus Paris, die britische Arts and Crafts Movement, die Glasgow School of Arts mit Charles Rennie Mackintosh und Charles Robert Ashbee wurden zu wichtigen Vorbildern der Wiener Entscheidungsträger.
Glas erhielt in Österreich-Ungarn schnell den Ruf, ein „modernes Material“ zu sein. Spektakuläres Vorbild war bereits Joseph Paxtons Crystal Pavilion für die Weltausstellung in London 1851. Otto Wagner nutzte Glas in den von ihm entworfenen Gebäuden, um Licht in niedrige Geschosse zu leiten (z.B. Glassteine, Glasdach). An der Kunstgewerbeschule besann sich das Kollegium rund um Felician von Myrbach der böhmischen Tradition in der Glasproduktion (→ Gläser der Empire- und Biedermeierzeit (1780–1840)) und förderte daher Designs für Glas. Die Kunstgewerbeschule stand in enger Verbindung mit den Fachschulen in Haida und Steinschönau in Nordböhmen. Ein weiteres Zentrum war auch Gablonz, das gemeinsam mit Haida und Steinschönau seit 1852 an Weltausstellungen teilnahm. Hohe technische Standards der Glasbläser sowie Glasschneider in Verbindung mit modernen Entwürfen von Architekten und Designern des Jugendstils ließen J. & L. Lobmeyr (gegr. 1823) und E. Bakalowits Söhne (gegr. 1845) zu wichtigen Auftraggebern und Zwischenhändlern werden.
Im Jahr 1897 begannen Josef Hoffmann und Moser Entwürfe für Glasmanufakturen zu liefern, wobei sie von einfachen geometrischen Formen sowie französischen und asiatischen Einflüssen ausgingen. Zwischen 1899 und 1903 entwarf Koloman "Kolo" Moser etwa 400 Objekte aus Glas, die E. Bakalowits Söhne von Loetz Witwe (gegr. 1858) in Klostermühle (heute: Klášterský Mlýn) sowie Meyr’s Neffe in Adolf (heute: Adolfov, Böhmen) fertigen ließ. Mosers Schülerinnen an der Kunstgewerbeschule waren in diesen Prozess eingebunden und durften die Dekorationen entwerfen, weshalb viele der Designs als „Schule Prof. Kolo Moser“ bezeichnet sind. Im Februar 1901 reiste der „Tausendkünstler“ mit dem Händler Bakalowits nach Böhmen, um den Herstellungsprozess zu begutachten. In diese Zeit fällt auch die Abwendung der Wiener Designer vom floralen Jugendstil und die Etablierung des geometrischen Wiener Stils. Interessanterweise fertigte Kolo Moser mit der Gründung der Wiener Werkstätte keine weiteren Entwürfe für Gläser mehr an.
Nur wenig später als Kolo Moser wandte sich Josef Hoffmann dem Material zu: Erste Designs waren 1900 auf der 8. Ausstellung der Wiener Secession zu sehen. Erneut war es E. Bakalowits Söhne, die Hoffmann damit beauftragten. Der Architekt experimentierte mit der Kombination von Glas und Holzkonstruktionen in fließenden Formen sowie dem irisierenden Glas der Loetz Witwe. In Klostermühle haben sich Entwurfszeichnungen aus den Jahren zwischen 1906 und 1915 erhalten, was die lange und gute Zusammenarbeit mit Hoffmann eindrucksvoll belegt. Einige der wichtigsten Entwürfe von Josef Hoffmann arbeiten mit mattem Glas und eingebranntem Bronzitdekor. Dafür wurde das Glas mit einer schwarzen oder braunen Schicht mit schwach metallischem Glas überzogen. Das Ornament wurde mit Lack überzogen und dann das Glas mit Hydrofluorsäure geätzt. Diese für J. & L. Lobmeyr und die Wiener Werkstätte entstandenen Glasserien zeigen einfache lineare Muster oder stark stilisierte Ranken. Der wirtschaftliche wie künstlerische Erfolg brachte weitere Künstler der Wiener Moderne – wie Moritz Jung, Urban Janke und Ludwig Heinrich Jungnickel – dazu, sich mit dem Bronzitdekor zu beschäftigen.
In den geschliffenen Gläsern der 1910er Jahre orientierte sich Josef Hoffmann an Gläsern des Klassizismus und des Biedermeier. Die Verbindung mit J. & L. Lobmeyr ermöglichte Hoffmann, sich bis in die 1950er Jahre experimentell mit Glasentwürfen zu beschäftigen. Wie einige Zeichnungen dokumentieren, ging der Architekt dabei auch manchmal über die Grenze des Umsetzbaren hinaus.
Leopold Bauer gilt als einer der wichtigsten Schüler von Otto Wagner und wurde als dessen Nachfolger an die Akademie berufen. Im Jahr 1902 startete er eine Kooperation zwischen E. Bakalowits Söhne und der Glashütte Johann Loetz Witwe, die Baron Max von Spaun (1856–1909) gehörte. Bauer entwarf gerade blaue Glasfliesen für einen Tee-Pavillon der Kunstausstellung in Düsseldorf. Den Prozess der Glasproduktion konnte der Architekt 1903 während eines mehrmonatigen Aufenthalts vertiefen. In dieser Zeit entwarf er knapp 50 Vasen. In der Wiener Secession stellte er im folgenden Jahr (1906) 66 Vasenentwürfe mit irisierendem Dekor aus. Noch im gleichen Jahr gewann die Glashütte damit den Grand Prix in Mailand. Einfache geometrisch-abstrakte Muster fanden in den Glasentwürfen Verwendung, die aus Kristallglas zu schleifen waren.
Auch Otto Prutscher (ab 1910 Professor an der Kunstgewerbeschule) beschäftigte sich ab 1904 mit Glas. Zuerst entwarf er Glasobjekte (Tischlampen, Kandelaber, Vasen) für E. Bakalowits Söhne. Seine berühmteste Glasserie mit dem Namen „Perl Glas“, gefertigt von Johann Loetz Witwe, präsentierte er 1908 auf der Wiener Kunstschau. Nachdem 1910 Johann Loetz Witwe in Konkurs gegangen war, arbeitete Prutscher auch für J. & L. Lobmayr sowie der Glashütte von Carl Goldberg in Haida. Goldberg hatte eine Technik erfunden, mit der er auf den Spuren der Steingläser des Biedermeier wandeln konnte, d. h. mit der er Halbedelsteine imitieren konnte. Otto Pruschers „Lapilazuli“-Serie gehört zu den bekanntesten in dieser Technik.
Der Keramiker Michael Powolny (1871–1954) entwarf ebenfalls ab 1912 Glasobjekte für J. & L. Lobmeyr. Seine Gläser wurden mit figurativen und floralen Glasschnitten dekoriert, die im stilistischen Kontrast zu den geometrischen Dekoren von Josef Hoffmann und Otto Prutscher standen.
Der Österreichische Werkbund wurde 1912 nach dem Vorbild des Deutschen Werkbunds als Vereinigung von Künstlern, Architekten, Unternehmern und Handwerkern gegründet. Josef Hofmann, der ein Gründungsmitglied war, designte das Österreichische Haus für die erste internationale Präsentation auf der Kölner Werkbundausstellung 1914. Böhmisches Glas und Wiener Designer, die meisten von ihnen als Architekten ausgebildet, stellten die Wiener Moderne vor: Leopold Forstner war mit einem Glasmosaik vertreten. J. & L. Lobmeyr und Johann Loetz Witwe zeigten Entwürfe von Josef Hoffmann, Urban Janke, Ludwig Heinrich Jungnickel, Arnold Nachansky, Michael Powolny, Carl Witzmann, Dagobert Peche, Cesar Poppovits, Hans Bolek und Milla Weltmann. Der Österreichische Werkbund präsentierte 1914 von geschliffenem Kristallglas über Bronzitdekor, Emailmalerei bis Glasmosaik alle Formen der Glasdekoration.
Durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs litt die böhmische Glasproduktion unter enormen Absatzschwierigkeiten. Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte, aber auch seine Schülerinnen und Schüler an der Kunstgewerbeschule, wurden von der Regierung aufgefordert, „patriotische Produkte“ zu entwerfen. Es entstanden einfache Trinkgläser mit Emailmalerei, die in linearem und geometrischen Stil dekoriert sind.
„Das Geheimnis von Glas liegt in seinem scheinbaren Fehlen von Körperlichkeit, während es die Illusion von Raum verleiht.“ (Oskar Strnad)
Oskar Strnad (1879–1935) veränderte durch seine Neuinterpretation das Glas und verlieh ihm eine nahezu schwerelose, elegante Form, deren äußerer Umriss die Aufmerksamkeit des Entwerfers auf sich zu ziehen hatte. Wer einmal ein Glas von Oskar Strnad oder seinem Schüler Oswald Haerdtl in der Hand gehalten hat, weiß, wie wenig Körperlichkeit ein Musselinglas von Lobmeyr haben kann. Gleichzeitig forcierte Lobmeyr aber auch Gläser, die mit Emailfarben bemalt wurden. Lotte Fink, eine Abgängerin der Kunstgewerbeschule, entwickelte gemeinsam mit der Glashütte von Carl Drobnik & Söhne in Haida eine Technik, mit der sie ihre neoklassizistischen Entwürfe umsetzte. Hochpreisige Objekte verbanden Emailmalerei mit geschliffenen Partien.
Obwohl Österreich nach Ende des Ersten Weltkriegs von den traditionellen böhmischen Glasproduktionsstätten abgeschnitten war, reorganisierte sich Lobmeyr und triumphierte gemeinsam mit seinen Entwerfern auf der so genannten Art Déco Ausstellung in Paris 1925. Lobmeyr gewann den Grand Prix und prägte mit seiner Glaskunst den Geschmack des Art Déco entschieden mit.
Eine Sonderstellung nehmen die Glasfiguren der Firma Bimini ein. Im Jahr 1923 gründeten Fritz Lampl und Arthur Berger die Glasbläserei. Sie ließen sich für ihre figurative Skulpturen aus Glas stark von venezianischen Glasprodukten inspirieren.
Erst 1931 entwarf Adolf Loos (1870–1933) sein einziges Trinkservice für J. & L. Lobmeyr: „Trinkservice (TS) 248“. Angeblich geht es zurück auf ein Service aus dem Besitz von Napoleon und Oskar Strnads geraden Formen. Der so genannte „Steindlschliff“ am Boden der Gläser ist der einzige Dekor des „Loos“-Services. Der Architekt hatte sich lebenslang gegen die Einmischung seiner Zunft in Design und Kunsthandwerk verwahrt. Vielleicht hat sich Loos dazu inspiriert gefühlt, weil er ein Speisezimmer für die „Internationale Raumausstellung“ in Köln entwerfen wollte.1 Daher sandte er im Februar 1931 ein Blatt mit fünf Entwürfen an J. & L. Lobmeyr. Eigentlich zeigt es nur fünf Rechtecke (Querschnitte) mit zylindrischem Hohlkörper im Verhältnis von 1:1 und mit Kreuzmuster an den Böden. Darunter jeweils die Funktion, die einzig über die Größe der Gläser definiert wird, und dass es sich um runde Gläser handeln soll. Weniger ist mehr, muss sich Adolf Loos dabei gedacht haben. Zumindest beweist es die Vorstellungskraft von Stefan Rath, der den Architekten in den folgenden Monaten während des Entwurfsprozesse begleitete und ihn bezüglich technischer Finessen und Kundenwünschen beriet.
Doch es sollte erneut Josef Hoffmann sein, der den utopischen Anspruch eines Architekten auf Glas übertrug. Sein „Boudoir d’un grande vedette [Boudoir für einen großen Star]“ stellte im Jahr 1937 auf der Pariser Weltausstellung (25. Mai bis 25. November 1937) noch einmal die Möglichkeiten des Glases als Luxusmaterial hervor: verspiegelte Fliesen (auch am Boden für den Blick unter den Morgenmantel?), Glaslüster von Lobmeyr von Oswald Haerdtl, versilberte und geschnitzte Holzpaneele an den Wänden, … alles in Silber gehalten. Nichts erinnert an die schwierige Wirtschaftslage nach dem Börsenkrach von 1929, nichts an den Spanischen Bürgerkrieg (wie im Spanischen Pavillon in „Guernica“ von Pablo Picasso und dem verlorenen Wandgemälde Joan Miró → Picasso: Guernica → Joan Miró). Hoffmann stellte das Glas einmal mehr in den Dienst von Starkult und Luxusproduktion.
Rainald Franz, LE STANZE DEL VETRO, Fondazione Cini (Hg.)
The Glass of the Architects: Vienna 1900
mit Texten von Rainald Franz, Pasquale Gagliardi, Valerio Terraroli, Christoph Thun-Hohenstein und Andreas Vass
Italienisch/Englisch
328 Seiten
ISBN 978-88-572-3244-7
Skira, Mailand 2016
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