Eugène Delacroix (1798–1863) steht an der Schwelle von Salonmalerei und Moderne, die nur sich selbst verpflichtet ist. In Auseinandersetzung mit dem Grand Style von Paul Delaroche und den Farbtheorien Michel Eugène Chevreuls (1786–1889) entwickelte er einen auf Farben und Pinselstrich basierenden Malstil. Obwohl Delacroix kaum Schüler hatte, wurde sein Personalstil und seine Überlegungen zu Kunst zu den folgenreichsten des 19. Jahrhunderts. Generationen von Impressionisten (Manet, Fantin-Latour, Bazille, Renoir), Spätimpressionisten (Cézanne, Van Gogh), Symbolisten (Moreau, Redon, Gauguin) und Pointillisten (Seurat, Matisse, Metzinger) bezogen sich auf oft ungeahnte Weise auf ihren 1863 verstorbenen Wegbereiter. Von Édouard Manet bis Wassily Kandinsky reicht die Ahnenreihe der Bewunderer von Delacroix‘ Mut, deren Verehrung um 1900 zu einem ersten Höhepunkt kam. Jahrzehnte später äußerte sich noch Pablo Picasso genauso direkt wie unverblümt: „Dieser Bastard. Er ist wirklich gut.“
USA | Minneapolis Institute of Art
18.10.2015 – 10.1.2016
England | London: The National Gallery
17.2. – 22.5.2016
„Die schönsten Werke sind die, welche die reine Fantasie des Künstlers ausdrücken.“1 (Eugène Delacroix 8. August 1856)
Häufig wird die „Geburt“ der modernen Kunst in Frankreich mit dem Salon des Refusés von 1863 verbunden, als Edouard Manet sein außergewöhnliches „Frühstück im Grünen (Déjeuner sur l’herbe)“ (1863, Musée d’Orsay, Paris) und James Abbot McNeill Whistler seine „Symphony in White, No. 1“ (1862, National Gallery of Art, Washington) nicht im Rahmen des offiziellen Salons ausstellen durften. Stattdessen präsentierte Manet seine Komposition im so genannten Salon der Abgewiesenen2, wo Künstlerinnen und Künstler jene Werke ausstellen konnten, die von der Jury abgelehnt worden waren. Doch im selben Jahr starb auch Eugène Delacroix, der als Hauptvertreter der Romantik in den frühen 1820ern die Bühne des Salons betrat, sich in den folgenden Jahren in der öffentlichen Meinung Paul Delaroche (1797–1856) geschlagen geben musste, bevor er in den 1850ern zum berühmtesten Künstler Frankreichs avancierte (→ Delaroche und Gericault. Geschichtsbild). Eine Gegenüberstellung von Delacroix` „Badenden”3 (1854) und Manets „Frühstück im Grünen” und in weiterer Folge Renoirs oder Cézannes Badende zeigt, wie sehr das Sujet – eigentlich eine Verbindung eines marokkanischen Abenteuers mit Landschaftserinnerungen an Champrosay und Torquato Tassos „Jerusalemme liberata“ (1581) – von diesem Künstler mitgeprägt wurde. Ein Pariser Kunsthändler hatte das Gemälde im Februar 1854 als „bain champêtre“ und genauen Angaben zu seinem unterschwelligen Sensualismus bestellt. Nicht nur Giorgione stand mit seiner „Fête champêtre“ im Louvre als Urvater der Erzählung hinter der Bildfindung, sondern auch Gustave Courbets skandalumwittertes und von Delacroix als „vulgär“4 beschriebenes Gemälde „Die Badenden” (1853, Musée Fabre).
Die Ausstellung in der National Gallery in London und zuvor im Minneapolis Institute of Art erinnert an die Bedeutung Delacroix’ für die Moderne Frankreichs. Wenn das auch nie gänzlich vergessen war, so ist in den letzten Jahren verstärkt vom Bruch der Impressionistinnen und Impressionisten mit der Tradition erzählt worden. Stattdessen lenkt „Delacroix und die Malerei der Moderne“ wieder den Blick auf die Verbindungen, ohne daraus eine konsequente Fortführung zu konstruieren. Verschiedene Künstler (und es fehlen in der Schau die Künstlerinnen wirklich!) reagierten auf unterschiedliche Aspekte von Delacroix‘ Werk: Moreau und Redon ließen sich von kompositionellen wie ikonografischen Lösungen anregen, Courbet reagierte auf die Farbtheorie in den Blumenstillleben, Cézanne auf den Bau der Landschaften und Renoir die Farbenpracht der orientalischen Gemälde. Aber auch der Jahrzehnte dauernde Kampf um Anerkennung, der erst späten Aufnahme in die Akademie5, bot den Jüngeren ein Rollenmodell des modernen Künstlers. Damit wie auch seinem Werken beeinflusste Delacroix Künstler des Impressionismus, Symbolismus, Postimpressionismus | Pointillismus | Divisionismus bis zur Klassischen Moderne und der „Erfindung“ der abstrakten Kunst u. a. durch Wassily Kandinsky (1866–1944).
Eines der berühmtesten Gründungswerke des Impressionismus ist Henri Fantin-Latours „Hommage an Eugène Delacroix“ (Februar 1864), das der Künstler ein Jahr nach dem Ableben des verehrten Vorbildes am Salon präsentierte. Fantin-Latour selbst, die Künstlerfreunden Edouard Manet (direkt neben dem Porträt rechts stehend), James Abbott McNeill Whistler, Alphonse Legros, Félix Bracquemond und Albert de Balleroy, sowie die Kunstkritiker Jules Champfleury, Louis-Edmond Duranty und Charles Baudelaire flankieren ein Bildnis Delacroix‘. Ein bunter Blumenstrauß davor als Ausdruck der Verehrung aber auch Hinweis auf die Farbtheorie in Delacroix‘ Werk.
Wenn in London zwei völlig andere Gemälde von Fantin Latour zu sehen sind6, so haben die Kuratoren doch ein kleinformatigeres Selbstbildnis von Eugène Delacroix aus dem Louvre7 leihen können, das die romantische Pose des Künstlers zeigt. Bereits Baudelaire beschrieb ihn als eine zerrissene Persönlichkeit, die in der Öffentlichkeit mit ihrem gepflegten, dandyhaften Auftreten überzeugte und gleichzeitig innerlich vor Leidenschaft glühte. Wenn auch viele der in Fantin-Latours Gemälde keinen direkten Kontakt zu Eugène Delacroix hatten, so zeichnete er ihnen den Weg vom Grand Style der klassischen Salonmalerei zu einer subjektiven, emotionalen Ausdrucksweise bereits vor.
Delacroix' wichtigstes Vorbild war Peter Paul Rubens (1566–1640), mit dessen Werk er sich ein Leben lang beschäftigte und den er verehrte. Nicht nur kompositionelle und ikonografische Übernahmen sind die Folge, sondern auch Palette und Maltechnik und nicht zuletzt Überlegungen zu Farbe, Improvisation und Bravura-Malerei. Von Rubens lernte Delacroix, dass Anatomie zugunsten von Erzählung und Emotionalität deformiert werden durfte. Aus dem Medici-Zyklus hat er insgesamt fünf Kopien angefertigt, insgesamt waren am Lebensende 14 Kopien nach Rubens in Delacroix' Besitz. In einem Journal-Eintrag am 6. März 1847 resümierte er: „Es gibt so viel mehr zu erreichen durch die Erforschung seiner Übertreibungen und seinen geschwollenen Formen, als sie einfach nachzuahmen“8.
„Die Dante-Barke“ (1822), die den 8. Gesang des Inferno zum Thema hat, war das erste Gemälde von Delacroix, das er ausstellte und das ihm sofort Ruhm als aufstrebender Romantiker und einen Ankauf durch den Staat sicherte. Das Innenministerium erwarb das Gemälde für das jüngst eröffnete Museum zeitgenössischer Kunst im Luxembourg Palast, in dem sich auch Rubens‘ „Medici-Zyklus“ befand. Da es dort öffentlich zugänglich war, wurde es im 19. Jahrhundert zum am häufigsten kopierten Werk des Delacroix, wie auch eine kleinformatige Kopie der „Dante-Barke“ (um 1854) von Edouard Manet zeigt. In den Kritiken zu diesem Frühwerk finden sich bereits jene Beschreibungsversuche, die noch Jahre später die Salon-Besprechungen Delacroix‘ prägen werden. Journalisten wie Charles Baudelaire sprachen von einer „Originalität im Ausdruck“ oder einer „poetischen Imagination“ wie „Virtuosität der Ausführung“ oder „grafische Einfallskraft“.
Edouard Manets Kopie entstand während dessen Studium bei Thomas Couture. Antonin Proust, später Kulturminister und Jugendfreund von Manet, erinnerte sich an die Begebenheit und hielt fest: „Er drängte uns, Rubens anzusehen, von Rubens inspiriert zu werden, Rubens zu kopieren. Rubens war Gott. Sein Student Andrueu, der mit ihm arbeitete, führte uns zur Tür. Manet sagte zu mir: „Es ist nicht Delacroix kalt zu uns; es ist seine eisige Doktrin. Lass uns trotzdem die „Dankte-Barke“ kopieren.“9 So war es auch Delacroix, der Manet 1858 am Salon unterstützte, als dieser seinen „Absinthtrinker“ ausstellen wollte (→ Edouard Manet, der Salon und der doppelte Blick). Couture wandte sich gegen seinen Schüler und wies das Gemälde ab. Auch wenn Manets überlieferte Aussagen keine tieferen Übereinstimmungen mit Delacroix` Kunstwollen erkennen lassen, so gehörte er dennoch zu jener Handvoll Künstler, die 1863 dem verstorbenen Kollegen die letzte Ehre erwiesen.
„Er [Delacroix] verstand, dass seine Epoche von reinem Ausdruck geprägt war, dass Romantik unter anderem nur ein Triumph des Gefühls über die Form war (…). Er schuf farbigen Ausdruck.“10 (Odilon Redon)
Delacroix' „Tod (Gastmahl) des Sardanapal“ aus den Jahren 1827 und 1828, das im Salon einen Skandal verursachte, ist in London durch eine kleine Replika aus dem Jahr 1846 vertreten. Delacroix hatte das Gemälde für sich selbst kopiert, bevor es an den Sammler Daniel Wilson verkauft wurde. Einige der technischen Innovation der ersten Fassung sind hier zurückgenommen. Die Künstler der Moderne bewunderten, wie Delacroix den Raum nicht nach Perspektivregeln komponierte, sodass die Menge der Reichtümer und Lieblingsfrauen des Despoten Sardanapal quasi aus dem Nichts vor dessen gigantischem, von Elefanten getragenem Bett wie aufgetürmt erscheinen. Paul Cézannes Gemälde „Das ewig Weibliche“ (um 1877, Öl auf Leinwand, 43.2 × 50.8 cm, The J. Paul Getty Museum, Los Angeles) paraphrasiert die Komposition des „Gastmahls“ und wendet es in eine Anbetung des ewig Weiblichen durch Männer verschiedenster Berufsgruppen (Bischof, Bankier, Dirigent und Blechbläser, Ringer, Maler). Ob Cézanne mit der langhaarigen Figur des Malers sich selbst oder sein Vorbild Delacroix meinte, bleibt offen, auch wenn die Haarpracht eher zum älteren Künstler passen würde. In der Entwicklung des Malers aus Aix stellt das Werk einen wichtigen Schritt in Richtung des „konstruktivistischen“ Strichs11, also der Parallelschraffur, dar. Die „sarkastische Version“12 erweist dem romantischen Erzähler seine Referenz, Jahre später wird ihn dessen schillernde Farbpalette mehr faszinieren.
Paul Cézanne kopierte zeitlebens nach Delacroix und entwarf zwischen 1890 und 1894 die „Apotheose von Delacroix“ (1890–1894, Öl auf Leinwand, 27 x 35 cm, Paris, Musée d’Orsay). Das Gemälde wirkt nicht nur unvollendet, sondern auch ein wenig skurril ob der exaltierten Gesten der Landschaftsmaler und modernen Künstler im unteren Bereich des Bildes. Hier versammeln sich der Sammler Victor Chocquet mit Hund (rechts), Claude Monet, Camille Pissarro, vielleicht Pierre-Auguste Renoir (mit erhobenen Armen). Wenn dieses Gemälde auch mehr wie eine unernste Allegorie auf die Heldenverehrung der Impressionisten wirkt, so sind auch Cézannes Landschaften von Delacroix beeinflusst.
Das großformatige Porträt von „Louis-Auguste Schwiter” (1826–1830, 217,8 x 143,5 cm, London, National Gallery) zeigt einen Sohn eines Generals und mit Delacroix‘ Jugendfreund verschwägerten Porträtisten. Schwiter selbst stellte ab 1831 regelmäßig am Pariser Salon aus und war auch vier Mal in der Royal Academy vertreten. So berichtete er, anglophil wie auch Delacroix, diesem 1833 in einem Brief enthusiastisch von Retrospektiven zu Joshua Reynolds und Thomas Lawrence. Vielleicht wurde das Porträt der 21-jährigen Schwiter im Sommer 1826 ausgeführt, da er vom 1825 gemalten Porträt Thomas Lawrences „König Charles X.“ (Royal Collection) begeistert war. Der Malerkollege erscheint in eleganter, wenn auch zurückhaltender, englisch inspirierter Kleidung und steht vor einem englischen Landschaftsgarten. Dennoch wurde es im Oktober 1827 von der Salon-Jury abgelehnt. Niemand geringerer als Edgar Degas erwarb das Bild im Juni 189513 und hing es neben Ingres` Porträt von „Amédée-David, Comte de Pastoret” (1823/26, 103 x 83.5 cm, Art Institute Chicago). In der Londoner Ausstellung hängt das Schwiters-Bildnis neben John Singer Sargents „Thomas Lister, 4th Baron Ribblesdale” (1902, Öl auf Leinwand, 258.4 × 143.5 cm, The National Gallery, London). Der Maler machte den Lord im Bild schlanker, asketischer und auch größer. Sargent könnte das Delacroix Porträt bei Degas gesehen haben.
„Nur Delacroix hat die Dekoration in unserer Ära verstanden;
er ging sogar soweit, dessen harmonische Bedingungen zu ändern. […]
In der Dekoration hat gemalte Arbeit nur Wert, weil sie vielfarbig ist.“14 (Pierre-Auguste Renoir)
Anfang des Jahres 1832 besuchte Delacroix eine jüdische Hochzeit in Tangier, wo er Notizen und Skizzen von den Innenräumen machte, wo nur die Frauen tanzten. Zwischen 1837 und 1841 entstand seine „Jüdische Hochzeit“, die er 1841 am Salon präsentierte. Es war eines der ambitioniertesten und teuersten Gemälde, das Delacroix in Anschluss an seinen Aufenthalt in Marokko schuf. Der ursprüngliche Auftraggeber fand den geforderten Preis zu hoch, weshalb der Künstler es an Prinz Philippe, Duc d`Orléans, einen führenden Sammler zeitgenössischer Kunst verkaufte. Dieser schenkte die „Jüdische Hochzeit“ am Musée du Luxembourg, nach dem Tod des Künstlers kam es in den Louvre. In ihm und einigen weiteren eröffnete er den Betrachter_innen einen exkulsiven Einblick in eine sonst verschlossene, geheimnisvolle Welt. Renoir kopierte das Gemälde in den frühen 1870er Jahren für den Industriellen Jean Dollfus, der bereits Werke beider Künstler besaß. Einige Zeitgenossen wie der Delacroix-Anhänger Victor Chocquet sahen in Renoir den „natürlichen Nachfolger“ des Meisters. Im Jahr 1881 reist Renoir selbst nach Algerien, wo er – sehr im Geist von Delacroix – exotische Landschaften und Feste studierte.
Zu den beeindruckendsten Gemälden der Ausstellung zählt m. E. Pierre-Auguste Renoirs Porträt von „Rebecca Clémentine Valensi” (1870). Die Porträtierte war 19 Jahre alt und die Ehefrau von Nathan Stora, einem Händler von nordafrikanischen Antiken mit einem eleganten Geschäft namens “au Pacha” am Boulevard des Italiens in Paris. Die Valensi waren in Algier geboren und Nachkommen eine berühmten sephardisch-jüdischen Dynastie. Dass Renoir Rebecca Clémentine Valensi in dem reichen nordafrikanisch-jüdischen Kostüm porträtierte, war wohl mit dem Ehepaar so abgesprochen und fügt sich in das Image des Familienbetriebs nahtlos ein. Wie die Porträtierte und ihr Mann auf Renoir gekommen sind, ist nicht geklärt, aber sein Auftrag fiel mit seinem Erfolg am Pariser Salon im Jahr 1870 zusammen. Renoir zeigte seine orientalistische Fantasie „Odalisque” und hatte damit durchschlagenden Erfolg.
Frédéric Bazille wurde in Montpellier geboren und übersiedelte 1862 nach Paris. Hier schrieb er sich im Atelier von Charles Gleyre ein und lernte Pierre-Auguste Renoir und Alfred Sisley, ein Jahr später Claude Monet kennen. In Montpellier hatte Alfred Bruyas eine wichtige Sammlung von Delacroix Gemälde zusammengetragen, die Bazille bereits kannte. Bazille ging in den folgenden Jahren interessante Ateliergemeinschaften ein: 1865 mit Monet, 1866 mit Renoir und 1869 mit Henri Fantin-Latour. Er berichtete 1870 in Briefen an seine Mutter über den Fortschritt des Gemäldes und vor allem, dass ihm die Modelle ein Vermögen kosteten. „La Toilette“ wurde zwar zum Salon von 1870 rechtzeitig fertig aber abgelehnt. Bazille verstand die Welt nicht mehr, hatte die selbe Jury doch Renoirs „Odaliske” zugelassen. Einerseits die haremartige Atmosphäre in Verbindung mit dem voyeuristischen Blick in das Ankleidezimmer, andererseits der hohe Grad an Realismus, der in der stofflichen Behandlung der Oberflächen gipfelt – die Verbindung dieser Elemente wurde wohl als anstößig empfunden.
Während sich Delacroix` Fantasie vor allem an kämpfenden arabischen Reitern15 entzündete, sollten die Haupt-vertreter des französische Orientalismus sich für versteckte Einblicke in Harem und Badehäusern begeistern. Einer von ihnen war Théodore Chassériau (1819–1856), der seit seinem zwölften Lebensjahr Student von Jean-Auguste-Dominique Ingres war und eine Verbindung von Delacroix` Farbverwendung und Ingres` eleganter Linienführung versuchte. Ingres hatte seinen Studenten mit der Kunst der Antike, Hochrenaissance vertraut machte und ihn zu einem außergewöhnlichen Zeichner ausbildete. Mit seinen ersten Auftritten am Salon ab 1839 war er als ein Nachfolger des Ingres anerkannt. Schon der Kritiker Théophile Gautier sah die „verträumte und leidenschaftliche Eleganz“ von Chasseriaus Gemälden als Charakteristikum der Romantik. In der Folge versuchte er eine Position zwischen Ingres, den er für veraltete hielt, und Delacroix einzunehmen. Im Sommer 1846 hielt er sich zwei Monate in Algerien auf, um Atmosphäre, Farben und Sitten von Nordafrika zu studieren. Kostüme brachte er von dort mit und inszenierte in seinem Atelier orientalische Phantasien, die zwischen malerischem Realismus und romantischer Farbverwendung angesiedelt sind.
Im Jahr 1833 wurde Eugène Delacroix vom Minister für öffentliche Arbeiten, Adolphe Thiers, beauftragt, den Salon du Roi in der Abgeordnetenkammer (Chambre des Députés) im Palais Bourbon mit einer Serie von allegorischen Darstellungen an Decke und Wänden zu dekorieren (1837–1837). Damit hatte Delacroix seinen ersten öffentlichen Auftrag errungen. Fünf Kuppeln und 20 Pendentife waren mit Darstellungen von Theologie, Poesie, Legislative, Geschichte und Philosophie zu schmücken. Für die Kuppel der Theologie wählte Delacroix Adam und Eva, den Zinsgroschen, die Enthauptung von Johannes den Täufer und den Sündenfall. In der Nachlassauktion 1864 wurden über 150 Zeichnungen und Skizzen zu diesem Projekt verkauft, jedoch keine zu Adam und Eva. Bei der in London gezeigten „Vertreibung aus dem Paradies” (1844, Öl auf Papier auf Leinwand, 24.1 x 25.4 cm, Musée des Beaux-Arts de Dijon) handelt es sich um eine kleine Replik. Paul Signac bewunderte die psychologischen Aspekte von Delacroix` Farbeinsatz, während Paul Gauguin offensichtlich eigene Kopien gemalt hat, die er in dem „Stillleben mit Skizze nach Delacroix“ (1887, Öl auf Leinwand, 40 x 30 cm (Musée d'Art moderne et contemporain de Strasbourg) verewigte. Das Stillleben versammelt exotische Früchte unter dem Werk des berühmten Franzosen und zeigt dadurch die Zerrissenheit seines Schöpfers zwischen kunsthistorischer Tradition der Heimat und dem Wunsch nach Neubeginn in der Fremde (→ Paul Gauguin. Gemälde aus der Südsee).
Nach der Restaurierung der Galerie des Apollo im Louvre durch Charles Le Brun im 17. Jahrhundert wurde erst wieder im 19. Jahrhundert Eugène Delacroix beauftragt, die noch leeren Deckenkompartimente mit Szenen aus der Apollo-Legende zu füllen. Eigentlich sollte die Galerie den Sonnenkönig Ludwig XIV. glorifizieren, Delacroix sah sich vor die Aufgabe gestellt, der Malerei und den skulpierten Dekorationen des 17. Jahrhunderts etwas entgegenzuhalten. Daher studierte er für die Darstellung des „Apollo tötet die Python“ (aus Ovids Metamorphosen) Darstellungen von Rubens und Paolo Veronese. Zeitgenössische Kritiker wollten in der Themenwahl den Künstler selbst im Kampf gegen den ihm gegenüber feindlich eingestellten Kulturbetrieb sehen, der ihm schon so lange offizielle Ehrungen versagte. Andere meinten eine Allegorie auf den sozialen Fortschritt zu erkennen, der Künstler selbst verwies auf den künstlerischen Genius verkörpert durch Apoll. Die jüngere Generation von Künstlern fühlte sich von der Farbverwendung Delacroix` inspiriert, wie beispielsweise Odilon Redon. Aus den fast 200 Studien für dieses Projekt ragen zwei Ölskizzen besonders hervor. Wenn diese auch schon nahezu alle kompositorischen Elemente des ausgeführten Gemäldes aufweist, so beeindruckte Odilon Redon einerseits die Aufteilung der Figuren wie auch die Arbeit mit Primär- und Sekundärfarben. Zudem war Redon wie Delacroix der Ansicht, dass „Kunst eine Verbindung aus Tradition und zeitgenössischer Realität“ wäre.16 Wie Vincent van Gogh und Paul Gauguin sah auch Redon als Delacroix` wichtigste Errungenschaft, von einer naturalistischen Farbverwendung abzusehen. Erst um 1900 gelang Redon dieser Schritt und baute seine Pastelle aus intensive Farbwolken auf.
Auch für die religiöse Historie fanden Delacroix' Nachfolger Anregungen in dessen Werk. Zu den bekanntesten Gemälden zählen die Variationen der Kreuzigung, die ab 1846 entstanden. Während eines Besuchs in Antwerpen 1839 hatte dieser nach Peter Paul Rubens` „Kreuzigung (Lanzenstoß/Coup de Lance)“ gezeichnet, und auch Pierre-Paul Prud’hons „Christus am Kreuz“ (1822, Louvre) hatte ihn kurz nach dessen Entstehung tief beeindruckt. Die vielen Fassungen der Kreuzigung, die nach 1846 entstanden, dürfte Delacroix an seine Freundinnen verschenkt oder dem Kunstmarkt überlassen haben. In den folgenden Jahren inspirierten sie u. a. Paul Gauguin zu dessen „Gelben Christus“ (1889, Öl auf Leinwand, 92.1 × 73.3 cm, Albright-Knox Art Gallery, Buffalo,), Odilon Redon zur „Kreuzigung“ (um 1910, Musée d’Orsay). Ähnliches lässt sich auch für die Umsetzung von Delacroix` „Christus am See von Galilea“ (1853) und Redons „Die rote Barke” (um 1895, Öl auf Holz, 32 × 40.5 cm, Musée d’Orsay) beobachten. Aber auch Gustave Moreau, der Hauptvertreter des Symbolismus, „plünderte“ die Geschichtsbilder von Delacroix, indem er dessen hochdramatischen „Roger befreit Angelika“ (um 1856, 46 x 55 cm, Musée de Grenoble; nach der literarischen Vorlage von Torquato Tasso) in einen „Heiligen Georg im Kampf gegen den Drachen“ (1889/90, 141 x 96,5 cm; The National Gallery, London) verwandelte.
Delacroix wurde als zeitgenössischer Maler beschrieben, der als einziger christliche Themen darstellen würde, ohne in archaische Lösungen zu verfallen. Dass sich gerade der tiefgläubige Vincent van Gogh von diesen Darstellungen angezogen fühlte, bezeugen die Varianten, die er mit Hilfe von schwarz-weißen Reproduktionen17 anfertigte. Befreit von den Farbvorstellungen seines Vorbilds gelangt Vincent van Gogh im Zuge dieser Arbeit – wie der „Pietà“ (Saint-Rémy September 1889, Öl auf Leinwand, 73 × 60.5 cm, Van Gogh Museum) zu einem völlig neuen Verständnis von Simultankontrast und konnte auf Basis von Delacroix` Kompositionen, seinen eigenen Farbforschungen Vorschub leisten (→ Vincent van Gogh. Von Paris nach Arles).
„Regeln für Farbe, Linien und Komposition, die den Divisionismus zusammenfassen, wurden von diesem großartigen Maler bekannt gemacht. […] Diese Maler (von heute) folgen einfach den Lehren des Meisters und setzen seine Experimente fort.“18 (Paul Signac)
Als Paul Signac seinen Traktat „D’Eugène Delacroix au Néo-Impressionnisme” (1899) nannte, bezog er sich weder auf den Orientalismus noch auf kompositorische Lösungen, sondern auf die Farbverwendung des Romantikers. Ende der 1840er Jahre hatte dieser in großformatigen Blumenstillleben, darunter „Früchtekorb in einem Blumengarten” (1848/49, Öl auf Leinwand, 106.7 x 142.2 cm (Philadelphia Museum of Art, Pennsylvania), mit Farbverwendung und -theorie auseinandergesetzt. Bereits Théophil Gautier pries in seiner Salonbesprechung von 1849 die beiden Stillleben als Verherrlichung der reinen, nicht erzählerischen Malerei und als Triumph der Farbharmonien über den Entwurf. In der Gattungshierarchie der Akademie stellten Stillleben die niedrigste Stufe der Beschäftigung mit Kunst dar. Jüngere Künstler wie Gustave Courbet, Paul Cézanne, Edgar Degas bis hin zu Vincent van Gogh, Renoir, Bazille und Redon nutzten diese neue Möglichkeit, um ihre eigenen Konsequenzen aus der Farbtheorie zu ziehen.
Die extremsten Positionen in der Schau nehmen Henri Matisse, als Vertreter des Fauvismus, und Wassily Kandinsky, als einer der Erfinder der Abstrakten Kunst (1911), ein. Matisse und die Künstler des Fauvismus (1905–1908) stellten die Weiterentwicklung des Pointillismus, Divisionismus und Neo-Impressionismus in der Nachfolge von Georges Seurat und Paul Signac dar (→ Georges Seurat, Erfinder des Pointillismus). Matisse selbst hatte sich Rat bei Signac geholt, dieser ihn für den Sommer 1906 das Fischerdorf Colliour an den roten Pyrenäen empfohlen. Während dieses Aufenthalts hatte sich Matisse von der rigiden Farbtheorie Signacs gelöst und ist auf der Basis einer völlig subjektiven Farbverwendung zu einer flächigen Malweise vorgedrungen. Auch in seiner Überzeugung, dass ein Gemälde wie ein Lehnstuhl sein solle, näherte sich Matisse den Überlegungen Delacroix` an:
„Die erste Aufgabe eines Gemäldes ist, ein Fest für die Augen zu sein; […] Es ist wie schöne Verse; nichts in der Welt würde sie nicht als falsch bezeichnen, wenn sie das Ohr schockierten. Man sagt: ein Ohr haben; nicht jedermanns Augen sind dafür gemacht, die Raffinessen der Malerei zu genießen. Die meisten haben ein falsches oder passives Auge; sie sehen Objekte wörtlich, aber das Außergewöhnliche nicht.“19 (Eugène Delacroix, 22. Juni 1863)
Wassily Kandinsky hatte sich das Ziel gesetzt, Malerei von ihren repräsentativen (erzählerischen) Funktionen zu befreien und sie als Ausdruck von Spiritualität zu etablieren. Frei nach Baudelaire bedeutete Romantik, in der Mitte des 19. Jahrhunderts diesen Weg in Richtung moderner Kunst zu beschreiten, die da meint: „Intimität, Spiritualität, Farbe, Sehnsucht nach dem Unendlichen, ausgedrückt durch alle Mittel, die den Künsten zur Verfügung stehen.“20 (Salonbesprechung 1846). Den Beitrag von Eugène Delacroix an dieser Richtung der Moderne ist kaum zu überschätzen.
Am 13. August 1863 starb Eugène Delacroix. Fantin-Latour, Baudelaire und Manet nahmen am Begräbnis teil. Baudelaire beklagte, dass die wenig gebildeten zeitgenössischen Künstler, ihren gebildeten Kollegen nicht verstehen würden. Zu den Bewunderern aus Literaturkreisen zählten: Théophile Gautier, Charles Sainte-Beuve, George Sand, Zacharie Astruc, Alexandre Dumas Sohn, Arsène Houssaye, Stendhal und Alfred de Musset.
1863 September bis November: Charles Baudelaire erinnerte in drei Artikeln „L’Œuvre et la vie d’Eugène Delacroix“ an Leben und Werk des berühmten Malers, mit dem ihm eine zwanzigjährige Freundschaft verbunden hat.
1864 Im Februar wurde die Sammlung von Delacroix unter Aufsicht des einflussreichen Kunstkritikers Philippe Burty versteigert: 800 Kunstwerke kamen innerhalb von zwei Tagen für den Preis von 200.000 Francs unter den Hammer.
1865 Die beiden Bände von „Essays über berühmte Künstler und ästhetische Studien“, in denen philosophische Artikel und Texte über Künstler incl. Auszüge aus dem Tagebuch von Delacroix zusammengefasst sind, wurden verlegt.
1885 Delacroix Retrospektive organisiert von der École Nationale des Beaux-Arts mit einer Katalogeinleitung von Auguste Vacquerie.
1889 Jules Dalou’s Eugène Delacroix-Denkmal wurde für die Luxembourg Gärten gegossen.
1893 und 1895 Publikation von Delacroix‘ „Journal“ (Maltagebuch).
1899 Paul Signacs Manifest des Pointillismus wurde publiziert: In „D’Eugène Delacroix au Néo-Impressionnisme“ hielt er fest, dass das Genie von Eugène Delacroix die Quelle für die zeitgenössische Entwicklung gewesen wäre, die er und Georges Seurat auf der achten und letzten Impressionisten-Ausstellung von 1886 begonnen hatten.
1946 Pablo Picasso dachte über seine eigenen Vorläufer nach und fragte, ob man für eine Ausstellung im Louvre Gemälde von Francisco de Zurbarán, Gustave Courbet und Delacroix neben seine hängen könnte. Besonders „Die Frauen von Algiers in ihren Gemächern“ faszinierten ihn. Einige Jahre später malte er 15 Interpretationen dieses Werks. Als er darüber befragt wurde, meinte er nur: „Dieser Bastard. Er ist wirklich gut.“