Rund fünfzig Werke von Paul Gauguin finden im Frühjahr den Weg in die Fondation Beyeler, darunter das Gemälde „Nafea faa ipoipo? (Wann heiratest du?)“ (1892), das jüngst durch einen privaten Verlauf zum teuersten Kunstwerk der Welt wurde. In sechs Jahren Vorbereitungszeit stellte Raphaël Bouvier eine Schau zusammen, die das vielseitige Œuvre des französischen Künstlers facettenreich beleuchtet. Neben Selbstporträts zeigt die Fondation u. a. die visionären und spirituellen Bilder aus seiner Zeit in der Bretagne. Doch vor allem die auf Tahiti entstandenen, farbenprächtigen Gemälde sollen im Vordergrund stehen. In ihnen feierte der Künstler seine Idealvorstellung von einer unversehrten exotischen Welt und verbindet darin Natur und Kultur, Mystik und Erotik, Traum und Wirklichkeit auf harmonische Weise. Wenn Gauguin in der Südsee auch nicht das erhoffte Paradies fand, sondern eine ein der französischen Kolonialmacht veränderte Gesellschaft, so stehen seine Bildschöpfungen für den ersten kreativen Austausch mit der so genannten „primitiven Kunst“, wie vor allem seine Skulpturen und Holzschnitte belegen.
Schweiz | Riehen bei Basel: Fondation Beyeler
8.2. – 28.6.2015
Auf wenige Maler des 19. Jahrhunderts trifft der Begriff des artiste maudit, des unerkannten Genies so zu wie auf Paul Gauguin. Als er sich im Herbst 1883 entschloss, der Finanzwelt den Rücken zu kehren und den bereits seit 1872 eingeschlagenen Weg des Künstlers weiterzuverfolgen, brach er mit seiner Familie, suchte sein Heil in der Bretagne, in Südfrankreich bei Vincent van Gogh (→ Vincent van Gogh : Paul Gauguin in Arles) und schlussendlich in der Südsee. Völlig einsam, verarmt, verkannt und alkoholkrank endete seine Reise am 8. Mai 1903 in Atuana, einem Dorf auf der Marquesas-Insel Hiva Oa. Davor revolutionierte er die Kunst, indem er der Farbe einen hohen Grad an Eigenständigkeit verlieh, den Holzschnitt wiederbelebte (→ Paul Gauguin. Druckgrafik), Schnitzereien in „primitiver“ Manier anfertigte und Steingut-Keramiken modellierte. Das Rohe, scheinbar Ungeformte trifft in Gauguins Kunst auf einen hohen Sinn für das Dekorative.
„Es ist doch wahr: Ich bin ein Wilder“, schrieb Gauguin in seinem letzten Brief von den Marquesas-Inseln an seinen Freund Charles Maurice. Für ihn verhielten sich die Wilden „natürlicher“ als die „verdorbenen“ Zivilisierten, gleichzeitig benutzte er das Stigma für sich selbst, indem er auf das „indianische Blut“ in seinen Adern hinwies und daraus seine Sonderstellung ableitete. Gauguin prognostizierte schon im April 1896 selbstbewusst, dass sein Freiheitsdrang, seine Kühnheit der kommenden Generation an Malern neue Möglichkeiten eröffnen würde. Interessanterweise sollte sich dieses Selbsturteil 1906 bewahrheiten, als eine Gauguin-Retrospektive die „Fauves“, die von der Kritik getauften „Wilden“ (→ Matisse und die Künstler des Fauvismus), in ihrer Arbeit bestärkte.
Die „Wildnis“, in der er alles wagen konnte, fand Gauguin anfangs in Pont-Aven und Le Pouldu (Juli bis Oktober 1886, 1888–1890, 1894) sowie im südfranzösischen Arles, in van Goghs Atelier des Südens (Winter 1888). Im Jahr 1879 hatte Paul Gauguin noch mit den Impressionistinnen und Impressionisten ausgestellt und wie u. a. Claude Monet in der Normandie seine Motive gefunden. Zehn Jahre später entwickelte er eine völlig neue Vorstellung von Landschaftsmalerei, indem er den Abstraktionsgrad erhöhte und traumhaft-visionäre Elemente einbaute. In Puvis de Chavanne, Odilon Redon, Eugène Carrière und dem symbolistischen Kreis fand er zwischen 1880 und 1890 Anregungen, die ihn bestärkten, geheimnisvolle Visionen anstelle naturalistischer Naturwiedergabe anzustreben (→ Symbolismus).
Camille Pissarro, der auch ein herausragender Lehrer war, machte Paul Gauguin mit dem Kreis der Impressionistinnen und Impressionisten bekannt und lud ihn ein, an der Vierten Impressionisten-Ausstellung 1879 teilzunehmen. Bis zur letzten, der Achten Impressionisten-Ausstellung 1886, hielt Gauguin der Avantgarde die Treue. Ab 1873 hatte er sich als Amateurmaler bestätigt und war zunehmend von dieser Tätigkeit fasziniert. In den 1870er Jahren arbeitete Gauguin noch als Bankangestellter und spekulierte erfolgreich an der Börse, so dass er ein finanziell sorgenfreies Leben führte und Werke seiner Vorbilder erwerben konnte. Vor allem Pissarro vermittelte die Methoden der impressionistischen Malerei an Paul Gauguin (→ Impressionismus). Im Jahr 1883 wagte dieser den Schritt vom Amateur zum professionellen Künstler, ohne auf ein tragendes finanzielles Netz vertrauen oder auf Verkaufserfolge hoffen zu können. Mit der anwachsenden Kühnheit seiner Malerei schwand die familiäre wie die gesellschaftliche Akzeptanz, und der soziale Abstieg des Künstlers begann.
Die Trennung von Frau und Kindern 1885, die ein beschauliches Leben in Kopenhagen dem Risiko einer Malerkarriere vorzogen, markiert einen Bruch in der Biografie Gauguins. Schon im Jahr davor hatte er ein neues koloristisches Konzept und die Vereinfachung der Natureindrücke vorangetrieben sowie einen formbetonenden Pinselstrich erprobt. Noch beschäftigte er sich mit Landschaftsmalerei, in denen Menschen hauptsächlich als kleine Staffagefigur auftraten, um die Größe und Schönheit der Natur zu huldigen. Dennoch empfand Gauguin die Verselbständigung des Farbauftrags quasi um seiner selbst willen als hohl und verachtete daher die Shootingstars der letzten Impressionisten-Ausstellung, die Pointillisten und Divisionisten (→ Postimpressionismus | Pointillismus | Divisionismus). Am besten lässt sich das aus einer Aussage über Claude Monets Gemälde der 1880er Jahre ableiten, die er zugunsten von Cézannes Entwicklung zurückwies. Im Juli 1884 meinte er gegenüber Pissarro:
„Ich habe die Monets aus Italien gesehen: Sie sind von der Ausführung her erstaunlich, und teilweise ist das ihr Fehler; ich muss gestehen, dass sie mir total missfallen, vor allem als Weg. Abgesehen davon habe ich bei Tanguy vier stark bearbeitete Cézanne aus Pontoise gesehen, das sind Meisterwerkt und sie stellen hauptsächlich reine Kunst dar, die anzuschauen man nicht müde wird.“1
Für Gauguin standen offenbar Überlegungen über den Akt des Malens, d. h. über die Malerei selbst auf einer Metaebene zu reflektieren, und die zunehmende Auflösung des Gegenstands nicht zur Diskussion - so zu finden in den Landschaften von Claude Monet (→ Der moderne Garten in der Malerei von Monet bis Matisse). Stattdessen brach sich eine Sehnsucht nach einfachen und kompakten Formen, wie auch einer Erzählung und einer nochmaligen Steigerung des subjektiven Eindrucks Bahn.
Gauguins Weg zum Synthetismus verband postimpressionistische Pinseltechnik und Farbensatz mit Themen aus der bäuerlichen Welt in der Bretagne und aus Martinique. Insgesamt fünf Mal hielt er sich in der kargen und hügeligen Provinz Frankreichs auf und ließ sich von Land und Leuten inspirieren. Gleichzeitig wurde die Schule von Pont-Aven zu einem wichtigen Impulsgeber für den sich formierenden Revolutionär, während Paris für ihn zum Ort für Kontaktpflege und Kunstmarkt wurde. Wie Cézanne nutzte er zusätzlich auch Stillleben, um Raum und Farbwirkungen zu erforschen. Parallel dazu begann er seinen Gemälden poetische, symbolische oder allegorische Titel zu verleihen, um ihnen etwas Geheimnisvolles zu verleihen. Während der Weltausstellung 1889 stellte die Gruppe rund um Gauguin im Café des Arts von Monsieur Volpini aus (Mai bis Juni), die ihn als eigenwilligen, wenn nicht eigenartigen so doch zumindest sehr individuellen Künstler in der Kritik erscheinen ließ. Für den Maler wurde die Weltausstellung mit ihren Präsentationen jüngst unterworfener Kolonien wie Tahiti zu Wende- und Ausgangspunkt in seinem Leben und Werk.
Die Ausstellung in der Fondation Beyeler setzt nicht bei den impressionistischen Gemälden von Gauguin an, sondern mit dem selbstbewussten Autodidakten, der sich schon zu Lebzeiten dafür einsetzte, berühmt zu werden. Das einleitende „Selbstbildnis mit Palette“ (um 1893/94) zeigt ihn als selbstbestimmten Maler mit außergewöhnlichem Kleidergeschmack. Gauguin nahm sich die Freiheit, leuchtende Farben in großen, unmodellierten Flächen aufzutragen und damit dem Impressionismus abzuschwören. Erfolg blieb ihm in der französischen Kunstszene jedoch verwehrt, erst posthum wurden seine Bedeutung und vor allem sein Einfluss auf die jüngere Generation (z. B. Maurice Denis und die Nabis) erkannt. Obwohl Gauguin in seiner Selbststilisierung gerne auf sein Außenseitertum verwies, formulierte er dennoch den Führungsanspruch innerhalb des Symbolismus bzw. Synthetismus. Französische Künstler reagierten auf seine Kunst wie Selbstdarstellung gespalten: Claude Monet, Pissarro, Paul Cézanne und Paul Signac distanzierten sich von ihm, während Edgar Degas, Aristide Maillol und Maurice Denis ihn vorbehaltlos und ob seiner Radikalität bewunderten.
Die Bewohner der Bretagne galten in Frankreich als besonders unabhängig, da sie ihre eigene Sprache und Kultur vor dem französischen Einfluss zu schützen versuchten. In den tiefbetrübten Figuren in der Bretagne versuchte das „Wilde“ einzubringen, das er in ihnen und sich selbst sah. Volkstümliches Leben, Traditionen und tiefverwurzelte Religiosität sind in Form von Kirche, Kapellen und einfach skulpierten Kalvarienbergen aus Granit in der Region aber auch durch die Trachten den weiblichen Körpern gleichsam eingeschrieben. Im Jahr 1889 beschäftigte sich Gauguin intensiv mit dieser religiös überformten Landschaft. Erste Gemälde mit großen, leuchtenden Farbflächen entstanden, wie „Vision nach der Predigt (Jakobs Kampf mit dem Engel)“ (1888), „Der gelbe Christus“ (1889, Buffalo), „Der grüne Christus“ (1889, Brüssel), „Christus im Garten Gethsemane“ (1889, West Palm Beach). Trotz der roten Haare ist das Selbstbildnis des Künstlers in der Christusfigur deutlich zu erkennen. Gauguin verglich sich mit dem im Olivenhain (vom Schicksal) geprüften Gottessohn und machte ihn zu einem Menschen. Dass er aber auch Verweise auf die jüngere französische Kunstgeschichte machte, zeigt das Bild „Bonjour, Monsieur Gauguin II“ (1889, Prag), in dem er auf eines der Hauptwerke des Realismus, nämlich Gustave Courbets „Bonjour, M. Courbet“ reagierte. Selten sind diese Hauptwerke Gauguins in einer Ausstellung vereint!
Der ehemalige Bankier und Vertreter des Kapitalismus wandelte sich zum meditierenden Mystiker, der überzeugt war, dass das Ziel seiner Malerei wäre, „alles Glauben, passives Leiden, religiösen primitiven Stil und die große Natur mit ihrem Schrei“ auszudrücken. Dass sich dieser Gauguin gut mit Vincent van Gogh verstand, der vor seiner Pariser Zeit wenn auch erfolglos als Prediger im Borinage wirkte und der in Südfrankreich vermeinte, Japan und die „Wilden Ostasiens“ aufzufinden, ist historische Tatsache und leicht zu verstehen (→ Vincent van Gogh im Borinage. Die Geburt eines Künstlers). Wenn auch das Experiment, eine Künstlerkolonie in Arles zu etablieren, scheiterte, so weckte es doch den Wunsch des ehemaligen Seemanns Gauguin, die Südsee aufzusuchen. An der sich ankündigenden Revolution in der Druckgrafik (Künstlerdrucke) und der Verschmelzung der Kunstgattungen im Gesamtkunstwerk der Jahrhundertwende beteiligte sich Gauguin auch als Modelleur von Keramiken und Schnitzer primitivistischer Objekte. Die Arbeit mit Steinzeug wurde von japanischen Teeschalen inspiriert, wie auch die neue Bewertung der originalen Druckgrafik zusätzlich zu den kommerziellen Vorteilen. Die Umsetzung des „Krugs in Form eines Selbstbildnisses“ (1889) bzw. eines abgetrennten Kopfes mit geschlossenen Augen ist in seiner Symbolik drastisch und könnte auf die Guillotinierung des berüchtigten Mörders Prado Anfang 1889 in Paris verweisen.
Fernab der Zivilisation wollte Gauguin seine Kunst „im primitiven und wilden Zustand pflegen“. Aufenthalte auf Martinique (1887) und in Tahiti (1891–1893) bereiteten das „Exil“ des Malers ab 1894 vor. Von 1895 bis 1901 lebte er erneut in Tahiti und von 1901 bis 1903 auf den Marquesas-Inseln. Insgesamt verbrachte Gauguin zehn Jahre auf pazifischen Inseln. Die Zivilisation war für Gauguin mit einer rigiden Sexualmoral verbunden, der er genauso zu entfliehen hoffte, wie er die Schönheit der Tropen schätzte und die Exotik der Eingeborenen suchte. Ihre reiche Götterwelt, die Mythen der Insulaner_innen, zog ihn bald in ihren Bann und löste christliche Symbole ab. Die heilige Scheu vor göttlichen Wesen, auf die das Wort Tabu (mit polynesischem Ursprung) hinweist, und die „Religion“ der sinnlichen Liebe wurden zu wichtigen Inspirationen seines reifen Werks. Der bislang nur selten verwendete Akt wurde in der südlichen Hemisphäre zu einem der wichtigsten Themen, begleitet von Stillleben und Landschaften. Wie mannigfaltige Evas im Paradies oder Aphroditen im Elysium2 wirken die meist unbewegten Frauen. Die Bildtitel verweisen auf Zwischenmenschliches, das die ausdruckslosen Gesichter selten widerspiegeln. Einzig die Augen bleiben lebendig und schaffen immer wieder Bezüge zwischen den Dargestellten.
Die Jahre von 1891 bis 1893 verbrachte Paul Gauguin in Tahiti und hielt die reiche Vegetation und das traditionelle Leben in idealisierten Gemälden fest. Neben Landschaftsbildern mit größerem Bildausschnitt fallen die Darstellungen junger Insulanerinnen besonders auf. Sie lagern meist ruhig vor dem Maler, sind entweder völlig nackt oder mit bunten Stofftüchern bekleidet und tragen Blumen in ihren schwarzen, langen Haaren. Für Eingeweihte stellten sie eine Kommunikationsmöglichkeit dar, denn je nachdem ob die Blüte links oder rechts hinter das Ohr gesteckt wurde, war die Trägerin bereits vergeben (rechts) oder noch zu haben (links). Die Bildtitel in der Sprache der Maohi tun ihr Übriges, um das Geheimnis der Darstellungen zu steigern. „Arearea (Freude)“ (1892, Paris), „Nafea faaipoipo (Wann heiratest du?)“ (1892, Privatsammlung), „Parau api (Was gibt es Neues?)“ (1892, Dresden) oder „Aha oe feii? (Wie Du bist eifersüchtig?)“ (1892, Moskau) sind wunderbare Beispiele für die Befreiung der Farben auf großen Farbflächen zugunsten einer gesteigerten dekorativen Wirkung der Kompositionen. Gleichzeitig belegen „Vairaumati te ioa (Sein Name ist Vairaumati)“ (1892, Moskau) und „Ta matete (Der Markt)“ (1892, Basel) die intensive Auseinandersetzung des Emigrierten mit ägyptischen Kompositionsstrategien. Die reiche Produktion des Künstlers vor allem im Jahr 1892, aus dem eine Vielzahl der wichtigsten Werke der Ausstellung stammen, konnte Gauguin jedoch nicht vor dem finanziellen Ruin retten. Zum letzten Mal suchte er in Paris mit den neuesten Arbeiten Erfolg zu verbuchen - und scheiterte.
Vom Pariser Publikum verachtet, entschied sich Gauguin 1895 endgültig in sein Tropenparadies zurückzukehren, wenn es auch seinen Vorstellungen nicht mehr entsprach. Die in den letzten acht Jahren entstandenen Werke zeigen eine bereits untergegangene Welt, oder besser die Fantasien des Künstlers von dieser. „Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?“ (1897/98, Boston), das „bedeutendste Gemälde in Gauguins Spätwerk“3, „Faa iheihe (Tahitische Pastorale)“ (1898, London) und „Rupe Rupe (Obsternte)“ (1899, Moskau) stellen Fragen nach dem Sinn des Lebens und führen dasselbe in Pastoralen über. Während in „Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?“ das Figurenpersonal rund um den „Baum der Erkenntnis“ angeordnet ist, profanisierte Gauguin das Thema im Folgejahr in „Rupe Rupe“ zu einer Obsternte. Natur und Menschen erscheinen im „Urzustand“ – zumindest so, wie es sich Paul Gauguin erträumte. Diese vielfigurigen Friese in Blaugrün bzw. Gelbgold verbinden Leben und Tod in symbolhaften Gestalten, alte Gottheiten der indigenen Bevölkerung mit tropischer Vegetation. Künstlerisch fällt vor allem die ornamentale, auf Dekoration im besten Wortsinn abzielende Wirkung der Raumkonstruktion auf. In schwingenden Farbflächen, die mit leuchtenden, wenn auch zart aufeinander abgestimmten Farbtönen gefüllt wurden, experimentierte Gauguin mit der völligen Befreiung der Farbe vom Gegenstand zugunsten einer emotionalen Wirkung. Die Dunkelheit von „Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?“ ist demnach als Umsetzung der Unbeantwortbarkeit der philosophischen Fragen zu deuten, während ein strahlendes Goldgelb die Idylle begleitet. Die Gemälde wurden gerollt nach Paris geschickt, wo sie 1898 in der Galerie von Vollard ausgestellt wurden. Die Kritiker zeigten sich vom Mut Gauguins, was Motivwahl, Farbverwendung und dekorative Wirkung anlangte, begeistert. Seine symbolistische Themenwahl und deren Umsetzung allerdings stieß auf wenig Gegenliebe, wurde er doch zu seinen Ungunsten mit dem gerade verstorbenen Puvis de Chavannes verglichen.
Mit „Wilde Märchen“ (1902, Essen) gelang Paul Gauguin noch einmal an die produktive Phase auf Tahiti anzuschließen. Sein Umzug auf die Marquesas-Inseln 1901 war vom Wunsch begleitet, der „Zivilisation“ endlich zu entgehen. Ermöglicht hatte ihm diese erneute Flucht ein neuer Vertrag mit Vollard, der ihm ein monatliches Einkommen bescherte. Dennoch arbeitete Gauguin in den letzten beiden Lebensjahren weniger, teils seiner nachlassenden Sehkraft, teils seiner Syphilis-Erkrankung geschuldet. Auffallend ist daher gegen Ende der Ausstellung, wie „klassisch“ das Spätwerk von Gauguin wurde: vor allem die Frauenporträts, die „Reiter am Strand“ (1902, Privatsammlung) – eine späte Reminiszenz an Edgar Degas‘ frühe Bilder von Pferderennen vor dem Start und sein eigenes, letztes Selbstbildnis mit Brille. So stellt sich das Werk von Paul Gauguin, wie Martin Schwander in einem Katalogbeitrag treffend formuliert, als ein von Gegensätzen geprägtes dar. Es schwankt zwischen „Baudelaire’scher Romantik und eine agnostischen und antitheologischen Denken“4. Mystik und selbstreflexives Denken als Maler verbindet Paul Gauguin zu geheimnisvollen Kompositionen, deren Erzählungen der Künstler teils selbst erklärte und teils erfolgreich in der Schwebe hielt.
Am 7. Juni 1848 wurde Eugène Henri Paul Gauguin in Paris geboren. Sein Vater Clovis ist ein republikanisch gesinnter Journalist, seine Mutter Aline Marie die Tochter der sozialistischen Schriftstellerin Flora Tristan mit peruanischen Wurzeln. Paul hat eine ältere Schwester, Marie.
1849 Nach der Machtergreifung Louis Napoléons verließ die Familie Gauguin Frankreich und wanderte nach Peru aus. Auf der Überfahrt starb der herzkranke Vater.
1849–55 Aufnahme von Aline und den beiden Kindern durch einen wohlhabenden Großonkel in Lima.
1855 Die Familie kehrte nach Frankreich zurück und findet Unterkunft bei einem Onkel in Orléans.
1856–62 Besuch einer Internatsschule, da die Mutter für den Lebensunterhalt sorgen musste.
1862 Umzug nach Paris, wo Aline einen Schneidersalon betrieb und Gauguin das Lyzeum besuchte.
1865–67 Schiffsjunge in der Handelsmarine.
1866 Gauguin unternahm als zweiter Leutnant eine einjährige Weltreise. In dieser Zeit erreicht ihn die Nachricht vom Tod seiner Mutter.
1868–70 Ableisten des Militärdienstes als Matrose in der Kriegsmarine, Reise bis zum Polarkreis.
1871 Enttäuschtes Ende seiner Seemannskarriere. Anstellung im Bankhaus Bertin in Paris, wo Gauguin Karriere als Anlagenberater machte und zugleich erfolgreich an der Börse spekulierte. In seiner Freizeit begann er zu malen und zu zeichnen.
1872 Gauguin lernte die impressionistische Malerei kennen und besuchte die freie Akademie Colarossi.
1873 Heirat mit der Dänin Mette-Sophie Gad, die bis dahin in Paris als Kindermädchen gearbeitet hatte.
1874 Geburt von Sohn Emile als erstes von fünf Kindern. In den kommenden Jahren werden Aline, Clovis, Jean-René und Pola folgen. Bekanntschaft mit Camille Pissarro.
1876–79 Gauguin wurde mit einem Gemälde zum Pariser Salon zugelassen und mietete ein eigenes Atelier am Montparnasse. Erste Skulpturen entstanden.
1879 Gauguin beteiligte sich an der IV. Impressionisten-Ausstellung. Er spekulierte weiterhin erfolgreich an der Börse und investierte das Geld in Kunstwerke, unter anderem von Pissarro, Manet, Cézanne, Renoir und Monet.
1880–1882 Gauguin, der nun in einer Versicherungsagentur arbeitete, nahm an weiteren Impressionisten-Ausstellungen teil. Die Sommerferien verbrachte er mit Pissarro malend in Pontoise, wo er auch die Bekanntschaft von Paul Cézanne machte.
1883 Gauguin gab seine Tätigkeit als Versicherungsmakler auf, um sich gänzlich der Malerei zu widmen. Die finanzielle Lage der Gauguins verschlechterte sich, und der soziale Abstieg begann.
1884 Gauguin zog mit der Familie wegen der geringeren Lebenshaltungskosten nach Rouen. Seine Hoffnung, seine Bilder dort besser verkaufen zu können, erfüllte sich nicht, weshalb er mit seiner Familie auf Drängen Mettes zu ihren Eltern nach Kopenhagen zog. Dort versuchte sich Gauguin erfolglos als Vertreter einer Stofffirma.
1885 Er hatte eine erste Ausstellung in Kopenhagen, die jedoch schon nach wenigen Tagen wieder geschlossen wurde. Gauguin überwarf sich mit den Schwiegereltern und kehrte, nur begleitet von seinem kleinen Sohn Clovis, nach Paris zurück, wo er als Plakatkleber arbeitete und in armseligen Verhältnissen lebte.
1886 Auf der Suche nach einer neuen Ursprünglichkeit zog Gauguin in die Bretagne, wo er in der Künstlerkolonie von Pont-Aven lebte und arbeitete. Erste Keramiken entstanden in dieser Zeit. Im November kehrte er nach Paris zurück, wo er Vincent van Gogh kennenlernte. Er begann an eine Reise in die Tropen zu denken.
1887 Mette holte den Sohn Clovis nach Kopenhagen zurück. Im April schiffte sich Gauguin zusammen mit dem Malerfreund Charles Laval nach Panama und Martinique ein, wo mehrere Gemälde und Zeichnungen entstanden. Im November kehrte er nach Paris zurück.
1888 Gauguin hielt sich vor allem in Pont-Aven auf und arbeitete zusammen mit anderen Malerkollegen, die in ihm einen Lehrer erkannten. Er löste sich vom Impressionismus und entwickelte den als „Synthetismus“ bezeichneten neuartigen Malstil. Im Herbst (Oktober – 25. Dezember) fuhr Gauguin zu van Gogh nach Arles, um mit ihm zu arbeiten. Nach einem dramatischen Streit Rückkehr im Dezember nach Paris.
1889 Im Februar reiste Gauguin wieder in die Bretagne nach Pont-Aven und Le Pouldu. Sein Einfluss auf junge Maler wie Pierre Bonnard und Maurice Denis verstärkte sich. Erste Druckgrafiken entstanden. Im Mai präsentierte er seine Werke während der Pariser Weltausstellung im Café des Arts.
1890 Gauguin bereitete die Auktion seiner Bilder vor, mit der er seine Auswanderung finanzieren wollte.
1891 Versteigerung seiner Bilder im Hôtel Drouot. Der Erlös ermöglichte ihm die Reise in die Südsee. Im März reiste er nach Kopenhagen, um sich von seiner Familie zu verabschieden. Nach einem Abschiedsfest im Kreis seiner Malerfreunde verließ Gauguin Ende März Paris. Im April schiffte er sich Von Marseille nach Tahiti ein, wo er im Juni eintraf. Dort lebte er in bescheidenen Verhältnissen mit der jungen Polynesierin Teha’amana zusammen. Das ersehnte „Paradies“ fand Gauguin auf Tahiti nicht.
1892 Im Frühjahr erlitt Gauguin einen Herzanfall und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Er schickte mehrere Bilder für Ausstellungen nach Europa, doch seine finanzielle Situation spitzte sich weiter zu.
1893 Vollkommen mittellos, erwirkte Gauguin bei der Regierung eine kostenlose Rückführung nach Frankreich, wo er im August in Marseille eintraf. Eine kleine Erbschaft ermöglichte ihm, in Paris eine Wohnung zu mieten. Dort lebte er mit Annah, einer Tänzerin aus Java, zusammen. Neben Gemälden und Skulpturen entstanden nun auch Holzschnitte. Seine Ausstellung in der Galerie von Paul Durand-Ruel blieb erfolglos. Gauguin begann mit Charles Morice an den Vorbereitungen zum Druck seiner autobiografischen Erzählung „Noa Noa“ zu arbeiten.
1894 Gauguin hielt sich überwiegend in der Bretagne auf. Bei einer Schlägerei brach er sich einen Knöchel und musste für zwei Monate ins Krankenhaus. Zurück in Paris, stellte er fest, dass Annah sein Atelier mit Ausnahme seiner Bilder geplündert hatte und verschwunden ist.
1895 Im Februar fand die zweite Versteigerung seiner Werke im Hôtel Drouot statt. Die Veranstaltung erwies sich als großer Misserfolg. Enttäuscht brach Gauguin im Juli von Marseille aus zu seiner zweiten Reise nach Polynesien auf. Im September traf er auf Tahiti ein und ließ sich an der Westküste nieder.
1896 Gauguin lebte mit der jungen Frau Pauʼura zusammen. Im Sommer musste er erneut ins Krankenhaus, um sich vermutlich gegen Syphilis behandeln zu lassen.
1897 Gauguins Tochter Aline starb, was den endgültigen Bruch mit seiner Frau Mette nach sich zog. Sein gesundheitlicher Zustand verschlechterte sich.
1898 Gauguin versuchte, sich mit Arsen das Leben zu nehmen, und wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Nur langsam erholte er sich von den Nachwirkungen. Um Geld zu verdienen, nahm er eine Stelle als Zeichner im Grundbuchamt von Papeete an. Er gründete eine satirische Monatsschrift und schrieb für eine Zeitung. In seinen Artikeln setzte er sich für die Belange der Maohi ein, was zu Verwerfungen mit der Kolonialverwaltung und der Kirche führte.
1899 Pau’ura brachte den gemeinsamen Sohn Emile zur Welt.
1900 Gauguin schloss einen Vertrag mit dem Pariser Kunsthändler Ambroise Vollard, der es ihm erstmals ermöglichte, von seiner Kunst zu leben.
1901 Auf der Suche nach neuer Inspiration und einem günstigeren Leben übersiedelte Gauguin im September auf die Marquesas-Insel Hiva Oa, rund 1500 Kilometer östlich von Tahiti. Er errichtete sich seine Hütte „Maison du Jouir“ und nahm wieder eine junge Frau zu sich. Neue Konflikte mit der Kolonialverwaltung folgten. Er malte nur noch selten und verfiel zunehmend dem Alkohol.
1902 Gauguin trug sich aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands mit dem Gedanken, nach Frankreich zurückzukehren.
1903 Im März wurde er wegen Verleumdung der Regierung zu einer Geld- und Haftstrafe verurteilt. Noch vor Antritt der Strafe stirbt Gauguin am 8. Mai einsam in seiner Hütte in Atuona und wurde am nächsten Tag auf dem katholischen Friedhof von Hiva Oa beerdig
Belinda Thomson, Gauguin, München 1997.
Paul Gauguin. Von der Bretagne nach Tahiti. Ein Aufbruch zur Moderne (Ausst.-Kat. Landesmuseum Joanneum Graz 10.6.-1.10.2000) Wien 2000.
Heather Lemonedes, Belinda Thomspn, Agnieszka Juszczak (Hrsg.), Paul Gauguin. Durchbruch zur Moderne (Ausst.-Kat. The Cleveland Museum of Art, 4.10.2009-18.1.2010; Van Gogh Museum, Amsterdam 19.2.-6.6.2010) Ostfildern 2009.
Raphaël Bouvier, Martin Schwander (Hrsg.), Paul Gauguin (Ausst.-Kat. Fondation Beyeler 8.2.-28.6.2015), Ostfildern 2015.