Das Kunsthistorische Museum zeigt den amerikanischen Maler Mark Rothko (1903–1970) erstmals in Österreich. Die Ausstellung zeigt 43 Gemälde und drei Arbeiten auf Papier aus Rothkos gesamtem Schaffen – von den surrealistisch inspirierten Frühwerken bis zu den berühmten abstrakten Kompositionen des Spätwerks. Die späten Gemälde des aus einer jüdischen Familie stammenden Rothko gehen dem Sakralen, Geistigen, Tragischen und Zeitlosen nach. Rothkos Tochter Kate und dessen Sohn Christopher, die von Anfang an in das Projekt eingebunden waren, stellen für die Schau zahlreiche bedeutende Werke aus der Sammlung der Familie als Leihgaben zur Verfügung.
Österreich / Wien: KHM
12.3. – 30.6.2019
Mark Rothko ist berühmt für seine späten abstrakten Werke, die er am liebsten unkommentiert ließ, die er durchnummerierte, deren subtile Farbgebung aus drei bei vier im Deutschen nur schwer zu benennenden Farbtönen besteht. Und doch ist Rothko mehr als diese elegischen, sublimen Kompositionen, wie der erste Blick in die Schau sogleich offenbart. Streng chronologisch und dicht gehängt präsentierten Kurator Jasper Sharp und Christopher Rothko, die gemeinsam die Ausstellung gehängt haben, das Werk des Amerikaners von den ersten Anfängen bis zum Durchbruch der Abstraktion in einem großen Raum. Ein Bild reiht sich nahezu ohne Pause an das andere. Stilsprünge zeigen einen sich atemlos orientierenden Maler der 1930er und 1940er Jahre. Das Konzept folgt dabei der Überzeugung Rothkos, dass er großen Ausstellungsräumen nur durch eine dichte Hängung beikommen könnte.
Wie kam Jasper Sharp auf die Idee, Mark Rothko für eine Ausstellung im Kunsthistorischen Museum zu wählen? Anlässlich der Programmierung des modernen Ausstellungszyklus stellte sich der Kurator folgende Frage: Welcher Künstler der letzten 100 Jahre hat sich lange mit der Kunst der Antike beschäftigt? Mark Rothko ließ sich für seine Rottöne vom pompeijanischen Rot inspirieren. Boscoreale und ein Model des Tempels in Karnak konnte er im Metropolitan Museum of Art studieren. Bei näherer Betrachtung musste Jasper Sharp allerdings erkennen, dass die Auseinandersetzung mit der römischen Malerei – allen voran den Fresken in Pompeij – nur ein schmaler Ausschnitt aus Rothkos breitem Interesse an der Kunstgeschichte. Dazu kommen Künstler von Giotto di Bondone über Fra Angelico, Caspar David Friedrich bis Henri Matisse, Pierre Bonnard, Max Ernst, Yves Tanguy, Joan Miró (bei Pierre Matisse gesehen), Giorgio de Chirico, Alberto Giacometti. Aber auch Pablo Picassos Kompositstil der Nachkriegszeit und Edvard Munchs späte Werke hinterließen Spuren (→ Museum Barberini: Picasso. Das späte Werk. Aus der Sammlung Jacqueline Picasso | Edvard Munch: Mehr als nur der Schrei).
Auffallend und für die späte Abstraktion bedeutende Weichenstellung ist Mark Rothkos Umgang mit dem Material Farbe. Indem er sie mit Hilfe von Terpentin stark verdünnte, erzielt er nicht nur einen dünnen, flüssigen Farbauftrag, sondern auch eine matte Oberflächenwirkung. Die Bilder wirken wie Fresken, lange schon bevor sich der Maler mit der Freskomalerei der Renaissance auseinandersetzte. Die pulsierende Kunstszene New Yorks, die vor emigrierten Kunstschaffenden aus Europa nur so strotzte, bot mannigfaltige Anregungen vor allem der (ehemaligen) Surrealisten. Den Anfang macht ein expressives, zur Selbstanalyse kaum geeignetes Selbstporträt des Malers, dem figurative Arbeiten folgen: Darstellungen von Familien, der Kreuzigung, von Mutter und Kind, klassischen Badenden und des letzten Abendmahls zeigen Rothko als Suchenden. Alberto Giacometti stand Pate für die überlängten Figuren der Subway-Bilder. Mit den Darstellungen vereinzelter und melancholisch träumender Personen schloss Rothko an das Bild der Großstadt und seiner Bewohner an, das von Edward Hopper im neusachlich-magisch realistischen Stil mit voyeuristischem Unterton bereits vorgeprägt worden war. Kurz darauf finden sich vielköpfige Wesen, deren Gesichtsformen Pablo Picassos Lösungen weitertreiben, ohne die lineare Eleganz von Henri Matisse zu atmen.
Mark Rothko bewegte sich auf der Höhe der Zeit, als er während des Zweiten Weltkriegs erkennen musste, dass die menschliche Figur – auch im scheinbar sicheren New York – nicht mehr ohne Verletzungen und Verstümmelungen zu bewältigen war. Nicht nur die emigrierten Surrealisten rund um Max Ernst und Yves Tanguy prägten seinen Blick, sondern auch deren Verweis auf den antiken Mythos sowie C. G. Jungs „kollektives Unbewusstes“ ließen ihn in alten Texten nach Antworten auf aktuelle Fragen suchen. In seinen „Philosophischen Schriften“, die Mark Rothko Mitte der 1930er begonnen und in den frühen 1950er unvollendet hinterlassen hatte, setzte er sich immer wieder mit den antiken Stoffen auseinander. Rothko las die großen griechischen Dramen und Mythen und versuchte eine universelle Sprache für die conditio humana zu finden. Rothko sah diese im griechischen Mythos, in seiner Ikonografie, seinen Themen verkörpert. Dazu beschäftigte er sich intensiv mit der Frage, welche Auswirkungen das Betrachten von Kunst hat. Denn zwischen 1921 und 1923 hatte Mark Rothko Psychologie und Philosophiegeschichte an der Yale University in New Heaven (Connecticut) studiert (ausführlicher → Mark Rothko: Biografie).
Vor allem Peggy Guggenheims Museumsgalerie Art of This Century und die 1936 im Museum of Modern Art präsentierte Ausstellung „Fantastic Art, Dada – Surrealism“ ermöglichten Mark Rothko die aktuelle Kunstproduktion der Surrealisten kennenzulernen – sich in den Kosmos Surrealismus zu begeben. Zu deren wichtigsten Inspirationsquellen zählte der „Primitivismus“ (→ Picasso war ein Afrikaner!). Erneuerte Jackson Pollock die amerikanische Malerei, indem er sich der Kunst der First Nations zuwandte und ab 1943 erste abtrakte Kompositionen schuf, so war Mark Rothko eurozentristischer. Der 1903 in Dwinsk im russischen Kaiserreich (heute: Daugavpils, Lettland) geborene Maler wanderte 1914 mit seiner Familie nach Portland aus. Das europäische Erbe war dem hochgebildeten und aus einer jüdischen Familie stammenden Rothko offensichtlich sehr nahe, was vielleicht auch seine lebenslange Freundschaft mit Willem de Kooning erklärt.
„Untitled“ (1940/41, National Gallery of Art, Washington) gehört zu Rothkos ersten Gemälden mit mythologischem Thema. Es zeigt eine janusköpfige Figur und eine Tür, Symbole für Vergangenheit und Gegenwart sowie Durchgänge. In „Hierarchical Birds“ (1944), „Untitled“ (1945, Privatsammlung) und „Room in Karnak“ (1946, Sammlung Christopher Rothko) sind mannigfaltige stilistische Einflüsse der europäischen Avantgarde mit den Themen des Mythos verwoben. Besondere Aufmerksamkeit verdienen in diesem Zusammenhang die beiden christlichen Sujets von „A Last Supper“ (1941, Privatsammlung) sowie „Crucifix“ (1941/42, The Jewish Museum, New York), in denen er sich mit Leonardos „Das Abendmahl“ auseinandersetzte und die Passion Christi als Symbol für das Vernichten des jüdischen Volkes verwendete.
Henri Matisse, Pierre Bonnard1 und Milton Avery wurden wichtig, als es Mark Rothko um die Frage von abstrakten Farbflächen ging (→ Matisse – Bonnard). Die Multiforms (1946–1948) der späten 1940er Jahre beruhen auf der Gestaltung der Hintergründe der beiden französischen Maler. Weiche, verfließende Formen ohne harte Kanten, eine subtile Abstufung der Farbtöne, ein gewaltiger Größensprung des Formats sowie rahmenlose Präsentation sind die Charakteristika der ersten abstrakten Bilder von Mark Rothko. Höhe- und Schlusspunkt des ersten Raums der KHM-Ausstellung ist „Untitled“ (Privatsammlung) aus dem Jahr 1946. Schwebende Formen, flächiger Farbauftrag – aber noch nicht die Statik der Streifenbilder, die ab 1949 im Werk des amerikanischen Malers auftauchen.
„Ich betrachte meine Bilder als Dramen und die Formen darin sind die Darsteller. Sie sind aus der Notwendigkeit entstanden, eine Gruppe von Schauspielern zu haben, die sich dramatisch bewegen können, ohne dabei Peinlichkeit zu empfinden, und ihre Gesten ohne Scham ausführen können. Weder die Handlung noch die Schauspieler lassen sich im Voraus erahnen oder beschreiben. Sie fangen als unbekanntes Abenteuer in einem unbekannten Raum an. Erst im Augenblick der Vollendung kann man in einem blitzartigen Erfassen sehen, dass sie in genau der beabsichtigten Anzahl und Funktion auftreten. Vorstellungen und Pläne, die anfangs im Kopf existieren, sind nichts weiter als die Tür, durch die man die Welt, in der sie entstanden sind, verlässt.“2 (Mark Rothko 1947)
Vier frühe klassische Werke von Mark Rothko aus den Jahren 1949 bis 1956 hängen in den anschließenden vier Kabinetten. Jedes Bild erhält einen eigenen Raum – so wie Fra Angelico jede Zelle des Klosters San Marco mit einem Fresko zur meditativen Versenkung ausgestattet hat. Hier sind sie jetzt, diese ruhigen, sich jeglicher sprachlichen Beschreibung entziehenden Farbflächen. Rothko strukturierte die zuvor flukturierenden Formen der Multiforms zu horizontalen Streifen oder Balken, seltener Vertikalen. Meist trug Rothko dünne Farbe fast wie ein Aquarell auf. In zig Schichten übereinander verreibt er Farbtöne miteinander bis sie zu unterschiedlich dichten Flächen mit leicht abgestuften Wirkungen trocknen. Für die späten Werke ist die monumentale Größe wichtig, wirken die Farbflächen doch auch dadurch. Zudem wollte der Künstler, dass das Publikum gleichsam im Bild steht.
Zwischen 1950 und 1966 reiste Mark Rothko vier Mal nach Europa, wobei er in drei wahren Gewaltaktionen unzählige Kirchen, Kapellen, antiken Ruinen und Alte Meister studierte. Paris, Chartres, die Höhlen von Lascaux, die Kirche von Trocello, Assisi (Giotto), Rom (Sixtinische Kapelle, antikes Rom wie die Thermen von Diokletian und Caracalla), Florenz (Fra Angelicos Fresken im Kloster San Marco, Michelangelos Biblioteca Medicea Laurenziana) führten ihn zur „Raumkunst“.
Für das luxuriöse Four Seasons Restaurant im Seagram Building in New York, das von Philipp Johnson gestaltet wurde, sollte er 1958/59 großformatige Gemälde schaffen. An diesem Auftrag zeigte sich, dass Mark Rothko – bei aller künstlerischen Freiheit – den Kontext der Präsentation nicht außer Acht lassen konnte und wollte. Nach etwa Dreiviertel der Arbeitszeit entschloss er sich, seine Werke zurückzuziehen. Heute befinden sie sich in der Tate Modern in London (seit 1970), der berühmte Rothko-Room, im Kawamura Memorial Museum of Art in Japan und der National Gallery of Art in Washington. Sechs Seagram Mural Scetches und ein „Untitled (Seagram Mural)“ (1959) leiht die National Gallery of Art dem Kunsthistorischen Museum für die Ausstellungsdauer. Gemeinsam mit zwei Fotografien von Michelangelo Buonarottis Biblioteca Medicea Laurenziana bilden diese Arbeiten den ersten von zwei Rothko-Räumen. Wo sonst Tizian, Tintoretto, Veronese und die venezianische Renaissance bewundert wird, ist nun ein meditativer, dunkeltoniger Rothko-Raum eingerichtet, der durchaus an die Rothko-Chapel in Houston erinnert.3
„Meine derzeitigen Bilder befassen sich mit der Größenordnung menschlicher Gefühle, mit dem menschlichen Drama, so viel ich davon ausdrücken kann.“4 (Mark Rothko, Vortrag beim Pratt Institute, November 1958)
Den Ausklang der Ausstellung bildet ein Raum mit Großformaten aus den letzten zehn Jahren in Rothkos Werk. Tiefe Töne – Purpur, Braun, Pflaume – Sienna, aber auch Rot und Orange stehen, an den Kanten weich miteinander verrieben, nebeneinander. Häufig wird diese Farbwahl, wie Jasper Sharp kritisiert, kurzsichtig als „Vorboten“ des Suizids gedeutet. Denn in den letzten Wochen seines Lebens schuf Mark Rothko eine bemerkenswerte Serie von Arbeiten auf Papier, die danach auf Leinwand montiert wurden. Drei mit Aryl auf Papier gestaltete Kompositionen zeigen weiche Töne, Terracotta, Blaugrau, Umbra, Malve, Rosé in zweigeteilten Schichtungen, deren Ränder offenbaren, wie viele Schichten Farbe wohl nötig waren, um solch subtile Töne zu erzeugen.
Die Sammlungen des Kunsthistorischen Museums umspannen etwa 5.000 Jahre Kunst- und Kulturgeschichte und enden durch die Museumsreform der frühen 1920er Jahre in der Zeit um 1800. Dennoch versperrt sich das Kunsthistorische Museum nicht, moderne und zeitgenössische Kunstschaffende ins Haus zu holen, um einen neuen Blick auf die Alten Meister und die Kunstkammer zu werfen. Generaldirektorin Sabine Haag zeigt sich überzeugt, dass es immer die gleichen existentiellen Fragestellungen sind, über die in der Kunst nachgedacht wird.
Als sich Kurator Jasper Sharp vor vier Jahren an Mark Rothkos Sohn, Christopher Rothko, wandte, war dieser vom Vorschlag einer Rothko-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum überrascht. Sein Vater war nie in Wien gewesen und hat nie die Sammlung des Kunsthistorischen Museums besucht. Den direktesten Kontakt mit Wiener Kunst und Kultur hatte Rothko mit der Wiener Klassik: Mozart, Beethoven, Schubert zählten zu seinen Lieblingskomponisten, die er ständig hörte.
Wenn Mark Rothko auch nie die Werke des Kunsthistorischen Museums im Original studierte, so sah er Werke von Tizian, Jacopo Tintoretto, Jan Vermeer und Rembrandt van Rijn in New York, in Italien, in Paris, in London. Rothko reiste, ohne jedoch Tagebuch zu schreiben oder ein Notizbuch zu führen. Es sog, so erzählt sein Sohn, die Kunst ein, ohne jemals darüber einen Ton zu verlieren. Allerdings besitzt er noch die Bibliothek Mark Rothkos, in der sich Bücher beispielsweise über italienische Meister befinden. Der Maler muss sich anfangs mit Reproduktionen weitergebildet haben, denn Jan Vermeers „Die Malkunst“ (1664/1668 → Vermeer. Die Malkunst) aus dem Kunsthistorischen Museum könnte er zwar 1950 in der Ausstellung „Art Treasures from Vienna“ in New York gesehen haben5, er rezipierte das Motiv allerdings bereits Jahre früher.
Mark Rothko stilistisch einzuordnen, ist relativ schwierig, wie Jasper Sharp betont. Abstrakter Expressionismus ist ein genauso schwieriger Begriff für eine Stilbeschreibung von Rothkos Kunst wie auch Action Painting (→ Abstrakter Expressionismus | Informel). Am besten fügt sich Rothko in die New York School, wenn diese auch nur eine ortsbezogene Beschreibung abgibt. Meist wird Mark Rothko daher als ein Mitbegründer der Farbfeldmalerei beschrieben.
Christopher Rothko verweist in diesem Zusammenhang auf einen Ausspruch von Robert Motherwell. Dieser meinte einst, dass jeder Kunstschaffende als eine einzigartige Position wahrgenommen werden will. Die New Yorker Kunstszene war ein sehr kleiner Ort in diesen Jahren. In Peggy Guggenheims Art of This Century haben die Künstler einander getroffen, ihre Ausstellungen gegenseitig gehängt und in Katalogen übereinander geschrieben. Wenn auch einige Kollegen, oberflächlich betrachtet, einige Ähnlichkeiten mit Rothkos Werk aufweisen
Kuratiert von Jasper Sharp, der von Christopher Rothko eng unterstützt und beraten wurde.