Van Gogh in Auvers-sur-Oise

Vincent van Gogh starb am 29. Juli 1890, nachdem er sich zwei Tage zuvor in die Brust geschossen hatte. Seine letzten 70 Tage hatte der heute so berühmte Maler im beschaulichen Dorf Auvers-sur-Oise gelebt, das etwa 32 Kilometer von Paris entfernt in Getreidefeldern liegt. Er folgte damit einigen berühmten Malern wie Charles-François Daubigny, der 1861 Auvers entdeckt hatte (→ Vincent van Gogh und Daubigny). Daubigny ließ sich ein Haus bauen und lebte dort bis zu seinem Tod. Dadurch entstand in Auvers eine Künstlerkolonie, zu der vor allem Camille Pissarro und Paul Cézanne gehörten.

St. Rémy (8. Mai 1889–15. Mai 1890)

Vincent van Gogh beschloss nach einem freiwilligen Jahr in der Nervenheilanstalt St. Paul-de-Mausole in Saint-Rémy, nach Auvers-sur-Oise zu übersieden (→ Vincent van Gogh: Biografie). So verabschiedete er sich Mitte Mai 1890 von der Familie Ginoux mit einem Brief:

„Ich werde wieder in den Norden gehen und so drücke ich, meine lieben Freunde, in Gedanken ganz fest Ihre Hände, ebenso die der Nachbarn, und bitte, glauben Sie mir, dass ich dort oft an Sie alle denken werde.“1 (Brief von Vincent van Gogh an Joseph Ginoux, 12. Mai 1890)

Kurz zuvor hatte er noch in Saint-Rémy einige seiner heute berühmtesten Bilder gemalt: „Sternennacht“ (18.6.1898, MoMA, New York → Vincent van Gogh: Die Sternennacht) entstand bereits am Beginn seines Aufenthalts in St. Paul-de-Mausole. Das in diesem Bild gefundene Farbkonzept und die expressiv verlebendigte Strichführung entwickelte er ein Jahr später zu „Straße mit Zypressen und Stern“ (Kröller-Müller Museum, Otterlo), zwei Blumenstillleben „Iris“ (MET, New York & Van Gogh Museum, Amsterdam), seine Interpretation von Paul Gauguins „L’Arlesienne“ (Museu de Arte de São Paulo). Dr. Peyron beschreibt den Patienten Van Gogh als meist ruhig, wobei nicht auf die Anfälle vergisst, die von zwei Wochen bis zu einem Monat andauern konnten. Während dieser Phasen war er von Panik erfüllt und versuchte vermutlich bewusst seinem Leben ein Ende zu bereiten, indem er seine giftigen Farben oder gestohlenem Petroleum einnahm. Während der ruhigen Phasen widmete er sich mit großer Ausdauer und Enthusiasmus seiner Malerei. Doch davon wollte sich der Maler im Mai 1890 trennen, hoffte er doch im Norden Frankreichs auf ein ihm wohltuendes Klima zu stoßen. Der Arzt überschrieb seinen Eintrag mit dem Wort „geheilt“.

Paris (17.–20. Mai 1890)

Vincents beendete seine soziale Isolation in Saint-Rémy bewusst. Am 16. Mai 1890 verließ van Gogh die Nervenheilanstalt und fuhr zu seinem Bruder nach Paris. Er kam am folgenden Tag um 10 Uhr vormittags an. Das Treffen der beiden Brüder verlief harmonisch. Theo schrieb ihrer Schwester Will sogar, dass Vincent nie gesünder ausgesehen hätte. Zu diesem Zeitpunkt lernte Vincent Theos Frau Johanna (Jo) und ihren kleinen Sohn Vincent Willem kennen. Jo war sehr überrascht, als sie anstelle der erwarteten Patienten einen „starken Mann mit breiten Schultern, einer gesunden Farbe, einem Lächeln im Gesicht und einem Ausdruck großer Entschlossenheit in seinem gesamten Erscheinungsbild“ antraf.

Vincent blieb drei Tage in Paris. Gemeinsam besuchten die Brüder Pére Tanguy, wo Theo am Dachboden van Goghs Bilder und die ihrer Sammlung zeitgenössischer Kunst aufbewahrte, sowie den Salon du Champ de Mars unter Führung von Ernest Meissonier. Vincent zeigte sich von Pierre Puvis de Chavannes „Inter Artes et Naturam“ tief beeindruckt. Dass er den (alten) Salon und die Ausstellung japanischer Kunst in der Ècole des Beaux-Arts verpasste, stimmten ihn hingegen traurig.

Die Großstadt war jedoch für van Gogh kein geeignetes Umfeld, weshalb er am 20. Mai nach Auvers-sur-Oise weiterreiste. Obwohl der Maler lange davon geträumt hatte, in Paris einen Buchladen bei nächtlicher Gasbeleuchtung zu malen, setzte er dieses Konzept nicht in die Tat um. So verließ van Gogh nach nur drei Tagen Paris, ohne ein einziges Gemälde angefangen oder seine alten Leinwände überarbeitet zu haben.

Auvers-sur-Oise (20. Mai – 29. Juli 1890)

Am 20. Mai 1890 kam Vincent van Gogh in Auvers-sur-Oise an. Einer der Gründe, warum er sich für diese ländliche Gegend entschied, war die Anwesenheit von Camille Pissarro. So stand der Impressionist im Zentrum von Vincents Plan, an dem er arbeitete, sobald sich sein Gesundheitszustand verbesserte: Er wollte in den Norden zurückkehren und hegte die Hoffnung, dass Pissarro ihn aufnehmen würde. Theo van Gogh hielt dies für eine vernünftige Idee und ging vorsichtig auf Pissarro zu. Dieser lehnte jedoch das Vorhaben ab, war er sich doch der destabilisierenden Wirkung von Vincent auf eine Familie mit Kindern bewusst. Zudem fürchtete Pissarro, dass van Gogh einen Rückfall erleiden könnte. Camille Pissarro verwies deshalb Theo auf seinen Freund Dr. Paul-Ferdinand Gachet in Auvers-sur-Oise. Im Mai 1890 nahm der Plan Gestalt an, dass Dr. Gachet Vincents Zustand im Auge behalten könnte.

In Auvers mietete sich Vincent van Gogh ein Zimmer in der Auberge Ravoux. Er fand die Landschaft im Norden „ausgesprochen schön“ und die strohgedeckten Häuser pittoresk. In einem Brief Theo und Jo schrieb er, „so sehr, dass ich denke, dass es trotz aller schlechten Umstände vorteilhafter ist, zu arbeiten als nicht zu arbeiten.“ Er machte immer noch nichts aus seiner Arbeit, und das Wissen darüber, wie viel er Theo schuldete, war eine konstante Belastung. Hart zu arbeiten, war das einzige, was er tun konnte. Während der letzten zwei Monate seines Lebens malte Vincent wie besessen: die Menschen und die Landschaft in seiner Umgebung.

Bereits am 21. Mai verlangte er von Theo, dass er ihm zehn Meter Leinwand und 20 Blätter Ingres-Papier schicken sollte. Wenige Tage später schickte Theo 50 Francs und die Nachricht, dass die niederländische Malerin Anna Boch eines seiner Bilder gekauft und Gauguin die „Arlésienne“ gesehen hatte. Doch sollte es bis Anfang Juni dauern, bis van Gogh mehr arbeitete. Zu den ersten Bildern, die er in Auvers malte, gehören Ansichten vom Garten des Hauses Gachet und dessen Porträt.

Dr. Gachet

Van Gogh fühlte sich sofort im pittoresken Dorf Auvers zu Hause, wo der von Pissarro empfohlene Arzt Dr. Paul-Ferdinand Gachet (1828–1909) auf seine Gesundheit achtete. Diese Vereinbarung war zunächst nicht beruhigend für den Künstler: Als van Gogh Dr. Gachets Bekanntschaft machte, war er überzeugt, dass der exzentrische Arzt bei schlechterer Gesundheit wäre als er. Dr. Gachet war fast 63 Jahre alt und hatte einen melancholischen Ausdruck, den van Gogh in den Porträts darstellte. Als er Dr. Gachet jedoch besser kennenlernte, entdeckte er Ähnlichkeiten mit sich und Theo. Die Gastfreundschaft, den ärztlichen Rat vor allem aber seine ermutigenden und unterstützenden Worte „zahlte“ Vincent mit Bildern, wie er seiner Mutter schrieb.

Dr. Paul-Ferdinand Gachet war Arzt, und unter dem Pseudonym Paul van Ryssel auch Amateurmaler und -grafiker. Dr. Gachet sammelte impressionistische Kunst, war mit Camille Pissarro sowie Paul Cézanne befreundet. Seine Radierung der „Spinnerin“ nach Millet dürfte Vincent angesprochen haben, da Jean-François Millet auch sein eigenes großes Vorbild als „Bauernmaler“ war. Dr. Gachet besaß eine Radierpresse, mit der Vincent auf sein Drängen experimentierte.

Zu Dr. Paul Gachet baute Vincent rasch ein gutes Verhältnis auf. Er nannte ihn „auf Anhieb einen Freund, so etwas wie einen neuen Bruder“. Von Anfang an bewunderte er Van Goghs Gemälde und das erste Porträt, das van Gogh von ihm machte. Als sie am 15. Juni 1890 zusammen mittagaßen, drückte Dr. Gachet Vincent eine Kupferplatte in die Hand, damit er das Radieren ausprobieren konnte. Vincent van Gogh radierte ein Porträt seines Gastgebers und druckte die Platte noch an Ort und Stelle. Daraufhin entstanden mehrere Versionen in schwarzer Druckerfarbe aber auch in Ölfarbe. Nach Van Goghs Tod blieb die Druckerplatte im Besitz von Dr. Gachet, der häufig Abzüge davon machte, um sie zu verschenken. Auch sein Sohn, Paul Gachet Jr., setzte diese Familientradition fort.

Kurztrip nach Paris (6. Juli 180)

Am 6. Juli kehrte Vincent van Gogh noch einmal kurz nach Paris zurück, um Toulouse-Lautrec sowie den jungen Kritiker Albert Aurier wiederzusehen. Aurier hatte im Januar 1890 eine äußerst positive Bewertung von van Goghs Werk im „Mercure de France“ verfasst und freute sich, nun die Werke gemeinsam mit dem Maler besichtigen zu können.
Während dieses Besuchs Anfang Juli kamen alle Spannungen zwischen den Brüdern zum Vorschein. Kurz zuvor war das Baby ernstlich krank gewesen, und Theo hatte seinen Sorgen in einem nächtlichen Brief mit seinem Bruder geteilt. Es gab nicht nur einen Streit zwischen ihnen, nein, Vincent van Gogh sah diesmal auch, wie krank Theo wirklich war, als dieser über die Eröffnung eines eigenen Kunsthandels sprach. Vincent hatte einen solchen Schritt in der Vergangenheit ständig gefordert aber in der Zwischenzeit aufgehört, an den finanziellen Erfolg zu glauben. Da Theo nun eine Familie zu ernähren hatte, war Vincent skeptisch gegenüber den Zukunftsplänen seines Bruders. Jo Bonger-van Gogh erinnerte sich 1913 daran, dass Henri de Toulouse-Lautrec auf ein entspanntes und fröhliches Mittagessen vorbeikam. Zu seinem Bedauern verpasste er Armand Guillaumin, da er von all der Aufregung angeschlagen wieder nach Hause fuhr. Zurück in Auvers fühlte er sich einsamer und trauriger als je zuvor, fühlte der sensible Maler doch die finanzielle Anstrengung seines Bruders auf den Schultern lasten. In den folgenden Tagen malte er weite Weizenfelder unter stürmischem Himmel.

Vincents Briefe aus Auvers

Vincent nahm sich wenig Zeit zum Schreiben, denn er ging ab Anfang Juni völlig in seiner Arbeit auf. Die wenigen Briefe an seinen Bruder, seine Mutter und seine Schwester Will klingen ziemlich fröhlich und sind mit einem optimistischen Ton verfasst. Seiner Familie versicherte er, dass er sich wieder ruhiger fühlte.

„Die Sorgen in meinem Kopf sind deutlich beruhig […] Ich bin völlig eingenommen von dieser gewaltigen Ebene, die bis zu den Hügeln mit Weizenfeldern bedeckt ist, schrankenlos wie das Meer in delikaten Gelb- und Grüntönen, das blasse Violett der umgepflügten und gejäteten Erde, kariert in regelmäßigen Abständen mit grünen Intervallen der blühenden Kartoffelpflanzen, alles unter einem Himmel in delikatem Blau, Weiß, Pink und Violett. Ich bin in einem fast zu ruhigen Zustand, um das zu malen.“2 (Vincent van Gogh an seine Mutter Anna van Gogh-Carbentus und Willemien van Gogh, 10.–14. Juli 1890)

Wahrscheinlich wollte Vincent nicht, dass sich seine Familie Sorgen um ihn machte. Er versuchte sogar, seinen Bruder dazu zu verleiten, in die „gesunde und stärkende“ Landschaft von Auvers zu ziehen. Über seine Arbeit schrieb van Gogh hauptsächlich Positives. So zeigte er sich überzeugt davon, dass er, seitdem er mit dem Trinken aufgehört hätte, bessere Bilder malten würde.

Es sind die Briefentwürfe, die Vincent van Gogh nicht verschickt hat, die seinen wahren Geisteszustand offenbaren. Er fühlte sich als Maler gescheitert, war beunruhigt, erschöpft und zog sich zunehmend zurück. An den niederländischen Kritiker Joseph Jacob Isaäcson wollte er schreiben:

„Ich bin entschieden sicher, dass ich niemals wichtige Dinge tun werde.“

Vincent hoffte Mitte Juni 1890 noch immer, sich Gauguin und Bernard in Pont-Aven anzuschließen oder sogar Gauguin nach Madagaskar zu folgen, wie dieser um den 15./16. Juni an Theo geschrieben hatte. Vincent teilte Theo seine Überzeugung mit, dass „sicherlich die Zukunft der Malerei sehr in den Tropen, entweder auf Java oder in Martinique, Brasilien oder Australien, und nicht hier [liegt], aber Sie haben das Gefühl, dass es nicht so ist. Mir wurde nicht bewiesen, dass Sie, Gauguin oder ich die Menschen dieser Zukunft sind“.3

Die Briefe sind nicht nur wichtige Quellen zum Tagesablauf des Malers – er schreibt beispielsweise, dass er jeden Tag um neun Uhr abends ins Bett geht und um etwa fünf Uhr morgens aufsteht – und seine (für die Empfänger gefilterten) Gedanken, sondern auch in Bezug auf sein malerisches Werk. Er beschreibt seinem Bruder die aktuellen Kompositionen und fügt den Briefen kleine Skizzen bei. Diese dienten wohl dazu, seinen eifrigen Arbeitsfortschritt zu vermitteln. Heute nutzt die Forschung die Skizzen van Goghs, um die Bilder auf den Tag bzw. die Tage genau zu datieren.

Werke

Innerhalb von 70 Tagen malte Vincent van Gogh insgesamt 75 Gemälde: zwei Porträts des Arztes und Freundes sowie 13 Porträts von jungen Menschen – vor allem Mädchen und die Tochter von Dr. Gachet, Marguerite. Er hielt Motive aus dem Dorf fest wie die Kirche von Auvers (Musée d‘Orsay) und die niedrigen, strohgedeckten Häuser, die ihn an die Niederlande erinnerten. Das Hauptmotiv des späten Werks von Vincent van Gogh ist aber die Umgebung von Auvers, drei Ansichten die Gärten von Daubigny und Dr. Gachet, die Weizenfelder (soweit das Auge reicht), Mohnblumenfelder und Weingärten, die Heuhaufen (eigentlich Strohhaufen), das Unterholz.

Dass er wie ein Besessener arbeitete – durchschnittlich mehr als ein Gemälde pro Tag sprechen Bände –, war sich der Maler selbst bewusst. Dr. Gachet bestärkte ihn in dieser Arbeitswut, denn beide dachten, so die negativen Gedanken van Goghs in den Griff zu bekommen. Mit seiner raschen Malweise hoffte er, die rasche Vergänglichkeit der Dinge im modernen Leben auszudrücken.4

Vincent van Goghs letztes Bild

Vincent van Goghs letztes Bild zeigt Baumwurzeln, die - wie jüngst Wouter van der Veen, der wissenschaftliche Direktor des Institut van Gogh (Auvers-sur-Oise), belegen konnte - in der Rue Daubigny zu finden sind. Der Van Gogh-Experte entdeckte kurz nach dem Corona-Lock-Down in Frankreich eine Postkarte aus der Jahrhundertwende, die eine baumbestandene Mauer zeigt. Dass van Gogh für sein letztes Gemälde zu seinem Vorbild Daubigny zurückkehrte, ist eine wunderbare Geschichte am Ende eines turbulenten Künstlerlebens. Vorbild und Kunstwerk nebeneinandergestellt, dokumentieren den Arbeitsprozess van Goghs, mit dem er sich stark an den Reisenbildern der Impressionisten - allen voran Claude Monet - orientierte. Vincent van Gogh arbeitete vor dem Motiv und verwandelte das Gesehene in expressive Farben und strukturierten Pinselstrich. Wie Monet setzte er sich mit touristischen Zielen und pittoresken Ansichten auseinander. Diese Vorgangsweise hatte wenige Jahre zuvor die tiefgreifende Verstimmung zwischen van Gogh und Gauguin ausgelöst, was letzterer doch stärker an einer visionären Schau interessiert (→ Vincent van Gogh : Paul Gauguin in Arles).

Stilistisch ist das friesartige Gemälde mit den objektiv beobachteten Wurzelwerk und den Stämmen eine Summe aus van Goghs Entwicklung in Auvers:

  • Einfarbige Flächen stehen neben dicht übereinandergelegten vielfarbigen.
  • Betonung der Flächigkeit durch die Kompoisition (Fehlen des Horizonts).
  • Die blockartigen Pinselstriche verinigen sich zu einem rhythmischen Ganzen, das sich über die Bildfläche erstreckt.
  • Preußischblaue Konturen helfen, die gegensätzlichen Objekte miteinander zu verbinden.
  • Erdige Palette mit gemischten und gebrochenen Farbtönen bezeugen van Goghs Herkunft aus den Niederlanden.

Tod

Die tragischen Ereignisse des Abends vom 27. Juli werden von einigen Augenzeugen übermittelt, darunter Anton Hirsching (1912 und 1934), Paul Gachet Sohn (1950er) und Adeline Ravoux (1950er). Die Berichte von The van Gogh und Emile Bernard gelte heute als die verlässlichsten Quellen für den Ablauf des Geschehens. Vincent van Gogh war 37 Jahre alt, als er mit Staffelei, einer Leinwand und einem Revolver auf ein Feld ging. Bernard schrieb an Aurier was sich dann ereignete:

„Am Sonntagabend ging [van Gogh] in die Umgebung von Auvers, lehnte seine Staffelei gegen einen Heuhaufen und ging hinter das Château, um sich mit einem Revolver zu erschießen. Von der Wucht des Einschlags (die Kugel hatte das Herz verfehlt) fiel er hin, aber er stand auf – drei Mal in Folge – und kehrte in den Gasthof, in dem er lebte, zurück (Ravoux, Place de la Mairie), ohne jemandem etwas über seine Verletzung zu sagen.“

Vincent van Gogh kehrte nach seinem Selbstmordversuch in sein Zimmer im Dachboden zurück. Die Familie Ravoux sah ihn hereinkommen, und Arthur Ravoux fühlte, dass etwas nicht stimmte. Er fand ihn in seinem Zimmer, und der Maler erzählt ihm, was er getan hatte. Der örtliche Arzt dr. Mazery und Dr. Gachet wurden gegen neun Uhr abends geholt. Gemeinsam entschieden sie, dass die Kugel nicht entfernt werden konnte. Daraufhin schrieb Dr. Gachet an Theo, dass sich Vincent selbst verletz hatte. Da sich der Maler weigerte, die Adresse seines Bruders bekanntzugeben, musste Dr. Gachet den Brief an Goupil senden, weshalb er ihn erst einen Tag später über den niederländischen Maler Tommy Hirsching, der am 28. Juli von Auvers nach Paris fuhr, erhielt. Theo van Gogh kam mittags in Auvers an. In einem Brief an seine Ehefrau in Amsterdam teilte er ihr die schlechte Nachricht mit, ohne in die Details gehen zu wollen. Und doch ließ er sie wissen, dass Vincent viel an Jo und das Baby dachte; sie, Jo, könnt sich wohl nicht vorstellen, wie viele Sorgen, wieviel Traurigkeit er in seinem Leben verspürt hätte. Theo und Dr. Gachet blieben bei Vincent, bis er in den frühen Morgenstunden des 29. Juli im Alter von nur 37 Jahren verstarb.

Nach Vincents Tod ließ Theo den Sarg mit Vincents Leichnam im Speiseraum der Auberge Ravoux aufbahren. Van Goghs Bilder hängen an den Wänden. Die Beisetzung fand am 30. Juli in Auvers-sur-Oise statt. Es nahmen vor allem Dorfbewohner daran teil, die den Maler in den vergangenen 70 Tagen kennengelernt hatten. Aus Paris kamen Vincents Freunde: Émile Bernard, Charles Laval, Julien Père Tanguy und Lucien Pissarro. Sie trugen den mit Sonnenblumen geschmückten Sarg.

In den folgenden Tagen erhielt Theo Dutzende herzerwärmende Beileidsschreiben von Verwandten, Freunden und Künstlern, die Vincent einen „wahren Freund“ nennen, „höchst originell in seiner Arbeit“. Paul Gauguin versuchte seinen Kunsthändler zu trösten:

„Unter diesen Umständen will ich keine Beileidsphrasen schreiben – Sie wissen, dass er mir ein aufrechter Freund war und dass er ein Künstler war, etwas Seltenes in unserer Zeit. Sie werden ihn weiterhin in seinen Bildern sehen. Wie Vincent oftmals sagte: Stein vergeht, das Wort bleibt. Und was mich betrifft, mit meinen Augen und meinem Herzen werde ich ihn weiterhin in seinen Bildern sehen.“ (Brief von Paul Gauguin und Meijer de Haan an Theo van Gogh, 2. August 1890)

„Es ist ein Schmerz, der lange auf mir lasten und mir mein ganzes Leben sicher nicht aus den Gedanken gehen wird […] O, Mutter, er war so sehr mein eigener Bruder.“ (Theo an Anna van Gogh-Carbentus, 1. August 1890)

Nach Vincents Tod

Zum Andenken an den Maler van Gogh plante Theo eine Ausstellung mit Vincents Bildern und bat Albert Aurier einen Begleittext zu verfassen. Doch Theo war an Syphilis erkrankt und starb am 25. Januar 1891. In den folgenden Jahrzehnten widmete Jo ihr Leben der Popularisierung von Vincents Werk, unter anderem durch den Verkauf von Werken, Leihgaben an Ausstellungen und die Veröffentlichung des brüderlichen Briefwechsels.

Auch Èmile Bernard spielte eine Rolle in der Verbreitung des Ruhms Vincent van Goghs. Bernard verfasste einen ausführlichen Beitrag über Vincents Gemälde in der führenden Zeitschrift „Les Hommes d’aujourd’hui“. Für den Umschlag schuf er eine Lithografie nach dem Selbstbildnis Vincents, ein ehemaliges Geschenk. Bernard organisierte 1892 eine Ausstellung mit Bildern seines Freundes in der Pariser Galerie „Le Barc de Boutteville“. Es waren sechzehn Werke zu sehen, unter denen sich „La Berceuse“ und „L’Arlésienne“ gehörten, wie auf dem Holzschnitt, der als kleiner Katalog fungierte, zu lesen ist.

Vincent Willem van Gogh, Theo und Jos Sohn, übertrug 1962 den Rest seines Erbes der Vincent van Gogh Stiftung: rund 200 Gemälde, 500 Zeichnungen und fast die sämtliche Korrespondenz. Am 2. Juni 1973 wird das Van Gogh Museum in Amsterdam eröffnet, wo die Sammlung als Dauerleihgabe verbleibt.

Van Gogh in Auvers-sur-Oise: Bilder

  • Vincent van Gogh, Bauernhaus, Auvers-sur-Oise, Mai–Juni 1890, Öl auf Leinwand, 38.9 cm x 46.4 cm (Van Gogh Museum, Amsterdam, Vincent van Gogh Foundation)
  • Vincent van Gogh, Straße in Auvers-sur-Oise, Mai 1890, Öl auf Leinwand, 73 x 92,5 cm (Ateneum Art Museum Finnish National Gallery - Hannu Aaltonen © Ateneum Art Museum Finnish National Gallery - Hannu Aaltonen)
  • Vincent van Gogh, Dr. Paul Gachet, Juni 1890, Öl/Lw, 68 x 57 cm (Musée d’Orsay, Paris)
  • Vincent van Gogh, Zwei Skizzen von Vasen mit Sonnenblumen, in: Skizzenbuch aus Paris und Auvers-sur-Oise, 1890 (Van Gogh Museum, Amsterdam (Vincent van Gogh Foundation), Foto: Petra and Erik Hesmerg)
  • Vincent van Gogh, Bauerhäuser bei Auvers-sur-Oise, 1890, Öl auf Leinwand, 50.2 x 100.3 cm (Tate  National Gallery © Tate, London 2015)
  • Vincent van Gogh, Weizenfelder bei Auvers-sur-Oise, 1890, Öl auf Leinwand, 50 x 101 cm (Österreichische Galerie Belvedere, Wien)
  • Vincent van Gogh, Baumwurzeln, Auvers-sur-Oise Juli 1890, Öl auf Leinwand, 50.3 × 100.1 cm (Van Gogh Museum, Amsterdam / Vincent van Gogh Foundation)

Literatur zu van Gogh in Auvers

  • Van Gogh and Friends
  • Van Gogh in Saint-Rémy and Auvers (Ausst.-Kat. The Metropolitan Museum of Art, New York, 25.11.1986–22.3.1987), New York 1986.
  1. The Pedro Corrêa Do Lago Collection
  2. Brief 899/904/650: http://vangoghletters.org/vg/letters/let899/letter.html (letzter Aufruf 29.7.2020).
  3. Brief an Theo, 17.6.1890.
  4. Brief an seine Schwester Will, 13.6.1890.