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Charlotte | Mint Museum: Picassos Landschaften Außerhalb der Grenzen | 2023

Pablo Picasso, Café in Royan, 15.8.1940, Öl und Ripolin auf Leinwand (Musée Picasso, Paris, Donation Pablo Picasso, 1979, MP187)

Pablo Picasso, Café in Royan, 15.8.1940, Öl und Ripolin auf Leinwand (Musée Picasso, Paris, Donation Pablo Picasso, 1979, MP187)

Über 70 Jahre lang schuf Pablo Picasso ein umfang- und facettenreiches Werk, das allerdings kaum für seine Landschaften bekannt ist. Um den Spanier anlässlich der 50. Wiederkehr seines Todestags zu würdigen, organisiert die American Federation of Arts eine erste Ausstellung, in der dieses bisher noch kaum beachtete Thema in Picassos Malerei untersucht wird. Von Pablo Picassos frühesten Tagen an der Kunstschule bis zum Jahr vor seinem Tod blieb die Landschaft das wichtigste Genre, durch das er seine Wahrnehmung der Welt vermittelte und seine eigene kreative Entwicklung prägte.

„Es gibt vier [Picasso-]Landschaften, von denen ich wünschte, Sie könnten sie sehen. Seltsam, dass ihn niemand für einen großen Landschaftsmaler gehalten hat.“ (Alice B. Toklas, 1948)

Picassos Landschaften

Pablo Picasso hat sein ganzes Leben lang Landschaften gemalt. Von seinen Anfängen an der Kunstschule in Barcelona bis zum Jahr vor seinem Tod vermittelte die Landschaft seine Wahrnehmung der Welt und trieb seine kreative Entwicklung voran (→ Pablo Picasso: Lebenslauf | Biografie). „Picasso Landscapes: Out of Bounds“ im Mint Museum zeigt eine Auswahl von mehr als 45 Gemälden und Skulpturen aus Picassos gesamter Karriere. Die dynamische Gruppierung von Bildern bietet den Besuchern einen unvergleichlichen Einblick in den kreativen Prozess des Künstlers, von seinen frühesten Tagen an der Kunstschule im Jahr 1896, als der Künstler gerade einmal 15 Jahre alt war, bis Monate vor seinem Tod im Jahr 1973.

Innerhalb von Picassos umfangreichem Œuvre – das alle Genres umfasst – haben Landschaften bisher die geringste wissenschaftliche Aufmerksamkeit erhalten. Picassos Landschaftsdarstellungen zu ignorieren, bedeutet jedoch, eine entscheidende Dimension seiner Leistung zu übersehen. Landschaften boten Picasso Gelegenheit, sein persönliches und kulturelles Umfeld zu reflektieren und sich gleichzeitig mit kunsthistorischen Traditionen auseinanderzusetzen. In seinen Landschaften erprobte Picasso stilistische Neuorientierungen, wie etwa die Entwicklung des Kubismus in Horta de Ebro, oder Raumkonzeptionen. Die Werke offenbaren Picassos Reaktionen auf die moderne Stadt, die Besetzung während des Krieges und die Industrialisierung des ländlichen Frankreichs. Darüber hinaus zeichnet die Ausstellung das sich verändernde Ortsgefühl des Künstlers über Jahrzehnte des Reisens und Umziehens nach.

Die Ausstellung zeigt eine reiche Auswahl an historischen Filmen, Fotografien und Zeitschriften, um die Tiefe und Breite von Picassos Arbeit mit Landschaften zu kontextualisieren. Wochenschauen bringen die Zuschauer zu bestimmten Ereignissen und Orten, die den Künstler beeinflusst haben, darunter Küstendörfer der 1930er Jahre und das befreite Paris im Jahr 1944. Fotografien und alte Postkarten bieten weitere Einblicke in Picassos „Biotope“ – Bereiche, die sowohl seine Inspiration als auch seine Identität förderten. Originalausgaben seltener moderner Kunstzeitschriften, darunter „Verve“ und „Transition“, zeigen wiederum, wie Picassos Landschaften in den frühesten Phasen seiner Karriere von Kritikern und Gelehrten als integraler Bestandteil seines Œuvres aufgenommen wurden.

Die erste amerikanische Wanderausstellung zu diesem Thema, „Picasso Landscapes: Out of Bounds“, bietet neue Einblicke in den Erfindungsreichtum und die Wirkung der vielfältigen Phasen der Landschaftsproduktion des Künstlers. Als eingehende Untersuchung von Picassos vielfältigem Landschaftswerk fordert diese Ausstellung das Genre als Quelle fortwährender Inspiration zurück und bekräftigt die Landschaft als lebenswichtige durchgehende Linie in einer Karriere, die den Wechselfällen von Picassos Leben gewidmet ist.

Warum malte Picasso Landschaften?

Die Landschaftsmalerei diente Picasso als Katalysator für seine formalen Experimente, einschließlich des frühen Kubismus; als Untersuchungsfeld der urbanen Moderne; als Schnittstelle zwischen Mensch und Natur; als Ort für groß angelegte skulpturale Interventionen; als Raum der persönlichen Reflexion; und als Symbol für Geschichte, Erbe und Widerstand.

Picasso war besonders auf die Spannungen zwischen Mensch und Natur eingestellt, insbesondere auf die Art und Weise, wie sich der Druck des modernen Lebens auf den Charakter und die Funktion der Landschaft auswirkte. Bereits 1900 begann er in seinen Leinwänden, die mächtigen Kräfte der Natur im Gegensatz zum städtischen Wachstum in ganz Spanien, insbesondere in Málaga, Madrid, Barcelona und Horta de Ebro, aufzuzeichnen. Die Zerstörung und Beständigkeit der französischen Kultur bestimmen die Stadtlandschaften des Künstlers im von den Nazis besetzten Paris während des Zweiten Weltkriegs. Seine großartigen Côte d’Azur-Landschaften, die Picasso am Ende seiner Karriere schuf, zeigen die rasche Bebauung einer Region, in der er einige Jahrzehnte zuvor das Leben von Bauern und Arbeitern festgehalten hatte. Die Verwüstung des Anthropozäns und der politische Aufstieg der ökologischen Bewegung in Frankreich fielen mit Picassos letzter Landschaft von 1972 zusammen, einem gewaltigen Werk, das wie ein Epitaph seines kreativen und sozialen Lebens liest.

Vorbilder

Picasso sah die Landschaft auch als Verbindung zu seinen künstlerischen Vorfahren, die die Maltraditionen definiert und verfeinert hatten. Klassische Landschaften des 17. Jahrhunderts waren wichtige Prüfsteine für Picasso. Seine anspruchsvollen, großformatigen Leinwände übernahmen die formale Struktur der idealen Aussicht, die von Claude Lorrain und Nicolas Poussin artikuliert wurde. Picasso benutzte oft Landschaftsmalerei, um die Arbeit von Impressionisten und Postimpressionisten zu hinterfragen, darunter Pierre-Auguste Renoir, Paul Cézanne und Vincent van Gogh, die zum Zeitpunkt seiner Ankunft in Paris im Jahr 1901 die berühmtesten Künstler waren. Van Goghs Präsenz ist in Picassos südfranzösischen Gemälden zu spüren, wie dem nächtlichen „Mondschein in Vallauris“ (1951) und der dramatischen Landschaft von Mougins (22. Februar 1965).

Picassos berühmte Vorgänger in der Provence, Renoir und Cézanne, malten beide konsequent Akte in den Gärten ihrer ländlichen Rückzugsorte. Nach seinem Erwerb des Château de Vauvenargues im Jahr 1958 begann Picasso, seine eigenen figurativen Landschaften zu schaffen, die die Verbindung zwischen Künstler und Natur kommentieren, darunter „Der Maler und sein Modell“ (5. Mai 1963) und „L‘Aubade“ (auch: Serenade, 19./20.1.1965).

Organisiert von der American Federation of the Arts.

Ausstellungskatalog

Verfasst von Gastkuratorin Laurence Madeline mit Essays von Peter Jonathan Bell und Jacques Rancière hilft dieser Ausstellungskatalog, einen bereichernden Überblick über Picassos lebenslange Beschäftigung mit der Landschaftsmalerei zu geben. Gemeinsam befassen sich die Autor:innen mit Themen wie Picassos Sicht auf die Natur, der fortschreitenden Industrialisierung, dem Verhältnis des Künstlers zur Geschichte der europäischen Landschaftsmalerei und seinem letzten Landschafsbild.

Picasso. Landschaften: Bilder

  • Pablo Picasso, Juan-les-Pins, Sommer 1920, Öl/Lw (Musée Picasso, Paris,Donation Pablo Picasso, 1979, MP68)
  • Pablo Picasso, Boisgeloup im Regen mit Regenbogen, 5.5.1932, Öl/Lw (Fundación Almine y Bernard Ruiz-Picasso para el Arte, Madrid)
  • Pablo Picasso, Das Reservoir, Horta de Ebro, Sommer 1909, Öl/Lw (Museum of Modern Art, New York, Gift of Mr. and Mrs. David Rockefeller, 81.1991)
  • Pablo Picasso, Café in Royan, 15.8.1940, Öl und Ripolin auf Leinwand (Musée Picasso, Paris, Donation Pablo Picasso, 1979, MP187)
  • Pablo Picasso, Notre-Dame, Paris, 13.4.1945, Öl/Lw (Privatsammlung, courtesy of Chalk & Vermilion, LLC)
  • Pablo Picasso, Das Dorf Vauvenargues, 29-30.4.1959, Öl/Lw (Fundación Almine y Bernard Ruiz-Picasso para el Arte, Madrid)

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.