Paul Klee (1879–1940) setzte sich ab 1912 lebenslang mit der Abstraktion auseinander. Nachdem er sein symbolistisch-satirisches Frühwerk mit Hilfe neuer Freunde und Künstlerkollegen vom Blauen Reiter hinter sich gelassen hatte, kehrte er sich von der Gegenständlichkeit immer wieder ab. Darüber hinaus reflektierte Klee auch die Farbkonzepte der Postimpressionisten und Fauvisten, allen voran Vincent van Gogh und Henri Matisse.
Schweiz / Basel: Fondation Beyeler
1.10.2017 – 21.1.2018
Angeregt durch Diskussionen mit Wassily Kandinsky und Robert Delaunay, gelangte Klee während der berühmten Tunisreise 1914 zu abstrahierten, buntfarbigen Kompositionen. Er abstrahierte das Gesehene – vornehmlich Stadtansichten und Garteneinblicke – zu geometrischen Strukturen, die plan auf der Bildfläche entwickelt werden. Hinter dem strukturierten Bildaufbau und der Ablehnung der Perspektive steht u.a. das Werk von Paul Cézanne, das Klee aufgrund seiner Reduktion sehr schätzte. Bereits zwei Jahre vor dem denkwürdigen Aufenthalt in Nordafrika hatte Paul Klee dieses Raster entwickelt, das ihn in den folgenden drei Jahrzehnten immer wieder in abgewandelter Form beschäftigte.
„Und nun noch eine ganz revolutionäre Entdeckung: Wichtiger als die Natur und ihr Studium ist die Einstellung auf den Inhalt des Malkastens. Ich muss dereinst auf dem Farbklavier der nebeneinander stehenden Aquarellnäpfe frei phantasieren können.“ (Paul Klee, 1910)
Und dennoch ist Paul Klee in der Geschichte der Abstraktion nicht als feste Größe verankert, wie Kuratorin Anna Szech richtig feststellt. Sie vermutet dahinter die Dominanz Wassily Kandinskys und Kasimir Malewitschs, die sich im Vordatieren ihrer Werke wie auch deren theoretisches Schriften ausdrückt. Vor allem die Verschriftlichung ihrer Theorien und deren dogmatische Verteidigung hätten den in den 1910er Jahren tendenziell theoriefeindlichen Paul Klee in der Rezeption das Wasser abgegraben.1 Den ersten abstrakten Werken Kandinskys begegnete Paul Klee mit Zurückhaltung. In seinem Tagebuch notierte er: „Sehr merkwürdige Bilder“2 Dennoch erkannte Klee im 13 Jahre älteren Kandinsky, den er im Oktober 1911 zum ersten Mal getroffen hatte, den kühnsten Maler des Blauen Reiter, „der an der nun kommenden Reformation mitarbeitet“ und „auch durch das Wort zu wirken sucht“.3. So ist es schlussendlich dem Eindruck von Kandinskys farbenprächtigen Bildern mit psychologischer Wirkung zu verdanken, dass Klee indes die Herausforderung Farbe in den Jahren 1912 und 1913 meisterte (→ Klee & Kandinsky).
Den wortgewaltigen Malern Kandinsky und Kasimir Malewitsch gegenüber stand Paul Klees Werk für ein Schwanken zwischen Figuration und Abstraktion. Wenn Klee in dem Aquarell „mit dem braunen Dreieck“ (1915, 39), das aus Rechtecken in abschattierten Rottönen und Dreiecken besteht, einem Dreieck vier Beine, einen Schwanz und einen Hals malt, sodass das titelgebende braune Dreieck schlussendlich ein Dromedar wird, führt der Münchner Maler die Abstraktion wieder zurück auf die geometrisierte Darstellung eines Tieres. Klee umarmt die Abstraktion, lässt aber immer wieder ein Quäntchen Erzählung und Gegenstandsreferenz durchschimmern.
Ein ähnliches Verhältnis zwischen Bildtitel und Abbildung lässt sich für viele Werke der Folgezeit feststellen: So zeigen „Wachstum der Nachtpflanzen“ (1922, 174) oder „Blühendes“ (1934, 199) Klees Raster bzw. eine Flächenzergliederung, gleichzeitig betonte er in den Titeln die Assoziation mit der Natur. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Klee während seines ganzen Schaffens nicht ausschließlich der Abstraktion verschrieb, sondern sie als eine Möglichkeit innerhalb seiner breit gefächerten Ausdrucksmöglichkeiten ansah.4 Paul Klee selbst bezeichnete seine Werke als „Synthese[n] von äußerem Sehen und innerem Schauen“, was zweifellos einen undogmatischen Zugang zur Abstraktion und ein Sowohl-als-auch beschreibt. Die Experimentierfreude Klees, sowohl in der Konzeption wie auch materiellen Beschaffenheit der Werke (Maltechniken und Materialeinsatz), erstaunt bis zum heutigen Tag. Sie wirkte sich vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA aus, wo Klees kreatives Verarbeiten unterschiedlichster Stilrichtungen die Amerikanischen Abstrakten Expressionisten auf ihren Wegen bestärkte (→ Paul Klee und die amerikanische Avantgarde).
„Ich habe diesen Krieg in mir längst gehabt. Daher geht er mich innerlich nichts an. Um mich aus meinen Trümmern herauszuarbeiten musste ich fliegen. Und ich flog. In jener zertrümmerten Welt weile ich nur noch in der Erinnerung, wie man zuweilen zurückdenkt. Somit bin ich „abstract mit Erinnerungen“ (Paul Klee, Tagebucheintrag 1915)
Wenn sich Paul Klee nicht von der allgemeinen Begeisterung für den Krieg anstecken ließ und eigentlich in der Schweiz geboren war, so musste er wegen der Staatszugehörigkeit seines Vaters ab März 1916 doch einrücken. Er wurde in Bayern stationiert, hatte keinen Frontdienst zu verrichten und konnte weiterhin, wenn auch eingeschränkt künstlerisch tätig sein. Seine Ängste verarbeitete der Maler in teils figurativen, teils ungegenständlichen Kompositionen, in denen Pfeile, Flugzeuge, Blitze immer wiederkehrende Elemente sind. Wie schon in den Aquarellen aus Hammamet und Kairouan baut er Gebäude aus Rechtecken und Dreiecken, die keinen Verkürzungen folgen und meist in gespiegelter Form ein weiteres Mal in den Bildern auftauchen („Die Kapelle“, 1917, 127). Daneben entdeckte Paul Klee das Sujet des Gartens, den er als Zufluchtsort, als Paradiesgarten („Himmelsblüten über dem Gelben Haus (Das auserwählte Haus)“, 1917, 74), als „Spiel der Kräfte einer Lechlandschaft“ (1917, 102) interpretiert.
„Je schreckensvoller diese Welt (wie gerade heute) desto abstrakter die Kunst, während eine glückliche Welt eine diesseitige Kunst hervorbringt.“5 (Paul Klee, 1915)
Nach dem Ersten Weltkrieg war Paul Klee zu einem der führenden Künstler Deutschlands avanciert und mit der Galerie Flechtheim deutschlandweit repräsentiert. Ende 1920 berief ihn Walter Gropius als Formmeister an das Staatliche Bauhaus, wo Klee Ende Januar 1921 die Lehre aufnahm. Zehn Jahr hindurch (bis 1931) arbeitete er am Bauhaus, zunächst in Weimar und ab 1925 in Dessau. Paul Klee unterrichtete Formenlehre und Komposition und leitete Ateliers für Buchbinderei, Glasmalerei und Weberei. Ihm war wichtig, dass seine pädagogische Praxis zum einen seine eigene künstlerische Weiterentwicklung nicht behinderte und zum anderen philosophisch und auf Selbsterkundung ausgerichtet war. Man kann die 20er Jahre im Werk von Paul Klee daher gut und gerne als Phase der gesteigerten Selbstreflexion bezeichnen: Bislang hatte er intuitiv gearbeitet, nun wollte oder musste Klee sein Tun in Worte fassen. Nur so ließen sich bestimmte Grundlagen vermitteln, gleichzeitig fühlte er sich vielleicht durch die neue Nähe zu Wassily Kandinsky herausgefordert, sich selbst seiner Gedanken und Methoden bewusst zu werden. Nach acht Jahren hatten Klee und sein Freund aus Schwabinger Tagen im März 1922 einander am Bauhaus in Weimer wiedergetroffen.
Klees theoretischer wie praktischer Unterricht wird beschrieben als „alles in der Schwebe“6. Es gab bei ihm kein Falsch oder Richtig, sondern ein „Spiel der Kräfte“, die „letzten Endes produktiv zusammenwirken“.7 Klee reflektierte die Beziehungen zwischen Linien, Farben, Formen und geformten Flächen im Bildraum. Viele Bilder und Aquarelle aus diesen Jahren zeigen, wie intensiv er sich dem Erforschen von Farbzusammenstellungen und -korrespondenzen widmete. Gleichzeitig war für Paul Klee – im diametralen Gegensatz zur Kunsttheorie Wassily Kandinskys – die Natur die wichtigste Inspirations- und pflanzliches Wachstum Motivquelle des Kunstschaffens. Dabei soll der Maler jedoch nicht einfach die Realität nachahmen, sondern die Erkenntnisse über die Grundstruktur in der Natur als Leitbild wählen.
„Die Zwiesprache mit der Natur bleibt für den Künstler conditio sine qua non- […] Der Künstler ist Mensch, selber Natur und ein Stück Natur im Raume der Zeit.“ (Paul Klee, Wege des Naturstudiums, 1923)
Die Liebe zur Musik führte im Werk von Paul Klee zu interessanten Versuchen über Strukturanalysen, neue Kompositionsgesetze zu entwickeln. Anhand von Auszügen Bach’scher Partituren, die er in Diagrammen analysierte, wollte Klee dem Geheimnis des Aufbaus eines Musikstücks (Fugen) auf den Grund gehen. Die „Übersetzung“ von Musik in Malerei erfolgte in Aquarellen wie „Fuge in Rot“ (1921, 69). Hier suchte er visuelle Entsprechung für die Art, wie in einer Fuge das Thema vorgetragen, wiederholt und dann überlappend variiert wird. Für dieses Miteinander der Stimmen fand Paul Klee in der Aquarellfarbe ein adäquates Medium, das er schichtweise aufbauen und so die nachwirkenden Formen mitsprechen lassen konnte.8
Die „abstraktesten“ Werke von Paul Klee sind seine sogenannten Quadratbilder und Schichtaquarelle. In den Quadratbildern setzte er sich mit Hilfe eines Linien- und Rastersystems mit der Nachbarschaft verschiedener Farbtöne auseinander. Die Schichtaquarelle unterscheiden sich nicht nur in der anderen Materialwahl und Maltechnik, sie entstehen von den Quadratbildern durch ein additives Verfahren, also durch Übereinanderlegen verschiedenfarbiger Wasserfarbenflächen, sondern auch durch ein spielerisches Vorgehen und Andeutungen von Figuren. Das von Klees Schülern als „alles in der Schwebe Halten“ beschriebene Vorgehen des Bauhausmeisters ist hierin besonders gut nachzuvollziehen. In beiden Fällen handelt es sich um eine Kunst, von subjektiven Einflüssen befreit sein soll und auf die elementaren Mittel Farbe und Fläche reduziert ist.
Hiermit befand sich Paul Klee am Bauhaus in bester Gesellschaft, lehrten und forschten doch in den frühen 1920er Jahren neben Kandinsky Johannes Itten (1888–1967), Josef Albers (1888–1976) an der Hochschule für Gestaltung in Weimar oder in privaten Kursen auch Theo van Doesburg (1921/22). Welchen großen Einfluss diese Art der Kunstproduktion auf folgende Generationen hatte, lässt sich mit dem Hinweis auf die Serie „Homage to the Square“ von Josef Albers oder sogar Hermann Nitsch (* 1938) andeuten. Der zwischen 1919 und 1923 ebenfalls am Bauhaus lehrende Johannes Itten (1888–1967) wird im Katalog leider nicht einmal erwähnt. Hier wäre weiterführende Forschung zum Verhältnis von Paul Klee zu seinen Bauhaus-Kollegen ein Desiderat.9
Bereits auf dem ersten Blick lässt sich die Eigenständigkeit Klees an dessen Festhalten an der Natur bestimmen. Neben Architektur, Musik und Zeichen ist die Bewunderung für die Natur eine Konstante in seinem Werk – genauso wie das leichtfüßige Wechseln zwischen Figuration und Abstraktion. Entgegen den Reinheitsvorstellungen von De Stijl war für Klee die Verbindung von Farben und Noten (bzw. Farben zu Harmonien) essentiell. Er zeigt sich als Anhänger der Synästhesie und war als aktiv tätiger Musiker mit Begeisterung für J.S. Bach ein kenntnisreicher und fantasievoller Komponist und Interpret gleichermaßen.
Ende der 1920er Jahre veränderten Reisen nach Italien und vor allem Ägypten (1928/29) noch einmal seine Kunstproduktion entschieden. Klees Begeisterung für frühchristlich-byzantinische Mosaiken aus Ravenna, Palermo und Monreale mag sich mit den Lehrzielen des Bauhaus besonders gut getroffen haben. Das Zusammensetzen von Bildern aus farbigen Steinen aber auch der Pointillismus und die Farbzerlegung führten in seinem Werk zu einer „pointillierenden Phase“, wie sie der Künstler selbst bezeichnete (→ Seurat, Signac, Van Gogh – Wege des Pointillismus). Er trug dabei die Farbe in Punkten und mit Abstand auf, sodass der Grund des Bildes immer mitspricht. Neben der antiken Architektur begeisterte sich Klee für die „heiligen Zeichen“, die Hieroglyphen, die er in den 1930er Jahren auf mannigfaltige Weise in seinen Zeichen-Bildern verarbeitete, einsetzte und umformulierte.
Die letzte Phase in Paul Klees Werk beginnt im Dezember 1933, als er vor dem NS-Regime in die Schweiz floh, um in der Stadt seiner Kindheit Zuflucht zu finden. Mit den Worten, „Meine Herren, es riecht in Europa bedenklich nach Leichen“, hatte er sich von der Düsseldorfer Kunstakademie, wo er seit 1931 unterrichtet hatte, verabschiedet. Als international berühmter Künstler war er in Bern aber nicht nur wohlgelitten. Trotz drohender Kriegsgefahr und schwerer Erkrankung (ab 1936, besonders aber 1936) schuf Klee in diesen sieben Jahren über 2.000 Werke, die er wie auch schon zuvor fein säuberlich beschriftete und nummerierte.
Zentrale Themen des Spätwerks sind Natur, Architektur, Musik und Schriftzeichen, nach denen die Ausstellung in der Fondation Beyeler auch geordnet ist. Vor allem die Zeichenbilder gehören zu den bekanntesten Werken des deutschen Grafikers und Malers, verband er in ihnen geheimnisvolle Symbole, Schriftzeichen mit fein abgestuft und innovativ gemalten Gründen. Mit dicken, schwarzen Linien abstrahierte er Natureindrücke (z. B. „Park bei Lu“, 1938, 129), organisierte die Zeichen plan und bildparallel auf dem subtil eingefärbten Grund, wobei sie einander nicht überlagern. Wenn auch aus dem reichen Spätwerk vor allem die Engelsdarstellungen in das allgemeine Bewusstsein eingegangen sind, so versteht der Maler doch mit den rudimentärsten, an vorgeschichtliche Höhlenmalerei erinnernde Stilisierungen und Abstraktionen phantasievolle Geschichten zu erzählen. Dafür braucht es nicht nur den feinen Humor der „Wald-Hexen“ (1938, 145).
Für Ernst Beyeler gehörte Klee zu den bedeutendsten Malern des 20. Jahrhunderts. Eine der ersten Ausstellungen in der Galerie Beyeler an der Bäumleingasse war 1952 Paul Klee gewidmet; weitere Schauen zu verschiedenen Aspekten in Klees Schaffen folgten. Im Laufe seiner Karriere als Kunsthändler hat Ernst Beyeler mit rund 570 Werken des Künstlers gehandelt. Mit 20 Werken zählt Paul Klee zusammen mit Pablo Picasso zu den Künstlern, die in der Sammlung Beyeler am häufigsten vertreten sind. Beyelers Sammlungspassion galt hauptsächlich dem Spätwerk Klees, das er „wegen der farblichen Qualität und der Ausdrucksstärke“ besonders schätzte: Zu den Schlüsselwerken zählen Gemälde wie „Aufgehender Stern“ (1931, 230) sowie „Zeichen in Gelb“ (1937, 210).
Zu den Höhepunkten der Ausstellung „Klee – Die abstrakte Dimension“ gehören die Werkgruppen der Schachbrettbilder, insbesondere „Blühender Baum“ (1925, 119, Nationalmuseum für moderne Kunst, Tokio) und „Blühendes“ (1934, 199, Kunstmuseum Winterthur) sowie die Schichtaquarelle. Ein weiteres Highlight der Ausstellung ist das so genannte Lagenbild „Feuer Abends“ (1929, 95, Museum of Modern Art, New York). Weitere prominente Werke sind die pointilistischen Gemälde „Klärung“ (1932, 66, Metropolitan Museum New York) sowie das bisher nur selten gezeigte Werk „Vor Anker“ (1932, 22).
Anna Szech (Hg.) für die Fondation Beyeler, Riehen/Basel
mit Beiträgen von Fabienne Eggelhöfer, Regina Prange, Teodor Curentzis, Jenny Holzer, Peter Zumthor
Ca. 200, ca. 161 Abb., 24,5 x 30,5 cm, Hardcover
ISBN 978-3-7757-4330-3 (Deutsch)
ISBN 978-3-7757-4331-0 (English)
Hatje Cantz Verlag
Dieser Klee-Katalog unterscheidet sich von allen älteren Publikationen durch den Abdruck dreier Texte von Künstlern: Der griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis, die US-amerikanische Künstlerin Jenny Holzer und der Schweizer Architekt Peter Zumthor schrieben in den Rubriken Musik, Zeichen und Architektur.
„Klees Bilder hängen nicht nur in schweren Rahmen. Sie klingen. Paul Klee – das ist Musik, die mit dem Pinsel auf die Leinwand der Geschichte gemalt wurde.“10 (Teodor Currentzis über Paul Klee)