Über zehn Jahre lang wurde an der Sommerresidenz von Wiens wohl berühmtestem Feldherrn Prinz Eugen von Savoyen gebaut: Im Jahr 1723 war die Anlage des Belvedere mit der Fertigstellung des Oberen Schlosses schließlich vollendet. Anlässlich des 300-jährigen Jubiläums dieses Ereignisses widmet sich das Haus seiner eigenen Geschichte. Als architektonisches Ensemble wie auch als Museum stand das Belvedere über Epochen hinweg für die Inszenierung von Macht und Repräsentanz: als Kulisse höfischer Feste, zeitweise als königliche Residenz, aber auch als Schauplatz der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags 1955. In einer umfangreichen Ausstellung setzt sich das Museum nun mit seiner wechselhaften Nutzung auseinander.
– 25
Die Schau läutet das Belvedere-Jubiläumsjahr 2023 ein. Als kritische Hommage auf die Geschichte eines Ortes der Kunst über Jahrhunderte hinweg zeichnet die Ausstellung historische Entwicklungen und institutionelle Veränderungen nach. Sie beleuchtet die Fülle und Vielfalt eines Museums sowie dessen über die Jahrhunderte gewachsene Sammlung, aber auch deren Bedeutung für die Repräsentation von Herrschaft.
Im Jahr 1777 öffnete Maria Theresia die kaiserliche Gemäldegalerie im Oberen Belvedere für die Öffentlichkeit – eine bahnbrechende Entscheidung, die ein Zeichen in Richtung eines aufgeklärten Absolutismus setzte: Die Sammlungen dienten nun nicht mehr nur höfischer Repräsentation, sondern wurden als Instrument zur Bildung des breiten Publikums eingesetzt (→ Barocke Gemäldegalerien und ihre Kataloge). Über die folgenden Epochen hinweg war das Belvedere nicht nur Ort der Kunst, sondern auch Kulisse glanzvoller Feste wie der Hochzeitsfeier von Marie Antoinette, Residenz des Thronfolgers Franz Ferdinand oder Schauplatz der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags. Dies alles spiegelt sich in seiner Bau- und Sammlungsgeschichte wider.
Ab 1697 kauft Prinz Eugen von Savoyen Grundstücke am Rennweg, um etwas später einen Garten nach dem Vorbild von Versailles gestalten zu lassen. Mit dem Bau beider Schlösser der prunkvollen Sommerresidenz beauftragt er Johann Lucas von Hildebrandt. Von 1712 bis 1717 wird das Untere Belvedere, anschließend das Obere Belvedere nach dessen Plänen verwirklicht. Für die Ausstattung der Repräsentationsräume mit Wandbildern, Skulpturen und Gemälden holt der kunstsinnige Prinz renommierte Künstler seiner Zeit nach Wien. Als Ausdruck der politischen und militärischen Macht Eugens wird das Ensemble 1723 fertiggestellt. Eine Darstellung des benachbarten Palais Schwarzenberg zeigt in der linken unteren Ecke die Baustelle des Unteren Belvedere, während eine Vogelschau aus dem Jahr 1731 die bis heute erhaltene Gesamtanlage vermittelt.
Nach Prinz Eugens Tod erwirbt die Regentin Maria Theresia das Ensemble aus Schlössern und Gärten. Mit ihrem Sohn Kaiser Joseph II. fasst sie den Entschluss, die Bestände der habsburgisch-kaiserlichen Sammlungen aus der zu eng gewordenen Stallburg in das Obere Belvedere zu transferieren. Als eines der ersten öffentlichen Museen weltweit ist die kaiserliche Gemäldegalerie ab 1777 bei freiem Eintritt zugänglich. Zum besseren Verständnis für das Publikum sind die Werke nach künstlerischen „Schulen“ geordnet, also nach Herkunft und Stilen. Unter Maria Theresias Enkel Kaiser Franz I. kauft die Galerie ab 1827 verstärkt zeitgenössische Kunst an. Die Geschichte der kaiserlichen Gemäldegalerie im Oberen Belvedere endet 1891 mit der Eröffnung des Kunsthistorischen Museums an der Ringstraße, wohin die Bestände der Galerie übersiedeln.
Nach der Eröffnung des Kunsthistorischen Museums werden die beiden Belvedere-Schlösser vorerst einer musealen Nutzung enthoben. Ab 1896 wird das Obere Belvedere zur Residenz des Thronfolgers Franz Ferdinand umgebaut.
Nicht zuletzt durch den Einfluss der Wiener Secession erfolgt 1903 die Gründung der Modernen Galerie mit der Intention, zeitgenössische österreichische Kunst im internationalen Kontext zu präsentieren. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt vom österreichischen Kaiserreich, vom Land Niederösterreich und von der Stadt Wien. Die Planungen für ein Städtisches Museum, in das die Moderne Galerie integriert werden soll, sind zu diesem Zeitpunkt noch nicht beschlossen. Als provisorischer Aufstellungsort wird daher das Untere Belvedere gewählt. Die Jugendstilikone Der Kuss (Liebespaar) von Gustav Klimt kommt 1908 als Ankauf durch das k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht in die Moderne Galerie.
Die Zusammenarbeit, vorerst auf fünf Jahre begrenzt, erweist sich allerdings als zunehmend kompliziert und endet 1908, ohne dass der geplante Museumsneubau zustande kommt. Somit verbleiben die Moderne Galerie und ihre 328 Werke im Unteren Belvedere. Friedrich Dörnhöffer wird 1909 zum ersten Direktor ernannt.
1912 wird entschieden, die Aufgabenstellung der nun rein staatlichen Modernen Galerie um die Einbeziehung der älteren österreichischen Kunst „ohne zeitliche Einschränkung“ zu erweitern. Sie wird in k. k. Österreichische Staatsgalerie umbenannt und soll ab nun einen Querschnitt österreichischen Kunstschaffens vom Mittelalter bis zur Gegenwart präsentieren.
Nach dem Zerfall der Monarchie wird die k. k. Österreichische Staatsgalerie 1921 in Österreichische Galerie umbenannt. Im Zuge der vom Kunsthistoriker Hans Tietze vorgeschlagenen Neuordnung der Wiener Museen erhält die Sammlung im Verlauf der folgenden Jahre weitere Aufstellungsorte innerhalb der Schlossanlage des Belvedere: Im Unteren Belvedere wird ein Barockmuseum eingerichtet. 1924 eröffnet im Oberen Belvedere die Galerie des 19. Jahrhunderts. In der Orangerie werden Räumlichkeiten für die Sammlung zeitgenössischer Kunst adaptiert, wieder unter dem Namen Moderne Galerie. Die größte Veränderung bedeutet jedoch die Abgabe der mittelalterlichen „gotischen“ Kunst an das Kunsthistorische Museum und nahezu der gesamten grafischen Bestände an die Albertina.
Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts soll das Barock als österreichischer Nationalstil etabliert werden und an das für die Habsburgermonarchie glücklicher verlaufende 18. Jahrhundert erinnern. Mit der k. k. Österreichischen Staatsgalerie beginnt ab 1912 auch das vermehrte Sammeln von barocker Kunst. Im Zuge der Einrichtung des Barockmuseums im Unteren Belvedere werden zahlreiche Werke von anderen staatlichen Sammlungen übernommen und um Leihgaben ergänzt. Auch nach der Eröffnung folgen regelmäßig Erwerbungen, die 1934 in einer erweiterten Neuaufstellung präsentiert werden. Das Barockmuseum im Unteren Belvedere besteht von seiner Wiedereröffnung 1953 bis 2007. Seit 2008 ist ein Teil dieses Sammlungsbereichs in der Dauerausstellung im Oberen Belvedere zu sehen.
Wenige Tage nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 wird die Moderne Galerie in der Orangerie des Unteren Belvedere geschlossen. Die Leitung des Museums übernimmt Bruno Grimschitz, der den aus dem Amt gedrängten Direktor Franz Martin Haberditzl ersetzt. Trotz kriegsbedingter Bergungs- und Luftschutzmaßnahmen bleibt der Museumsbetrieb in eingeschränkter Form bis zum Sommer 1944 aufrecht. Die Prunkräume des Oberen Belvedere werden für Repräsentationszwecke genutzt. In der intensiven Erwerbungstätigkeit zeigt sich die enge Verflechtung mit der NS-Kulturpolitik: Neben Überweisungen zeitgenössischer Kunst durch die Reichsstatthalterei erfolgen im Rahmen des NS-Kunstraubs auch Akquisitionen aus entzogenem „jüdischem“ Besitz. Nach Bombentreffern im Herbst 1944 und im Februar 1945 bieten die Schlossanlage und der Park ein Bild der Verwüstung.
1947 beginnt der Wiederaufbau des zerstörten Belvedere. Das untere Schloss ist 1951 so weit erneuert, dass erste Ausstellungen stattfinden können. Präsentationen wie Meisterwerke des Barock als Vorbote des 1953 wiedereröffneten Barockmuseums und Neuerwerbungen 1947–1951 mit Werken mittelalterlicher Kunst bis zu zeitgenössischen Arbeiten spiegeln die Schwerpunkte der zukünftigen Ankaufs- und Sammlungspolitik wider. Der reguläre Museumsbetrieb im Unteren Belvedere startet 1953. Im folgenden Jahr wird im Juli die Galerie des 19. und 20. Jahrhunderts im Oberen Belvedere eröffnet und durch eine Wechselausstellung zur Gegenwartskunst ergänzt. Mit der Unterzeichnung des Staatsvertrags am 15. Mai 1955 im Marmorsaal des Oberen Belvedere gelingt die Wiederherstellung Österreichs als freier und unabhängiger Staat.
Um sich von deutschnationalem Gedankengut und der NS-Zeit zu distanzieren, fördert die Zweite Republik nach Beendigung des Krieges ein genuin österreichisches Nationalbewusstsein. Unter Direktor Karl Garzarolli-Thurnlackh wird dementsprechend 1953 im Unteren Belvedere das Österreichische Barockmuseum wiedereröffnet und das Museum mittelalterlicher österreichischer Kunst eingerichtet. Für letzteres werden Gemälde und Skulpturen aus dem Kunsthistorischen Museum geholt und gegen nichtösterreichische Bestände des 19. und 20. Jahrhunderts getauscht. Die Werke des bis 2007 bestehenden Mittelaltermuseums sind heute als Teil der Dauerausstellung im Oberen Belvedere sowie im Schaudepot im Prunkstall neben der Orangerie im Unteren Belvedere zu sehen.
1954 wurde die Galerie des 19. und 20. Jahrhunderts im Oberen Belvedere eröffnet.
Der Sammlungsbestand internationaler Kunst der Moderne wird 1953 im Sinne einer ausschließlich österreichischen Ausrichtung an das Kunsthistorische Museum abgetreten. Dennoch feiert die Österreichische Galerie ab den späten 1950er Jahren gerade mit Großausstellungen dieser Avantgarde bislang ungekannte Publikumserfolge. In Kooperation mit der Stadt Wien und unter der Ägide Fritz Novotnys gilt es, nach dem Bruch durch den Nationalsozialismus mit Ausstellungen etwa zu Vincent van Gogh (1958), Paul Gauguin (1960) und Paul Cézanne (1961) Verständnis und Kenntnis internationaler Tendenzen zu befördern. Erst 1986 werden die genannten Bestände an die Österreichische Galerie rückübertragen. Mit Claude Monet (1996) und America (1999) nimmt man das Format der publikumswirksamen Großausstellung wieder auf.
In den 1950er Jahren errichtet die Republik Österreich im Augarten im 2. Bezirk einen Gebäudekomplex aus Atelier, Wohnhaus und Museum für Gustinus Ambrosi. Den seit seiner Kindheit gehörlosen Bildhauer charakterisiert eine politische Anpassungsfähigkeit, die ihn nahezu bruchlos – und lange Zeit unhinterfragt – gleichermaßen im Auftrag des austrofaschistischen Ständestaats, der NS-Diktatur wie auch der Zweiten Republik arbeiten lässt. 1978 wird das Museum Teil der Österreichischen Galerie. Ab den frühen 1990er Jahren nutzt diese das Atelier für Ausstellungen zeitgenössischer Kunst. Nach umfassender Renovierung eröffnet 2001 das Atelier Augarten. Zentrum für zeitgenössische Kunst mit der Ausstellung Objekte. Skulptur in Österreich nach ’45. Mit dem 21er Haus als neuer Dependance des Belvedere endet 2011 die Ausstellungstätigkeit im Augarten.
Nach über 100 Jahren knüpft das Belvedere 2011 mit der Eröffnung des 21er Haus (seit 2018: Belvedere 21) als Museum für zeitgenössische Kunst an den Gründungsauftrag der Modernen Galerie an. Das Gebäude hat eine bewegte Geschichte: Vom Architekten Karl Schwanzer als Österreichpavillon für die Weltausstellung 1958 in Brüssel entworfen, wird die modernistische Architekturikone nach Wien gebracht und für museale Zwecke adaptiert. Unter dem Namen Museum des 20. Jahrhunderts („20er Haus“) nutzt das heutige mumok von 1962 bis zu seinem Umzug ins neu errichtete MuseumsQuartier 2001 den Bau als Ausstellungshalle. 2002 kommt es zur Übergabe an das Belvedere. Heute ist es als Belvedere 21 bekannt.
Die Bedeutung des Belvedere als zentraler Ort der Kunst über die Jahrhunderte hinweg wird in der Ausstellung anhand der Sammlungsbestände erklärt: In ihnen spiegeln sich die wechselnden inhaltlichen Schwerpunktsetzungen der Institution wider. Aufschluss geben dabei auch die Zirkulation und der Transfer von Objekten, also Zu- und Abgänge von Werken aus der Sammlung aufgrund von Museumsreformen und Tauschgeschäften. Dies wird besonders im Zeitraum von 1938 bis 1945 sichtbar, als das Museum während der NS-Zeit Akteur und Profiteur der rassistischen Beraubungs- und Kulturpolitik des Nationalsozialismus war. Die Provenienzforschung zur Geschichte der ab 1933 erworbenen Werke hat seit dem Erlass des Bundesgesetzes zur Rückgabe von Kunstwerken im Jahr 1998 zu zahlreichen Restitutionen an die rechtmäßigen Erb:innen der ehemaligen Eigentümer:innen geführt – prominentestes Beispiel ist die Rückgabe von Gustav Klimts „Goldener Adele“ im Jahr 2006.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die an den Gebäuden und Gärten des Belvedere entstandenen Kriegsschäden restauriert und die Galerie mit den Sammlungen wiedereröffnet. 1955 wurde im Oberen Belvedere der österreichische Staatsvertrag unterzeichnet und vom Balkon aus der Bevölkerung präsentiert.
Die Ausstellung spannt einen Bogen von der Fertigstellung des oberen Schlosses im Jahr 1723 bis ins Heute und beleuchtet die Rolle des Belvedere als Museum in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft.
Marc Adrian | Gustinus Ambrosi | Alexander Archipenko | Fritz Behn | Tina Blau | Günter Brus | Gerard Byrne | Lovis Corinth | Josef Danhauser | Franz von Defregger | Karl Albiker | Friedrich von Amerling | Johann Gottfried Auerbach | Giuseppe Bisi | Herbert Boeckl | Wlastimil Hofman | Theodor von Hörmann → Theodor von Hörmann. Impressionist aus Österreich | Alexej von Jawlensky | Hildegard Joos | Gustav Klimt | Nathalie Koger | Edgar Degas | Friedl Dicker-Brandeis | Gerhild Diesner | Josef Dobrowsky | Rudolf Hermann Eisenmenger | VALIE EXPORT | Anton Faistauer | Vinzenz Fischer | Gerhart Frankl | Hans Fronius | Helene Funke | Oskar Kokoschka | Elke Silvia Krystufek | Oskar Laske | Maria Lassnig | Leonhard von Brixen | Axl Leskoschek | Marcin Maciejowski | Hans Makart | Gerhard Marcks | Karl Mediz | Meister der Habsburger | Carl Goebel d.J. | Vincent van Gogh | Eva Gonzalès | Johann Jakob Hartmann | Sasha Pirker | Arnulf Rainer | Auguste Rodin | Johann Michael Rottmayr | Hans Schabus | Egon Schiele | Johann Nepomuk Schödlberger | Meister der Veitslegende | Meister von Großlobming | Martin van Meytens d.J. | Jakob Gabriel Mollinarolo | Koloman Moser | Michael Neder | Oswald Oberhuber | Lisa Oppenheim | Sergius Pauser | Josef Thorak | Maja Vukoje | Rudolf Schwarzkogler | Fritz Schwarz-Waldegg | Anne Speier | Lilly Steiner | Curt Stenvert | Ferdinand Georg Waldmüller | Franz West | Wiener Bildhauer | Fritz Wotruba | Franz Anton Zauner
Kuratiert von Björn Blauensteiner, Sabine Grabner, Miroslav Halak, Kerstin Jesse, Alexander Klee, Georg Lechner, Stefan Lehner, Monika Mayer und Luisa Ziaja; Konzeptmitarbeit Kerstin Jesse
Quelle: Belvedere