Ottilie W. Roederstein: Malerin der Moderne | ARTinWORDS

Ottilie W. Roederstein

Wer war Ottilie W. Roederstein?

Ottilie Wilhelmine Roederstein (Zürich 22.4.1859–26.11.1937 Hofheim) war eine deutsch-schweizer Malerin zwischen akademischer Salonmalerei und Klassischer Moderne (→ Klassische Moderne). In Berlin in Paris ausgebildet, stellte sie ab 1883 aus, wurde für ihre Porträts am Salon ausgezeichnet und vertrat die Schweiz auf den Weltausstellungen von 1889 und 1900.

Kindheit und Ausbildung

Ottilie Wilhelmine Roederstein wurde am 22. April 1859 als zweite Tochter des in Zürich ansässigen Kaufmanns Reinhard Roederstein und seiner Frau Alwina Roederstein geboren. Die Roedersteins stammten aus dem Rheinland und waren 1857 nach Zürich übersiedelt, da Reinhard Roederstein dort die Vertretung einer Barmer Textilfirma übernahm. Roedersteins Zwillingsbruder Otto Ludwig starb kurze Zeit nach der Geburt. Sie wuchs mit ihren Schwestern Johanna (1858-1897) und Helene (*1862) in gutbürgerlichen Verhältnissen an der Vogelsangstraße 204 auf.

Durch den Schweizer Maler Eduard Pfyffer (1836–1899), der 1868/69 Porträts der Familie malte, und gemeinsame Besuche mit den Eltern in Münchener Museen fühlte sich Roederstein schon früh zur Malerei hingezogen. Jedoch widersetzte sich ihre Mutter dem Wunsch, Künstlerin zu werden, so dass Roederstein nach eigener Aussage „schwere Kämpfe“ austragen musste, bis der Vater schließlich doch einer Ausbildung zustimmte. Roederstein wurde 1876 in Pfyffers Atelier an der Promenadengasse in Zürich aufgenommen, so konnte sie unter der elterlichen Obhut bleiben. Dort lernte sie die deutsch-schweizer Lithografin Louise-Cathérine Breslau und Marie Sommerhoff (spätere Bertuch) kennen, mit denen sie zeitlebens in engem Kontakt stehen wird.

Die angehende Malerin machte schnell Fortschritte, besonders ihre Fähigkeit als Porträtistin zeigte sich bald. Die Heirat ihrer Schwester Johanna mit dem Berliner Geschäftsmann Voos gab Roederstein die Möglichkeit, 1879 nach Deutschland zu übersiedeln und dort im Haus der Schwester zu leben. Ende 1879 trat sie ins Damenatelier des zu dieser Zeit in Berlin bekannten Malers Karl Gussow (1843–1907) ein. Dort lernte sie Anni Hopf (1861–1918) kennen, die ebenfalls bei Gussow ausgebildet wurde. Gemeinsam mit Hopf schmiedete Roederstein Pläne, nach Paris zu gehen. Zu den weiteren Schülerinnen des Ateliers zählen Hildegard Lehnert, Helene von Menshausen und Suse von Nathusius sowie Sabine Lepsius und Clara von Rappard, mit denen Roederstein in freundschaftliche Verbindung trat.

Paris (1882-1887)

Da Anni Hopf im Jahr 1882 nach Paris umzog, wollte auch Ottilie W. Roederstein in der Kunstmetropole weiterstudieren. Sie erhielt die Erlaubnis ihrer Eltern, was ihr die Möglichkeit bot, sich aus der familiären Bindung zu lösen. Im Spätherbst 1882 erfüllt sich ihr Wunsch, nach Paris zu gehen. Dort vollendete sie ihre Malereiausbildung im Damenatelier der renommierten Künstler Carolus-Duran und Jean-Jacques Henner. Nachmittags arbeitete sie zudem im Atelier von Luc-Olivier Merson. Abends zeichnete sie zusammen mit einer baltischen Freundin und männlichen Kollegen nach Aktmodellen, die von ihnen vermutlich privat engagiert wurden, denn der gemischte Aktunterricht war unüblich. Roederstein berichtete rückblickend, dass sie meist unbelästigt arbeiten konnten. Es sei nur in Ausnahmefällen vorgekommen, dass die Männer sie mit faulem Obst beworfen hätten. Roederstein knüpfte viele Freundschaften und Bekanntschaften mit Kolleginnen und Kollegen. Besonders enge Beziehungen pflegte sie zu der amerikanischen Malerin Elizabeth Nourse und deren Schwester Louise, Martha Stettler und Alice Dannenberg, Louise-Cathérine Breslau und Madeleine Zillhardt.

1883 wurde eines ihrer Werke im Pariser Salon de la Société des Artistes Français gezeigt, ein Frauenporträt (Verbleib unbekannt, auch in den Jahren bis 1914 wurden Roedersteins Gemälde angenommen. Ebenfalls 1883 hatte Roederstein ihre erste Ausstellung in der Zürcher Kunsthandlung Heinrich Appenzeller, die positive Kritik in der Presse fand.

Im Jahr 1885 lernte Ottilie W. Roederstein die Amateurfotografin Jeanne Smith und deren jüngere Schwester Madeleine kennen. Am 31. Juli 1885 traf Roederstein auch ihre spätere Lebenspartnerin, die Medizinstudientin Elisabeth H. Winterhalter, die in Zürich studierte und von der Familie Roederstein unterstützt wurde.

Die begüterte Familie Smith besaß ein Stadthaus in Paris und ein Anwesen im nahe gelegenen Nogent-sur-Marne. Madeleine Smith wurde um 1887 Roedersteins erste Schülerin und stellte bald selbst erfolgreich in Paris aus. Die Familie Smith unterstützte Roedersteins Ambitionen als Malerin, sie ermöglichte ihr Reisen zu Studienzwecken und stellte ihr in späteren Jahren auch ein Atelier auf dem Boulevard du Montparnasse zur Verfügung. Bis zum Ende des Paris-Aufenthalts im Frühjahr 1887 schaffte Ottilie W. Roederstein es, ihren Lebensunterhalt mit Auftragsarbeiten und dem Verkauf ihrer Bilder zu verdienen und vom Elternhaus finanziell unabhängig zu werden.

Zürich (1887-1891)

Im Frühjahr 1887 übersiedelte Ottilie W. Roederstein zurück nach Zürich; dennoch unterhielt sie weiterhin ein Atelier in Paris. Im folgenden Jahr erhielt sie eine „mention honorable“ im Salon der Société des Artistes Français - eine Auszeichnung, die nur selten einer Künstlerin zugesprochen wurde. Aufgrund ihrer größeren Bekanntheit zog sie in ein neues Atelier in der Rue de la Grande-Chaumière 8.

1889 war Ottilie W. Roederstein in der Schweizer Sektion auf der Weltausstellung in Paris mit den Gemälden Miss
Mosher, der Akt Ismael und das Porträt ihrer Schwester Helen vertreten, 1900 erneut. Beide Male erhielt die Malerin eine Silbermedaille. Auch auf der Ersten Nationalen Kunst-Ausstellung der Schweiz im Kunstmuseum Bern (30.5.-24.8.1890) zeigte sie ihre beiden prämierten Porträts und ergänzte sie mit dem Bildnis Madame Dimitri Monnier, für das sie 1888 bereits in Paris die ehrenvolle Erwähnung erhalten hatte.

Portätistin allerersten Ranges - Frankfurt (1891-1909)

Nachdem ihr Vater am 3. Januar 1891 verstorben war, übersiedelte Ottilie W. Roederstein nach Frankfurt am Main, wo sie mit ihrer Lebensgefährtin Elisabeth Winterhalter zusammenlebte, der ersten deutschen Chirurgin und Gynäkologin (sie holte erst 1903/04 in Heidelberg das Staatsexamen und das Physikum nach). Sie engagierte sich im Vaterländischen Frauenverein (Frankfurter Ortsgruppe des Vereins Frauenbildung – Frauenstudium, gegr- Mai 1898) und plante, die Mädchenausbildung zu verbessern. Im selben Jahr lernte Roederstein Käthe Kollwitz kennen.
Im Fbruar 1891 bezog sie in Paris ein neues Atelier an der Rue Bara 5, das sie während ihrer Abwesenheit Kolleginnen wie Elizabeth Nourse überließ (später auch Ida Gerhardi sowie der etwas jüngeren Martha Haffter). Die Frankfurter Malerin wurde am 17. Juli 1891 als „membre associé“ in die Société nationale des beaux-arts aufgenommen. Als sie an der internationalen Jahresausstellung im Münchner Glaspalast teilnahm, entdeckte sie die Kunst von Hans von Marées und Hans Thoma. Als sie im November 1891 mit einer Ausstellung im Frankfurter Kunstverein zum ersten Mal Gelegenheit hat, sich dem Frankfurter Publikum vorzustellen, konnte sie sich mit einer Reihe prämierter Porträts als Porträtistin erster Wahl empfehlen.

1892 begleitete Ottilie W. Roederstein Jeanne und Madeleine Smith sowie deren Mutter auf eine Reise nach London. Sie studierte dort in der National Gallery die Werke Hans Holbeins d. J. und Diego Velázquez’. Zudem kam sie mit der Kronberger Malerkolonie - Anton Burger und Norbert Schrödl - in Kontakt. Wichtige Impulse erhielt sie ab dem folgenden Jahr von Hans Thoma und Karl von Pidoll, da sie ein Atelier im Städelschen Kunstinstitut gemietet hatte. Die Malerin arbeitete vermehrt mit Eitempera-Farben in einer deutlich an der deutschen und italienischen Renaissance geschulten Manier. Ihre „Madonna unter Blumen“ hing im Woman’s Building in der Deutschland-Sektion in der World’s Columbian Exposition (auch The Chicago World’s Fair, 1.5.-30.10.1893) neben Werken von Dora Hitz, Susanne von Nathusius und Sabine Lepsius. Als freie Malerin gab Roederstein auch Unterricht: Zu ihren Schülerinnen gehörten Mathilde und Ugi Battenberg, Julia Virginia Laengsdorff, Marie Mössinger und Pauline Kowarzik, Erna Pinner, Frieda Blanca von Joeden, Eugenie Bandell und Hanna Bekker vom Rath. Gwen John, britische Malerin und eine der vielen Geliebten von Auguste Rodin, stand der Malerin 1908 Modell.

Inspirierende Reisen führten die Malerin 1895 nach Florenz, wo sie gemeinsam mit Karl Pidoll den Bildhauer Adolf von Hildebrand kennenlernte und Werke der Renaissance studierte, und 1901 nach Spanien, sie sich beeindruckt von Werken El Grecos und Velazquez' zeigte. In der Folge präsentierte sie die Malerin in Frankfurt als Porträtistin, die auch die Termpera-Technik und den Akt - siehe „Pietà“ - beherrschte. Während des Sommers Sommermonaten des Jahres 1902 machte Roederstein und Winterhalter eine Reise durch Belgien. Ziel war auch die „Exposition des Primitifs flamands et l’art ancien“ (15. 6.–18. 9.) in Brüssel , die auf die Künstlerin einen großen Eindruck macht. Sie interessiert sich besonders für die Werke von Hubert und Jan van Eyck, Hans Memling, Antonello da Messina und Quentin Massys.
Weitere Einflüsse gingen von den Stillleben Henri Fantin-Latours aus, die sie auf einer Pariser Retrospektive 1906 entdeckte. Dass sie 1907 den Schweizer Maler Cuno Amiet besuchte und auch eines seiner Werke für ihre Privatsammlung erwarb, erstaunt angesichts der akademischen Malerei Roedersteins. Dadurch konnte sie allerdings die Ausstellung „Französische Impressionisten“ im Künstlerhaus Zürich (eröffnet 1.10.1908) großzügig unterstützen.

Hofheim am Taunus (1909-1937)

1909 zog Ottilie W. Roederstein gemeinsam mit Winterhalter in ein eigenes Haus nach Hofheim am Taunus. In dem nach eigenen Vorstellungen errichteten Atelier arbeitete die Malerin nach einem strengen Zeitplan. Im Sommer 1912 beteiligte sich Ottilie Roederstein an der Sonderbund-Ausstellung in Köln. Damit war sie neben ihren Kollegen Cuno Amiet, Giovanni Giacometti und Ferdinand Hodler die einzige Schweizer Künstlerin in der bedeutenden Schau.

1913 wurde der Frauenkunstverband unter dsem Vorsitz von Käthe Kollwitz in Frankfurt als Berufsvertretung der bildenden Künstlerinnen gegründet, Roederstein war im Hauptvorstand. Ihre Rolle ist allerdings nur schwierig zu beurteilen, wollte Roederstein doch unpolitisch auftreten und durch die Qualität ihrer Werke auch bei den Kollegen reüssieren. Im November 1913 reiste die Künstlerin gemeinsam mit Winterhalter und Jeanne Smith nach Tunesien und Algerien ab.

Der Erste Weltkrieg unterbracht Roedersteins Arbeitsroutine, woraufhin sie sich in ihr Atelier in Hofheim zurückzog. Noch während des Kriegs entschied sie sich, ihre Sammlung französischer und Schweizer Malerei des Post-Impressionismus dem Kunsthaus Zürich zu überantworten, was im Januar 1920 geschah. Die französischen Besatzer nahmen ihr Atelier in Beschlag (Rückgabe erst 1929), woraufhin die Künstlerin in ihrem Haus arbeiten musste. Über ihre ehemalige Schülerin, die Kunstmäzenin und Malerin Hanna Bekker vom Rath, knüpfte Roederstein Kontakte zu namhaften Künstlerinnen und Künstlern wie Ida Kerkovius, Alexej von Jawlensky, Ludwig Meidner, die Bildhauerin Emy Roeder, Karl Schmidt-Rottluff und Ernst Wilhelm Nay.

Ottilie W. Roederstein war Mitglied im Frankfurt-Cronberg-Künstler-Bund. Gemeinsam mit Paul Klimsch und Rudolf Gudden stellte sie mehrmals im Gebäude des Frankfurter Künstlervereins aus. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre feierte die Frankfurter Malerin große Erfolge mit ihren jüngsten Werken: Anlässlich ihres 70. Geburtstages wurde sie 1929 mit der Ehrenbürgerwürde der Stadt Hofheim ausgezeichnet, erhielt eine Einzelausstellung im Frankfurter Kunstverein und eine Ehrenmedaille. Der Frankfurter Künstlerbund und die Ortsgruppe Frankfurt des Bundes deutscher Künstlerinnen und Kunstfreundinnen wählten Ottilie W. Roederstein zum Ehrenmitglied.

Tod

Die Künstlerin starb am 26. November 1937 an einem Herzleiden in Hofheim am Taunus.

Anlässlich des ersten Todestags organisierte der Frankfurter Kunstverein auf Initiative von Elisabeth H. Winterhalter und Gabriele von Wartensleben eine umfassende Roederstein-Retrospektive im Frankfurter Kunstverein (3.-24.4.1938). In leicht verkleinerter Form wanderte die Ausstellung danach nach Zürich und Bern weiter.

Beiträge zu Ottilie W. Roederstein

Ottilie W. Roederstein, Selbstbildnis mit weißem Hut, Detail, 1904, Öl/Lw, 55,3 × 46,1 cm (Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum)

Frankfurt | Städel Museum: Ottilie W. Roederstein


Ottilie W. Roederstein widmete ihr ganzes Leben der Kunst. Als freischaffende Porträtmalerin gehörte sie zu den erfolgreichsten Künstlerinnen ihrer Zeit. Durch ihr Schaffen erreichte sie finanzielle Unabhängigkeit und eroberte sich gesellschaftliche Freiräume, die den meisten ihrer Zeitgenossinnen verwehrt waren. Ihre Gemälde wurden in Ausstellungen in Deutschland, Frankreich, England, den USA sowie der Schweiz gezeigt und erlangten internationale Beachtung.
Ottilie W. Roederstein, Selbstbildnis, Detail, 1917, Öl auf Leinwand, 48 x 39 cm (Kunsthaus Zürich, Vereinigung Zürcher Kunstfreunde, 1917)