Pablo Picasso, der Spanier in Paris, der unbeugsame und unkorrumpierbare Künstler, der von den Nationalsozialisten als „entartet“ eingestuft worden war, erreichte nach 1944 weltweit Kultstatus, was nicht nur mit seiner künstlerischen Arbeit zu tun hatte, sondern auch seinem (wenig bekannten) politischen Engagement: Dazu zählt auch, dass Picasso die Friedenstaube erfand!
Österreich | Wien: Albertina
22.9.2010 – 16.1.2011
„Ich bin nicht auf der Suche nach etwas. Es geht mir nur darum, so viel Menschlichkeit wie möglich in meinen Bildern unterzubringen.“ (Pablo Picasso, 1947 in „Arts de France“ Nr. 6)
Im Oktober 1944 trat Pablo Picasso (1881-1973) der kommunistischen Partei Frankreichs (der PCF) bei und blieb deren Mitglied bis zu seinem Tod. Er „erfand“ 1949 die Friedenstaube, stiftete Geld, trat öffentlich für den Frieden und gegen Krieg ein. Picassos Engagement reichte von der Unterstützung streikender Bergleute in Nordafrika, finanzielle und politische Hilfen für spanische Republikaner im mexikanischen und lateinamerikanischen Exil bis zum Widerstand gegen die Apartheit in Südafrika.1 Freiheit und Gleichheit, die Ablehnung von Gewalt und Terror zählen zu den wichtigsten Botschaften, die Picasso in seinem späten Werk der Welt mitteilen wollte. Stillleben mit Totenschädeln oder symbolhaft verstandenen Tieren, aber auch seine späten Frauen- und Musketierdarstellungen lassen sich als Kommentar des Malers zum Zeitgeschehen lesen. Einher ging eine Beschäftigung mit tagespolitischen Themen, die er in „Historienbildern“ umsetzte. Die Ausstellung in der Albertina versucht, den politisch denkenden und handelnden Künstler hervorzustreichen, auch um dadurch dem „Frauenhelden“-Image Picassos etwas entgegenzusetzen.
Die Politisierung Picassos wird in der Forschung bereits in der Jugend des Künstlers verortet. 1898 befand sich Spanien im Krieg gegen die USA. Spanien verlor dabei seine letzten bedeutenden Kolonien, die Vereinigten Staaten besetzten Kuba, Puerto Rico und die Philippinen. Der damals Siebzehnjährige erlebte die nach Barcelona zurückkehrenden Soldaten und wurde Pazifist. Zeit seines Lebens sollte sich Picasso für den Frieden stark machen, weshalb er auch 1937 für den spanischen Pavillon auf der Weltausstellung in Paris eines seiner berühmtesten Antikriegsgemälde schuf: Guernica (→ Picasso: Guernica). In vielen der Werke Picassos der Folgezeit spiegeln sich die Schrecken des Kriegs und die Entbehrungen der Besatzungszeit wider. Auch wenn seine Kunst von den Nationalsozialisten als „entartet“ eingestuft worden war, so wurde der Künstler von Repressalien doch weitgehend verschont.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem mit der zunehmenden Bedrohung durch den Kalten Krieg, der Angst vor dem Einsatz von Atomwaffen, den Stellvertreterkriegen in Asien sowie der Kuba-Krise (1962) widmete sich Picasso in vielen seiner Bilder symbolhaft den Bedrohungen der Menschheit. Gemälde wie „Das Beinhaus“ stehen sinnbildlich für genau benennbare politische Ereignisse. Die Wahl der Grisaille-Malerei soll an Dokumentationsfotos aus den Massenmedien erinnern, stilistisch schließt es an „Guernica“ an. Das Bild wurde zwischen Februar und Mai 1945 vollendet und beruht auf einem kurzen Dokumentarfilm über eine Familie spanischer Republikaner. Sie wurde in ihrer Küche ermordet. Für Picasso stand sie als Symbol für das gesamte spanische Volk, das unter der Diktatur Francos litt.
Auch in den Stillleben herrschen Motive der Vergänglichkeit vor. Damit reihte sich Picasso in die lange Tradition jener (vor allem barocken) Künstler ein, die den Betrachter ihrer Bilder an die eigene Endlichkeit erinnern wollen. Totenköpfe und verlöschende Kerzen finden sich genauso wie Schädel von Ziegenböcken, die auch als Symbole von Natur und Sexualität interpretierbar sind, Hähne, zum Kampf bereite Hummer und fauchende Katzen.
„Picasso liebt Tauben und hat immer welche im Haus. Lachend sagte er, Tauben seien habgierige und streitsüchtige Vögel; er verstünde nicht, wieso sie Friedenssymbol hatten werden können. Dann ging Picasso auf seine Kunsttauben über und zeigte uns an die hundert Entwürfe für sein Plakat; er wusste, dass seinem Vogel der Weltflug bevorstand. [...] Abermillionen von Menschen kennen und lieben Picasso erst seit seiner Taube. [...] [Indessen] sind die Tauben fester Bestandteil seines gesamten Schaffens.“2 (Ilja Ehrenburg)
Die Friedenstaube zählt zweifellos zu den bekanntesten Symbolen der Welt. Dass sie von Pablo Picasso erfunden worden ist, ist allerdings nur wenigen bekannt. Schon während seiner Kindheit hatte Picasso eine intensive emotionale Beziehung zu Tauben aufgebaut: Sein Vater malte die im Haus gehaltenen Vögel. Auch eines seiner frühesten Gemälde, „Kind mit Taube“ (1901) zeugt von seiner Identifikation mit den Tieren, die er als schwach und verletztlich empfand. Dass die Taube von Picassos Symbol für Schutzbedürfitgkeit und Suche nach Sicherheit zu einem allgemeinen Sinnbild für das Leid von Kindern und Frauen wurde, hatte mit der Organisation des ersten Weltfriedenskongresses 1949, einem Geschenk von Henri Matisses und Louis Aragon zu tun.
Françoise Gilot überlieferte, dass Henri Matisse Pablo Picasso vier große Mailänder Lockentauben schenkte, da der Spanier bereits solche Vögel gemalt hatte. Auf einigen von Cartier-Bressons Aufnahmen ist Matisse mit seinen weißen Tauben zu sehen, die er mit Begeisterung züchtete. Picasso hielt die weißen Vögel in Vallauris und nahm einen davon als Vorlage für eine Lithografie.3 Als Louis Aragon 1949 seinen Freund besuchte, um ein Bild für das Plakat zum ersten Weltfriedenskongress in Paris auszuwählen, fasste er die Entscheidung, eine Lithografie mit der realistischen Darstellung einer weißen Taube vor schwarzem Grund - „Die Taube“ (1949, Lithografie, 54,7 x 69,7 cm) - mitnehmen zu wollen. Da die Friedenstaube anfangs im Kontext der linken Friedensbewegung auftauchte, wurde sie während des Kalten Kriegs von westlich (amerikanischer) Seite mit der Sowjetunion, der kommuistischen Opposition und ihren publizistischen Organen - wie zum Beispiel „L'Humanité“, die Zeitung der PCF (Kommunistische Partei Frankreichs) - verbunden und als Symbol für den Sozialistischen Realismus abgelehnt. Doch Picasso lieferte für jeden der folgenden Weltfriedenskongresse in Paris, Berlin, Stockholm, Wien, Rom und Moskau eine neue Interpretation der Friedenstaube. Die berühmteste wurde „Die fliegende Taube“ (Lithografie, 56,4 x 76,5 cm) vom 9. Juli 1950, die für den Londoner und Sheffielder Friedenskongress benutzt wurde. Die Verbindung von Taube und Olivenzweig wurde ein Jahr später zum Friedenssymbol, als Paul Éluard sein Gedicht „Le Visage de la Paix“ (1951) mit 29 Zeichnungen von Pablo Picasso publizierte. Eine Illustration zeigt ein Gesicht, das von einer Friedenstaube und einem Olivenzweig gerahmt wird.
Krieg, Terror und Bedrohung vor allem von unschuldigen Frauen und hilflosen Kindern durch Soldatenhand ist das Thema in „Der Raub der Sabinerinnen“. Bildkomposition und Figuren entlehnte Picasso Nicolas Poussins „Raub der Sabinerinnen“ (1637/38, Musée du Louvre) und Jacques-Louis Davids „Die Sabinerinnen“ (1799, Musée du Louvre). In der antiken Geschichte um die List von Romulus, mit der Sabinerinnen in die Ehe mit Römern gedrängt wurde, fand Picasso einen geeigneten Ausdruck für Kampf und Brutalität. Überdimensional große Soldaten mit riesigen Messern bedrohen die teils schon am Boden liegenden Müttermit ihren Kindern. Hier dürfte Picasso auch das Thema das Bethlehemitischen Kindermords als Anregung verarbeitet und zu einem Symbol menschlichen Leids und unmenschlicher Grausamkeit umgedeutet haben. So wie in diesem Bild das Schicksal der Frauen bzw. Mütter und der Soldaten in einer dramatischen Erzählung auf tragische Weise miteinander verknüpft sind, so stehen im Spätwerk Darstellungen von Frauen und Musketieren einander gegenüber.
Auf geradezu obsessive Weise widmete sich Picasso dem Thema Weiblichkeit, offenbar strotzend von Vitalität und Arbeitswut. Rasch hingeschleudert, scheinen sie seinem Anspruch an Schönheit der Kunst zu widersprechen. Picasso verzichtete zunehmend darauf, subtil zu sein, brach in der offensichtlichen Erotik manche Tabus und fordert das Publikum zu einer Reaktion heraus. Vor allem im Vergleich mit den Werken der 1940er Jahre – wie der von ihm „erfundenen“ Friedenstaube – oder auch Grafiken, in denen er mit scheinbar nur einem Strich eine ganze Figur definierte, wirken die späten Arbeiten grobschlächtig. Picassos „Parteifreunde“ zeigten sich wenig erfreut über die beständige Weigerung des Künstlers sich dem Sozialistischen Realismus zu verschreiben.
1953 kam es aufgrund einer zu „jugendlich“ geratenen Porträtzeichnung Stalins, die anlässlich dessen Todes in der Literaturzeitschrift der PCF veröffentlicht wurde (Picasso war damals der berühmteste kommunistische Künstler der Welt!), zum Eklat. Die Unzufriedenheit der Partei wandte sich jedoch nicht nur gegen die Darstellungsart des Verstorbenen, sondern auch gegen Picassos Formensprache. Dennoch ließ er sich nicht auf „Parteilinie“ bringen, Picasso verkörpert bis heute wie kein anderer die Eigenständigkeit des modernen Künstlers. Seinem Ruhm standen Schmähungen von der politischen Linken wie auch der Rechten gegenüber, er jedoch wählte die Freiheit und kämpfte für den Frieden, was die Ausstellung in der Albertina eindrucksvoll belegt.
„Es geschah, dass man sein Werk niederschrie, es rücksichtslos mit Füssen trat, besonders und gerade von Seiten der Genossen und Freunde, während die Taube des Heiligen Geistes ihm den Internationalen Friedenspreis eintrug. […] Nie wurde er so geliebt und nie wurde er so verkannt geliebt. Man beweihräucherte die Friedenstaube. Aber zugleich hielt man ihm die Friedenstaube vor. Warum malt er nicht alles so wie die Friedenstaube?“4 (Hélène Parmelin über Picasso, 1962)