Berühmt wurde Vincent van Gogh (1853–1890) vor allem für seine farbintensiven Darstellungen des Midi, die im starken Gegensatz zu den tonigen Bildern seiner holländischen Heimat stehen, in denen er die Schicksale der Bauern und der Weber mittels kantiger Formen und düsterer Farben schilderte. Die Schau im Complesso Vittoriano in Rom demonstriert eindrucksvoll wie Van Goghs Bilder im Vergleich zu Werken seiner holländischen Zeitgenossen der Haager Schule wie Théophile de Bock (1851–1904), Anton Mauve (1838–1888) oder Georg Hendrik Breitner (1857–1923) realistischer – im Sinne des Tragischen – wirken, und wie sein tiefer Glaube die Ikonographie der Bilder bestimmt. Als der werdende Künstler sich im Jahr 1886 entschloss, nach Paris zu gehen, war er von der Wirkung der impressionistischen und neoimpressionistischen Gemälde schockiert (z.B. Pissarro und Guillaumin, Signac und Seurat → Seurat, Signac, Van Gogh – Wege des Pointillismus), wandte sich jedoch sehr schnell dieser neuen Auffassung von Malerei zu. Gleichzeitig veränderte sich auch seine Beziehung zur bäuerlichen Landschaft wie auch zur mondänen Stadt.
Italien | Rom: Complesso del Vittoriano
8.10.2010 – 6.2.2011
„Wie gut tut es mir – so sehr ich die Bauern und das Landleben liebe – wieder eine Stadt zu beobachten. Wie das Zusammenbringen der Extreme mir neue Ideen bringt – Extreme, das Land als Unversehrtes und die lärmende Geschäftigkeit hier. Ich brauchte es wirklich.“
Diese Zeilen schrieb Vincent van Gogh seinem Bruder am 2. Jänner 1886 aus Antwerpen. So sehr das Werk von Van Gogh durch das Landleben geprägt scheint (er bezeichnete sich selbst als Maler des ländlichen Lebens), so wichtig war dem Künstler die Stadt als Quelle der Vorbilder und der Inspiration. Hier studierte er die Werke von Alten und Jungen Meistern, hier suchte er den Austausch mit Künstlern, hier wollte er Respekt für seine Malerei erringen, denn schlussendlich wohnten seine möglichen Sammler in der Stadt. Auch wenn sich Van Gogh immer wieder mit Aspekten der Industrialisierung, des modernen Lebens der Städter und der städtebaulichen Entwicklung beschäftigte, so suchte er Erfolg auch mit Garten- und Parkbildern zu erlangen. 1888 sandte Vincent van Goghs Bruder Theo für den Künstler drei Leinwände zum Salon, auf denen die Gärten von Montmartre mit der Windmühle abgebildet sind. Gleichzeitig arbeitete der Künstler in Arles bereits an Kompositionen, in denen neben Kirchtürmen bereits Industrieschlote in den Himmel ragen und in denen Parks die gezügelte Natur in der Stadt thematisieren. Der säende und mähende Bauer steht aber auch in den späten Bildern für den Lebenszyklus, symbolisiert auch die Persönlichkeit des Künstlers selbst und trägt zudem den Traditionsreichtum des bäuerlichen Lebens in sich. Jean-François Millets (1814–1875) Interpretationen, oder besser Heroisierungen des arbeitenden Menschen waren dabei stete Bezugs- wie Ausgangspunkte von Van Goghs Schaffen. Über Millet hinausgehend, zeigen sich in den farbenfrohen und kontrastreichen Bildern Van Goghs immer wieder Spuren des modernen Lebens, eben jene besagten Fabrikschlote, die Parkanlagen (→ Vincent van Gogh : Paul Gauguin in Arles).
Die Schau zeigt das Werk von Vincent van Gogh, dem Maler des ländlichen Lebens, zwischen Stadt und Land, zwischen Tradition und Moderne, zwischen christlichem Gedankengut und neuzeitlicher Verstädterung. Die Menschenschlange vor dem Einlass bestätigt dabei die Aktualität des Themas und die posthume Wertschätzung des Künstlers.