Claude Monets (1840–1926) experimentelle Landschaftsmalerei der1880er Jahre könnte die Ausstellung in der Fondation Beyeler mit Fug und Recht genannt werden. Zum 20. Bestehen beschenkt das berühmte Schweizer Museum sich mit einem „Fest der Farben“ des französischen Publikumslieblings. Damit konzentrierte sich Ulf Küster auf die Phase, als sich der Künstler von seinen impressionistischen Mitstreitern lossagte und bis etwa 1905.
Schweiz / Riehen b. Basel: Fondation Beyeler
22.1. - 28.5.2017
Unabhängig, auf vielen Reisen durch Frankreich ging Monet in diesen Jahren über eine atmosphärische, spontane Empfindung der Landschaft hinaus. Mit den ab den frühen 1880er Jahre entstandenen Gemälden, darunter die Serien der Kathedrale von Rouen, der Pappeln, der Themse und den ab 1890 entstandenen Seerosen-Gemälden führte er Zeitlichkeit und Prozessualität in die Malerei ein. Beides fordert einen sich vor dem Gemälde bewegenden Betrachter. Wenn Claude Monet auch nie den Bildgegenstand völlig aus seinen Gemälden verbannte, so legte der Pionier aus Giverny einige Grundlagen für die Erfindung der abstrakten Malerei zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Fondation Beyeler stellt mit ihrer Auswahl von 62 Gemälden einen überaus ruhigen, fast meditativen Claude Monet vor.
„Die Kathedrale von Rouen“ (1894, neu gerahmt für die Ausstellung) und „La Meule au soleil [Heuschober]“ (1891, Kunsthaus Zürich) eröffnen die Ausstellung in der Fondation Beyeler mit der exzeptionellen Betonung des Gegenlichts. Wenn auch Claude Monet in der Literatur gelegentlich als Vorvater des Symbolismus gedeutet wird, wie es am Leuchten des Bildes im Portal zu nachzuvollziehen ist, geht es ihm in seinem reifen und späten Werk um die Darstellung der Malerei an sich. Die Bilder sind so gemalt, dass sie wie selbst leuchtend erscheinen. Die Motive lösen sich im Gegenlicht auf. Monets Sensibilität für Farben ist an jedem Gemälde deutlich! Schwarz hatte der Maler völlig aus seiner Palette verbannt, jedes Objekt ist aus Myriaden von Farbtönen komponiert, der Pinselstrich einerseits höchst individuell, andererseits differenziert eingesetzt. Gegenüber der „Kathedrale“ aus dem Museumsbesitz zeigt die Fondation Beyeler „La Meule [Heuhaufen]“. Das ist jenes Bild, das Wassily Kandinsky in Moskau nicht als Darstellung eines riesigen Strohhaufens erkannt hatte und das den russischen Juristen überzeugte, Maler werden zu wollen. Es ging Monet nicht mehr darum, Landschaften einzufangen, stattdessen dachte er über die Darstellung von Malerei nach.
„Ich verfolge einen Traum – ich will das Unmögliche … Ich will diese Luft, in der sich die Brücke und das Haus und das Boot befinden, malen – diese Schönheit von Licht, in welchem sie sind…“ (Claude Monet im Gespräch mit Hermann Bang, 1895)
Die neue Perspektive Monets wurde in den späten 1870er Jahre durch eine Serie von Krisen begleitet. Im Jahr 1879 starb Monets erste Ehefrau Camille, und er malte sie auf ihrem Sterbebett in einer Wolke von Lila, Flieder und Grau. In dieser Zeit lebte der völlig mittellose Monet bereits im Haushalt der Hoschedé, einem ehemaligen Sammler und dessen Ehefrau Alice. Wann genau die Beziehung zwischen dem Maler und Alice begann, lässt sich nur noch vermuten. Im Jahr 1880 produzierte der Künstler so wenig, dass er nichts für die Fünfte Impressionisten-Ausstellung 1880 beisteuern konnte. Seine Freunde (v.a. Gustave Caillebotte) borgten daraufhin Gemälde von Sammlern und Unterstützern und organisierten Monets erste Mini-Retrospektive innerhalb der Schau. Die im folgenden Jahr entstandenen Bilder von der Seine im strengen Winter, vom Eisstoß und der roten Sonnenscheibe darüber wird als Selbstporträt des Malers verstanden. Auch wenn Claude Monet gestand, er wäre „verrückt nach dem Meer“, so war es doch die Seine, die immer wieder Anlass für seine Gemälde bot. Wie bereits Charles-François Daubigny (→ Claude Monet und Daubigny) nutzte Monet Boote, um vom Fluss aus die Uferzonen in Augenschein zu nehmen. Monet ist dafür bekannt, immer wieder zu seinen Themen zurückzukehren. Das Selbstzitat, das hier anklingt, ist „Impression soleil, levant“ (1872), in dem die Sonne eine ebenso zentrale Rolle einnimmt. Zunehmend war das Selbstporträt des Künstlers durch den Pinselstrich im Bild anwesend, gleichzeitig lässt es sich auch als Hommage an Claude Lorrain lesen. Die Zeitgenossen empfanden beide Referenzen als schockierend.
„Die Seine! Mein ganzes Leben habe ich sie gemalt, zu jeder Stunde, zu jeder Jahreszeit […]. Ich wurde ihrer nie müde: Sie ist für mich immer neu.“ (Claude Monet, 1924)
Die größten finanziellen Schwierigkeiten lösten sich in den frühen 1880er Jahren mit Hilfe von Monets Galeristen auf. Dazu kam die zunehmende familiäre Stabilität, die der Maler in der Patchworkfamilie mit Alice erlebte. Grund für seine wirtschaftliche Misere war Monets Zerwürfnis mit seinem Vater, der kaisertreu war und Napoleon III. unterstützte. Claude Monet entschied sich für die republikanische Seite und verließ das Land während des Deutsch-französischen Kriegs in Richtung London. Daher erhielt der angehende Maler keine finanzielle Unterstützung von seiner Familie. Im Jahr 1880 gab es erste größere Verkäufe, die Monet erste Reisen in den Süden Frankreich erlaubten. Im südlichen Licht veränderte er seine Farbharmonien, die Strukturen seiner Bilder folgten.
Die folgende Sektion ist der Darstellung von Bäumen gewidmet, was die Bedeutung der Pflanzen für die Bildwelten des französischen Malers wie als Hommage an Ernst Beyeler herausstreicht. Bäume strukturieren für Monet Bilder – als Objekte und durch ihre Schatten. Das erste Gemälde Monets, datiert ins Jahr 1858 (WVZ Nr. 1), war Pappeln gewidmet. Und schon vor der Serie „Les Peuliers [Die Pappeln]“ des Jahres 1891 war sich Monet der Funktion von Baumstämme für seine Kompositionen sicher. Bilder aus Giverny („Les Saules, Giverny“ (1886); „Inondation à Giverny [Überschwemmung in Giverny]“ (1896) zeigen Kopfweiden in Reih und Glied stehen, teils gespiegelt, teils in blau-lila Schatten aufgehend, ihr Laubwerk als flirrende Erscheinung. In den 1890er Jahren werden die Baumstämme ganz fragil und nehmen so die Schwerelosigkeit so mancher Farbkomposition auf. Stattdessen prägen markante Schattenzonen Wiesenflächen und organisieren den Bildaufbau, wie in „Prairie à Giverny, effet d’automne“ (1886) und „Paysage de printemps“ (1894) zu sehen ist. In der Pappel-Serie geht es um unendliche, grenzenlose Malerei, die sich in alle Richtungen fortsetzen lässt, da sich die Bäume im Wasser Epte spiegeln. Der Maler schrieb an deren Besitzer, er solle sie nicht so schnell fällen, da er sie noch malen wollte. Das Malen vor dem Motiv hat auch für den post-impressionistischen Monet nie an Bedeutung verloren. Mit Hilfe von Reflexionen (Spiegelung, Verdoppelung des Motivs im Bild) hat Monet über die Malerei und das Gemälde per se nachgedacht.
„Ich befinde mich in einer zauberhaften Gegend [am Mittelmeer, Anm. AM]. Ich weiß gar nicht, wohin meinen Kopf werden, alles ist großartig, und ich möchte am liebsten alles machen. Es ist schrecklich schwierig, es bedürfte einer Palette mit Diamanten und Juwelen. Was Blau und Rosa angeht, ja das gibt es hier.“ (Claude Monet, 1884)
Im Jahr 1884 reiste Claude Monet erstmals nach Südfrankreich, um dort, fasziniert vom südlichen Licht und den rötlich-grünen Farben der Landschaft, zu malen. Ursprünglich plante er nur drei Wochen in Bordighiera an der ligurischen Riviera verbringen. Schlussendlich blieb der Maler drei Monate. Es folgten jährliche Reisen und 1888 ein Aufenthalt in. Auffallend an den Gemälden ist die Farbigkeit, die den Sinneseindrücken des Künstlers folgt. Zudem beschäftigte sich Monet offensichtlich mit der Lösung von Perspektivproblemen, sind in diesen Gemälden die Vordergrundmotive eigentümlich stark von den verschwommenen, hellen Hintergrundfolien abgesetzt. Wenig verbindet die Bildschichten miteinander, stattdessen scheint sich die feuchte Luft wie ein Nebelschleier über die Küsten zu legen.
„Pointes de rochers à Port-Domois“ (1886, Cincinnati Art Museum) zeigt die felsige Küste von Belle-Île vor Abendhimmel. Während eines Aufenthalts auf der Insel zog sich Monet nicht nur einen Sonnenstich zu, sondern hielt das Meer und die steil ins Wasser abfallende Küste in Bildern fest. Erstaunlich mit welcher Malkultur Monet das Wasser in seinen unterschiedlichsten Qualitäten auf die Leinwände zu bannen verstand! Als Impressionist wäre der Objektivität verpflichtet gewesen. Ulf Küster führt Jules Michelets Buch „La mer“ (Historiograf) an, das der Maler nachweislich in seiner Bibliothek besaß. Dort wird der Blick von der Klippe auf die Normandie als „Pulsschlag des Meeres“ beschrieben. Monet scheint davon stark beeinflusst gewesen zu sein. Mit trockenem Pinselstrich wird das Wasser angedeutet, in anderen Bildern ist es ein pastoser Auftrag, der die Gischt und das sie tragende Licht imitiert. Der Effekt ist nach Monet immer besser als die Nachahmung, der Strich energisch bis unsichtbar verrieben. Immer wieder widmete er sich der gleichen Klippe bei Pourvile in unterschiedlichen Lichtsituation, mal im Morgenlicht und einmal mit unsichtbarer Wolke, die eine dunkle Wolke auf die Oberfläche wirft („Marée basse devant Pourville“, 1882; „Ombres sur la mer à Pourville“, 1882). Die Idee der Serie ist in diesem Konzept bereits im Nucleus angelegt, zu Ende gedacht hat Monet sie in den frühen 1890er Jahren mit der „Kathedrale von Rouen“.
„Vagues à la Manneporte“ (um 1885) gehörte einst John Singer Sargent, einem Freund von Claude Monet. In einem Brief an Alice berichtete Monet, dass er während des Malens von der Flut und einer Welle überrascht worden und gegen die Felswand gedrückt worden wäre. Das Gemälde wurde fortgespült, der Künstler kam mit dem Schrecken davon. Diese Anekdote zeigt gut Monets Anspruch, Teil der Natur zu sein. Damit arbeitete er an der Abschaffung der Landschaftsmalerei, genauso wie die Konzeption von Bild- oder Motiv-Serien bzw. der Betonung des Malprozesses. Beides erfordert einen Betrachter, der sich vor dem Gemälde bewegt.
Den Übergang von den Werken der 1880er und 1890er Jahre zum Spätwerk leitet Ulf Küster in der Fondation Beyeler mit zwei Arbeiten aus der Serie „Morgen an der Seine“ (1897, je ein Gemälde vom Mead Art Museum, Amherst und dem Art Institute of Chicago) ein. Die beiden nebelschangeren „Ansichten“ des Flusses werden von überhängenden Bäumen, die hauptsächlich über ihre Silhouetten wahrzunehmen sind, flankiert. Der Fluss liegt, wie so häufig im Œuvre Monets ruhig und still, die Bäume bewegen sich nicht. Luft, Licht, Formen verschmelzen zu Farbnebeln in fein abgestuften Lila-Tönen. So geht es farbig konzise über die drei Mädchen im „En norvégenne [Im Kahn]“ (um 1887, Musée d‘Orsay) in Richtung London-Ansichten und Seerosen-Bildern. Vier London-Serien (1899, 1902, 1903, 1904) sind in der Schau zu sehen, zwei Gemälde zeigen das neogotische Parlament im Gegenlicht. Monet zog es nach London wegen der Luftverschmutzung. Frankreich war gespalten durch die Dreyfus-Affäre, Reminiszenzen an William Turner und vielleicht ein subtiler Hinweis auf die Beziehungen zu England verbinden sich zu einem fernen Traum eines Schlosses.
Keine Monet-Ausstellung ohne Seerosen, schon gar nicht, wenn das veranstaltende Haus ein so prächtiges Werk sein eigen nennt wie die Fondation Beyeler. Am Ende der Monet-Schau daher ein Ausblick auf die Seerosen-Serien. Der Franzose begann mit moderaten Formaten und führte zu den Großformaten über. Das Motiv hatte er schon während der 1880er Jahre entwickelt, als er im Winter 1881 die Eisschollen schwimmend auf der Seine malte. Das Beyeler Seerosen-Triptychon ist daher neben der Ausstellung zu sehen.
Schönheit wurde von Monet selbst geschaffen und nicht nur abgemalt, Kunst kann auch dann politisch sein, wenn sie das Schreckliche nicht abbildet, ist sich Sam Keller sicher. Kunst als Gegenwelt, Kunst als Sublimierung, Kunst als Kontemplationsmöglichkeit – all das bietet die Malerei von Monets Landschaftsmalerei. Als Renzo Piano das Gebäude für die Sammlung des berühmten Kunsthändlerehepaares Beyeler plante, hatte er Claude Monets monumentales Gemälde „Le bassin aux nymphéas [Seerosenteich]“ (um 1917–1920) im Sinn. Er sollte für Ernst Beyeler ein Haus in Harmonie mit der Natur schaffen, so Direktor Sam Keller. Renzo Piano öffnete das Museum mit großen Glasflächen zum Garten hin. Der Blick wandert über das Gemälde – und weiter zum Teich, dem Schilf, das sich manchmal sanft im Wind wiegt. Wenn auch Claude Monet dieses späte Werk nicht vor dem Motiv gemalt hat, sondern sich dafür eigens ein Atelier in Giverny bauen hat lassen, so suggeriert die Sammlungspräsentation überzeugend die innige Verbindung des Malers mit der Natur, der nahezu blind nach seinen Erinnerungen malte.
Die Fondation Beyeler feiert 2017 ihr 20jähriges Bestehen und ehrt Claude Monet – neben Pablo Picasso und Alberto Giacometti einer der wichtigsten französischen Künstler der Sammlung. Als „Fest des Lichts und der Farben“ dürfen die 62 Gemälde aus 15 privaten und öffentlichen Sammlungen zweifellos bezeichnet werden.
Kurator: Ulf Küster
Ulf Küster (Hg.)
mit Beiträgen von Ulf Küster, James H. Rubin, Gottfried Boehm, Maria Becker, Philippe Piguet, Hannah Rocchi
180 Seiten
ISBN 978-3-7757-4238-2 (Buchhandelsausgabe)
Hatje Cantz Verlag