Abstrakte Kunst
Was ist Abstrakte Kunst?
Abstraktion kann vom Lateinischen abstrahere für „loslösen“ oder „wegnehmen“ abgeleitet werden. Abstrakte Kunst meint daher eine Ausdrucksform, die sich von der Wiedergabe von Gegenständen löst, deren Ziel nicht mehr die Schilderung greifbarer Objekte und Figuren ist, sondern sich der geistigen Welt, dem Visionären, der logisch-rationalen Farbfeld-Kombination und/oder selbstreflexiven Analysen der Mittel, mit denen Kunst gemacht wird (Farben, Formen), verschreibt.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wandte sich eine Handvoll Künstlerinnen und Künstler von der Gegenständlichkeit ab und erforschten die Möglichkeiten abstrakter Bildwelten. Vielfach ließen sie sich für die Ablehnung der mimetischen Kunsttradition von metaphysischen, musikalischen und naturwissenschaftlichen Inspirationsquellen leiten. Protagonistinnen und Protagonisten der Klassischen Moderne wie Hilma af Klint, Wassily Kandinsky, Robert Delaunay, Kasimir Malewitsch oder Piet Mondrian stellten sich höchst individuelle Fragen zu einer neuen malerischen Wirklichkeit. Die „Darstellung“ spiritueller oder theosophischer Konzepte, der „inneren Welt“, d.h. der unsichtbaren Gefühlswelt, von Emotionen, „Visionen“ oder Ängsten, der Vergleich mit der immateriellen Musik, aber auch ein selbstreferenzielles Nachdenken über die eigenen Mittel gewann an Bedeutung.
In der europäischen Malerei lassen sich zwei Grundformen der Abstrakten Kunst bestimmen: Abstrakte und Ungegenständliche bzw. Konkrete Kunst. Abstraktion bedeutet in diesem Fall die absolute Reduktion der sichtbaren Welt auf Farb- und Lichteindrücke. Diese Form der abstrakten Kunst kann vom Expressionismus abgeleitet werden, in vielen frühen Werken ist der Bezug zur Natur oder zum Organischen noch immer vorhanden. Entweder lässt er sich aus den Bildinformationen ableitet oder wird im Bildtitel angedeutet. Werke von Robert Delaunay, Hilma af Klint, František Kupka, Paul Klee und Wassily Kandinsky gehören zu dieser Gruppe.
Die zweite Richtung, die ungegenständliche Kunst, entstand in der Nachfolge von Paul Cézanne. Bereits die Kubisten gingen von Cézannes charakteristischen Farbflecken aus und verfestigten sie zu Kuben. In der Malerei und Assemblage der russischen Suprematisten und Konstruktivisten, im deutschen Bauhaus und im holländischen De Stijl lösten Künstler sich gänzlich von einer wie auch immer gearteten Wiedergabe (Mimesis), um aus geometrischen Formen ihre Kompositionen zu bauen.
Hier findest du eine alphabetische Liste mit: Berühmte Künstlerinnen der Abstrakten Kunst
Kandinsky und Malewitsch - Väter der Abstraktion?
Wassily Kandinsky und Kasimir Malewitsch galten in den vergangenen Jahrzehnten als die Väter der Abstraktion - heute ist der Kanon um einige wichtige Leistungen erweitert worden. Beide wussten ihr schriftstellerisches Talent als Kapital geschickt einzusetzen und datieren auch Werke vor, um die Vorreiterrolle zu betonen. Vor allem Kandinskys Verdienst war es, seine Überlegungen zur abstrakten Malerei aufzuschreiben und wie ein Manifest zu veröffentlichen. In seiner 1911 erschienenen Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ erklärte er Farben und Formen zu den „eigentlichen Mitteln“ der Malerei, mit denen der Künstler seine innere Welt zum Ausdruck bringen soll.
„Als ich 1913 den verzweifelten Versuch unternahm, die Kunst vom Gewicht der Dinge zu befreien, stellte ich ein Gemälde aus, das nicht mehr war als ein schwarzes Quadrat auf einem weißen Grundfeld. [...] Es war kein leeres Quadrat, das ich ausstellte, sondern vielmehr die Empfindung der Gegenstandslosigkeit. Das Quadrat = Empfindung Das weiße Feld = die Leere hinter dem Quadrat.“ (Kasimir Malewitsch)
Orphismus - Abstaktion im Dienste der „idealen Schönheit“
Der Dichter und Kunstkritiker Guillaume Apollinaire unterschied in einem Vortrag im Jahr 1912 vier verschiedene Strömung innerhalb des Kubismus. Dabei sprach er, angeregt durch die farbenprächtigen Gemälde des Künstlers Robert Delaunay, von einem „orphischen“ Kubismus. Delaunay hingegen lehnte den Begriff für seine Gemälde entschieden ab.
Apollinaire entwickelte seinen Ansatz dennoch zur Idee des Orphismus weiter. Darunter verstand er eine Malerei, die sich von der Wiedergabe der äußeren Realität löste und eine „ideale Schönheit“ zum Ausdruck brachte. Als einer der ersten beschrieb er damit eine vollkommen abstrakte Kunst, in der sich kubistische, futuristische und expressionistische Ansätze verbinden (→ Futurismus). Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendete den Versuch, den Orphismus als radikale Avantgarde-Bewegung zu etablieren.
Dennoch waren diese von Paris ausgehenden abstrakten Tendenzen bedeutend für die Entwicklung der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts in Europa. So setzten sich die Maler des Blauen Reiter intensiv mit dem Werk von Robert Delaunay auseinander und rezipierten seine facettierte Wirklichkeitsauffassung. Darunter befanden sich beispielsweise Paul Klee, Franz Marc, August Macke und Heinrich Campendonck, die sich in unterschiedlicher Weise der Abstraktion öffneten.
Rayonismus
Neben Wassily Kandinskys Improvisationen, Frantisek Kupkas Fugen und Kasimir Malewitschs suprematistische Arbeiten bildet die Kunst von Natalja Gontscharowa und Michail Larionow die großen Eckpfeiler der ungegenständlichen Malerei zu Beginn der 1910er Jahre. Die beiden russischen Künstler suchten nach Darstellungsmöglichkeiten des Lichts mit den Mitteln der Malerei. Entscheidende Impulse für die abstrahierenden Tendenzen des Rayonismus gingen von Kubismus, italienischem Futurismus und Orphismus aus. Charakteristisch in diesen Werken ist eine Beschleunigung der Bildsituation, das prismatische Zersplittern und die grafische Verdichtung der Bildfläche. Anfangs unterzogen die Künstler den Gegenstand einer piktorialen Analyse. Die davor in expressivem Gestus und mit unrealistischer Farbgebung gestalteten Menschen, Tiere und Dinge wurden einem kubistischen Dynamisierungsprozess ausgesetzt.
De Stijl: Ungegenständliche Abstraktion in den Niederlanden
Wichtiger Impulsgeber wurde auch die 1917 gegründete Künstlervereinigung De Stijl, einer Gruppe Gleichgesinnter, deren Name sich vom Titel der niederländischen Zeitschrift für bildende Kunst (Oktober 1917–1931) ableitete. Gründungsmitglieder waren Theo van Doesburg (1883–1931), Piet Mondrian (1872–1944), Vilmos Huszár (1884–1960), Georges Vantongerloo (1886–1965) sowie die Architekten Robert van’t Hoff, J. J. P. Oud und Jan Wils, zudem die Maler Vilmos Huszár und Bart van der Leck, sowie der Dichter Antony Kok. 1918 wurden der Architekt Gerrit Thomas Rietveld, 1922 Cornelis van Eesteren und 1924 der Maler Friedrich Vordemberge-Gildewart aufgenommen.
De Stijl propagierte die geometrische Abstraktion (ungegenständliche Kunst) und die Reduktion auf die Grundfarben Rot, Blau und Gelb sowie die Nichtfarben Schwarz, Grau und Weiß als vollkommende Darstellungsformen für Kunst, Architektur und Design. Zudem beschäftigten sie sich mit dem Quadrat als Format und als Grundform der Kompositionen. Kunst sollte nicht abbildend, illustrativ oder erzählend sein, sondern ganz aus sich selbst herausverstehbar. Da De Stijl Künstler geometrische Formen in technisch anmutenden Kompositionen arrangierten, lässt sich die Bewegung in die Kunstrichtung des Konstruktivismus einordnen. Diese auf Rationalität und Objektivität gegründete Kunst sollte helfen, eine neue, ideale Welt zu gestalten. Ihre Werke empfanden die Künstler als Verkörperungen eines idealen Zustandes, als Realisationen idealer Harmonie. Daher beschränkte sich De Stijl nicht auf eine Kunstgattung (wie die Malerei), sondern schloss alle Formen der Lebenswirklichkeit mit ein: Mode, Architektur, Design, Kunsthandwerk.
In der Person des Kunsttheoretikers, Architekten und Malers Theo van Doesburg war De Stijl am Bauhaus in Weimar vertreten. Als umtriebiger Geist gab er den Anstoß für die Gründung der Zeitschrift und war ihr Redakteur bis zum Schluss. De Stijl wurde von Doesburg angetrieben. Gleichzeitig begann sich die Gruppe aufgrund von Meinungsverschiedenheiten aufzulösen. U. a. nahm Van Doesburg Diagonalen in seine Kompositionen auf, was Piet Mondrian kategorisch ablehnte.
„Allmählich wurde mir klar, dass der Kubismus die logischen Konsequenzen seiner eigenen Entdeckungen nicht akzeptierte; er entwickelte die Abstraktion nicht bis zur äußersten Konsequenz, dem Ausdruck der reinen Wirklichkeit.“1 (Piet Mondrian, toward the true vision of reality, 1942)
Konstruktivismus
Sowohl der Supreamtismus als auch die geometrische, ungegenständliche Kunst werden mit dem Überbegriff Konstruktivismus zusammengefasst. Zu den wichtigsten Künstlern zählen Kasimir Malewitsch, El Lissitzky und László Moholy-Nagy.
Abstraktion in Paris um 1930: Cercle et Carré / Abstraction-Creation
Die Vorherrschaft des Surrealismus und der Neuen Sachlichkeit animierte die Kunstschaffenden der Abstraktion ihre Kräfte zu bündeln. Um 1930 entstanden in Paris drei Künstlergruppen, von denen „Cercle et Carré [Kreis und Quadrat]“ sowie „Abstraction-Création“ die wichtigsten sind.
Michel Seuphor und Joaquin Torres-Garcia gründeten im März 1929 die Künstlergruppe „Cercle et Carré“, der Theo van Doesburg im Sommer des gleichen Jahres die Gruppe „Art Concret“ entgegenstellte. Da beide Gruppierungen nur kurzlebig waren - ihre Organisatoren Michel Seuphor und Theo van Doesburg waren länger krank - wurde im Februar 1931 die Gruppe „Abstraction-Création“ ins Leben gerufen. Sowohl „Cercle et Carré“ als auch „Abstraction-Création“ versammelten Vertreterinnen und Vertreter der oranisch-abstrhierenden wie auch der geometrisch-gegenstandslosen Kunst, darunter Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp, Willi Baumeister, Carl Buchheister, Alexander Calder, Alberto Magnelli uvm.
Abstrakter Expressionismus
→ Abstrakter Expressionismus | Informel
Zu den wichtigsten Formen der Abstrakten Kunst zählt der Amerikanische Abstrakte Expressionismus, dessen Hauptvertreter Lee Krasner, Jackson Pollock, Robert Motherwell u.a. waren.
Informel
Die Malerei des Informel setzte sich diametral von der Kunstdoktrin des Nationalsozialismus und Faschismus ab, womit diese Form der expressiven abstrakten Kunst zur (ebenfalls ideologisch aufgewerteten) "Weltsprache der Kunst" werden konnte. Der Name Informel leitete sich vom Französischen l'informe, dem Unförmigen, ab. Damit bezeichnet man die Formlosigkeit der Farbflecken, Farbschlieren, mit denen die Bilder gestaletet wurden. Zu den wichtigsten Malern des Informel in Deutschland zählte Ernst Wilhelm Nay, der ab den 1950er Jahren als international gefeierter Maler anerkannt wurde.
Die Künstler des Informel mussten lange auf die Wiederentdeckung ihrer Kunst warten. Nach dem Zweiten Weltkrieg galten sie als die „Modernen“. Während der 1960er Jahre wurden einige zu Professoren berufen: Carl Buchheister 1954, Hann Trier 1957, Karl Otto Götz und Thieler 1959, Hoehme 1960, Sonderborg 1965, Schumacher 1966, Dahmen 1967. Dieser Anerkennung ging ihre breitenwirksame Präsentation auf der „II. documenta '59. Kunst nach 1945“ voraus.
Pionierinnen und Pioniere der Abstrakten Kunst im frühen 20. Jahrhundert
- Hilma af Klint
- Wassily Kandinsky (siehe auch: Klee & Kandinsky)
- Robert Delaunay
- Constantin Brancusi
- Kasimir Malewitsch: Chagall bis Malewitsch. Russische Avantgarden
- El Lissitzky
- Piet Mondrian
- Theo van Doesburg
- Bart van der Leck
- Georges Vantongerloo
- František Kupka: František Kupka. Pionier der Abstraktion
- Paul Klee (siehe vor allem Paul Klee und die Abstraktion)
- Hans Arp
- Alexander Calder
- Josef Albers
- Anni Albers: Anni Albers. Textilkünstlerin mit Folgen
Hauptvertreter der Abstrakten Kunst Mitte des 20. Jahrhunderts
- Arshile Gorky
- Hans Hofmann
- Lee Krasner
- Jackson Pollock
- Robert Motherwell
- Mark Rothko
- Helen Frankenthaler
- Joan Mitchell
- Barnett Newman
Abstrakte Kunst der Nachkriegszeit
Beiträge zur Abstrakten Kunst
- Zitiert nach Hna L. C. Jaffé, De Stijl 1917–1931. Der niederländische Beitrag zur modernen Kunst, Berlin 1965, S. 54.
- Zitiert nach Hna L. C. Jaffé, De Stijl 1917–1931. Der niederländische Beitrag zur modernen Kunst, Berlin 1965, S. 54.
- Zitiert nach Hna L. C. Jaffé, De Stijl 1917–1931. Der niederländische Beitrag zur modernen Kunst, Berlin 1965, S. 54.
- Zitiert nach Hna L. C. Jaffé, De Stijl 1917–1931. Der niederländische Beitrag zur modernen Kunst, Berlin 1965, S. 54.