Einen enzyklopädischen Rundgang durch die Wiener Moderne – vom Historismus bis zur Secession, vom Expressionismus bis zum Magischen Realismus (Neue Sachlichkeit) – möchte die Neuaufstellung der Sammlung Leopold bieten, erklärte ihr Direktor, Hans-Peter Wipplinger. Und man muss sagen, es ist gelungen!
Österreich | Wien: Leopold Museum
16.3.2019 – 2023
Theatralische Präsentationen vermitteln auf sinnlicher Ebene den Bruch in der Ausstellungsgestaltung durch die Wiener Secession. Allseits bekannte Werke der Epoche Wien 1900 – von Gustav Klimt, Otto Wagner, Egon Schiele, Oskar Kokoschka – werden von einem Kosmos an weniger bekannten oder gänzlich unbekannten Kunstschaffenden eingerahmt. Die Wiener Moderne, so vermag die Schau auf den ersten Blick zu vermitteln, war deutlich reicher als vergoldetes Ornament, fein geschwungene und zarte Pflanzenmotive, das Wiener Quadrat, Otto Wagners Stadtbahnstationen, die goldenen Bilder von Gustav Klimt. Wurden die Visionäre und Vorkämpfer in den letzten Jahren vor allem in Form von Einzelausstellungen gefeiert, gelingt es dem Leopold Museum mit diesem Gesamtüberblick, die Charakteristik der Wiener Moderne als eine Verbindung von Einzelleistungen auf den Gebieten bildender Kunst, Architektur, Kunsthandwerk, Musik, Philosophie, Literatur, Tanz darzustellen.
Die ersten drei Räume sind dem Historismus und der österreichischen Landschaftsmalerei (→ Stimmungsimpressionismus) gewidmet. Gemälde und Ölskizzen von Hans Makart, Hans Canon, eine monumentale „Medea“ von Anselm Feuerbach und ein sehr früher Entwurf von Gustav Klimt für ein Dekorationsgemälde hängen vor schweren, blutroten Samtvorhängen! Der Gestaltungswille Makarts und die gängige Ausstellungspraxis im Künstlerhaus, die meist großformatigen Werke in opulenten, salonartig gestalteten Räumen zu präsentieren, lebt wieder auf. Mit Makart und Feuerbach sind die beiden wichtigsten Professoren für Historienmalerei der Wiener Akademie vertreten. Ihre monumentalen Werke prägten den akademischen Kunstgeschmack der 1870er Jahre in Wien - wobei Makart deutlich erfolgreicher war als sein aus Deutschland stammender und in Paris und Italien ausgebildeter Kollege. Die träumende Medea vor der Urne (mit der Darstellung des grausamen Kindermordes) zeigt das Bestreben des Deutsch-Römers Feuerbach, in der Antike die Quelle für die europäische Kultur zu entdecken. Die nahezu das Bildfeld sprengende Frauengestalt und das kühle Kolorit erzeugen eine melancholische Stimmung, die von der Ruhe auch des Faltenwurfs (Feuerbach verehrte Phidias!) noch gesteigert wird. Die starke Orientierung an der strengen Klassik kam in Wien allerdings nicht gut an. Die deutlich an Peter Paul Rubens geschulte Malerei Hans Makarts erfreute sich hingegen größter Beliebtheit, was den Maler auch zu einem gefragten Porträtisten der Wiener Gesellschaft machte.
Dass der spätere „Skandalkünstler“ Gustav Klimt hatte als Sohn eines Goldgraveurs die Kunstgewerbeschule besuchte und sich um 1880 mit seinem jüngeren Bruder Ernst und dem Studienkollegen Franz Matsch zur Künstler-Compagnie zusammengeschlossen (→ Gustav Klimt: Biografie), mag erstaunen. Als Sohn einer in prekären Verhältnissen lebenden Familie konnte er sich schlichtweg ein Studium an der Wiener Akademie nicht leisten. Dass er dennoch das Werk von hans Makart studierte, belegt eine Anekdote: Angeblich hätten die Klimt-Brüder und Matsch den Atelierleiter Makarts bestochen, um einen Blick auf die noch unvollendeten Werke des Meisters werfen zu dürfen.
Der im Leopold Museum ausgestellte Entwurf für ein nicht ausgeführtes Deckengemälde zeigt den etwa 20-jährigen Gustav Klimt als Dekorationsmaler, der sich erst ab etwa 1890 dem Auftragsporträt und ab 1898 der Landschaftsmalerei – zuwandte. Malerei bedeutet für Klimt in den 1880er Jahren in einer dienenden Funktion zu stehen, als Auftragskünstler Dekorationen meist für Theaterbauten zu realisieren. Das Gesamtkunstwerk des Historismus war eine Folge der engen stilistischen Parallelführung von Architekten, Malern, Bildhauern – und weniger einer gestaltenden Hand, wie es für Koloman Moser und Josef Hoffmann charakteristisch werden wird.
Das revolutionäre Potenzial der Landschaftsmalerei der 1870er und 1880er Jahre lag im einfachen Motiv: ein sonnenbeschienener Weg im Frühling von Emil Jakob Schindler, ein tonig gemalter Bauernhof von Max Liebermann, eine im Biedermeier-Realismus aufgenommene Wassermühle von Robert Russ, Eugen Jettels „Garten mit Sonnenblumen“ (1885). In Österreich-Ungarn dominiert der Naturalismus, zunehmend gewürzt mit einem poetischen Realismus, der das malende Ich im Verhältnis zur Natur wahrnimmt. Dabei spielten Malerinnen eine wichtige und auch öffentliche Rolle: Tina Blau, Olga Wisinger-Florian und Marie Egner dürfen als Österreichs führende Landschaftsmalerinnen um 1900 gewertet werden. Sie präsentierten ihre Bilder im Künstlerhaus, wurden offiziell geehrt und von der kaiserlichen Familie angekauft.
Die Gegenüberstellung von Schindlers Frühlingsbild und einer offen hingeworfenen Ölskizze lassen erkennen, dass Fragen des Malerischen in der Landschaft leichter anzudenken waren als im Figurenbild, egal ob Porträt oder Historie. Die Frage, ob solche spontanen Skizzen ausstellungswürdig waren oder nicht, wurde im Künstlerhaus Mitte der 1890er Jahre kontrovers diskutiert. Erst mit Theodor von Hörmann zogen die reinen Farben des französischen Impressionismus und der punktartige Farbauftrag ein (→ Theodor von Hörmann. Impressionist aus Österreich). Auseinandersetzungen um eine Nachlassauktion von Werken Hörmanns im Künstlerhaus waren einer der Gründe, warum 1897 Gustav Klimt, Carl Moll, Koloman Moser und andere die Secession aus der Taufe hoben.
Häufig wird die Wiener Secession1, die Ende 1898 das von Joseph Maria Olbrich geplanten Ausstellungspavillon bezog, mit dem Jugendstil und der Wiener Werkstätte verbunden. Zweifellos wichtig war die Vereinigung als Motor für ein neues Ausstellungswesen und als Protektorin der „Raumkunst“. Verantwortlich dafür waren Koloman Moser und Josef Hoffmann, wobei die Malerei Mosers in den letzten Jahren zwar wiederentdeckt wurde aber in der Bekanntheit dennoch hinter seinen Entwürfen für die Wiener Werkstätte zurückstehen.
So zeigt sich der Auszug der „Jungen“ aus dem Künstlerhaus, den Hermann Bahr zur Kunstrevolte gegen die Ökonomisierung der Kunst auf den Jahresausstellungen rhetorisch aufwertete, zu einer Neuausrichtung auf Basis der Tradition. Zweifellos war die Stilvielfalt, die auch die ersten Jahre der Secession prägte, bereits im Künstlerhaus vertreten. Und doch sollte der Kampfruf „Secession“ unter den Auspizien der Pallas Athene zum mythischen Kampf für das Neue und gegen das Alte - nicht nur in Klimts erstem Secessionsplakat - stilisiert werden. Dass der Secessionismus zu einer Bewegung wurde, die auch das Kunstgewerbe und Ausstellungsarchitektur einschloss, verwunderte so manchen traditionalistischen Kommentator. Dem Publikum schien es zu gefallen, strömte es doch in Massen in die Secessionsausstellungen.
Malerei wird ab dem vierten Saal der Leopold Sammlungspräsentation durch Kunsthandwerk, Möbel der berühmtesten Architekten und Entwerfer (für die Wiener Werkstätte), ergänzt. Dazu kommen noch Bücher, Plakate und Drucksorten verschiedenster Natur, um die umwälzenden Leistungen der Wiener Moderne zu würdigen. Eine „Wall of Fame“ holt Intellektuelle, Kunstschaffende, Wissenschaftler, Literaten vor den Vorhang – in der Epoche „Wien 1900“ leisteten viele in den unterschiedlichsten Fachrichtungen und Wissenschaftsgebieten tätige Menschen Außergewöhnliches.
Von der großen Masse der in Wien geschaffenen Kunstwerke ragen zweifellos die Leistungen von Gustav Klimt, Carl Moll, Koloman Moser und Josef Hoffmann besonders heraus.2 Leihgaben ermöglichen nun, einen umfassenderen Überblick über die Varianten der Stilkunst: Josef Maria Auchentallers „Elfenreigen“ (1899) oder ein wunderbar stilisiertes Porträt von Emil Orlik, Otto Friedrichs gefährliche „Dame in Rot“ (1909), ein herkulischer „Neptun“ (1915/16) des Keramikers Michael Powolny, eine stimmungsvolle „Salome“ (1906) von Wilhelm List.
Gustav Klimts Landschaften – das Frühwerk beseelt vom Naturlyrismus, die späten Arbeiten eine Huldigung an malerischen Duktus und Flächigkeit der Leinwand (neben der Schönheit der grünen Natur) – dominieren auf den ersten Blick den Klimt-Raum. „Ein Morgen am Teich“ (1899) wird flankiert von einem „Forellenweiher“ (1890 → Franz von Stuck. Sünde und Secession) von Franz von Stuck und Carl Molls „Waldweiher mit Seerosen“ (1900) aus der Sammlung Grubmann. Wasseroberfläche gehörte zu den wichtigsten Stimmungsträgern des Symbolismus – und Klimt zählte zu den besten Beobachtern und Malern dieses malerisch so schwer zu bewältigenden Sujets. Es zeigt nicht nur jedes Bild eine einzigartige Lösung, Wasseroberfläche darzustellen, sondern der Vergleich mit Moll auch die Öffnung Klimts in Richtung Claude Monets „Lichtmalerei“. Duftig gesetzte Pinselstriche, das Spiel mit Schärfe und Unschärfe, gefolgt von einer immer mehr die Fläche betonenden Komposition. Dass sich Klimt 1898 während eines Sommeraufenthalts in St. Agatha (Oberösterreich) plötzlich der Landschaftsmalerei zuwandte und sie in den folgenden Jahren mit soviel Engagement betrieb, dürfte ursächliche Gründe in der Arbeit an den „Fakultätsbildern“ haben. Reproduktionen der 1945 wohl verbrannten Monumentalbilder dokumentieren Klimts Hinwendung zu Symbolismus und der Philosophie von Friedrich Nietzsche.
Klimts Bruch mit der Tradition wurde vor allem nach der öffentlichen Präsentation des ersten Fakultätsbildes, die „Philosophie“, für alle nachvollziehbar. Das Blätterrauschen wurde von einem öffentlichen Protest der Universitätsprofessoren gekrönt. Klimts Auszeichnung auf der Pariser Weltausstellung 1900 konnte seine Karriere als Dekorationsmaler genauso wenig retten wie ihm eine Professur an der Akademie der bildenden Künste - als Professor für Landschaftsmalerei (!) - verschaffen. Um sich von den Strapazen zu erholen, reiste Klimt ab 1900 jedes Jahr an den Attersee und brachte atmosphärische Landschaften aus dem Salzkammergut mit. Der türkisgrüne See im Morgennebel (→ Gustav Klimt: Am Attersee (1900)), die pointillistische Pappel bei aufziehendem Gewitter, strahlend grün-violette Vegetation mit optisch verzeichnetem Litzlbergkeller entzückten das Wiener Publikum und die illustre Schar an Sammlerinnen und Sammlern. Die teilweise Rekonstruktion von Klimts Empfangsraum im Atelier, gefolgt von „Tod und Leben“ sowie den Leistungen Emilie Flöges komplettieren den Kosmos Klimt (→ Gustav Klimt – Emilie Flöge).
Trotz der zunehmend international orientierten Malerei der Wiener Moderne ist es doch das Kunsthandwerk, das die Ästhetik dieser Epoche prägt. Ab 1900 pflegten hauptsächlich einige Firmen, die Kunstgewerbeschule und ab 1903 die Wiener Werkstätte die Stilkunst: Architekturmodelle des Cabaret Fledermaus und des Sanatorium Purkersdorf, führen in die moderne Formensprache ein, die bis heute nachwirkt.
Sowohl Koloman „Kolo“ Moser wie auch Josef Hoffmann wandten sich unabhängig voneinander dem Gestalten von Alltagsgegenständen zu. Die Entwürfe von Moser für Glas wurden gar von einem Kommentator als „nicht materialgerecht“ abgekanzelt. Hoffmanns auf den ersten Blick nüchterne und doch differenzierte Formensprache erinnerte frappant an Biedermeiermobiliar. Kunstgewerbliche Objekte - von Vasen über Ledereinbände, von Büchern zu Schmuckstücken - wurden designt und zwecks lebensreformatorischen Bestrebungen für ein breites Publikum konzipiert. Dass dem Luxusgedanken in Form von Einzelstücken wie der gesamten Wohnungseinrichtung Terramare knapp vor Gründung der Wiener Werkstätte trotzdem Rechnung zu tragen war, schien die mit Feuereifer arbeitenden Maler und Architekten nicht zu stören.
Der Wiener Stil war ein nationaler, darauf waren seine Protagonisten stolz. 1903 - kurz nachdem sie in der XIV. Ausstellung der Wiener Secession, der sogenannten Beethoven-Ausstellung - das Gesamtkunstwerk auf die Spitze getrieben hatten, gründeten sie gemeinsam mit Fritz Waerndorfer die Wiener Werkstätte. Aufträge für das Sanatorium Purkersdorf, ein Heil- und Wellnesstempel vor den Toren der Stadt, und das innerstädtische Kabarett Fledermaus folgten. Von den Kacheln bis zur Menükarte harmonierten die Elemente miteinander, waren sie doch einer gestaltenden Hand unterworfen.
Gemälde von Carl Moll zeigen das Innere seiner Doppelhaushälfte auf der Hohen Warte, die von Josef Hoffmann entworfen und eingerichtet worden war. Eine weitere Auftraggeberin war die Malerin Broncia Koller-Pinell, die als einzige Frau an den Freitagstreffen von Klimt und seinen Freunden teilnehmen durfte. Eine beachtliche Auswahl ihrer Gemälde ergänzt die sonst männlich dominierte Wiener Moderne.
Gläser, Stoffe, Teppiche, Silbergeschirr für den „guten Geschmack“ ergänzen die Präsentation um Objekte, die von Koloman Moser und Josef Hoffmann sowie ihren Schülerinnen und Schülern an der Kunstgewerbeschule entworfen worden sind. Schwarze Vitrinen, welche einen Entwurf von Josef Hoffmann neuinterpretieren, verleihen den Exponaten einen äußerst würdigen Rahmen. Mit dem „Tausendsassa“ Koloman Moser endet der Rundgang im vierten Stock und setzt im dritten Stock wieder ein.
Otto Wagner, Koloman Moser, Adolf Loos und Josef Hoffmann werden mit singulären Sesselentwürfen – darunter Loos‘ amüsanter „Knieschwinger“ (!) – und Wohnungseinrichtungen vorgestellt (→ Wagner, Hoffmann, Loos und das Möbeldesign der Wiener Moderne ). Das Kunstgewerbe, resp. Design, lässt sich hier als Leitgattung der Wiener Moderne definieren. Mosers späte Gemälde, sei es „Tristan und Isolde“ oder auch die Traunsee-Landschaften, passen sich nicht nur in ihrer distinguierten Farbigkeit dem Möbelstoff an. Strenge Geometrie und organische Formentfaltung ergänzen einander kongenial. Ganze Wohnungseinrichtungen konnten sich dann doch nur das Großbürgertum leisten. Je nach Repräsentationsbedürfnis und Funktion der Räume boten Hoffmann und Moser entweder einheitlich gestaltete, lichtdurchflossene Räume in hellen Tönen oder exklusive Marketeriearbeit, in der die Schönheit von Holz und Perlmutter durch den geradlinigen Entwurf hervorgehoben werden.
Die Erzählung des Expressionismus in der Wiener Malerei setzt mit dem Werk von Oskar Kokoschka an, gefolgt von Richard Gerstl3, bevor die berühmte Schiele-Sammlung den Rundgang vollendet.
Die Egon Schiele Sammlung des Leopold Museum umfasst 42 Gemälde und 180 Arbeiten auf Papier. Der „Gelbe Akt“ (1910) korrespondiert mit Auguste Rodin, auf Schieles gesellschaftspolitische Analysen von Mutter und Kind-Darstellungen folgen seine Häuser (einige mit anthropomorphen Anklängen). Das während des Ersten Weltkriegs entstandene Spätwerk des mit nur 28 Jahren junge verstorbenen Expressionisten führt bereits in eine Form der Klassik, die den radikalen Brüchen der Vorkriegszeit diametral gegenübersteht.
Wie schon für die Zeit um 1900 lässt sich auch für die 1920er und frühen 1930er Jahre keine „dominante“ Stilrichtung benennen. Stattdessen ist die Kunst der Ersten Republik sowohl von Aufbruch als auch Rückbesinnung auf alte Werte gekennzeichnet. Die monumentale Kunst und den Expressionismus trugen Albin Egger-Lienz und auch Herbert Boeckl weiter. Der in Südtirol lebende Egger-Lienz fand in der bäuerlichen Bevölkerung Symbole für Leben und Sterben, während der in Wien arbeitende Boeckl Farbschichten anhäufte. Neue Sachlichkeit und Magischer Realismus dürften den Sammlung Rudolf Leopold am meisten beeindruckt haben, allen voran Rudolf Wacker und Otto Rudolf Schatz (→ Otto Rudolf Schatz und Carry Hauser ). Leihgaben aus der Sammlung der Österreichischen Nationalbank und von Ernst Ploil bringen Max Oppenheimer, Erika Giovanna Klien und Keramikerinnen rund um Dagobert Peche in das Leopold Museum. Vor allem Peches hochdekorativer Stil begeisterte ab den 1970er Jahren Designer der sich formierenden Postmoderne. Sie begleiteten den „Aufstieg“ der Marke „Wien 1900“ und die Entdeckung der Wiener Moderne.
Nicht vergessen werden dürfen die kunstgewerblichen Objekte in der Dauerausstellung, welche die Fortführung der Wiener Werkstätte in unterschiedlichen Medien und Materialien vor Augen führen. Exemplarisch seien hier Vally Wieselthier und Franz Hagenauer genannt, die beide Anfang der 1920er Jahre an der Kunstgewerbeschule gelernt haben. Wieselthiers expressive Keramikköpfe treffen auf die eleganten Metalltreibarbeiten Hagenauers mit dem gleichen Thema. Wo die erste Keramikmeisterin Österreichs auf Farbwirkung und eine wellige Oberfläche setzte, entwickelte der Spross der Werkstätte Hagenauer eine kühle Eleganz aus überlängten Gesichtsformen, metallisch glänzender Oberfläche und abstrahierten, oder gar gänzlich fehlenden Details.
Die Bedeutung dieser Epoche des Umbruchs, der Widersprüche und Gegensätze lässt sich sowohl als Phase der Dekadenz und des Niedergans lesen, als „Tanz auf dem Vulkan“, als Weltuntergang – aber auch als Beginn der europäischen Idee. Bazon Brock, der dem Projekt beratend zur Seite stand, unterstrich in seiner Eröffnungsrede den zukunftsweisenden, positiven Aspekt. In Wien, so meinte Brock, passierte der wahre Aufbruch in die Modernität, in die Demokratie, in das Europa der EU. Dazwischen lag allerdings noch die Urkatastrophe des Zweiten Weltkriegs und der Shoa, worauf Hans-Peter Wipplinger im letzten Bereich nicht vergaß hinzuweisen.